Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 17.11.1899: Nicht den Mut verlieren

Wir haben eine hohe Mission zu erfüllen, und sie wird nur durch euch verwirklicht. In Rom rechnet man mit den Oblaten. Die treuen Seelen, die uns kennen, die die Gute Mutter kennen, wünschen sehr, unter der Leitung solcher Ordensleute zu leben. Wir selbst müssen uns heiligen, um schon hienieden wie auch im Jenseits das Glück zu finden. Das setzt ernste Arbeit voraus. Der hl. Franz v. Sales gab wie die Gute Mutter oft, wie man in der Heimsuchung sagt, einen „defi“ (Anm.: „eine Herausforderung, eine Losung“), einen Gedanken, eine Übung an, die das Verhalten der Kommunität lenken sollte… Nun denn, so will auch ich euch solch ein einen „defi“ geben: nie für euch allein zu bleiben, immer mit Gott, mit dem Heiland zu sein. Das, meine Freunde, ist Grundlage und Quintessenz des Ordens der Oblaten des hl. Franz v. Sales.

Beginnt gleich beim Erwachen damit, eure Seele in Gott zu versenken, sei es mit den Gedanken des Direktoriums, sei es mit den Gebetchen, die ihr von eurer Mutter schon in der Kindheit gelernt habt. Ihr macht euer Bett, kehrt eure Zelle: tut das nicht allein, das wäre sinnlos, der nächstbeste Affe könnte dasselbe tun, sondern wendet, wie der hl. Stifter sich ausdrückt, eine „Geschicklichkeit“ an: unterhaltet euch während dem mit dem lieben Gott. Bittet ich, z.B. euren Verstand ein bisschen sprühender zu machen, wir wissen ja so wenig, und dieses Wenige wissen wir so schlecht.

Die Gute Mutter sagte: Kam der Heiland denn allein zu unserer Erlösung auf die Welt oder zu unserer Heiligung? Dazu hätten auch seine Passion und seine Sakramente genügt. Wenn er aber Mensch wurde, dann wollte er uns zeigen, dass die Vereinigung des Menschen mit Gott möglich ist. Die Menschwerdung hat ihn uns zum Vorbild gemacht und darüber hinaus die Kraft verliehen, ihm gleich zu werden. Tun wir darum alles, was wir zu tun haben, zusammen mit dem Heiland, das Natürliche wie das Übernatürliche! Das muss euch eine Gewohnheit werden. Dann befindet euch auf dem Weg der Ehrungen und Privilegien, da man durch diese kleinen Dinge ein Freund Gottes wird.

Beachtet das vor allem bei euren Studien: der Theologie, der Philosophie, etc. Die großen Theologen haben sich nicht nur mit Hilfe von Büchern gebildet, sondern auch und vor allem durch das Gebet. „Thomas, was willst du als Belohnung?“ fragte der Heiland den Heiligen, „gut hast du über mich geschrieben.“ – „Herr“, antwortete der große Kirchenlehrer, „nichts anderes als dich!“ Als ich selbst klein war, konnte ich mir keine Wörter merken, nur mit Mühe meine Lektionen behalten und war der letzte an Fleiß. Ich begann, in diesem Anliegen zur Mutter Gottes zu beten, und von da an wurde ich fast in allem der erste.

Tat das nicht auch der Hl. Aloysius? Und genau so sollen auch wir in allen Situationen unseres Lebens verfahren, in Tröstungen, Trübsalen, Schicksalsschlägen, etc. Man langweilt sich vielleicht im Noviziat, man meint, anderswo besser am Platz zu sein. Denn hier leiste man gar nichts… Nun, nehmt auch das aus der Hand Gottes an. „Kommt abseits an einen einsamen Fleck und ruht ein bisschen.“ Man erteilt euch einen Gehorsam, der euch zu schaffen macht, oder ihr sollt Beziehungen zu einem Charaktertyp unterhalten, der zu eurem passt wie ein eiserner zu einem irdenen Topf… Nehmt doch den Heiland zu Hilfe! Weh dem, der allein bleibt! Der hl. Bernhard sagte: „Wer allein bleibt und sich keinem anderen anpassen will, nimmt einen Dummkopf zu seinem Meister…“ Nehmt also in der Mutlosigkeit, der Versuchung des Noviziates, eure Zuflucht zu unserem Herrn, dann wird bald alles anders aussehen.

„Das ist aber schwer“, werdet ihr mir sagen. Oh ja, tut ihr es nächstes Jahr, wird es dann leichter sein? Nein. In 20 Jahren auch nicht? Nein, in hundert? Wo werden wir in hundert Jahren sein? …

Verliert also nicht den Mut. Man schafft es erst, wenn man sich lang und oft im persönlichen Opfer geübt hat. Das ist eine ständige und ununterbrochene Kommunion. Man kann nicht mehrfach am Tag kommunizieren. Mit unserer Methode aber kann man wenigstens jeden Augenblick zu Gott gehen, mit ihm in dieser ewigen Kommunion vereint bleiben, jener himmlischen Kommunion, die in der Einheit aller Willen mit dem Willen Gottes besteht. Das ist das beste Band der Liebe und der Herzenseinheit. Jedes Mal, wenn ihr einen echten Akt der vollkommenen Liebe vollbringt, gefallt ihr Gott mehr als durch eine nur mittelmäßige Kommunion.

Damit haben wir etwas mehr in der Hand, das uns Kraft zum Leben gibt, in der Arbeit, der Versuchung ebenso wie in der Freude. Und noch einmal: dahin gelangt man nur um den Preis einer genauen und gewissenhafte Übung. Es ist der Lohn einer beständigen Treue zur Beobachtung des Direktoriums und der Ordensregel.

D.s.b.