Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 07.06.1899: Vereinigung mit Gott

„Ziel und Absicht der Oblaten des hl. Franz v. Sales: Ihres ganzen Lebens und all ihrer Übungen Ziel soll sein, sich mit Gott zu vereinigen…“

Das war das ganze Sinnen und Trachten des hl. Franz v. Sales: die Vereinigung mit Gott. Für uns aber ist es das Mittel, der Kirche eine große Hilfe zu leisten. Dieser Satz ist kurz, betrachtet ihn darum gut durch. Es drückt nicht wie der Katechismus aus, dass wir dazu erschaffen sind, Gott zu kennen, zu lieben, und ihm zu dienen. Er schlägt uns nicht wie andere Ordensregeln vor, Gottes Ruhm und Ehre zu fördern. Beachtet hier den feinen Unterschied: „um sich mit Gott zu vereinigen…“ Die anderen Orden scheinen mehr das Ziel im Auge zu haben, als den Arbeiter bei der Arbeit. Unser hl. Stifter wendet sich vor allem an den Werkmeister selbst. Denn der Grundsatz trifft zu: „Wie der Priester, so das Volk.“ Von einem schlechten Handwerker bekommt man keine gute Arbeitsleistung. Wenn ein junger Mann seine Pflicht nur halb und halb tut, wird er keinen Ordensmann abgeben. Ist er bereits Priester und Ordensmann, dann ist es ein Jammer. Nein, handelt nicht nach Lust und Laune. Vereinigt euch zu allererst mit dem lieben Gott durch die Praxis einer unbedingten und übernatürlichen Einswerdung.

Bittet den Hl. Geist um Verständnis für diesen ersten Satz. Jeder möge seine Betrachtung während der kommenden 14 Tage darüber machen, damit er davon ganz durchdrungen werde und sein Verhalten in volle Übereinstimmung mit seiner Berufung und den Absichten unseres Herrn bringe. Denn warum ist Gott Mensch geworden? Nur um uns zu erlösen? Geschah es nicht auch, um unser Vorbild und Gefährte zu werden? Möge es uns darum unsere einzige Sorge sein, unseren Willen mit dem des göttlichen Heilandes zu verbinden. Damit wird man selbst ein Heiliger und macht auch andere zu Heiligen. Die Glocke läutet zum Aufstehen: vereinigt euch mit Gott, der euch zur Arbeit eines neuen Tages ruft. Steht mit Jesus auf, betet und leidet mit ihm. Und ihr werdet es dahin bringen, euer Leben in das seinige zu verwandeln.

Mehr als alle anderen Methoden billige ich die des hl. Franz v. Sales, die übrigens auch jene des hl. Augustinus war. Vor 67 Jahren machte ich eine Rundreise durch Frankreich zusammen mit einem Moralprofessor, Herrn Chevalier. Wir besuchten dabei ein Noviziat der Jesuiten. Ich erinnere mich noch des Zimmers des Novizenmeisters, das mit einer großen Plankarte der Vollkommenheit geschmückt war. „Bleiben Sie doch bei uns!“ sagte der gute Pater zu mir. – „Nein.“ – „Und warum nicht?“ – „Wenn ich Jesuit würde, würde ich es zehnmal mehr werden, als Sie es sind“, war meine Antwort.

Damit will ich die anderen Methoden nicht schwarz machen. Aber bedenkt, wenn man sich auf diesen Weg einlässt, arbeitet unser eigener Geist und schmiedet gewaltige Pläne. Daraus erwachsen aber schreckliche Versuchungen. Und oft kommt es so weit, dass man nur noch auf sein eigenes Können baut. Der liebe Gott verlässt aber jene, die auf ihrem eigenen Gelände bauen wollen. Wenn man alt ist, glaubt man nur noch wenig an menschliche Mittel. Es gibt ja eine so kurze und so sichere Methode, vollkommen zu werden: sich jeden Augenblick mit Gott vereinigen, und jeden Augenblick darauf bedacht zu sein, den augenblicklichen Willen Gottes über uns zu erfüllen. Was gibt es denn Vollkommeneres? Das ist aber eintönig, werdet ihr mir sagen. Gewiss, es ist immer dasselbe Motiv, das uns leitet, doch die Handlungen ändern sich ständig, während die Seele allzeit tapfer bleibt.

Beginnt euer Tagewerk darum mit dem Direktorium, setzt es mit ihm fort und beendet es auch so. Damit werdet ihr Männer, mächtig in Wort und Tat. Das ist der Oblate und nichts anderes.

Gelingt uns dies auf den ersten Anhieb? Nein. Früher war man überzeugt, man brauche dreißig Jahre, um ein guter Oblate zu werden… Hier kommt alles auf die Praxis an. Das lässt sich übrigens bei jedem Orden feststellen. Die Jesuiten waren anfangs nicht so wie wir sie heute sehen. Es gab Fehler und Versagen, sogar Skandale. Doch dank ihrer Beharrlichkeit gewann die Idee des hl. Ignatius die Oberhand, und so haben sie sehr große Heilige hervorgebracht.

Meine Freunde, in eurer Hand liegt die Gründung der Oblaten. Ihr seid die Bausteine dieser Gründung. An dem Tag, wo sich jeder von euch mit ganzem Ernst an die Arbeit macht, wird man über die Resultate staunen. Das bleibt nicht verborgen. Ich komme noch einmal auf die Inschrift in der Kirche von Charny zurück: Das Evangelium ist der Mund Christi. Und die Gute Mutter sagte: Damit wird man den Heiland von neuem auf Erden wandeln sehen. Unser Herr wird euer Herz mit seiner eigenen Gesinnung entflammen, von eurem Herzen aber wird sie auf euer Gesicht und eure Lippen übergehen, und diese werden das Evangelium auf eine lebendige Weise predigen.

Glaubt mir, ich bin seit Langem vom Fach. Wir verfügen da über eine Methode, die alles umfasst, und sichere Ergebnisse zeitigt. Helfen wir uns gegenseitig mit unserem Gebet, und mit unserer Treue. „Tu das und du wirst leben.“

„Daher dürfen sie nach nichts so sehr verlangen, als dermaßen tugendhaft zu sein, dass der Wohlgeruch ihrer Tugend Gott erfreue und in die Herzen…“

Gestützt auf die Treue, wird unser Gebet Gott angenehm sein, und unser gutes Beispiel wird dem Nächsten nützen. Unser ganzes Äußere wird davon geprägt sein. Dann wird unsere Haltung überall, vor allem in der Kirche, korrekt und untadelig sein, und gleichzeitig ohne Künstelei und Sonderlichkeit, vielmehr von großer Sammlung und einem übernatürlichen Geist der Abtötung zeugen.

Das ist die Tugend der Oblaten, und ein heiligmäßiger Ordensmann sagte mir, es sei leichter Kartäuser zu sein als ein guter Oblate. Das erfordert so viel Wachsamkeit, Selbstverleugnung und Willensstärke. Beginnen wir mit kleinen Anstrengungen, so wie das Senfkorn des Evangeliums oder der Eukalyptus aus einem unscheinbaren Samenkorn zu einem mächtigen Baum heranwächst.

D.s.b.