Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 24.05.1899: Gedanken zu den einzelnen Messteilen

Jetzt schon müssen wir damit beginnen, das Messelesen zu lernen, und die inneren Dispositionen unserer Seele zu pflegen, damit wir die „Rubriken des übernatürlichen Lebens“, das uns dabei beseelen soll, aufs genaueste beherrschen und im Augenblick der Priesterweihe die Gebete verstehen und mit den Zeremonien vertraut sind, vor allem mit dem Geist des Direktoriums.

Genau dies legte man uns auch im Kleinen Seminar wie im Großen Seminar ans Herz: während man der hl. Messe beiwohnt, sich klar zu werden über ihre Zeremonien. Die ganze Zeit, die euch noch vom Priestertum trennt, ist nicht zu lang, um das vorzubereiten. Denn die Messe ist alles für den Priester. Oft hatte ich Gelegenheit, dies festzustellen während der 35 Jahre, die ich mit der Guten Mutter zu tun hatte. Sie sagte mir: „Wenn man am Morgen um dies oder das bäte! …“ Und am Ende der Messe erlebten wir immer eine abgeschlossene und erstaunliche Antwort. Und dabei ging ich gar nicht mit Begeisterung an die Sache, sondern eher mit Kälte. In allen Arten von Problemen griff der liebe Gott spürbar ein. Es trat z.B. eine Novizin ein. Nach der hl. Messe sagte ich zur Guten Mutter: man kann auf sie zählen. Ging es um der Messe um Erleuchtung… Soll man Schwester Marie-Louise behalten, die man aus mehreren Gründen entlassen zu müssen glaubte? Man bat um ein Zeichen und ich erhielt die Antwort: Sie können sie behalten, sie ist nicht mehr krank. Das war keine Sache der Einbildung, sondern des Glaubens. Wie gut täten wir daran, es selbst ein bisschen zu versuchen, besonders heutzutage, wo das übernatürliche Leben am Schwinden ist.

Auch die Bischöfe und Ordensobere klagen, dass das übernatürliche Leben abnimmt. Woher kommt das? Weil man nicht mehr genug betet und es da nicht tut, wo es nottäte. Abhilfe könnte hier nur das andächtige Beiwohnen der hl. Messe bringen. Und zu diesem Zweck heißt es, sich mit einer lebendigen Gesinnung des Glaubens zu durchdringen. Unser Herr selbst ist hier gegenwärtig, so wie er in Bethlehem, Nazareth, an den Ufern des Sees Genezareth und auf dem Kalvarienberg zugegen war, wenn er predigte, die Kranken heilte oder sein Blut für uns vergoss. Von welch großer Sammlung würden wir erfüllt sein, wenn wir einen lebendigen Glauben hätten! Wollen wir der hl. Messe aber gut beiwohnen, brauchen wir uns nur der Methode des Direktoriums zu bedienen:

„Während der Priester sich vorbereitet, versetze man sich in die Gegenwart Gottes… Dann kann man den Rosenkranz oder andere Gebete…“

Was den Rosenkranz betrifft, verpflichte ich euch nicht, in diesem Augenblick (zwischen Introitus und Evangelium) diesen zu beten. Wenn der hl. Stifter das empfahl, dann deswegen, weil er sich an Schwestern wandte. Wir dagegen können bei der stillen Messe unseren Geist leicht ohne dieses Hilfsmittel beschäftigt halten. Bitten wir zunächst Gott um Verzeihung, während der Priester das Schuldbekenntnis betet, und sicherlich haben wir genug Sünden begangen, um sie während des ganzen Beginns der Messe zu verabscheuen. Haben wir nur ein bisschen Liebe zu unserem Herrn, so werden wir keine Mühe haben, unseren Geist in Aufmerksamkeit zu erhalten. Wären wir zu Füßen des Kreuzes gestanden, so böte uns das keine Schwierigkeit. Hier geschieht aber ganz das Gleiche: die Kraft desselben Erlöserblutes wird uns hier mitgeteilt. Demütigen wir uns also in tiefer Zerknirschung. Gewiss, eine tiefe und ehrliche Zerknirschung ist heutzutage nicht mehr in Mode, besonders bei gewissen Frauen mit ihrer oberflächlichen Frömmigkeit.

Ich lege viel Gewicht auf innere Akte. Ich billige deshalb aber keineswegs die Bemerkung jedes kleinen Ordensmannes, der auf den Vorwurf, er verstoße sehr gegen die hl. Regel, antwortete: Oh, bei den Oblaten sitzt die Vollkommenheit ja ganz und gar im Inneren. Das ist zwar richtig, aber es muss gleichwohl auch einiges Äußere dazukommen. Denn will man kein Heuchler sein, dann muss das eine mit dem anderen in Einklang stehen. Sicher, das Bußsakrament tilgt alle Sünden, doch nur unter der Voraussetzung, dass es von einer zerknirschten Seele empfangen wird. Die Reue allein genügt, fügt der Katechismus bei. Doch diese Reue besteht gerade in einem aufrichtigen Bedauern, das nicht aus der Scham über das Geständnis im Beichtstuhl oder die Nachteile des begangenen Fehlers hervorgeht, sondern aus einem übernatürlichen Beweggrund, und dieser muss begleitet sein von einem Anfang von Gottesliebe…

Du sagst mir vielleicht: Aber ich empfinde einfach nichts dabei… Nun, da gibt es ein probates Mittel, mit dieser Verlegenheit fertig zu werden: verbringe einen, zwei oder drei Tage der Treue zum Direktorium, und ich garantiere dir, dass du etwas empfindest. Es mag Leute des Geistes geben, die dir sagen, mit dem Geist erreicht man alles. Ich aber sage dir: mit dem Geist erreichst du gar nichts. Aus bloßer Theorie wird kein Zimmermann geboren, so wenig wie ein Ordensmann kraft der spekulativen Kenntnis der Regel ausgebildet wird, sondern durch die praktische Übung derselben.

„Beim Evangelium aber stehe man entschlossen auf, um zu zeigen, dass man bereit ist, auf dem Weg der Gebote des Evangeliums zu wandeln…“

Als ich kürzlich von Plancy zurückkehrte, fuhren wir durch Charny, dessen Kirche soeben restauriert wurde. Als Mann von Geist hat der dortige Pfarrer die Ornamentik, die Statuen und die Altäre der alten Kirche sorgsam konserviert. Über dem Hauptaltar stehen auf einer Marmorplatte die Worte: „Das Evangelium ist der Mund Christi.“ Das Evangelium ist nicht nur das Wort Christi, sondern sein Antlitz, der Ausdruck seiner Gesichtszüge, sein Lächeln, seine Schönheit, seine Persönlichkeit… Ein sehr schönes Wort also, das an die Stelle der Hl. Schrift erinnert: „Der Mund redet zum Mund.“ Ich wüsste gern, wer dieses Wort geprägt hat. Ich empfehle Nachforschungen darüber unseren jungen Gelehrten.

Warum beim Evangelium nicht an dieses Wort denken? Das Evangelium ist die Freude des Erlösers, der Ausdruck seiner Liebe zu unserer Seele, jener Ausdruck, der während seines irdischen Lebens die Menge bei seinem Vorübergang faszinierte. Herr T. hat auf seiner Wallfahrt zum Hl. Land die überraschende Beobachtung gemacht, dass jede Ortschaft dort, ob jüdisch oder arabisch, irgendeinen Ausdruck von oder einer Erinnerung an die Güte und erlesene Liebenswürdigkeit des Heilandes bewahrt hat. Dieser Eindruck muss sich also so tief eingegraben haben, wenn er nach 1.900 Jahren noch so lebendig ist.

„Betet der Priester das Credo, so verrichte man dabei das gewöhnliche Glaubensbekenntnis als Beteuerung, im Glauben der hl. Kirche leben…“

Vom Credo bis zum Sanctus muss der Priester von einer ganz besonderen Andacht erfüllt sein. Was ist da auf dem Altar? Das, was die Liturgiker Oblaten, Opfergaben nennen, die in den Leib und das Blut unseres Herrn verwandelt werden. Warum tragen wir den Namen Oblaten? Weil wir vorgehen, ebenfalls zu verwandeln, von sündigen Adamskindern in Kinder Gottes, in lebende Abbilder unseres Herrn…

Sollten wir ihn nicht gerade da bitten, diese wunderbare Verwandlung in uns vorzunehmen, das schwarze Brot unserer Erdhaftigkeit, die traurig-bitteren Früchte unserer armseligen Natur ebenfalls umzuwandeln in eine neue Substanz? Unsere ungeordneten Gewohnheiten und Fehler auszulöschen, um uns dann in Christus und im Verein mit ihm aufzuopfern, Herz, Leib und Seele mit all ihren Erbärmlichkeiten und Unzulänglichkeiten? Das ist unsere Methode. Wenn wir sie vernachlässigen, werden wir uns selbst untreu. Achtet gut darauf, denn das ist das, was ihr täglich zu tun habt, um gut der hl. Messe beizuwohnen, und um sie später fromm zu lesen.

„Nach dem Sanctus denke man mit großer Demut und Ehrerbietung an die Wohltat des Leidens und Sterbens unseres Heilandes…“

Bedenken wir wohl, dass unser Herr aus Liebe zu uns gestorben ist, indem er uns seine Verdienste hinterließ. Opfern wir diese seinem Vater auf für unsere Eltern, für die Seelen des Fegefeuers.

Und kennt ihr das unfehlbare Geheimnis, um erhört zu werden? Ihr müsst für eure Ordensgemeinde beten. Nach einer langen und schlüssigen Erfahrung lege ich euch das dringend ans Herz, sogar im Auftrag des lieben Gottes. Ihr fühlt euch nicht dazu gedrängt? Das ist möglich. Tut es trotzdem, dann werdet ihr allmächtig über das Herz Gottes. Der hl. Stifter empfahl nachdrücklich diese kleinen Kunstgriffe, um in seinen Gebeten Erhörung zu finden. Beugt der Priester sich bei der Wandlung über den Altar, dann stellt euch den Heiland ebenso gebeugt vor, voller Liebe zu uns bis zur Vergießung seines Blutes. Vereinigt euch mit ihm, denn so wohnt ihr der hl. Messe wirklich gut bei, besonders wenn ihr pünktlich in der Kirche erscheint, nachdem ihr sorgfältig eure Zelle in Ordnung gebracht habt und große Sammlung wahrt. Wenn ihr euch dann in der Kapelle gerade haltet, die Hände faltet, und nicht mehr Bequemlichkeit sucht als der Herr am Kreuze hatte… Seht nur, wie treffend all diese Ratschläge sind.

„Nach der Wandlung danke man dem Erlöser für die Einsetzung des hl. Opfers und für sein bitteres Leiden und Sterben.“

Betreffs geistlicher Kommunion empfehle ich euch sehr die Stoßgebete des hl. Alfons von Ligouri in seinen „Besuchungen des Allerheiligsten.“ Ein kleines Büchlein, aber eine Quelle lebendiger Frömmigkeit, die ihr so dringend braucht, damit ihr sie nachher den anderen einflößen könnt. Denn schließlich gilt auch für uns das Wort: „Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu bringen, und was will ich anderes als dass es brenne.“

Dann werden die Seelen komm, um sich bei euch Wärme zu holen. Wenn ihr selbst keine habt, was wollt ihr ihnen geben? Durchdringt euch darum tief mit den schönen und so erwärmenden Gedanken des hl. Alfons. In seinen Fußstapfen wirken die Redemptoristen viel Gutes. Auch wir sind Jünger eines Bischofs und Heiligen. Gewiss besteht ein gewisser Unterschied zwischen der Lehre des hl. Alfons und der des hl. Franz v. Sales, doch streben beide nach demselben Ziel.

Und in unseren Tagen entspricht der Geist unseres hl. Stifters immer besser den Bedürfnissen der gegenwärtigen Zeit. Darum sollten wir Herz und Geist damit durchtränken: unser Herz, weil darauf der liebe Gott vor allem schaut. Unseren Geist, weil er unserem Leben als Steuerrad dient. Doch trennt das Äußere nie vom Inneren! Hier ein Vergleich: Der Baum schöpft seine Lebenskraft aus dem Saft. Was beschützt diesen Saft aber und lässt ihn bis zu den äußersten Verästelungen dringen? Die Rinde. Wird sie verletzt, leidet der Baum. Wird sie gar weggerissen, stirbt der Baum. Die Rinde ist für uns die Ordensregel, das Äußere. Beschädigt ihr sie, reißt ihr sie ab, wird bald kein Leben mehr im Inneren zurückbleiben.

Und doch wird gerade dieses Innere immer notwendiger. Ermangelt man dieses Vorrates, dann wirft man sich neuen Ideen in die Arme, die sich wie ein Lauffeuer ausbreiten. Nicht der Amerikanismus wird uns retten. Der Teufel profitiert davon, um die Seelen heftig hin- und her zu zerren. „Simon, der Teufel hat danach verlangt, euch wie Weizen zu sieben. Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht wanke…“ Der Teufel greift gerade die stärksten an. Wehe dem, der sich in seine unbarmherzigen Hände fallen lässt. An uns ist es, zu wachsen, indem wir uns auf die Hilfsmittel stützen, die der hl. Stifter uns anbietet.

D.s.b.