Kapitel vom 03.05.1899: Treue haben und sich an das Direktorium halten
Schon mehrere Male nahm ich kein Buch zur Hand, um mich mit euch zu unterhalten, weil es mir vor allem darum geht, dass ihr gut versteht, worin das Oblatenleben besteht. Hier geht er um einen Punkt von äußerster Wichtigkeit.
Es bedarf eines großen Ernstes und großer Würde in unseren Beziehungen untereinander. Vielleicht haben wir einige Zeit im Seminar zugebracht und die Gewohnheit angenommen, allzu vertraulich miteinander umzugehen. Dann behandelt man sich gegenseitig eben nicht als Ordensleute, sondern als Kameraden. Man lässt sich gehen und das führt zu unheilvollen Ergebnissen.
Unlängst hatte ich den Besuch einer Dame, deren Sohn bei den Oblaten eintreten wollte. Bei einem Besuch in Foicy sah dieser junge Mann nun, wie sich die Novizen gegenseitig eine Prise Tabak angeboten, und dabei machten sie so weltliche Witze, dass er ganz schockiert war. Ich hatte mir eine ganz andere Vorstellung vom Ordensleben gemacht, sagte er von sich selbst. Ich stellte mir etwas Ernstes und Abgetötetes vor. Wenn das Ordensleben nicht mehr ist als das, kann man darauf verzichten.
Meine Freunde, diesen Umständen messe ich eine große Bedeutung bei, nicht in dem Sinn, dass ich die Folgerungen dieses jungen Mannes billigte, sondern wegen seines eigentümlichen Charakters. Weil 2 oder 4 Novizen es an der richtigen Haltung und Abtötung fehlen ließen, bedeutet das nicht, dass die anderen, dass die ganze Genossenschaft nichts taugt… Ich war 1830 im Priesterseminar während einer schlechten Periode. Da gab es eine Klasse, die keinen Pfifferling wert war, richtige Lausbuben. Hat dieser Umstand mich aber daran gehindert, meine Seminarzeit wie es sich gehört, zu verbringen? Ich muss doch nicht deshalb gut oder schlecht sein, weil dieser oder jener auch gut oder schlecht ist. Solche Ausreden weise ich schon deshalb zurück, weil sie oft wenig begründet sind. Zu Beginn meiner priesterlichen Tätigkeit lebten noch Geistliche, die die Französische Revolution erlebt hatten. Obwohl Spiritual bei der Heimsuchung, musste ich manchmal Kranke des Stadtviertels besuchen, weil es eben zu wenig Priester gab in der Pfarre. Wenn ich da das Thema Beichte anschnitt, sagte man mir: Nun, man weiß ja, worum es da geht! Da hat man ja zu viel gesehen und erlebt. Ja, was denn? Was habt ihr denn da erlebt? Nun, eure Pfarrer… Wenn Sie das wüssten, was die alles angestellt haben… Ja, was haben Sie denn angestellt? fragte ich sanft, aber entschieden. Nun hören Sie mir gut zu: Ich behaupte, dass ihr nie richtige Ärgernisse gesehen noch festgestellt habt. Wenn ihr je einem Priester begegnet seid, konntet ihr euch nur erbauen. Und eure Pfarrer? Die Mehrzahl von ihnen hat ihr Leben auf Spiel gesetzt, hat Kopf und Leben hingegeben, um ihre Pflicht zu erfüllen… Niemals konnte man mir meine Behauptung bestreiten.
Die Ausrede des jungen Mannes ist also wertlos. Es ist das Eingeständnis, dass der keinen Beruf hat oder aber es ihm an Treue fehlt, ihm zu entsprechen. Dennoch ist nicht weniger wahr, dass es eine herbe Lektion für jene ist, die nicht auf der Höhe ihrer Berufung stehen. Entweder ist man Ordensmann oder man ist es nicht. Unser Beruf verpflichtet uns, uns ganz besonders zurückzuhalten und zu beherrschen. Soll das heißen, ein guter Oblate sei eine Wachsfigur, die sich nicht rühren, nicht Augen und Mund auftun darf? Im Gegenteil, er ist vielmehr ein Mensch in der ganz Fülle seines Willens, in allem abgetötet, vor keinem Hindernis zurück erweichend, wenn es um seine Pflicht geht, entschlossen, jede Mühe auf sich zu nehmen, die ihm dabei begegnet, um danach mit dem Überfluss der göttlichen Liebe belohnt zu werden. Die Ordensregel liefert ihm reichlich Stoff, sich abzutöten: mutig gehe er sie an, denn nur so wird man ein Mann. Anderenfalls ist man ein Nichts. Ich will euch jetzt eine starke Frömmigkeit vorschlagen: immer etwas leiden! Der Unterricht ermüdet: macht euch trotzdem tapfer daran. Die Freizeit ekelt euch an: begebt euch mit freundlicher Miene zu den Mitbrüdern. Das Essen findet ihr ohne Geschmack: macht euch nichts daraus. Es läutet morgens zum Aufstehen: gehorcht der Glocke auf der Stelle! So wird ja unser Leben zu einem ununterbrochenen Opfer? Das ist richtig. Doch in welchem Maße wird der liebe Gott uns dafür mit seinem Frieden und seinen Tröstungen entschädigen!
Haltet darum treu euer Direktorium. Wir können nicht aufhören, es ernst zu nehmen, ohne dass wir damit euch aufhörten, Oblaten zu sein. Die Satzungen machen es uns zur strengen Pflicht. Wenn du es vernachlässigst, ermangelt dein Leben des Fundamentes und der Stütze. Nichts bleibt dir mehr, um dich aufrecht zu halten und zu stützen.
Unser Herr erstand vom Grab, um nicht mehr zu sterben. Und wir müssen auf unsere weltlichen Gewohnheiten verzichten, um nicht mehr in sie zurückfallen. Prüfen wir von heute an, wie wir jeden Punkt des Direktoriums beobachten, und fassen wir entsprechende Vorsätze, die von Dauer sind. Heilige Priester bleiben in der Seelsorge, was sie im Priesterseminar bereits waren. Die anderen haben nicht mehr Einfluss als ihre Küster in ihrer Kirche. Die ganze Lehre der hl. Kirche liegt darin beschlossen. Wie oft behauptet z.B. der hl. Paulus, wenn wir nicht bedingungslos unsere Verpflichtungen ernst nehmen, sind wir nicht mehr Kinder Gottes, sondern Fremdlinge.
Ich weiß sehr wohl, dass solch ein Leben Opfer kostet. Wenigstens birgt es einen Wert. Gewiss ist es nicht leicht, ich gebe es zu. Der hl. Franz v. Sales gestand selbst, er habe zu solch einem Leben nur anderthalb Priester heranbilden können. Es erfordert eben so viel Charakter, Willen und Urteil…
Ich gebe zu, dass das, was ich euch da vortrage, in eurem Alter schwer zu verstehen ist. Früher hatte ich den hl. Franz v. Sales und die hl. Franziska v. Chantal sehr gern. Aber leicht hätte ich sie zu fade und schwunglos gefunden… Die hl. Theresia, nicht wahr, ist etwas ganz anderes mit ihren leidenschaftlichen Geisteserhebungen! Aber jetzt… „Ich war eben jung und jetzt bin ich alt…“ Wenn man viel gesehen und viel nachgedacht hat, kommt man zur Überzeugung, der hl. Franz v. Sales hat immer noch die praktischste Methode der Spiritualität. Vielleicht sagt ihr mir, ich lobe eben wie ein Kaufmann meine eigene Ware zum Schaden der Ware des Nachbarn. Nun, so macht selbst den Versuch mit der unsrigen und mit der Methode des Nachbarn!
Ich halte euch da eine Predigt, meine Freunde, die ganz und gar nicht den Ohren und der Phantasie schmeichelt. Wie der Engel dem Apostel Johannes so reiche ich euch ein Buch hin, das eurem Geschmack zunächst bitter dünkt, später aber euer ganzes Innere mit Süßigkeit erfüllt. Gewiss, die Natur möchte etwas mehr sinnlich Spürbares vorziehen, ein Fasten oder eine Geißelung, damit man nachher wieder frei seinen eigenen Gedanken und Lieblingsideen nachhängen kann. Ein Kartäusernovize versicherte mir, das Oblatenleben sei im Grunde härter als das seines Ordens. Bei uns wird in der Tat ständig an den Willen appelliert, wird unaufhörlich das Opfer unseres Urteils und Denkens verlangt… Dafür aber auch welch ein mächtiges Mittel, sich und andere zu heiligen! Ihr habt alle genug Intelligenz, um das zu verstehen, und wie ich glaube, auch genug Energie, euch daran zu wagen.
Gesteht es nur, wir lassen es hierin noch ein wenig fehlen. Wir sind gute Kinder, wie man mir sagt und wie ich euch gern es zugebe. Es geht aber jetzt darum, gute Ordensleute zu werden. Am Anfang sagte man mir, alle Oblaten seien Heilige. Heute höre ich das fast gar nicht mehr.
Die erste Voraussetzung dafür ist, dass man sich abtöte. Wenn man den hl. Franz v. Sales sah, hätte man leicht meinen können, er versage sich nichts… Seine Biographien aber bezeugen ausnahmslos, er sei äußerst hart und bußstreng mit sich verfahren. Und das habe er vor allen geheim gehalten. Er war so in Gott gesammelt, so unaufmerksam für das, was man ihm zu essen gab, dass man ihn sein Brot in ein lauwarmes Wasser tunken sah, in dem Eier lagen, so als wäre es eine Sauce. Halten auch wir uns in Gott gesammelt und lesen wir liebend die kleinen Kreuze von unserem Weg auf. Das Leben ist wahrlich nicht zu lang, um auch andere zur Liebe und zum Dienst Gottes zu führen. Mag euch eure Betrachtung trocken vorkommen und unfruchtbar scheinen, bleibt dennoch zu Füßen unseres Herrn und seid glücklich, vor ihm auf Wache zu stehen. Mögt ihr dabei auch nichts sagen dürfen, wenn ihr nur in seiner Gegenwart verharrt.
Die Erfahrung in der Seelsorge wird euch dies lehren. Wenn ihr die Gläubigen nach dieser Methode zu bilden versteht, werdet ihr am Tag der großen Offenbarung erstaunt sein über den Anteil an Himmelsglück, das Gott diesen Seelen vorbehalten hat, und ihr seid vielleicht versucht zu beklagen, dass euch nicht das gleiche Los beschieden ist.
Je länger am Prozess der Guten Mutter gearbeitet wird, umso mehr ist man überzeugt, dass das Hauptgeheimnis ihrer ausnehmenden Heiligkeit in ihrer innigen Vereinigung mit dem Willen Gottes liegt. Wenn ihr den gleichen Weg wie sie beschreitet, wird euer Noviziat den Wohlgeruch des Paradieses atmen. Der hl. Bernhard nannte Clairvaux die „Pforte des Himmels“. „Hört ihr nicht“, fragte er seine Mönche, „die Chöre der Engel und Auserwählten? Sie rufen uns in ihren Kreis… Und ihr, meine Kinder, die ihr meine Mühen und Arbeiten geteilt habt, werdet mir samt und sonders da hinauf folgen, um mein Glück mit mir zu teilen…“
Diese Verheißung sprach die Gute Mutter ebenfalls gern vor ihren Schwestern aus. Sie würde dasselbe vor euch tun, wenn sie hier wäre… Wohlan denn, gehen wir mit Mut und Gottvertrauen voran!
