Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 26.10.1898: Der Gehorsam

Zu Beginn dieses neuen Schuljahres rufe ich euch einen Hauptpunkt ins Gedächtnis zurück: den Gehorsam.

Wir sollen den Gehorsam nicht als eine Aufgabe betrachten, die mit der Abwesenheit des Oberen erlischt. „Nicht gesehen, nicht ertappt.“ (Anm.: „Nach der deutschen Redensart zu urteilen: ‚Wo kein Kläger, da kein Richter…‘“)… Das wäre die völlige Zerstörung des religiösen Ordensgeistes, des Geistes des hl. Franz v. Sales. Versteht wohl, was ich da sage. Die große Schwierigkeit liegt mehr in der Person des Befehlenden als im Befohlenen selbst. Der Gehorsam verpflichtet uns zur Unterwerfung unter den Oberen des Hauses, unter die Inhaber der verschiedenen Ämter im Rahmen der Regel und der Satzungen. Unser Gehorsam geht aber noch weiter. Er soll sich auch auf den Charakter und die göttliche Sendung des Oberen ausdehnen. Ist das eine strikte Pflicht des Gehorsams? Nein, sondern eine Verhaltensweise, die zur Vollkommenheit des Gehorsams führt, und sie fügt sich ergänzend zu allen Pflichten, die wir sonst haben. Das habe ich 60 Jahre lang und in der Heimsuchung von Troyes erlebt…

Aber das sind ja Frauen! Als ob die Vollkommenheit nur für Frauen bestimmt wäre. Als ob die Männer nicht dazu fähig wären!

Das erfordert freilich eine große Seele, einen hohen Geist und auch etwas Besonderes im Herzen. Anders vorgehen, den Neigungen seiner Natur folgen, sich von seinen eigenen Einsichten leiten lassen, zeugt von Feigheit, die Gott missfallen muss, weil sie einen Charakter anzeigt, der nicht fest, nicht energisch und nicht vernünftig ist. Hier geht es um den Gedanken des hl. Franz v. Sales, wie ich ihn in der Heimsuchung herrschen sah. Das führt zu hoher Tugend. So wird man in den Stand versetzt, von Gott bedeutsamer Gaben gewürdigt zu werden.

Macht man sich diesen Grundsatz zu Eigen, dann schwinden sehr viele Schwierigkeiten. Es kräftigt uns zu großer Abtötung, die sehr viele äußere Verzichte aufwiegt. Ihr sagt mir vielleicht: Das bedeutet den Tod. Nein, das bedeutet vielmehr hundertmal mehr Leben als nötig ist, um seinen eigenen Willen zu folgen. Im Wort des Oberen sehen wir dann nur noch den Befehl und das Wort des lieben Gottes. Mit ganzer Hochherzigkeit, ganzer Intelligenz und vollem Willen antworten wir darauf.

So verstand der hl. Frobert das Ordensleben zu Moutier-la-Celle, und darum schleppte er auf seiner Schulter die „molaria“, den Mühlstein, zum Oberen. Er hatte den Befehl nicht recht verstanden und verwechselte den kleinen Kreiselkompass mit dem Mühlstein. Der Gehorsam verlieh ihm die wunderbare Kraft, diese Last zu heben und zu tragen.

Um ein guter Ordensmann zu sein, genügt nicht die Tugend eines guten Seminaristen oder auch eines ehrenwerten Weltgeistlichen. Darum sagt der hl. Thomas: Gott halte zweierlei Plätze im Himmel bereit, die einen für die Weltgeistlichen, die anderen für die Ordensleute. Letztere weisen ja eine auffallende Ähnlichkeit mit dem Heiland auf und müssen deshalb auch in größere Nähe zu ihm kommen. Kraft des Geistes der Innerlichkeit erscheint der echte Ordensmann ja wie in Jesus Christus umgewandelt.

Wenn je ein gewisser Ehrgeiz erlaubt ist, dann dieser. Das unerlässliche Mittel dafür aber ist der Gehorsam. In ihm besteht unsere Abtötung. Das bricht unseren inneren Widerstand und macht uns Jesus ähnlich.

Ich sage euch: unser Gehorsam ist nicht der Kasernengehorsam, wo man der Gewalt weicht, seine eigene Art zu sehen, zu urteilen bewahrt und sich nicht scheut, zu kritisieren. Von dieser Einstellung und diesem Geist heißt es sich freimachen. Diese Art Gehorsam ist bedauerlicher als selbst eine offene Sünde des Ungehorsams, denn sie steht in flagrantem Widerspruch zum Ordensgeist. Sagt also nicht von eurem Oberen: Er hat einen Charakter, der mir nicht liegt, ich habe eine andere Art zu denken als er… er ist so kalt, während ich mitteilsam bin, er ist sanft, während ich viel Temperament habe, er zeigt sich nachgiebig und schwächlich, während ich für strenges Durchgreifen bin… Würdet ihr im Ernst solche Bemerkungen machen, und das von ernstzunehmenden Leuten, glaubt ihr dann nicht, man würde euch für Sonderlinge halten?

Kardinal Pie spürte bei der Papstwahl Leos XIII. sehr wohl, dass der neue Papst eine andere Sprache führen und eine andere Art zu handeln praktizieren werde als sein Vorgänger, Papst Pius IX. Trotzdem, seht nur, wie er ihn verehrt, ihm gehorcht und ihn nach besten Kräften unterstützt….

An uns ist es, gleicherweise zu handeln. Wenn man so einen Oblaten sieht, wird man sagen: Der versteht zu gehorchen, das ist ein guter Ordensmann… Er steht über dem Durchschnitt.

Die Beweise dafür liegen vor: P. Pernin sagte mir, er stelle in der Seelsorge fest, dass viele Seelen sich bereit zeigten, dieses Wort aufzunehmen, diesen Geist anzunehmen, deren Notwendigkeit sie spüren. Ich sagte ja schon, das ist die Fortsetzung der Menschwerdung in den Seelen. Der Heiland selbst offenbart sich und handelt durch unser Tun und Reden hindurch. Und wir selbst spüren das bis ins Innerste unseres Denkens und Seins. Dann versteht man auch das Evangelium und erweckt Liebe zu ihm.

Meine Freunde, wenn man uns in Rom Wohlwollen erzeigt, geschieht es genau aus diesem Grund. Der Prälat, der uns beim Papst einführte, hat es uns bestätigt. Und der Hl. Vater selbst versicherte uns zu wiederholten Malen während unseres Berichtes über unsere Aktivität, er sei mit uns, unterstütze unser Mühen und, wer mit uns diesen Weg gehe, erfülle persönlich den Willen Gottes.

Wir stehen am Beginn eines neuen Schuljahres. Halten wir uns da treu an die klösterliche Observanz. Früher mussten wir eine Anzahl von klösterlichen Übungen außer Acht lassen. Die Verfolgung von 1880 zwang uns, im Äußeren unseren klösterlichen Charakter zu verbergen. Anschließend mussten wir uns mit vielen Hilfskräften umgeben. Das störte unsere klösterlichen Gewohnheiten. Jetzt aber existieren diese widrigen Umstände nicht mehr. Darum wollen wir in Zukunft im Refektorium jederzeit das Stillschweigen einhalten. Sollten ein oder zwei Fremde noch mit uns speisen, dann werden wir sie darauf aufmerksam machen. Vor dem Mittagessen machen wir unsere Kulp und dann lassen wir erst die Fremden herein. Auch das Kapitel soll regelmäßig stattfinden. Ist der Obere abwesend, vertritt ihn darin sein Assistent, und sollte auch dieser verhindert sein, dann tut es der älteste Pater und macht die passenden Bemerkungen und Mahnungen. Und jeder sollte sich danach richten. Kommen wir auch pünktlich zu unseren Versammlungen. Bisher konnten wir unsere wöchentlichen Zusammenkünfte nicht durchführen, die die Satzungen vorschreiben. Unsere Beschäftigungen ließen uns nicht die nötige Zeit. Jetzt aber, wo unsere Lücken sich auffüllen, wollen wir auch das in Angriff nehmen.

Wenn ich euch um das Stillschweigen bitte, meine ich damit kein rohes, inhaltsloses Schweigen. Wir schränken unser Reden nur in der Absicht ein, um uns besser mit Gott unterhalten zu können und nichts an Aufmerksamkeit auf seine Gegenwart zu vergeuden. Wie glücklich wird der in der Sterbestunde sein, der bezeugen kann, dass er sich in diesem Punkt treu erwiesen hat. Im Seminar hatte ich einen Mitschüler, der sich vorgenommen hatte, nie gegen das Stillschweigen zu fehlen. Man mochte ihn noch so sehr dazu versuchen, er war nicht zu erschüttern. Und sein Tod war in der Tat der eines Heiligen. Sagte doch am Schluss auch die Hausordnung im Seminar, die man uns von Zeit zu Zeit vorlas. Friede, Freude und Glück sind der Anteil derer, die diese Ordnung befolgen… Macht nur selbst diese angenehme Erfahrung! Setzt euer Vertrauen auf Gott, wenn es euch ein Opfer kostet, und erwartet alles von ihm.

D.s.b.