Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 28.06.1898: Das Besondere an den Oblaten des hl. Franz v. Sales

Der hl. Paulus ermahnt die ersten Christen, die christlichen Tugenden zu üben, Verfolgung zu ertragen, ja selbst das Martyrium, und er fordert sie dazu „per modestiam Christi“ auf.

Unter dieser „modestia Christi“ ist nicht nur jene Zurückhaltung zu verstehen, die die Seelen gegen schlechte und sinnliche Dinge abschirmt, sondern die ganze Art und Weise, sich zu geben, zu handeln und mit den anderen umzugehen. Dem Äußeren kommt also eine große Bedeutung zu, wie ich bereits ausgeführt habe. Ich komme darauf umso lieber zurück, als es für den Oblaten eine religiöse Verpflichtung darstellt, auf diese Weise unseren Herrn nachzuahmen.

Der hl. Bernhard sagt: „Dummes Zeug bleibt im Mund von Weltleuten dummes Zeug, im Munde von Ordensleuten wird es zu einer Gotteslästerung.“ Unser Oblatenleben verpflichtet uns, dieses Verhalten in all unseren Manieren und unserer Sprache, ja in unserem ganzen Leben unbedingt zu beachten.

Wenn man uns sieht und hört, sollte man meinen, unser Herr selbst gehe vorüber. Betrachtet nur die Heimsuchungsschwestern. Überall erscheinen sie nach derselben Form gegossen, dieselbe Art, sich zu geben und zu sprechen, dieselbe Sorgfalt, jedem andern gegenüber abträgliche Bemerkungen zu vermeiden. Dem Mitmenschen begegnen sie nur mit Ehrfurcht, mit einer Art Scheu, die auch den leisesten Schimmer von Lieblosigkeit meidet. Das also ist die Sittsamkeit Christi, die uns vorschwebt.

Ein Pfarrer kann in seinem Pfarrhaus seine Gedanken äußern, wie es ihm beliebt, ein geistreicher Weltmensch kann sein (witziges) Talent zur Geltung bringen, wenn er nur den Nächsten nicht verletzt. Wir aber können uns Derartiges nicht erlauben. Warum? Weil wir unseren Herrn auf ganz besondere Art reproduzieren sollen. Ist solch eine Lebensweise etwa unbedeutend? Oh nein, es ist ja ein Leben der Abtötung, ein Leben, das überall die Abtötung Christi atmet und uns auf einen hohen Grad von Vollkommenheit erhebt. Wenn ihr ein ungeziemendes Wort unterdrückt, erwerbt ihr euch ein höheres Verdienst als würdet ihr fasten. Wenn ihr einer Neigung widersteht, so befindet ihr euch auf dem Weg der Heiligkeit. Diese Mäßigung, weit davon entfernt, sinnlos zu sein, erhebt die Seele, adelt sie, verleiht ihr eine Würde. Jeder von uns soll sich darauf studieren. Soll das heißen, wir müssten unsere persönlichen Gaben verleugnen? Im Gegenteil, man verleiht ihnen damit erst recht Tiefe und erwirbt sich große Macht über seine eigene Sache.

Tut es aus Pflichtbewusstsein! Wäret ihr Kartäuser, dann stündet ihr um 23:00 Uhr auf und bliebet auf und bliebet auf bis 02:00 Uhr morgens. Um 11:00 Uhr (vormittags) würdet ihr erst frühstücken, nachdem ihr euch schon früh am Morgen erhoben habt. Das Singen des Offiziums und die Handarbeit sind eine harte Anstrengung. Dies alles ersetzen wir durch eine korrekte und gesammelte Haltung, eine bescheidene und beherrschte Sprache. Dann werden die Gläubigen sagen: das ist ein heiligmäßiger Priester, ein heiligmäßiger Ordensmann.

Als Beispiel will ich euch P. Rollin zitieren. Er ist ein ausgezeichneter Ordensmann. Was ihm in Rom Hochachtung einbringt, ist gerade diese Bescheidenheit. Das war immer die Art des P. Rollin. Nach ganz jung übertrug ich ihm die Disziplin unserer Schule St. Bernhard. Ohne Anmaßung und ohne Steifheit erzwang er die Ehrfurcht aller. Diese Eigenschaft besitzt er nicht nur von Natur, sie gründet sich bei ihm hauptsächlich auf seiner Treue zum Direktorium. Könntet ihr euch den P. Rollin als Spaßvogel, als Bruder Lustig vorstellen? Dann wäre alles in Frage gestellt. Er wäre nur noch ein ganz gewöhnlicher Mensch.

Es geht wahrscheinlich nicht darum, steif, hemmend und gehemmt zu sein, wir wollen vielmehr ohne Unterlass die Selbstbeherrschung praktizieren und die entgegenstehenden Neigungen in den Griff bekommen. Das bedeutet keine geringe Selbstüberwindung, führt aber naturgemäß zur christlichen Vollkommenheit. Dadurch trägt man, wie der hl. Paulus sagt, ständig die Ketten Christi an seinen Gliedern und hält sich in allem tun und Wollen in der Gesellschaft des Erlösers auf. Er wird unser Licht und kommt uns zuvor, um uns vor dem Fall zu bewahren. Oder aber, wenn wir doch fallen, so reicht er uns schnell die Hand, um uns auf die Beine zu helfen. Zwecklos ist es, uns steif zu geben, und ein unnahbares Gesicht zu machen. Bleiben wir so, wie der liebe Gott uns gemacht hat und geben wir uns Mühe, unseren Herrn Jesus anzuziehen.

Das stellt für uns eine absolute Verpflichtung dar. Darin sollt ihr euch im Noviziat üben, indem ihr große Liebe betätigt und denen, die sich um euch sorgen, allerhöchste Ehrfurcht bezeigt und danach trachtet, euch den Geist eurer Berufung zu Eigen zu machen.

Das sieht nach nichts Besonderem aus und ist doch so gewaltig, dass nur sehr wenige dieses Ziel erreichen. Auf diesem Weg erwirbt man die Gewohnheit, sich selbst zu verleugnen, man gewinnt Frieden und eine klare Sicht.

Wenn P. Simon solche Erfolge in der Mission verzeichnet, dann verdankt er das dieser Bescheidenheit, dieser Würde, die uns in die Nähe des göttlichen Heilands rückt und uns ihm ähnlich macht.

Bei den Weltgeistlichen begegnet man nicht selten solchen, die gar nicht daran denken, ihre Gedanken zu verbergen, sondern sie vor anderen laut hinausposaunen, bei jeder Gelegenheit urteilen, voreilig entscheiden und keinen Widerspruch dulden. Das mag an sich keine Sünde sein, sie mögen ihre Erziehung und ihre besondere Situation als Entschuldigung anführen… Würden sie aber schweigen, um wie viel besser wäre das. Für uns Oblaten ist das eine Notwendigkeit. Wir sind verpflichtet, Buße zu tun. Zweifellos haben wir alle Fehler begangen. Wo stünden wir, wenn Gott uns nicht vom Fall aufgehoben hätte? Die sündhaften Gedanken, die unerlaubten Befriedigungen müssen wir aber durch entsprechende Bußtaten sühnen. Wenn man von uns auch nicht verzichten, müssen wir wenigstens kleine Entsagungen und etwas Zwang auf uns nehmen. Das ist eine Pflicht der Dankbarkeit gegenüber unserem Herrn. Wenn wir ihn wirklich lieben, müssen wir auch darauf bedacht sein, ihn in dem nachzuahmen, was er sich herabließ, für uns zu leiden.

Ja, der Wert der Kleinigkeiten! … Bei der Erscheinung unseres Herrn (im Sprechzimmer der Heimsuchung zu Troyes) bemerkte ich zu seiner Linken eine Falte seines Mantels, die so viel Harmonie aufwies, dass ich fühlte, es würde mir im Himmel genug sein, immer nur das anzuschauen, um ewig glücklich zu sein. Das war kein Gefühlsrausch meinerseits, im Gegenteil. Ich war verstimmt, kalt und unzugänglich… Ebenso wird auch eure Haltung, euer Gesichtsausdruck euch in innere Verbindung zu den Seelen und zu Gott bringen.

Seid also nach dem Vorbild des hl. Franz v. Sales, des hl. Bernhard, des hl. Vinzenz einfach, gütig und taktvoll. In einem Schutthaufen fand ich das Haupt des hl. Vinzenz, das ein talentierter Maler gemalt hatte. Gewiss, er war kein schöner Mann… aber in seinen Zügen spiegelte sich ein Strahl von Herzensgüte wieder, der einen rührte. So sollt auch ihr euch daran gewöhnen, in eurem Umgang mit den Mitbrüdern und Oberen immer liebevoll und gütig zu sein. Das ist in der gegenwärtigen Stunde für euch eine sehr ernste Pflicht. Früher zwangen uns unsere vielfältigen Aufgaben, das Noviziat etwas zu vernachlässigen, und das macht sich bemerkbar. Heute hindert euch nichts mehr, euch ganz eurer inneren Formung hinzugeben. Darum wiederholte auch der hl. Stifter jeden Morgen: Jetzt will ich wieder von vorne beginnen.

Ich verlasse mich auf euch, was die Entfaltung unseres Ordensgeistes betrifft, damit wir die Erwartungen der hl. Kirche nicht enttäuschen. Ihr habt, um es noch einmal zu sagen, in eurer Hand ein mächtiges Mittel, euch zu heiligen, eine wirksame Buße, um die Stunden gut zu machen, die ihr dazu missbrauchtet, Gott zu beleidigen und um die Sünden gegen die Liebe zu sühnen. Und bereitet euch das Schwierigkeiten, umso besser. Denn was nichts kostet, ist nichts wert.

Möge sich jeder darüber prüfen. Macht darüber eine Morgenbetrachtung. Bleiben wir nicht an der Oberfläche haften und verharren wir nicht in Gleichgültigkeit. Machen wir uns an die Arbeit und seien wir beharrlich darin. Ein Liter schlechten Bieres kostet zwei (10 Goldpfennig). Ein Liter Rosenessenz dagegen 10‘000 Franken, weil es enorme Arbeitsleistung und eine große Menge Rohstoffe erfordert. Das gilt auch für das, was ich euch da sage. Mögen die Philosophen unter euch darüber nachsinnen. Das ist der vernünftige Gehorsam. Die Jesuiten sagen, man müsse wie ein Kadaver gehorchen. Ein Leichnam ist etwas Trauriges… Unser Gehorsam dagegen ist etwas Frohes, Lebendiges und Vernunftgemäßes. Wenn er uns hart trifft und martert, fühlen wir das sehr… Wir dürfen ja auch nicht passiv bleiben, sondern sollen einen hochherzigen Gehorsam leisten.

D.s.b.