Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 01.06.1898: Vor allem das innere Leben ist wichtig!

Im Leben des hl. Franz v. Sales lesen wir, der Bischof Camus von Belley, wollte sich überzeugen, ob sein Freund wirklich treu jene beständige Abtötung übe, die er empfiehlt. Denn an Stelle von Fasten, Geißelungen und Entzug von Fleischspeisen riet der Bischof von Genf seinem Klerus und seinen Frommen, sich allerorten mit höchster Ehrfurcht in der Gegenwart Gottes zu halten. Darum bohrte Bischof Camus ein Loch in die Tür seines Zimmers und konnte so den Heiligen nach Belieben beobachten. Da stellt er fest, dass der Diener Gottes weder allein noch in Gesellschaft je die Beine kreuzte, sich nicht aufstützte, sich keine bequeme Haltung erlaubte, sondern jederzeit sich eines Verhaltens befleißigte, das eine tiefe Ehrfurcht vor der Gegenwart Gottes verriet. „Bisher hielt ich“, gesteht Camus, „den Bischof von Genf nur für einen Heiligen, jetzt aber halte ich ihn für einen sehr großen Heiligen.“

Nun, meine Freunde, die Vollkommenheiten des hl. Franz v. Sales müssen wir nachahmen. Sein Beispiel sollte uns ganz durchdringen. Wir sollten danach trachten, es zu reproduzieren. Und was uns ebenso wachsam über uns selbst und aufmerksam auf unsere äußere Haltung machen wird, das sollte unser Wunsch sein, dem Heiland zu gefallen und ihn zu ehren, mit einem Wort: die Liebe zu Gott.

In der Freizeit dürfen wir uns sicher entspannen und uns nicht gezwungen und steif geben. Da dürfen wir uns die erlaubte Bewegung verschaffen und uns Freiheiten in unsere Haltung genehmigen, wie sie eine wirkliche Erholung erfordert. In der Kirche dagegen, beim Studium, bei Zusammenkünften, in Gegenwart Fremder wollen wir eine religiöse und abgetötete Haltung wahren. Dieser Zwang, den wir uns da auflegen, wird unser Leben tief beeinflussen Damit gewinnt man Seelen und erhält Gnaden in Fülle. Das verleiht unseren Manieren und unserer Gespräche ein Gepräge von Einfachheit und Freimut, dem alles Gekünstelte Gesuchte fremd ist. Die Gläubigen sehen nur auf das und beurteilen uns danach. Und an diesem Kennzeichen wird man nach den Worten der Guten Mutter den Heiland erkennen, der noch einmal in uns über die Erde wandelt. Wir sind da, um das Evangelium neu aufzulegen. Der hl. Paulus nennt aber als ein Zeichen der letzten Zeiten, dass die Liebe vieler erkalten wird. Darum muss bei uns im Gegenteil die Zuneigung und Liebe zu Gott vorherrschen. Nur sie ermöglicht es uns, dieser Bewegung Einhalt zu gebieten.

Soll das heißen, dieser äußeren Praxis in unserer Haltung komme keine große Bedeutung zu? Bestimmt nicht. Wenn wir vom Äußeren zum Inneren übergehen, zum Charakter also, dann werden wir sehen, dass wir auch da der Methode des hl. Franz v. Sales folgen müssen sowie der Art der Guten Mutter zu urteilen: dass wir uns nämlich den Weisung des Gehorsams unterwerfen und in all unser Tun trotz aller Widersprüche unserer Natur unser ganzes Herz und unsere Liebe legen. Das ist mitunter schwer, und um den Ausdruck unseres seligen Vaters zu gebrauchen, „das arbeitet die Haut unseres Herzens auf.“ Aber es ist das große Geheimnis der Vollkommenheit. Es ist die Kette, von der der hl. Paulus sagt, dass sie uns mit dem Heiland verbindet. Damit besitzen wir dann kein anderes Band mehr als das der Liebe. Als der hl. Stifter seine Kongregation allein auf das Gelübde der Liebe gründen wollte, war er sich darüber im Klaren, dass dies in reichem Maße heiligt und für sich allein weitgehend genügt.

Da drängt sich euch z.B. ein Gedanke auf, der euch Mühe einbringt. Sagt dann einfach: „Mein Gott, ich opfere dir diese Prüfung auf zur Sühne für eure Nachlässigkeiten.“ Habt ihr unter euren Gebrauchsgegenständen einen, der euch gar nicht gefällt, dann nehmt diese kleine Verdrießlichkeit an zur Sühne für den schlechten Gebrauch, den ihr so oft von eurer Freiheit gemacht habt.

Lehrt diese Methode auch die Seelen, die sich euch unterstellen. Es ist die rechte Antwort auf all eure Bedürfnisse. Es ist der Gipsverband auf eure Wunde, ist das Geheimnis, sein ganzes Leben mit Verdiensten zu über-säen, ohne viel Aufhebens zu machen, ohne viel Aufhebens zu machen, ohne sich abzusondern, sondern ganz natürlich so wie jeder andere zu bleiben. Da versteht jeder, der in eure Nähe kommt, ohne Mühe. Darum sagt man mir so oft: „Hätten wir doch Oblaten!“

Unser hl. Stifter hatte durchaus recht mit seiner Behauptung, man erweise Gott hundertmal mehr Ehre durch die großmütige Erfüllung der Standespflichten als durch außerordentliche Abtötungen und Bußübungen, die sich nur selten anbieten. Die anderen dagegen kreuzen jeden Augenblick unseren Weg. Welchen Ernst verleiht das doch unserem Leben und wie sehr hilft es uns inmitten von Schwierigkeiten weiter! Denn auf der Stelle kommt dann der Heiland, lässt uns seine Zufriedenheit spüren und verspricht seinen Frieden dem Beharrlichen. Das ist sicher nicht leicht. Ein Kartäuser sagte mir einmal, er würde seine strenge Lebensweise nicht gegen die unsere eintauschen wollen, so sehr fand er die unsrige hart. Wir wollen nicht dasselbe behaupten und betrachten uns als weniger belastet als die Kartäuser. Darum lasst uns wenigstens treu sein. Wenn wir unsere Satzungen großmütig beobachten, können wir einen hervorragenden Grad von Tugend erreichen.

Vergessen wir nicht, die Gute Meinung zu erwecken, die uns in den Stand versetzt, die Mühe und Abtötung anzunehmen und uns damit eine mächtige Hilfe anbietet. Gehen wir in der Losschälung noch weiter und dehnen wir sie auch auf unser eigenes Urteil aus. Freilich, wenn man dir sagt, etwas sei schwarz, was du als weiß siehst, dann brauchst du es nicht für schwarz halten. Wohl aber musst du dich zu einem Verhalten aufraffen, das dir vorgeschrieben wird, musst dich zu dem bequemen, was man dir auferlegt, ohne auf den Widerspruch deines Urteils zu achten, ohne ihm neue Pläne zu schmieden, und du tust all das, um unseren Herrn zu gefallen und mit ihm vereinigt zu bleiben.

Unsere Ordensregel macht uns zu wertvollen Menschen mit einem geraden Urteil, die jeden Augenblick aus einer klaren und deutlichen Sicht heraus handeln… Gerade das hat unsere Gute Mutter zu so einer bemerkenswerten Persönlichkeit gemacht, erhob ihre natürlichen Qualitäten auf eine höhere Ebene und vervollkommnete sie.

D.s.b.