Kapitel vom 16.02.1898: Vom Erwachen und Aufstehen
„Die Oblaten sollen beim Erwachen ihre Seele sogleich ganz in Gott versenken durch einige hl. Gedanken wie die folgenden…“
Sogleich nach dem Erwachen sollen wir unsere Seele ganz in Gott versenken. Jene, die sich diese gute Gewohnheit schon in ihrer frühen Erziehung oder im Priesterseminar zugelegt haben, können ihre kleinen Praktiken beibehalten. Die anderen sollen sich ab morgen früh angewöhnen, diese Gedanken des Direktoriums auswendig zu lernen und sie sich vorzusagen, bis sie sie auswendig können. Diese Übung, zu der uns das Direktorium anleitet, ist in der Tat eine Garantie für den ganzen Tag. Wird er frisch begonnen, so wird er auch gut fortgeführt. Wird er schlecht begonnen, muss man alles fürchten.
Wir sollten uns daran erinnern, dass mit den Worten, die der Hl. Schrift oder der Liturgie entnommen sind, eine spezielle Gnade verbunden ist. Die schönsten Gebete sind doch jene, die vom Hl. Geist eingegeben und von der Kirche vorgeschrieben sind. So ist die vollkommenste Gebetsformel, das „Vater unser“, weil es unser Herr selbst zusammengestellt hat. Unser hl. Stifter sagt, wir sollten bei seinem Beten uns vorstellen, der Heiland sage es uns vor und wir sprächen es ihm Wort für Wort nach. Tun wir dasselbe bei den Gebeten, die der Hl. Geist eingegeben hat.
„Wenn die Oblaten sich anzukleiden beginnen, sollen sie das Kreuzzeichen machen und sprechen: Bedecke mich, o Herr, mit dem Mantel…“
Das schließt eine Vielzahl von Praktiken ein. Müssen wir sie alle ohne Ausnahme beobachten? Nein. Wenn man es kann, ist es sicher vortrefflich. Aber alle sind dazu nicht imstande. Hauptsache ist, man rezitiert irgendein Gebet und bewahrt einen guten Gedanken beim Ankleiden. Das Beste wäre sicher, Schritt für Schritt dem Direktorium zu folgen, das ja den augenblicklichen Willen Gottes über uns ausdrückt. Dann betet man den „Engel des Herrn“ und das Morgengebet.
„Dann machen sie ihr Bett, und wenn möglich, waschen sie sich die Hände und das Gesicht noch vor der Betrachtung. Darum ist es nötig, dass sie sich beim Aufstehen und Ankleiden recht beeilen.“
Aufstehen, Bett machen, sich waschen, sich abbürsten, das alles scheinen keine übernatürlichen Handlungen zu sein. Tun wir sie aber in Vereinigung mit Gott, werden sie hervorragende Handlungen. Im Katechismus lautet eine Frage: Ist es notwendig, dass unser Herr litt und starb, um uns zu erlösen? Und die Antwort: Nein, denn das geringste Leiden, die geringste Handlung genügte bei ihm, uns zu erlösen. Die Göttlichkeit Jesu Christi verlieh ja jeder seiner Handlungen unendlichen Wert. Vereinigen wir uns darum mit unserem Herrn, dann wird auch die geringste unserer Handlungen, so mit ihm vereint, am Wert der Verdienste des Erlösers teilnehmen. Seine Schuhe wichsen, indem man sich an Christus erinnert, ist besser als eine sehr schöne spekulativer Betrachtung halten, die in Wirklichkeit oft sehr unvollkommen und dem Ergebnis nach vielleicht sehr nutzlos ist. Über die göttliche Vollkommenheiten betrachten, ist Genuss, wie wenn etwas aus Bossuet oder dem hl. Thomas lesen. Ist die Zeit dazu da, dann ist dies sehr gut. Ist es aber verdienstlicher? Das kommt auf die innere Einstellung an. Macht ihr die geistliche Lesung nicht zur vorgeschriebenen Zeit, sondern dann, wenn euch die Lust dazu reizt, dann habt ihr überhaupt kein Verdienst.
Wir heiligen uns, wenn wir unser Bett machen, wenn wir den Platz unsers Bettes sorgfältig kehren, und dabei unser Herz zu Gott erheben. In Nazareth tat der Jesusknabe die gleiche Arbeit. Bei einem Besuch des hl. Hauses von Loretto sah ich alle Anwesenden weinen. Ich hatte mir fest vorgenommen, dies nicht zu tun, aber ich konnte mich wie alle übrigen der Tränen nicht erwehren…
Man zeigte uns einen Teller, aus dem nach der Überlieferung das Jesuskind gegessen hatte. Er glich vollständig den Tellern, die man früher auf dem Jahrmarkt von Sezanne verkaufte. Das Email war dünn und zerbrach unter dem Messer. Das lass ich mir nicht weißmachen, sagte ich zu mir, (dass Jesus das benutzte). Soll ich meinen Rosenkranz da hineinlegen? Nimmermehr. Einige Tage darauf erblickte ich in Neapel unter den im dortigen Museum ausgestellten Gegenständen, die aus Pompeij stammten, genau die gleichen Teller, die in Loretto aufbewahrt sind. Diesmal war ich überzeugt. Als ich wieder nach Loretto kam, legte auch ich meinen Rosenkranz in den kleinen Teller des Jesusknaben zur Segnung.
Weil unser Herr also Gott war, besaß schon eine einzige seiner Handlungen die Kraft, die Welt zu erlösen. Er wurde wegen seiner Ehrfurcht erhört, sagt der hl. Paulus. Das will ich nicht sagen, sein Gebet sei vortrefflicher gewesen als seine übrigen Handlungen, denn er vergöttlichte alles. So sollen auch wir unsere geringsten Aufträge des Gehorsams ausführen. Die Heiligkeit lässt sich nicht anderswo finden. Wir dürfen sie nicht im dritten Himmel suchen, soweit reicht unser Arm nicht. Wir suchen sie auch nicht in erhabenen Gedanken, dazu sind wir nicht imstande. Suchen wir sie da, wo sie zu finden ist.
Danach können wir zur Betrachtung gehen. Wir sind bestens darauf vorbereitet. Sollen wir in der Betrachtung eine andere Heiligkeit suchen? Nein, schaut nur die hl. Vinzenz v. Paul, Alfons und Bernhard an: Für letzteren war sein Clairvaux fast der Himmel. Jeden Augenblick offenbarte sich ihm dort Gott. „Ich tue keinen Schritt in der Clara Vallis“, bekennt er, „ohne Gott oder seiner hl. Mutter oder den Engeln zu begegnen. Wenn ich lausche, vernehme ich den Gesang der Seligen oder die Schreie Armer Seelen. Das ist wahrhaftig die Vorhalle des Himmels…“ Und alles, was er über seine Mühle sagte, dessen „Tick-Tack“ ihm ständig die Namen „Jesus-Maria“ wiederholte. Über die kleine Quelle, die ihn an die Wasser der Gnade erinnerte, die Gott so sanft in die Seelen fließen lässt… Und dabei stand der hl. Bernhard an der Spitze der geistigen Bewegung seines Jahrhunderts, verkehrte mit dem Papst und den Königen der Erde. Es hemmte also keineswegs die Aktivität seines Geistes noch die Beredsamkeit seines Genies.
Übung der Vorbereitung: Zweifellos hat man hierhin seit zwei Jahrhunderten einen gewaltigen Fehler begangen. Im Leben des hl. Aloysius lesen wir, er habe viel Mühe gehabt, sich an die Betrachtung im Kloster zu gewöhnen, weil man ihn zwingen wollte, eine Methode gelehrter und komplizierter Betrachtung zu befolgen. Er bekam davon ein Kopfleiden, das seinen Tod beschleunigte. Er war fromm, versetzte sich in die Gegenwart Gottes, und bat um die Gnade, alle Pflichten seines Alltags in Einfachheit zu erfüllen. Genügte denn das nicht? Ich protestiere gegen die andere Methode, die nicht die richtige ist. Der Mensch ist kein reiner Geist, kein Engel und keine reine Vernunft, sondern ein Wesen, das isst, trinkt und arbeitet. Macht also aus der Betrachtung keine Verstandesübung, die kaum Vorteile einbringt. Wie viele fallen damit in enorme Fehler! Wir heiligen uns durch jede Handlung unseres Lebens, nicht nur durch das Gebet. Nicht wer zu mir sagt: Herr, Herr, wird in das Himmelreich eingehen, sondern wer den Willen meines Vaters tut, der im Himmel ist… Seine Schuhe wichsen, sich abbürsten, etc. das ist der Wille Gottes. Die Betrachtung muss also auf alle Handlungen unseres Alltags vorbereiten. Die exklusive Betrachtung taugt nicht viel. Ich kannte in meinem Leben nur einen einzigen Mann, dem sie gelang. Bei Frauen geht es leichter. Mit ihrer großen Phantasie werden sie mit allem fertig. Die andere Methode hingegen, die wir lernen, passt für alle. Wie viele kannte ich, sogar einfache Frauen, die damit ans Ziel kamen.
Und das müssen wir die Gläubigen lehren: ihr Tagewerk mit dem Direktorium vorzubereiten. Das werden sie liebgewinnen und mit Hingabe tun, weil es vernunftgemäß ist. Denn unsere Vernunft will, dass wir zuerst das Ziel ins Auge fassen, bevor wir es erreichen.
„Da nun die Vorbereitung den täglichen Handlungen gleichsam Wegbereiter sein soll, so werden die Oblaten eben die Handlungen des…“
Man soll das Tagewerk nicht nur mit seinem Verstand vorbereiten, sondern auch mit dem Herzen. Wir sollen zu Gott sprechen: Ich habe dies und das zu tun. Sei du mit mir! Wir nehmen das Direktorium in seinem ersten Kapitel zur Hand und fahren dann fort.
Ferner soll man sich seinem Beichtvater eröffnen, ihm unseren inneren Zug offenbaren und seine Weisungen befolgen. Es ist auffallend, dass die Heiligen, die auf einem anderen Weg begonnen hatten, schließlich auch da hin (Anm.: „vermutlich: auf unseren Weg…“) gelangten. Der hl. Franz v. Sales zieht als gewiegter Stratege keine Geschützbatterie zusammen gegen ein Hindernis, wenn es einen Weg gibt, der darum herumführt.
Diese Vorgehensweise verleiht der Seele große Würde und einen enormen Einfluss auf das Innere wie Äußere. Es ist nichts anderes als das Evangelium, als das einfache Leben des hl. Josef. Der Mensch braucht sich nicht erst eine Heiligkeit zu schaffen, Gott selbst liefert ihm Stunde für Stunde, was er braucht, um zu ihm zu gelangen. Man braucht sich also zu bemühen, ihm zu entsprechen. Möge unsere Gute Mutter uns die nötige Treue erbitten.
D.s.b.
