Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 08.12.1897: Nach dem Vorbild des Hiob zu leben, sei unser Wunsch

Über die ersten Seiten des Direktoriums kann man eine interessante Feststellung treffen: im Allgemeinen beginnen derlei Ordensregeln damit, die Heilshoffnungen zu erläutern, die man auf Grund der im Buch angegebenen Mittel erwarten kann, oder aber mit einer kurzen Zergliederung der vorliegenden Arbeit. Hier geschieht das Gegenteil: Unser hl. Stifter preist seine Vorstellung von diesem neuen Orden und sagt darüber erstaunliche Dinge… Er sieht schon die Früchte reifen, die den Seelen davon zufallen, und diese prophetische Sicht gibt ihm diese drei Wünsche ein.

„Wir haben kein anderes Band als das Band der Liebe, das ja das Band…“

Wir haben es bereits gesagt und wollen es wiederholen: Unser hl. Stifter wollte zuerst ein Institut gründen, das keine andere Verpflichtung kennen sollte als das Versprechen der Liebe… Als es gegründet war, ließ er ihm als vornehmstes Band die Liebe zurück, überzeugt, dass man auf ihr, wenn schon nicht ausschließlich, so doch hauptsächlich (einen Orden) aufbauen könne.

Und damit hatte er recht. Unser Herr drückt dies Gebot so aus: Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt… Moses hatte wohl gesagt: Du sollst Gott lieben, aber niemals hatte er so ausdrücklich das Gebot der Nächstenliebe verkündet. Für den Heiland aber ist dies das Gebot seines Herzens, ist eben sein Gebot. Wer die Liebe übt, braucht sich um andere nicht zu sorgen, und zu mühen, weil die Liebe in hervorragender Weise alle anderen erfasst und einschließt und in Tätigkeit setzt. Sie ist von allen die schönste und am meisten sich selbst abtötende.

Als Folgerung lasst uns alle das Gelübde der Nächstenliebe ablegen, für 14 Tage, für einen Monate, für sechs Monate, für ein Jahr, je nach den Kräften. Ich habe euch bereits auf das Beispiel der Oblatinnen hingewiesen. Als sie dieses Gelübde ablegten, hörten alle Schwierigkeiten von außen und von innen auf, alle Schwierigkeiten, die aus der Schwäche kommen. Jetzt herrscht Friede, Ordnung, gutes Einvernehmen. Man spürt, dass der liebe Gott inmitten der Kommunität sein Zelt aufgeschlagen hat.

Erleben wir eine kleine Verdrießlichkeit von Seiten eines Mitbruders, so opfern wir sie Gott auf. Besonders in einem solchen Fall erweise man doppelt gern einen Dienst. Hat man uns verletzt, so wollen wir schweigen. Wir sind zweifellos in unserer Ordensgemeinde nicht alle vollkommen liebenswürdig, aber wir tragen alle wenigstens irgendetwas Gutes in uns. Und gerade das wollen wir in unseren Mitbrüdern lieben. Das Übrige schenken wir Gott als Übung der Abtötung und der Liebe. Das bringt uns viele Gnaden ein.

Erinnert euch in der Heiligenlegende des Todes jenes Benediktiners, glaube ich, der niemals sonderlich vorbildlich und gewissenhaft gewesen war, in der Stunde seines Todes aber keinerlei Angst zeigte. „Mein Sohn“, redete ihn da sein Oberer an, „haben Sie sich denn gar nichts vorzuwerfen, keine Nachlässigkeit, keine Untreue, etc.?“ – „O, Vater“, erwiderte dieser, „ich bin ohne Unruhe, denn seit meinem Eintritt ins Kloster erinnere ich mich nicht, jemals gegen die Liebe gefehlt zu haben.“ – „Dann, mein Sohn, gehen Sie in Frieden!“

Die Büßerorden bestehen vielleicht nicht so stark auf der brüderlichen Liebe, weil die Natur eine Entspannung braucht. Für uns aber ist sie die große Abtötung unserer hl. Regel. Ist das leicht? Nein. Es gelingt einem nicht auf den ersten Anhieb. Das einzige Mittel bleibt hier nur das entschlossene Handeln, ich möchte fast sagen, eine verzweifelte Entschlossenheit: Ich habe es versprochen, habe das Gelübde abgelegt, darum muss ich liebestark sein. An diesem Zeichen soll man euch als meine Jünger erkennen, hat der Heiland gesagt.

„Wunsch ähnlich dem Wunsche Hiobs: An Jesus Christus, unseren Herrn: Wer aber, o Gott, wird mir so viel Gnade erweisen, dass der Allmächtige…selbst dieses Buch schreibe und ich es dann auf meinen Schultern trage…“

Die Liste der Ordensleute, die Gott selbst ins Buch der Gelübde eingetragen hat, besingt der hl. Stifter feierlich wie einen Hymnus zum Ruhme Gottes.

„Gib, o Jesus…, dass das Jahr, in dem jeder Oblate seine Gelübde und seine Hingabe in dieses Buch schreiben wird, für ihn ein Jahr…“

An dem Tag, an dem man seinen Namen ins Professbuch einschreibt, schließt man sozusagen einen Pakt mit Gott für den Himmel. Es ist gut, darüber nachzudenken, um diesen Gedanken zu einem inneren Schatz zu legen. Ja, betrachten wir unsere Ordensgelübde so durch wie man im Priesterseminar das Pontifikale durcharbeitet. Acht Jahre lang sah ich, wie es dort durchdacht und erläutert wurde. Alle, die sich intensiv damit auseinandersetzten, wurden später eifrige Priester. Auch wir sollten das Pontifikale durchdenken, sollten uns aber gleicherweise mit unseren klösterlichen Verpflichtungen beschäftigen. Machen wir es wie jene wackeren Seminaristen. Das verleiht dem Geist etwas Gerades, Vernünftiges. Diese Formung verscheucht die Illusionen der Phantasie und pflanzt in die Herzen aller die gleichen Absichten. Schaut nur die Heimsuchung an: in Paris, wie Troyes sehen sie sich alle gleich, sind überall dieselben, gestaltet nach der nämlichen Gussform: einfache, großmütige Seelen, die klugen Sinnes zu Gott gehen.

Wie fruchtbar doch die Lehre des hl. Franz v. Sales ist! Die meisten Seminaristen haben ihn zum Schutzherrn und Vorbild gewählt, zahlreiche Institute haben sich unter seinen Schutz gestellt. Herr Chaumont z.B. vereinigt eine große Schar von Priestern und Weltdamen, teilt sie in Kategorien ein, schließt sie in Gruppen zusammen wie es die Jesuiten tun. Das ist zwar nicht genau dasselbe wie bei uns, denn unser heiliger Stifter sagt uns einfach: Sucht euer Glück darin, bei Gott zu sein, betrachtet ihn in jedem Augenblick und folgt ihm großmütig nach. Wenn ihr euch jederzeit nach dem Direktorium richtet, wird euch seine Übung leicht. Dieses Leben ist so schön, weist keine Übertreibungen auf, ist allen möglich, ja, es ist das reine Evangelium. Bitten wir die Gute Mutter um Einsicht, sie möge uns Seelen, und zwar echt Heilige zuführen!

D.s.b.