Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 17.11.1897: Ein Wunsch unseres hl. Stifters

Wir stellten das letzte Mal fest, der hl. Stifter habe an den Kopf des Direktoriums drei Kapitel gestellt, die auf den ersten Blick etwas ungewöhnlich erscheinen. Kein anderer Ordensstifter hat ähnliches in seinen Regeln und Satzungen getan. Diese beginnen vielmehr mit der Erörterung, wie erbärmlich der Mensch sei, um ihn so zur Buße zu entflammen und zum Kampf gegen sich selbst aufzurufen. Der hl. Franz v. Sales dagegen hebt mit einem Triumphgesang an und warum das? Weil er vor seiner Niederschrift vom Himmel die Inspiration empfangen hatte, dieses Werk zu gründen. So konnte er von sich sagen: „Ich habe mir das nicht aus meinem eigenen Kopf gesogen.“ Damit war er sich klar über die Festigkeit und Fruchtbarkeit seines Prinzips. Und, sicher der künftigen wunderbaren Wirkungen, stimmte er im Voraus eine Siegeshymne an. Wirklich, meine Freunde, hätte man echte Oblaten, dann hätte man Heilige, denn es ist der Weg unseres Herrn selbst. Für jeden, den er auf diesen Weg beruft, hat er die Gnaden bereit gestellt, die ihm von Nutzen sind.

Viele geistliche Abhandlungen scheinen allzu oft, wenigstens in der Praxis, einen realen Unterschied zu machen zwischen Gott und Christus. Fast könnte man meinen, Gott lebe in weiter Ferne von uns. Und doch teilt er sich uns mit und man erreicht ihn durch Gebet und Abtötung. Nach der Ansicht anderer opfert man ihm ein für allemal sein Tagewerk auf und damit basta! Nach dem hl. Franz v. Sales aber kam der Heiland auf die Erde nicht allein, um die Erlösung zu wirken. Er wollte vielmehr in der Christenseele die Menschwerdung des Wortes verwirklichen. Wir müssen darum nicht nur unser geistliches Leben mit dem Worte Gottes vereinigt halten, sondern gewissermaßen auch unser Materielles: Alles in Christus erneuern! Das ist ein in unseren Tagen wenig begriffenes Dogma!

Das Christenleben ist allzu oft ein Sklavenleben. Das entspricht aber nicht dem Gedanken des Evangeliums. Unser Herr kam in die Welt, um unser Vorbild zu werden, um uns sein eigenes Leben leben lassen. Wir dürfen darum keinen Augenblick für uns isoliert bleiben. Der hl. Paulus sagt: „Ich ergänze an meinem Fleisch, was am Leiden Christi noch fehlt.“ Was fehlt aber am Leiden Christi anderes als unsere Mitwirkung? Durch eine beständige Vereinigung unseres Willens mit dem Willen Gottes verwirklichen wir den Zweck des Mysteriums, machen das Leben des Erlösers zu unserem eigenen, leben nicht neben ihm, sondern in ihm. Das ist der Sinn des Direktoriums. Wir haben ja keine großen Mittel wie viele andere Ordensleute… Gebrauchen wir da wenigstens die Mittel, die wir haben, im Verein mit Gott. Wenn wir diese Lehre praktizieren, ergießt sich ein Übermaß an Gnaden über uns.

„Wir haben kein anderes Band als das der Liebe, das ja das Band der Vollkommenheit ist“

Unser seliger Vater drückt hier seinen Wunsch aus, wir möchten in Liebe miteinander verbunden sein. Das war sein beherrschender Gedanke, dass er eine Kongregation ins Leben rufe, die sich einzig auf die Tugend der Liebe gründen sollte. Darum empfehle ich euch, das Gelübde der Nächstenliebe zu machen, wenn es euer Seelenführer für gut hält, für die Dauer von drei oder sechs Monaten zunächst… Dann werdet ihr euch von verletzenden Bemerkungen, von unüberlegten Urteilen freihalten. Es ist ein unfehlbares Mittel, zur Liebe und zur Vollkommenheit zu gelangen.

„Wer aber, o Gott, wird mir so viel Gnade erwirken, dass der Allmächtige auf mein Verlangen hört: dass er selbst dieses Buch schreibe und ich…“

Das Buch, von dem hier die Rede ist, ist das Namensregister, das Buch der Profess, und der Gelübde, an dessen Kopf der hl. Stifter diesen Wunsch geschrieben hat in Nachahmung des Buches Hiob. Der Heilige wünscht, Gott selbst möge die Namen in dieses Buch eintragen. Dann macht er es zu seiner Ruhmeskrone und will jeden Augenblick Gott die Namen jener vortragen, die in diesem Buch stehen.

„Gib, o Jesus, geliebter Meister, dass das Jahr, in dem jeder Oblate seine Gelübde und seine Hingabe in dieses Buch schreiben wird, für ihn ein Jahr der Heiligung se, der Tag ein Tag des Heils…“

Das ist nicht nur ein Gebet unseres hl. Stifters, sondern eine wirkliche Prophezeiung. Während der Französischen Revolution öffnete man die Klosterpforten und erklärte die Gelübde für abgeschafft. Eine große Zahl von Ordensmännern und –frauen kehrten in den Laienstand zurück. In der Heimsuchung von Troyes war es nur eine und diese war nicht normal. Die Heimsuchungsschwestern, die Nonnen mit dem Rosenwasser, wie man sie gern nannte, und das geschah überall, hielten allen Stürmen stand. Das ist die Wirkung des Direktoriums, und das gilt es, im Noviziat zu lernen.

„Wunsch in Nachahmung des Wunsches des hl. Paulus an die Philipper (Phil 4,1): ‚Meine lieben Brüder… so steht denn fest…‘!“

Das atmet fast Begeisterung. Der hl. Stifter war aber von Natur aus kein Enthusiast. Er hatte vielmehr ein ruhiges, gesundes und gerades Urteil. Was er da voraussah, hat sich verwirklicht, und zwar ausnahmslos! Der rein menschliche Geist kommt da nicht leicht mit. Er versteht als Mittel der Menschenführung eher eifrige Überwachung und Strafandrohung… Das ist zwar nicht schlecht, ist aber nicht das Ganze, sondern nur die äußere Rinde. Der hl. Franz v. Sales liefert uns dagegen den Lebenssaft (dieses Baumes). Denn will man sich nur auf diese Mittel beschränken, also auf die äußere Rinde, dann kommt man nicht weit. Nehmt einen aktiven, intelligenten Menschen. Er leistet viel. Ein anderer aber, weniger aktiv, aber beständiger und ausdauernder als der andere, hat viel mehr Erfolg. Nehmt das Evangelium: wie einfach das ist. Man bittet jeden Tag um Brot, nimmt seine Mühsale auf sich, und am Tag des Kampfes gibt es keine Besiegten.

Versteht man dies gut, dann fühlt man sich im Noviziat wohl. Die Mittel, die ich euch angebe, sind die wirksamsten und vermitteln überall den lieben Gott. Es ist eine Abtötung, die nicht schwächt, sondern starke Ordensleute schafft. Das Beispiel der Guten Mutter hat es bewiesen. Wenn ich nach den Briefen urteile, die ich Tag für Tag erhalte, wächst die Hochachtung der Menschen für sie mehr und mehr.

D.s.b.