Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 22.12.1897: Wir wollen alle dieselbe Liebe spüren

„Wunsch ähnlich dem des hl. Paulus: Ich bitte euch…lebt in aller Eintracht gemäß eurer gemeinsamen Berufung in Jesus Christus…“

In der Kirche gibt es die großen allgemeinen Gebote, den Dekalog, die Gebote der Kirche, das Kirchenrecht, das die Grenzen aufzeigt die man nicht überschreiten darf. Wir müssen sie im Geist des Gehorsams, der Demut und wahren Ehrfurcht annehmen. Die Gute Mutter brachte ihnen große Hochschätzung entgegen, ja eine wahre Verehrung. So wie sie sollen auch wir sie lieben. Zugleich mit diesen Geboten müssen wir aber auch die Theologie lieben, die uns diese vermittelt. Nicht nur mit dem Kopf sollen wir die Theologie studieren, sondern auch mit dem Herzen. Als der hl. Stifter vor dem Papst sein Bischofsexamen ablegte, spürte man aus seinen Antworten, dass er mit seinem Herzen studiert hatte. Diese Methode verleiht wahre Einsicht in die Glaubenswahrheiten. Möge man also auch von uns sagen können, was von dem Theologen aus Troyes behauptet wurde: Er ging vor uns als ein frommer Gelehrter und ein gelehrter Frommer. So wie man jede Handlung in Vereinigung mit Gott vornehmen soll, so soll man sich auch dem Studium unter den Augen Gottes hingeben, im Geist der Unterwerfung, der Hingabe und Sammlung, und seine Wissenschaft durch Frömmigkeit erhellen. Das ist der Unterschied zwischen einem Heiligen und einem Gelehrten. Darum hat der hl. Stifter recht, wenn er uns „Söhne himmlischer Unterredungen“ nennt, da unsere Berufung diese innerste Einheit des Geistes und Herzens mit Gott einschließt. Wie stark das unseren Verstand erleuchtet und unser Herz entflammt! Der hl. Bernhard sagte: „Leuchten allein ist zu wenig, glühen allein eitel, aber leuchten und glühen zusammen ist vollkommen.“

Bei meiner Ankunft in der Heimsuchung wunderte ich mich ein wenig darüber, wie sehr die großen Gebote des Christentums mir dort ein bisschen hintangesetzt vorkamen. Kaum, dass man von ihnen sprach. Man hörte nur vom Direktorium, von den Satzungen und den Schriften (der Stifter) sprechen…

Nach einigem Überlegen kam es mir aber bald zum Bewusstsein, dass man sie nirgendwo so gut beobachtete und in ihrem ganzen Umfang bejahte wie hier. Alles gründete darauf. Machen wir uns darum mit allem Ernst ans Studium der Theologie. Es gibt auf der ganzen Welt kein schöneres Studium als das, und das uns mehr befähigte, unserem Geist weite Horizonte zu eröffnen. Das Traktat von der Menschwerdung z.B. kann einen wirklich begeistern. Bellarmin hat darüber ein ganzes Buch geschrieben. Ganze Nächte könnte man mit seiner Lektüre verbringen. Unser Professor Sebille lehrte darüber wunderschöne Dinge…

Studieren wir die Theologie im Licht unserer eigenen Ordensdoktrin. Sie ist die beste: ein verborgenes Brot, süßer… Gestern traf ich bei unserer „Zusammenkunft des Direktoriums“ einen Weltgeistlichen, der bisher eifrig die Versammlungen der Jesuiten besucht hatte. Er erklärte mir spontan: „Sie sagen ja sehr schöne Dinge (die Jesuiten), aber die Lehre der Oblaten ist um vieles vorzuziehen, so will mir scheinen. Leider sind wir noch zu wenige, um davon zu profitieren. Wir müssen zahlreiche Diözesanpriester einladen…“

Es wird gut sein, wenn ich euch von Zeit zu Zeit Kapitel der Guten Mutter vortrage. Darin steckt eine solche Klarheit und Tiefe, dass man in Rom davon entzückt ist. „Welch ein Unglück“, sagte ein Kardinal zu P. Rollin, „dass man nicht imstande ist, diese Lehren zu verstehen und von Grund auf zu praktizieren!“

Macht euch darum diese Lehre im Noviziat gründlich zu Eigen, wo so zahlreiche Übungen Gott mit seinen Erleuchtungen mit seinen Erleuchtungen und seinen Tröstungen herbeiziehen. Ihr werdet darin ungeheure Kraftquellen schöpfen. In der Heimsuchung wandelt dieser Geist die Herzen von Grund auf um, wenn man sich ihm freimütig erschließt, mögen unsere eigenen Fähigkeiten noch so unbedeutend sein. Darum sagte Bischof Coeur: „Die Heimsuchung ist die Aristokratie des Himmels.“

Was man aber von der Heimsuchung sagte, muss man auch von den Oblaten sagen können. Freilich, ihr wisst selbst: was nichts kostet, ist nichts wert. Um dahin zu gelangen, bedarf es großer Entschlossenheit. Wir müssen darum entschlossene Männer sein!

Gott sei gebenedeit!