Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 03.11.1897: Es gibt keinen Oblaten, ohne das Direktorium zu beachten

Jede Kongregation hat ihre besondere Art zu sein und zu handeln. Denn täte sie genau da Gleiche wie alle anderen, wofür wäre sie schon gut? Nun, genauso wenig sind Oblaten ohne Direktorium denkbar wie es Vögel ohne Flügel gibt. Das Direktorium ist unsere Hilfsquelle, unsere Nahrung. Die Vereinigung mit Gott bildet unseren Lebensinhalt: „Ohne mich könnt ihr nichts tun.“ Ja, wir vermögen nichts, absolut nichts ohne Gottvereinigung, bringen nicht den geringsten Nutzen hervor. Das sieht nach nichts aus und ist doch eine absolute Lehre. Gewiss verbinden uns die Übungen der Frömmigkeit, das Offizium, die hl. Messe gleichfalls mit Gott, und der Großteil der Christen sucht darin auch seine Gottvereinigung. Bei uns dagegen ist die Handlung, die der Gehorsam uns auferlegt, völlig belanglos. Denn selbst unsere Gedanken und jede Regung unseres Herzens sollten uns in der Vereinigung mit Gott erhalten: das muss unsere Verhaltensregel sein und so müssen wir lehren auf der Kanzel wie im Bußgericht.

Wenn die Gute Mutter sagte, wir müssten das Evangelium neu auflegen, dann wollte sie damit zum Ausdruck bringen, wir sollten uns jede Mühe geben, es gut bekannt und verständlich zu machen. Denn man kann nicht geben, was man selbst nicht hat. Wendet ihr diese Lehre nicht auf euch selber an, dann werden eure Worte und Predigten wirkungslos verpuffen: ein tönendes Erz und eine klingende Schelle. Die Menge kommt zusammen, sie wohnt dem Schauspiel bei, das ihr der Redner mit großem Wortschwall vorsetzt. Die Vorstellung geht zu Ende, und man hat alles vergessen… Das will freilich nicht heißen, wir würden damit alle ohne Ausnahme anziehen. Das brachte selbst unser Herr nicht fertig. Auf jeden Fall sollt ihr das Höchstmaß an Gnaden erwirken, das Gott in seinen Ratschlüssen festgesetzt hat. Gewiss kann man ein guter Christ, sogar ein guter Priester sein, ohne den Weg zu gehen, den ich euch da aufzeige. Ohne das kann man aber niemals ein guter Oblate sein…

„…durch Gebet…die hl. Kirche zu unterstützen und das Heil des Nächsten fördern…“

Ja, die Gebete des Oblaten sind voller Wirkung. Unbestreitbar ziehen sie eine große Zahl von Seelen an. Gott hat ja im Voraus jene Seelen bestimmt, die wir in den Himmel bringen müssen. Sind wir treu, dann werden all diese Seelen gerettet. Sind wir aber nicht ganz treu, die uns übertragene Aufgabe zu erfüllen, dann wird diese und jene Seele eben nicht gerettet…

Warum übte die Gute Mutter solch einen starken Einfluss aus? Etwa wegen der Autorität des Wortes, das sie an die Weltmenschen richtete? Nein, sondern einzig auf Grund ihrer Gottvereinigung. Und was sie gewirkt hat, hat Bestand. Täglich bewiesen mir die Briefe, die ich erhalte, das Vertrauen, das sie einflößt und den Frieden, den sie in die Seelen ergießt. Dieses mächtige Mittel der Gottvereinigung bringt wirklich große Güter hervor, hundertfältige Frucht… Seien wir davon zutiefst überzeugt.

„Daher dürfen sie nach nichts so sehr verlangen als dermaßen tugendhaft zu sein, dass der Wohlgeruch ihrer Tugend Gott erfreue und…“

Der hl. Stifter sagt also, der Duft unserer Tugenden ziehe die Seelen an und helfe ihnen, ihrer Berufung treu zu sein. Darum sollen unsere äußeren Werke nichts anderes sein als die Entfaltung des inneren Lebens in uns. Es ist da wie bei der Verbindung des Kohlenstoffes mit Acetylen (ergibt eine starke Flamme). Ihr seid das Licht der Welt!

Bekennt es offen in euren Beichten, wenn ihr nicht treu im Direktorium wart. Klagt euch an, wenn ihr das Direktorium nicht tief in eurem Herzen tragt. „Aber das Direktorium sagt mir gar nichts…“ Nun, dann übe einmal ein, zunächst fast automatisch. Allmählich wirst du merken, dass es dir zur Zweiten Natur wird, wie der Soldat sich ans Exerzieren gewöhnt.
Und darum bitte ich euch alle: Macht darüber keine Scherze. In unseren Äußerungen müssen wir sehr vorsichtig sein. Man prüfe sich gut, ob man nicht durch unkluge Mutlosigkeit für seine Mitbrüder gegeben hat. Ich denke da wieder an meine Seminarzeit ein etwas leichtsinniger Mitschüler machte sich eines Tages daran, die Hausordnung und die Frömmigkeit ernst zu nehmen. Ich machte nun darüber einen kleinen Scherz, ohne etwas Böses, ja ohne überhaupt etwas dabei zu denken. Da rief mich der Lehrer zu sich und machte mir strenge Vorhaltungen: „Durch Ihren Scherz könnten Sie ihn vom guten Weg abbringen und verderben…“ Meine lieben Freunde, achtet darum hoch, was von Gott kommt. Dieses zarte Pflänzchen, zertrampelt es nicht unter euren Füßen. Verdoppelt vielmehr eure zarte Rücksichtnahme, auf dass ihr allen Mitbrüdern alle Freiheit und Leichtigkeit lasst, sich innerlich wie äußerlich unter dem Einfluss der Gnade zu formen.

Eine Sache beeindruckt mich lebhaft: P. Rollin schreibt mir, der Kardinalvikar Parocchi setze in die Oblaten ein absolutes Vertrauen. Der Präfekt der Propaganda tue dasselbe. Erinnert euch an die Worte des Kardinals Chigi in seinem Brief an uns: Ich wäre gern einer der Ihrigen… Es ist also nichts Gleichgültiges, ein Oblate zu sein. Ein Oblate darf darum nicht handeln wie die Pennäler.

P. Boney war vor seinem Eintritt bei uns sehr witzig und erlaubte sich Scherze, die sehr weit gingen. In St. Urbain (einer Pfarrkirche in Troyes) hielt er einmal Exerzitienvorträge. Er erzählte mir, eines Tages habe die Nichte des Pfarrers ihn bei Tisch mit der Bemerkung unterbrochen: Sie wollen Oblate sein und sagen solche Dinge! …

Das Direktorium wird euch umwandeln, meine Freunde. Was ihr als einfache Menschen getan hättet, ist nichts im Vergleich zu dem, was ihr auf Grund des Direktoriums leisten werdet. Gerade das gab dem hl. Franz v. Sales so viel Einfluss auf Savoyen, dass man es heute noch feststellen kann. Bitten wir ihn und die Gute Mutter innig um diese Gnade.

D.s.b.