Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 27.10.1897: Die Vereinigung mit Gott: Einziges Mittel, die Heiligkeit zu erlangen

Einige Nachrichten aus den Missionen: In Ecuador bleibt nur noch P. Saunier zurück. Der Klerus ist uns nicht schlecht gesonnen, und man verspricht, den Schwestern das Schuldige zu bezahlen. Man duldet sie weiterhin im Land. P. David schrieb mir, ein Bischof aus Peru habe ihn eingeladen, das dortige Priesterseminar zu übernehmen. Der Pater hat die Vorschläge und die dortige Lage studiert und kam zum Schluss, Peru tauge nicht viel und biete nicht mehr Sicherheit als Ecuador. Darum machte er sich auf nach Montevideo. In diesem Augenblick wird er dort eintreffen.

Die Schule St. Paul (Griechenland) geht gut voran. P. Berthet schreibt mir, er habe zurzeit 67 Schüler und erwarte weitere.

In Großbritannien geht es mit dem kleinen Haus von Walmer ebenfalls gut voran. Es beherbergt im Augenblick 8 Pensionisten und deckt seine Unkosten.

Nun will ich das Direktorium wieder aufnehmen. Ich sage ja reichlich oft dieselben Dinge, dieselben Gedanken. Liest man das Direktorium von einem Ende zum anderen das erste Mal durch, so findet man darin nichts, nicht einmal Zitationen aus der Hl. Schrift. Und doch steckt im Direktorium etwas (Großes), denn mit ihm wurde die Heimsuchung gegründet, wurden große Heilige beiderlei Geschlechtes geformt. Prüft es nur genau, dann entdeckt ihr darin ein erstaunlich günstiges Training für die Entfaltung des übernatürlichen Lebens der Heiligkeit.

So ähnlich geschah es auch bei der Erscheinung des Evangeliums in der Welt. Die Heiden und Philosophen sagten damals: Es enthält nichts, weder Geist noch Leben… Als der hl. Stifter sein Direktorium niederschrieb, verstanden ihn nicht alle, sogar in der Heimsuchung… Eine gewisse Anzahl von Schwestern dieses Ordens hielten es für überflüssig, hielten es für eine zusätzliche Übergebühr. Die Übung der Satzungen sei hinreichend. Da kam die Gute Mutter Maria Salesia und machte durch ihr Beispiel und ihr Wort begreiflich, dass das Direktorium für die Heimsuchung die lebendige Quelle sei. Studiere man es genau, so finde man darin viel… Alle Gesetzesbücher erlauben mehrere Auslegungen, doch nur eine ist die wahre und richtige. Der echte Sinn des Direktoriums ist von der Heimsuchung gegründet worden und blieb in einer bestimmten Anzahl ihrer Klöster beständig in Kraft und Ansehen, wenn auch andere Ordensgemeinschaften diesen Sinn vernachlässigt und vergessen haben. Die Gute Mutter übte also einen tiefen und nachhaltigen Einfluss auf das rechte Verständnis und die Übung des Direktoriums in den Klöstern der Heimsuchung.

„Ihres ganzen Lebens  und all ihrer Übungen Ziel soll es sein, sich mit Gott zu vereinigen.“

Vereinigung mit Gott ist das große Geheimnis und das einzige, zur Heiligkeit zu gelangen. Das wollen wir nicht immer verstehen, und das lehrte man uns einst auch im Priesterseminar nicht, noch vorher in der christlichen Erziehung, die wir empfangen haben. Man sagte uns, wir sollten fromm, vernünftig, fleißig sein, sprach aber nicht von der Gottvereinigung. Nirgendwo findet sich das ausgedrückt. Wohl begegnen wir in den Büchern der Frömmigkeit, in manchen Abhandlungen der affektiven Theologie, in Schriften über die hl. Kommunion einigen flüchtigen Worten über die Vereinigung mit Gott, doch wird sie nur hier und so im Vorbeigehen erwähnt. Immer legt man einen weiten Zwischenraum zwischen den Betenden und Gott. Man spricht mit Gott nur aus großer Entfernung und wahrt zwischen Gott und den Menschen eine mehr entfernende als ehrfurchtsvolle Distanz.

Das Wort „Gottvereinigung“ wiegt allein schon so viel wie eine vollständige Theologie. Es ist von einer Tiefe, dass es einfach alles ausdrückt. Versteht das wohl: wir gewinnen einen Wert allein durch sie: Gottvereinigung in unserem Beten, in der hl. Messe und Kommunion, in unseren Opfern und Leiden, in den gewöhnlichsten Umständen unseres Lebens, in unserem Arbeiten und Sorgen… Gottvereinigung ist der spezifische Charakter der Heiligkeit. Lest das Leben eines hl. Franz Xaver, eines Ignatius von Loyola, eines Vinzenz v. Paul, (eines hl. Franz v. Sales): mit Hilfe all ihrer Arbeiten gelangten sie dahin, ihre Seele so zu vereinfachen: Alles führte sie zur Vereinigung mit Gott, und all ihre vielen Unternehmungen erfolgten, um zu ihr zu gelangen. Alle Heiligungsmittel, deren sie sich auf ihrem Wege bedienten, waren nur Mittel, um zu diesem einen Ziel zu gelangen. Wie langwierig aber war dieser Weg, und darum auch sehr verdienstlich, denn jede für Gott ertragene Mühsal erwirkt (einen) Lohn.

Bestimmt erkennen und verstehen viele Seelen nicht, was es um die Gottvereinigung für eine Bewandtnis hat. Man kann sie ja nicht sehen, während man Fasten, auf dem harten Boden Schlafen und Barfußgehen leicht versteht, da man sie sehen und fühlen kann. Und das ist der große Unterschied zwischen den beiden Wegen, die zu Gott führen.

Das soll aber nicht heißen, das Direktorium enthalte nicht auch den Gedanken der Abtötung und Buße. Man begegnet ihnen vielmehr den ganzen langen Tag hindurch. Aber der wahre und eigentliche Sinn der Heiligkeit ist die Vereinigung mit Gott, Ausgang und Ziel unseres ganzen Lebens und all unserer Handlungen. Was sagt der hl. Franz v. Sales (dazu)? „Ihres ganzen Lebens und all ihrer Übungen Ziel sei die Vereinigung mit Gott.“ Er sagt nicht nur: Ihr sollt euch mit Gott vereinigen durch die Abtötung, durch das Gebet, die hl. Kommunion…sondern er nimmt unser ganzes Leben, unsere sämtlichen Übungen, unser Atmen, unsere Herzschläge und führt mit ihrer Hilfe unsere Seele zur Vollkommenheit und Heiligkeit, indem er sie ganz und ohne Vorbehalt Gott übergibt. Das also ist die richtig verstandene Vollkommenheit und Heiligkeit.

Richten wir uns darum in all unserem Tun nach dem Direktorium, damit alles, was wir tun, uns mit Gott verbinde. In unseren religiösen Unterweisungen und Kinderkatechesen bilde der Gedanke, dass wir durch das Direktorium mit Gott vereinigt sind, Grundlage und Basis unserer Lehre und alles dessen, was wir den Seelen geben.

Das Direktorium hat die Approbation der Kirche. Denn sie übergibt es uns als Lebensregel und schreibt es uns in den Satzungen vor. Damit bestätigt sie einschlussweise dessen Lehrgehalt. Und es enthält in der Tat die schönste und praktischste Lehre, die man sich denken kann. Sie erfasst unser ganzes Leben, damit es ganz Gottes sei. Was ist der Inhalt dieser Lehre? Probiert es nur aus, dann werdet ihr erkennen, wie unübertrefflich sie die Seele verwandelt und den Willen modelliert…

Hier ist alles für Gott. Was der hl. Franz v. Assisi in der Armut fand, Franz Xaver im apostolischen Missionseifer, hat der hl. Franz v. Sales im Leben selbst gefunden, so wie es ist. Er nimmt sämtliche Handlungen, alle Übungen, alle Minuten und Sekunden und weiht sie Gott.

Um solch eine Lebensweise durchzuhalten, bedarf es vieler Voraussetzungen: Zunächst darf man keine schweren Sünden begehen. Sodann heißt es seine Leidenschaften beherrschen: Stolz, Eigenliebe, Empfindlichkeit und Sinnlichkeit. Mit all dem heißt es kurz abschneiden. Man kann nicht mit Gott verbunden leben, wenn man sich in der Anhänglichkeit an die Sünde und an den Eigenwillen gefällt. Hier betätigt sich somit hohe Vollkommenheit. Überflüssig zu sagen: der Mensch ist so viel wert wie sein Werk. Ein schlechter Professor wird keine guten Schüler heranbilden. Wessen Leben nicht mit Gott verbunden ist, der kann die Seelen auch nicht zum Leben mit Gott anleiten… Dieses Wort „Gottvereinigung“ schließt folglich eine ungemein tiefe Theologie ein.

„Ihres ganzen Lebens und all ihrer Übungen Ziel soll sein, sich mit Gott zu vereinigen.“

All unser Tun, Beten und Arbeiten zielt darauf an, die Kirche, deren offizielle Beauftragte wir sind, zu unterstützen.

Wir beten unser Brevier im Namen der Kirche. Die hl. Messe, alle Seelsorgearbeiten geschehen im Namen und auf das Konto der Kirche. Gehen wir noch weiter: unsere gemeinsamen und klösterlichen Übungen, unsere Arbeiten, die Beschäftigungen eines jeden Augenblicks, all das gehört der Kirche. Und zu guter Letzt auch unser gutes Beispiel. Das gute Beispiel, lehrt der hl. Stifter, muss spontan aus uns fließen, so wie das Wasser sprudelt, von dem man, damit es gut sei, nichts anderes verlangt, als dass es frisch und ohne besonderen Geschmack sei. Das gute Beispiel muss ebenfalls ein Ausfluss unseres gesamten Verhaltens sein, muss seine Wirkung hervorbringen wie der erfrischende Trunk, den wir der Quelle entnehmen.

Die Kirche ist unsere Mutter, wir sind ihre Kinder, ihre Diener und Apostel. Der Priester ist es, der die Kirche (aus-)macht. Er verbindet und verknüpft die Gläubigen mit der Kirche. Er hilft dem Mitmenschen, sein Heil zu wirken. Denken wir daran, dass jeder von uns nach dem Plane Gottes dazu berufen ist, eine gewisse Zahl von Seelen zu Gott und ihrem Heil zu führen, und das nicht nur durch Predigt, Beichte und Erziehung, sondern durch unser gesamtes Tun. Im Leben eines Oblaten ist Unterrichten, Aufsichtführen in Studium und Freizeit, Schreiner- und Gartenarbeiten verrichten ebenso heilig wie Beichthören. Cicero erklären ist in den Augen Gottes ebenso vollkommen wie den Kindern Katechismus erteilen. Es ist ein Glaubenssatz: wenn wir unser Herz zu Gott erheben und ihn bitten, das, was wir sagen, möge den Seelen Gnade erwirken, dann wird es auch von Gott erhört. Probiert es nur selbst aus. Betet für den schlechten Schüler, dass in seinem Herzen ein kleiner Wunsch aufsprieße, es besser zu machen, dann werdet ihr den Erfolg erleben. Etwas wird sich in seinem Herzen tun, was ohne euer Gebet nicht geschehen wäre. Die Gesetze der Gnade sind ebenso unfehlbar und unabänderlich wie die der Natur und der Physik.

Diese Wahrheit heißt es wohl begreifen und sie dann in die Tat umsetzen. So erreicht ihr alles, was ihr wollt. Dann wird Gott, dem ihr verbunden bleibt, mit euch zusammen handeln. Dieser Gedanke muss euer ganzes Leben beherrschen. Wenn wir gewissenhaft und treu seine Lehren befolgen, werden wir ein anderer, ein zweiter Christus… Eine Kraft geht dann von uns aus, die die Gläubigen erbaut und Gott aufs höchste gefällt.

Erfasst also in den wenigen Worten „mit Gott vereinigt sein“ alles, was in ihnen zu erfassen ist und was in Wahrheit in ihnen steckt. Machen wir uns mit ganzer Seele an die Arbeit. Helfen wir uns gegenseitig durch die gewissenhafte und treue Observanz. Das verlangt ein Opfer, aber die gewissenhafte und treue Observanz teilt unserer Seele die Tatkraft mit, die uns umwandelbar und großmütig auf dem Weg erhält. Der hl. Paulus sagt ja auch: „Seid geistliche Menschen!“ Auch die Atmung und das Schlagen unseres Herzens unterhält in uns unsichtbar, ja fast unmerklich das Leben. So unterhält auch die Gottesliebe, die Gottvereinigung ohne Unterbrechung unser geistliches Leben als Priester und Ordensleute. Nimmt man die Atmung und den Herzschlag weg, so bleibt nichts zurück. Das ist eine mathematisch sichere Lehre, eine unfehlbare Wahrheit. Gewinnt darum Einsicht in die übernatürlichen Zusammenhänge, dann werdet ihr auf alles eine Antwort haben.

Ich freue mich über den Schulbeginn in unseren verschiedenen Kollegien. In Morangis beherrscht P. Perrot völlig die Situation. Er muss Schüler zurückweisen, weil sein Haus voll ist. Er ist darauf bedacht, dass man mit allem Notwendigen versehen dort ankommt.

St. Quen erholt sich allmählich wieder. P. Courtois und P. de Vaubercey sind zufrieden. Die Zahl ihrer Schüler hat zwar nicht zugenommen, aber die Lasten haben abgenommen.

In Mâcon sagt P. Latour für die Zukunft Gutes voraus. Für Auxerre hegt man gute Hoffnungen. Die Schülerzahl hat leicht zugenommen und ihr Geist ist ausgezeichnet.

D.s.b.