Kapitel vom 21.07.1897: Der göttliche Stempel für unsere Genossenschaft sowie einige Worte hinsichtlich der Ferienzeit
Unser Vater [P. Brisson] liest uns einen Brief des Postulators des Seligsprechungsprozesses der Guten Mutter vor, in dem er uns mitteilt, in Rom finde am 27. Juli eine Versammlung der Ritenkongregation statt. Dabei solle entschieden werden, ob der Guten Mutter Maria Salesia der Titel einer „Ehrwürdigen Dienerin Gottes“ zugesprochen und ihr Seligsprechungsprozess eröffnet werden soll.
Diese Versammlung solle zwischen 8 und 12 Uhr dauern, und der Postulator bittet, dass an allen Orten, wo man an diesem Prozess interessiert ist, dafür gebetet werde. Ich empfehle dieses Anliegen dringend euren Gebeten. Das wird große Folgen für uns haben.
Die Seligsprechung der Guten Mutter wäre die Bestätigung für unsere Satzungen, die amtliche Bestätigung der Genossenschaft der Oblaten und der Oblatinnen durch die hl. Kirche. Seien wir überzeugt, meine Freunde, dass unser Institut eine Bedeutung hat.
Ich sehe in der Kirchengeschichte nicht, dass unser Herr oft Ordensgründern erschienen ist, wie er es gnädigst bei eurem Gründer getan hat. Ich kenne nicht viele Päpste, die gesagt hätten: „Ich selber sende euch! Alles was ihr unternehmt, entspricht dem Willen Gottes. Was wünscht ihr? Die Approbation der hl. Kirche? Ich, der Papst, gebe sie euch, und mehr als das, ich selbst sende euch aus. Alle, die mit euch zusammenarbeiten, sind gewiss persönlich ebenfalls den Willen Gottes zu erfüllen…“
Ich muss an diese Dinge erinnern. Die Oblaten des hl. Franz v. Sales haben keinen Ursprung, der dem aller anderer gleicht. Oder gab es etwa viele Aussendungen, die so sichtbar, bestimmt und authentisch das Siegel Gottes aufweisen? Solchen Gnaden muss aber entsprochen werden, meine Freunde. Wir dürfen keine halben Ordensleute sein wollen. Wenn wir auch nur ein wenig ernst genommen werden wollen, werden wir das verstehen. Ich sage noch einmal: Ich kenne wenig Ordensgründungen, die so deutlich vom göttlichen Stempel gezeichnet sind. Schon das bisschen, das wir bisher unternommen haben, beweist es. Ich erhalte von P. Lebeau lange Briefe, worin er mir versichert, er stehe in Verbindung mit hohen Persönlichkeiten, die ihm alle bestätigen, in der Lehre des hl. Franz v. Sales gebe es etwas, was die Seelen anzieht und zum Guten führt. Die Ausbreitung dieser Lehre stellt ein wichtiges Ereignis in der Kirche dar, Msgr. de Segur hat von der Guten Mutter behauptet, solche Seelen gäbe es nicht alle 100 Jahr, sondern nur alle tausend. Wir besitzen somit übernatürliche Zeugnisse des Willens Gottes. Lasst uns darum mit ganzem Herzen ans Werk gehen!
Unabhängig von den Satzungen und dem Direktorium sind da noch die Beschlüsse des Generalkapitels, die für uns Gesetzeskraft haben. Bei uns wie bei den anderen Kongregationen können die Satzungen nicht auf alle Einzelheiten eingehen und alle Notwendigkeiten voraussehen, die die Umstände der Zeit und des Ortes erfordern. Die Entscheidungen des Generalkapitels haben Gesetzeskraft bis zum nächsten Generalkapitel, das diese Beschlüsse erneuern oder abschaffen kann.
(Anm.: „Unser Vater [P. Brisson] lässt nun zwei Artikel des Generalkapitels von 1894 zu St. Bernhard vorlesen, die die täglichen Übungen und die Reisen während der Ferien betreffen.“).
Dese Regelung geht in viele Einzelheiten ein, und wir haben es alle sehr nötig, sie gut zu beobachten. Wir stehen ein bisschen im Ruf, oft auf Reisen zu sein. Und es scheint, dass einige nicht sehr vorsichtig sind in ihren Beziehungen zur Außenwelt. Wie oft hörte ich schon sagen: „Ihre Ordensleute sind ständig außerhalb der Ordensgemeinde. Sie reisen unaufhörlich umher… Seht doch die Jesuiten an! Kein anderer Orden erteilt so viele Erlaubnisse wie ihr…“ Gebt also Acht, meine Freunde. Nicht alle Menschen sind uns wohlgesinnt. Man ist dazu geneigt, einen Ordensmann übel zu beurteilen, der seinen Aufenthalt außerhalb der Kommunität in die Länge zieht. Und dann beachtet folgendes: Kommt man zu seinem Vater oder seiner Mutter, wird man freudig aufgenommen. Bei Schwestern oder Brüdern geht es auch noch, bei anderen aber ist es nicht immer so. Mehr als einmal passierte es, bezüglich der Besuch, die der eine oder andere dem und jenem machte, oder bezüglich seiner Aufenthalte in Familien, oder bei Freunden, Aufenthalte, die man als zu lang empfand, dass mur auf Umwegen und mehr oder weniger versteckt Bemerkungen und Worte zu Ohren kamen wie folgende: Wäre es nicht möglich, dass er dieses Jahr nicht kommt, oder dass er nicht so lange bleibt? … Euer Aufenthalt wird also zu einer Last, besonders für Weltgeistliche, ja fast eine unerträgliche Last. Sie bringt den Hausangestellten zusätzliche Arbeit und stört vollständig die Gewohnheiten eurer Gastgeber. Wir sollten uns scheuen, andere zu belästigen.
Selbst wenn du ein löbliches Motiv hast für einen Besuch, musst du auf der Hut sein, nicht alles Mögliche zu sagen, was deine Ehre als Priester oder Ordensmann bloßstellen könnte. Beobachtet die Jesuiten: wie äußerst vorsichtig sind sie in ihrem Verhalten… Oft wahren sie ein kluges Schweigen. Sie lassen sich auch nicht unterschiedslos in alle möglichen Fragen ein, verletzen niemand und befassen sich nicht mit Dingen, die sie nichts angehen.
Ein Pfarrer, der euch gegenüber eine gute Miene aufsetzt, wird später von euch schreiben: Der und der Pater ist äußerst vorsichtig… Er hat dies und das gesagt… Vor allem wenn man noch jung ist, gibt man sich leicht Illusionen hin. Ihr werdet schon sehen: wenn ihr einmal älter geworden seid, und die Welt der Geistlichen kennen gelernt habt, werdet ihr sagen: unser Vater hat doch recht gehabt. Seit langem mache ich diese Erfahrungen. Selbst im Seminar merkte ich es. Man besuchte sich mitunter gegenseitig während der Ferien. Obwohl die Familie des anderen wohlgesinnt war, stellte ich fest, wie delikat diese Frage war. Es ist eine Belastung für sie. Es behindert manchmal stark. Wir sollten uns hüten, andere einzuengen, vor allem, wenn man keine besonderen Gründe und vertraute Beziehungen zu ihnen hat. Die Personen, die ihr besuchen wollt, mögen euch beim Abschied allerlei schöne Worte sagen über die Pein, die ihnen euer vorzeitiger Aufbruch bereitet… Glaubt es nicht. Ich gebe euch mein Wort: auf Besuche solcher Art fallen nicht zwei, die euren Gastgebern angenehm sind. Von 20 Besuchern würden 18 ihren wohlmeindenden Gastgebern ein größeres Vergnügen bereiten, wenn sie nicht zu Besuch kämen. Das sollten wir verstehen und uns nicht der Gefahr aussetzen, die Mitmenschen zu genieren. Nirgendwo ist man in den Ferien so gut aufgehoben als bei sich zuhause, von seltenen Ausnahmen abgesehen.
Beachtet wohl: ich will damit nicht sagen, dass manche keine Luftveränderung bräuchten. Man wird es müde, immer dieselbe Umgebung, dieselben Mauern und Gesichter zu sehen. Niemand weiß das besser als ich. Darum könnte man, wenn es nötig erscheint, um Erlaubnis fragen, während der Ferien dich in einem anderen Haus der Genossenschaft erholen zu dürfen. Dort fände man Ruhe, Freiheit und echte Herzlichkeit. Aber glaubt mir, zuhause seid ihr immer noch besser aufgehoben als anderswo.
Am Ende dieses Schuljahres wollen wir dem lieben Gott wieder näherkommen. Jeder möge sich in sich selber sammeln und sich fragen, was er sich vorzuwerfen, was er verloren oder gewonnen hat, und gute Vorsätze fassen für die Ferienzeit.
Wenn ihr mir glauben wollt, will ich euch sagen, was ich denke. Ich habe mein ganzes Leben die Erfahrung gemacht, dass die Ferien die Zeit sind, wo man sich am meisten heiligen kann. Und werden die Ferien so verbracht, so werden sie zur glücklichsten Zeit. Was ich gern und freiwillig getan habe, das sei dir angenehm, Herr, dir und mir… Gleichen wir nicht dem Star, der sich nach links und rechts dreht, ohne zu wissen, wo verweilen. Die Ferien sollten unserem Herzen Ruhe bringen. Und noch einmal: Es liegt mir fern zu sagen, mancher bräuchte keine Ortsveränderung, um auszuruhen. Man bleibe aber jederzeit Ordensmann!
Heiligt eure Ferien. Nutzt sie gut aus. Bereitet euer neues Schuljahr vor. Diese Vorbereitung des Unterrichtsstoffes ist interessante Arbeit. Solch eine Vorbereitung in Ruhe sollt ihr gern vornehmen. Sie bringt Genuss, Friede und unvergleichliches Glück.
Profitiert von allem, was ich gesagt habe, meine Freunde. Bewahrt meine guten Lehren. Sie bringen euch Licht und führen euch zum lieben Gott. Unsere Lehre und unsere Prinzipien sollen in der Theologie gründen, die von der hl. Kirche am meisten gebilligt wird. Die Basis unserer Lehre sei die Theologie des hl. Thomas v. Aquin. Auf dieses Fundament stellen wir die Lehre des hl. Franz v. Sales wie der Guten Mutter. Nehmt dazu die Lehren der Kapitel und Unterweisungen, die ich euch gebe: Damit verfügt ihr über einen vollständigen und abgeschlossenen Vorrat und könnt Ordensleute, ja heilige Ordensleute werden.
Diesen Weg sollen wir gehen. Alle Priester mögen bei der hl. Messe um Einsicht in diese Wahrheiten beten, und die noch nicht Priester sind, mögen die hl. Kommunion in diesem Anliegen aufopfern.
D.s.b.
