Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 07.07.1897: Einsatz für die hl. Regel in der Genossenschaft

P. Rolland suchte mich auf, um mir zu sagen, dass seine Kräfte seit seiner Erkrankung abgenommen haben und er sich nicht mehr imstande fühle, seine bisherigen Arbeiten weiterzuführen. Auch bat er mich, ihn vom Generalassistenten zu entbinden. Ich besprach mich mit seinem Arzt, der mir sagte: „P. Rolland erledigt bei seiner aktiven Natur alles, was ihm obliegt, mit außerordentlicher Energie. Er soll seinen Schwung und seine Aktivität mäßigen. Man muss ihn von einem Teil seiner Beschäftigungen entlasten, wenn ihr wollt, dass er noch etwas leisten kann und uns noch erhalten bleibe.“ In Anbetracht dieser Überlegungen musste ich der Bitte des Paters nachgeben und ihm das Amt des Generalassistenten abnehmen. Ich ernenne darum P. Deshaires zum Generalassistenten.

Anlässlich des Todes unseres Novizenmeisters P. Seguin schrieb ich einen Brief an alle Häuser. Da er in allen Häusern vorgelesen wird außer dem unseren, möchte ich ihn hiermit bekanntgeben. (Anm.: „Unser Vater [P. Brisson] liest den Brief vor. Am Ende des Briefes ist die Rede von neuen Maßnahmen, die das Noviziat und die Beobachtung der hl. Regel betreffen. Dazu bemerkt unser Vater…:“) Wir wollen diese guten Vorsätze in die Tat umsetzen. Damit übernehmen wir keine neuen Verpflichtungen für unsere Kongregation, sondern verwirklichen lediglich die Satzungen, das Direktorium und das Generalkapitel, ohne Neues hinzuzufügen. Das, was vorgeschrieben ist, soll lediglich in die Praxis überführt werden.

Es bleiben allerdings einige Einzelpunkte, mit denen wir uns befassen müssen, besonders was unsere Kleidung und das Beffchen betrifft. Wir wollen abstimmen, damit wir genau wissen, was jeder vom Beffchen (Anm.: „es wird abgestimmt: alle außer drei sprechen sich gegen das Tragen des Beffchens aus.“). In Zukunft tragen wir also den römischen Kragen. Ich glaube aber, jeder sollte sein Beffchen aufbewahren, damit er bei bestimmten Gelegenheiten, wenn er z.B. in eine Versammlung von Geistlichen geht, wo es von allen getragen wird oder in eine Diözese gerufen wird, deren Bischof das Tragen des Beffchens wünscht, keine Ausnahme zu machen braucht. Die Jesuiten machen es auch so. (Die Novizen treten ein).

Wir wollen das erste Kapitel der Satzungen wieder aufnehmen. Nicht, um etwas Neues vorzutragen und neue Anweisungen zu geben, denn die Satzungen, das Direktorium und die Beschlüsse des Generalkapitels enthalten alles. Ich möchte nur jedes Kapitel wieder durchgehen, um nützliche Bemerkungen dazu zu machen, die dem Gebräuchebuch als Grundlage dienen können. Die Beobachtung eines Gebräuchebuches hat nämlich einen großen Einfluss darauf, ob wir die Außenwelt erbauen. Unsere Umgebung sieht ja nur unser Äußeres. Was wir jetzt also sagen, wird der Endfassung des Gebräuchebuches dienlich sein.

„Die Mitglieder des Institutes stellen sich unter den Schutz des hl. Franz v. Sales und machen es sich zur Aufgabe, die Tugenden des Priester- und Ordensstandes… zu üben.“

Ich halte es für gut, wenn wir wie die Heimsuchung Leute haben, die uns beigestellt sind. Nehmen wir einen Novizen, dessen Gesundheit und Gewohnheiten sich nur schwer an alle Vorschriften unserer Regel anpassen können. Er möchte aber doch gewisse Regeln befolgen. Er hat gute Anlagen, besitzt unseren Geist oder ist wenigstens empfänglich dafür. Ihn könnte man vielleicht als „Beisassen“ aufnehmen. Zunächst müsste dieser Novize gewisse Garantien geben, dass er treu zum Gros der Regel, zur Beständigkeit und zum Wunsch, bei uns zu verbleiben, steht. Nach einiger Zeit reiflicher Überlegung könnte er unter gewissen Bedingungen als „Beisasse“ der Zahl der Mitglieder der Ordensgemeinde beigesellt werden. Er genösse dieselben Rechte auf Unterhaltung, Kleidung, Unterkunft und körperlicher Pflege. Das geschähe in Übereinstimmung mit dem (General-) Oberen und seinem Rat. So wird es in der Heimsuchung geübt und man hat damit gute Erfahrungen gemacht.

„Die Patres sollen die vollständige geistliche Kleidung tragen, den Talar, das Zingulum…“

Wir tragen die Soutane, den römischen Kragen und das Zingulum. Jeder Pater hat ein Beffchen für verschiedene Gelegenheiten. Unsere Kleidung sei also stets dieselbe und habe dasselbe Gepräge. Es ist klar, dass Patres, die im Ausland leben, ihre Soutane schwerlich in Frankreich schneidern lassen können. Man möge dann die Soutane tragen, wie sie in Rom üblich ist.

„Die Patres können alle Ämter der Kongregation innehaben.“

Wer noch nicht Priester ist, aber viel Fähigkeit aufweist, könnte zum General-Subökonom ernannt werden oder zum Ökonom irgendeines Hauses. Das gibt es bei anderen Orden, z.B. bei den Marianisten. Diese Fragen werden nach Übereinkunft mit dem Generaloberen entschieden, der sich mit seinem Rat darüber bespricht.

„Man soll nur jene in die Kongregation aufnehmen, die wenigstens das sechzehnte Lebensjahr erregt haben und ein großes Verlangen nach der christlichen Vollkommenheit bekunden.“

D.h. man kann keine Gelübde ablegen, bevor man 16 Jahre alt ist. Die ersten zeitlichen Gelübde dagegen kann man mit 16 Jahren schon ablegen.

„Die Unterhaltskosten, die der Postulant zu erlegen hat, richten sich nach den Bedürfnissen des Hauses und der Leistungsfähigkeit des Postulanten.“

Dieser Artikel ist sehr weit gehalten und erlaubt es dem Generaloberen und seinem Rat, Novizen unter Bedingungen aufzunehmen, die ihnen passend erscheinen. Rom zeigt sich, was sehr verständlich ist, viel strenger gegenüber Ordensfrauen. Bei den Oblatinnen wird niemand aufgenommen, der nicht 500-600 Francs Rente mitbrächte, oder aber, in Ermangelung einer Rente, ein Diplom, Talent oder eine Fähigkeit aufwiese, die ihm ein Auskommen garantiert. Nach den Satzungen der Ordensfrauen kann niemand zugelassen werden, der nicht durch Hand- oder Geistesarbeit seinen Lebensunterhalt erwerben kann, oder aber er trägt diesen Unterhalt bereits finanziell in der Tasche. Bei Männern ist die Sache nicht so leicht, darum zeigen sich die Satzungen hier weiter.

Jeder möge darum bei uns verstehen, es ist durchaus gerecht, wenn auch die Satzungen weiten Spielraum gewähren, dass er beim Eintritt ins Kloster das Nötige zu Nahrung, Kleidung und Unterhalt beisteuert, damit man den anderen nicht zur Last fällt. Das kann geschehen durch Arbeit, Geld, Talente oder Eifer. Ja, zeigen wir großen Eifer, um der Genossenschaft große Hilfsquellen zu erschließen…

So haben wir z.B. unsere „Annales Salesiennes“. Werden sie nicht in genügender Zahl abgesetzt, so werden sie uns zu einer Belastung. Darum sollte ein jeder sich um Abonnenten bemühen. Wir haben ferner unser Priesterwerk, für das sich jeder interessieren sollte. Man kann nicht sagen: das ist nicht meine Sorge, das geht mich nichts an. Deine Sorge ist aber, zu leben. Kümmerst du dich nicht, der Kongregation Einnahmequellen zu verschaffen, wovon soll diese dann leben? Immer, wenn man Eifer zeigt, ist man ein guter Ordensmann. Förderst du das Wohl deines Hauses nicht, was bist du dann? Seht nur, wie in den Handelshäusern, in den Familien alle zum Wohl des Ganzen beitragen.

Der liebe Gott erhört die Wünsche unseres Herzens. Wenn wir etwas wünschen, und ihn darum bitten, gewährt er es uns. Das hat er versprochen. Wünschen wir es aber nicht, dann gibt er es uns auch nicht.

Das ist für uns eine Kapitalpflicht, dass wir uns für das Wohl der Genossenschaft interessieren. Eine Pflicht, die sich aus dem Begriff des Ordensstandes, aus dem Begriff des Armutsgelübdes ergibt. Das ist dermaßen wichtig, dass jeder Mensch spürt, wenn ihr von diesem Geist beseelt seid: dieser Ordensmann liebt seine Ordensgemeinde. Und alles ist dann erbaut und zu euren Gunsten eingenommen. Ohne das werdet ihr nicht geschätzt, seid ihr ein Torso, so als wäret ihr ein Hinkefuß, ein Einäugiger oder Einarmiger.

Hättet ihr bloß gehört, was die Gute Mutter von den materiellen Dingen, von den geschaffenen Dingen gesagt hat! Sie sagte: Gottvater spricht man die Schöpfung zu, Gottsohn die Erlösung, Gott dem Hl. Geist die Heiligung. Nun ist der Vater aber ebenso groß wie der Sohn und der Hl. Geist. Warum räumt man ihm dann so wenig Platz ein? Warum räumt man dem Gebrauch der materiellen Dinge eine so untergeordnete Rolle ein beim Werk unserer Heiligung, in den geistlichen Übungen des Ordensmannes? Mit Hilfe der Schöpfung und der stofflichen Dinge kann man sich doch ebenso heiligen wie mit Hilfe der geistlichen.

Das möge jeder von uns begreifen, meine Freunde. Wir wollen wohl losgeschält sein, aber nicht uninteressiert und egoistisch, und wenig oder gar nichts halten von dem, was uns nicht unmittelbar angeht. Im Ordensleben geht uns alles etwas an. Es gibt kein Ordensleben ohne Übung des Armutsgelübdes. Übt man aber nicht die Armut, wenn man sich bemüht, seinen Lebensunterhalt zu verdienen und den anderen ebenfalls dabei behilflich ist? Wer vergibt, die materiellen Dinge gehen ihn nichts an, ist ein vertrockneter und lebloser Ast am Baum.

Die Gute Mutter sagte, es sei ein grober Irrtum, in unserem Gehen zu Gott nicht das Geschaffene benutzen zu wollen, den gut und übernatürlich gebrauchten geschaffenen Dingen nicht den Platz einzuräumen, der ihnen im geistlichen Leben zukommt. Darauf müssen wir Gewicht legen, meine Freunde, und diese Wahrheit sollten wir im Noviziat tief in uns aufnehmen… Betrachtet den hl. Bernhard: er war bestimmt ein guter Ordensmann. Aber welche Wichtigkeit maß er den kleinsten materiellen Dingen bei! Lest nur die schönen Dinge, die er gesagt und geschrieben hat von dem „Lichten Tal“ (Anm. „clara vallis, Clairvaux.“), vom kleinen Bach, von der Mühle, von der Handarbeit seiner Mönche, etc.

D.s.b.