Kapitel vom 12.05.1897: Der Generalobere: gewählt auf Lebenszeit und die Vorzüge des Amtes
„Das Institut von einem Generaloberen geleitet, der auf dem Generalkapitel auf Lebenszeit gewählt wird.“
In den Kongregationen, die heutzutage ins Leben treten, hat man Mühe, einen Generaloberen auf Lebenszeit zu bekommen. Als wir Rom zum ersten Mal unsere Satzungen vorlegten, fuhren wir über Turin und baten Don Bosco um Rat. „Bleibt bei uns“, sagte er zunächst. „Das geht nicht“, antwortete ich ihm, „weil ich stehenden Fußes nach Rom gehe, um die Approbation unseres Satzungen zu erlangen.“ Und ich erzählte ihm einiges von unserem „Werk“ und der Sendung der Guten Mutter.
„In diesem Fall“, nahm er wieder das Wort, „erbittet in Rom an erster Stelle und sucht dort vor allem einen General auf Lebenszeit zu erhalten. Das ist äußerst wichtig für eine entstehende Genossenschaft. Wir selbst hatten viel Mühe, das durchzusetzen. Besuchen Sie in meinem Namen den Prälaten Soundso, er wird sich für eure Sache einsetzen und hat großen Einfluss. An diesem Punkt der Satzungen solltet ihr festhalten. Ist der General nicht auf Lebenszeit gewählt, so kann das sehr viele Schwierigkeiten heraufbeschwören. Ehrgeizlinge werden nach dem Generalamt streben, es entstehen Parteiungen und im Gefolge davon ernste Schwierigkeiten. Die Autorität ist nicht gefestigt. Neugründungen können vom Oberen beschlossen und zu seinen Lebzeiten wieder aufgehoben werden, weil sie nicht nach ihrem wirklichen Wert verstanden und eingeschätzt wurden. Solch ein Vorgehen vermittelt einer Kongregation nicht die notwendigen Hilfsmittel zu ihrer Konstituierung. Sie bleibt mehr oder weniger ohne fettes Fundament. Bittet Rom darum um einen Generaloberen auf Lebenszeit. Wenn ihr das durchsetzt, habt ihr viel erreicht.“
Ich habe den Rat Don Boscos befolgt. Beim ersten Versuch haben wir in Rom unser Vorhaben nicht durchsetzen können. Als wir unsere Satzungen aber erneut vorlegten, haben wir auch diese Bitte um einen General auf Lebenszeit erneuert, und diesmal wurde es uns endgültig gewährt. Was mich persönlich angeht, und wenn es sich nur um mich handelte, so hätte ich bestimmt nicht darum nachgesucht… Gewiss wird man nie der Ansicht sein, dass jene, die einem nachfolgen, es ebenso gut machen wie man selbst… Im Himmel denkt man vielleicht anders! Ich bin überzeugt, dass mein Nachfolger ebenso wie ich denken wird. Und obwohl er nicht stärker als ich am Amt des Generaloberen hängen wird, wird er doch auch die Nachteile erkennen, die Don Bosco aufgezeigt hat. Und Don Bosco hatte ein gutes Urteil und obendrein viel Erfahrung…
„Bei der Wahl führt der von der Propagandakongregation approbierte Delegierte oder, wenn diese es für richtig hält, der Assistenz den Vorsitz.“
Die Propaganda kann einen Delegierten schicken, der den Vorsitz im Generalkapitel führt, oder aber sie kann den Assistenten den Vorsitz führen lassen. Der Vorsitzende muss gewisse Bedingungen erfüllen, die die Ehrlichkeit und Freiheit der Wahrheit sicherstellen.
„Der (General-)Obere soll außer dem erforderlichen Alter über die für sein Amt notwendigen Kenntnisse und Tugend verfügen.“
Der Generalobere soll fähig sein, allen Erfordernissen die Stirn zu bieten, und auf alle Fragen, die ihm gestellt werden, eine Antwort geben. Er braucht aber kein Lizenziat oder Doktor (der Theologie) zu sein. Doch soll er eine hinreichende Kenntnis der Angelegenheiten haben, die sein Amt mit sich bringt, damit er einen Rat geben oder mit Hilfe des Generalrates alle anfallenden Fragen in vollem Bewusstsein der Sachlage entscheiden kann. Er muss sich also nicht in der Theologie auskennen, wie jeder ernstzunehmende Priester muss er die Dogmatik, Moral und Aszetik beherrschen, sondern er soll sie in so hinreichendem Maße besitzen, dass er die Ordensgemeinschaft leiten kann. Selbstverständlich wird er auch die Ordensregel unserer Genossenschaft gründlich beherrschen. Auch die Lehre des hl. Franz v. Sales wie der Guten Mutter muss er von Grund auf kennen. Steht er also mehr oder weniger fremd all diesen Fragen gegenüber, dann soll er nicht gewählt werden. Er würde ja den Zweck seines Amtes ganz und gar nicht erfüllen. Man hat ihn nicht zum General der Oblaten ernannt, damit er das tue, was überall geschieht. Gewiss sind es dieselben Amtspflichten wie überall, aber sie müssen auf eine verschiedene Weise und mit speziellen Mitteln erfüllt werden. Er soll sich also gut auskennen in allen Fragen, die unseren Geist, unsere Lehre, unsere Grundsätze und unsere Art zu handeln betreffen und die für uns Lebensfragen sind. Sonst könnte er nie die unbedingt notwendige Bedingung erfüllen, um gewählt zu werden, wenn er nicht gut im Bild und eifriger Anhänger unseres Lehrgutes, unserer apostolischer Werke, unserer Methoden und Handlungsweisen wäre. Soll er doch die Genossenschaft auf demselben Weg weiterführen, auf dem sie gegründet wurde!
Der Generalobere soll ein gesundes Urteil haben. Nun ist aber ein gesundes Urteil nicht jedem zugeteilt, weder in gleicher Qualität noch in gleicher Quantität. Man kann ein gutes Urteil in einer Sache haben, aber nicht in der anderen. Der Generalobere sollte aber in allen Dingen über ein gesundes Urteil verfügen. In seinen Ansichten soll er keinen Übertreibungen huldigen, noch in seinem Handeln Sonderbarkeiten aufweisen. Er muss einen gleichbleibenden Willen haben, und nicht heute das und morgen das wollen. Auch soll er nicht hin- und herschwanken zwischen allen möglichen Wegen und Unternehmungen. Der Erfolg bleibe ihm überall versagt. Seine Tugend muss erprobt sein. Natürlich darf er keine schlechten Sitten haben, noch dürfte man je etwas Ernstliches gegen ihn vorbringen können. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass der Ruf irgendeines Ordensmannes, der fälschlicherweise angegriffen wurde, kein Hindernis für seine Wahl darstellt, wenn sein Leben in Wirklichkeit als frei von Makeln anerkannt ist.
„Er soll bis zu einem gewissen Grad die Tugenden der Demut der Sanftmut und der Liebe besitzen…“
Von allen Tugenden ist die Demut am schwersten zu definieren. Man kann nicht genau sagen, wo sie anfängt und wo sie aufhört. Verfügt man aber über ein gutes Urteil, so hat man immer auch die geziemende Demut. Man beurteilt sich richtig nach seinem wahren Wert und ist kaum zum Stolz geneigt. Tugenden besitzen? Ist das nicht eine Wirkung der Gnade Gottes? Man ist tugendhaft, weil uns die Gnade zuvorkommt, weil sie uns in besonderem Maße beschützt und beschenkt hat. Hätte Gott uns nicht gestützt, wären wir vielleicht schlimmer geworden als irgendein anderer. Wären wir nicht von einer schützenden Mauer umgeben gewesen und gehalten worden, so wären wir wohl tiefer gefallen als die anderen. Hat uns Gott nicht die Fähigkeiten, die Intelligenz gegeben, deren wir uns zu rühmen versucht sind? Und das ohne jedes Verdienst unsererseits?
Hat man ein gutes Urteil, so sieht man ein, dass man, mag man auch viel wissen, viel mehr nicht weiß als man weiß. Ein gutes Mittel, die Demut zu bewahren, ist es, klar und richtig zu sehen, alles an den gehörigen Platz zu stellen und immer daran zu denken, dass der klügste und heiligste Mensch vielleicht, wenn ihm Gott nicht zuvorgekommen und mit seiner Sorge umgeben hätte, der dümmste und erbärmlichste Wicht wäre.
Die Sanftmut: Diese Tugend bewirkt im Generaloberen, dass er von niemand etwas verlangt, was er nicht geben und nicht leisten kann. Sie hat zur Folge, dass er nicht auf allzu schwachen Schultern eine drückende Last legt.
Die Nächstenliebe: All diese Tugenden haben im ausnehmenden Maße am hl. Franz v. Sales hervorgeleuchtet. Damit der Generalobere den anderen diese salesianischen Tugenden einflößen kann, muss er sie selbst besitzen. Nur so wird er mit Leichtigkeit, die Seelen in jenem Geist des hl. Franz v. Sales führen, die der unsere sein soll. Es bedarf schon einer großen Seelenstärke, um all diese Tugenden zu praktizieren. Oft heißt es da, auf seine eigenen Interessen und Ansichten zu verzichten. Man muss sich selbst beiseite rücken, um andere vorzulassen.
Was wir vor allem für den (General-)Oberen wie auch für jeden von uns von Gott erbitten sollen, ist ein gutes Urteil: Gib mir, Herr, die Weisheit, die an deiner Seite thront. Um diese Weisheit flehte schon Salomon. Erst das Urteilsvermögen macht den Menschen aus und verleiht ihm den wahren Wert. Durch das Urteil schätzen wir uns selbst und die anderen richtig ein. Es flößt uns den Geist der Sanftmut, der Nächstenliebe und der Demut ein. Es ist das kostbarste Gefäß, das jede Gottesgabe enthält. Seht nur, wie der hl. Stifter mit seinem guten Urteil die Seelen zu leiten verstand! Er hielt ihnen keine langen Vorträge über die Demut und Sanftmut. Aber er bemühte sich, die Seelen Schritt für Schritt zu diesem Leben einer beständigen und innigen Vereinigung mit Gott zu führen, die jeden Menschen erleuchtet. Zu diesem Licht ruft er auch uns. Wir sollen diesem Licht folgen, auf diesen Weg uns begeben. Dann wird Gott in dieser lenksam gewordenen Seele Größeres wirken als es in Predigten der Seelenführung und Übungen der erhabensten Tugenden vermocht hätten, die allzu schnell zu einer Last werden und den abstoßen, der sich ihnen hingeben möchte… Es lebte einmal ein guter und heiligmäßiger Professor der Theologie, Herr Godot. Er war bestimmt sehr tüchtig und von großer Tugend. Es ist sicher sehr schön, tugendhaft zu sein. Doch der gute Herr Godot war ganz und gar nicht salesianisch, sodass er die Seelen, mit denen er in Verbindung stand, sogar zwang, zu Gott zu sagen: „Lieber Gott, erweise mir die Gnade, mich im Himmel nicht in die Nähe des Herrn Godot zu setzen…“ Er war also tugendhaft und demütig, aber auch entsetzlich langweilig…
Während seiner Betrachtung wollte er nicht gestört werden. Seine Hausangestellte Johanna tat dies aber doch eines Tages. „Jeanette, lassen Sie mich in Ruhe!“ Sie spricht ihn ein zweites Mal an. „Jeanette, Sie fallen mir auf die Nerven!“ Sie versuchte es noch einmal. „Jeanette, Sie belästigen mich…“ Sie macht einen 4. Angriff und erhält eine saftige Ohrfeige… Das war also der geistliche Blumenstrauß aus der Betrachtung des Herrn Godot über die Geduld und die Sanftmut!
Du bist zur üblen Nachrede geneigt. Du wirst also dein Partikularexamen darüber anstellen. Das ist gut und du sollst dieses Mittel gebrauchen. Wenn du dich aber nur auf das verlässt, wirst du nicht weit kommen. Trachte vielmehr, deinen Willen so beständig wie möglich mit dem Willen unseres Herrn zu vereinigen und das zu lieben, was er geliebt hat. Dann wirst du auch deinen Nächsten lieben und nicht mehr über ihn Nachteiliges sprechen.
Vom Generalrat.
Der Generalobere kann, nach vorheriger Stellungnahme durch den Generalrat, Käufe tätigen, ohne die Genehmigung des Hl. Stuhles dafür einzuholen. Die Güter der Genossenschaft gehören ja auch der Kirche. Ihr, der Kirche, kann man jederzeit Güter übergeben. Um aber Güter, die uns gehören, zu veräußern, bedarf es der Erlaubnis des Hl. Stuhles.
D.s.b.
