Kapitel vom 17.03.1897: Wie man Schaden von der Keuschheit abwendet
„Sie sollen dem Oberen die Gründe unterbreiten, warum sie mit Frauen unterbreiten, warum sie mit Frauen aus dem Ordens- oder Laienstand in Verbindung stehen müssen…“
Nehmen wir an, ein Pater muss eine bestimmte Kommunität leiten. Es ist klar, dass er dann die Verantwortung über sie trägt. Alle Beziehungen, die er dabei mit Ordensfrauen oder Weltleuten unterhält, ergeben sich aus der Situation, dem Posten und seinem Dienst. Darum kann er dem Oberen nicht über jede Einzelheit seiner Pflichten auf dem Laufenden halten. Dennoch ist es gut, sich nicht allzu sehr von seinem Oberen fernzuhalten. Es ist ratsam, sich selbst mit dem Generaloberen, dem Provinzial oder dem Visitator zu besprechen, falls man mit etwas ungewöhnlichen Menschen oder mit angeblich übernatürlichen Fakten zu tun hat. Da heißt es klug vorgehen, ernste Ratschläge einholen und alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen ergreifen.
Wir sind Oblaten, meine Freunde, und das heißt es niemals vergessen. Für die Seelenführung gibt man uns eine besondere Weisung: Für die Seelenführung gibt man uns eine besondere Weisung: uns an die Methode des hl. Franz v. Sales zu halten. Verzichten wir nie auf seine Methode und kehren wir immer von neuem zu ihr zurück.
Bei aller Güte und Hingabe dürfen wir nie vertraulich werden. Lassen wir uns nicht auf alle möglichen Mitteilungen ein, sondern wahrt immer bei den Seelen, die ihr zu führen habt, eine gewisse Zurückhaltung und Distanz. Trachtet nicht danach, ihre Busenfreunde zu werden, euch interessant und unersetzlich zu machen. Damit hättet ihr nur wenig Erfolg und würdet nichts Wertvolles schaffen.
Gebrauchen wir also in der Seelenführung die Hilfsmittel des hl. Franz v. Sales. Werden wir nie persönlich. Man sollte nicht den Menschen, die menschlichen Ideen, menschliche Zuneigung und menschliches Wünschen heraus merken. Das könnte zwar zur Folge haben, dass wir die Zuneigung der Seelen nicht erringen, aber wir erobern wenigstens ihre Hochschätzung, und das ist vorzuziehen. Oft lässt man sich bei Frauen in eine Menge von Einzelheiten, Mitteilungen und Fragen ein, unter dem Vorwand, ihr Vertrauen gewinnen zu müssen. In Wirklichkeit ist dies das Mittel, es hurtig zu verlieren.
Ist man Beichtvater einer Ordensgemeinde, so soll man sich sagen: das habe ich zu tun, und das schreibt ihre Ordensregel vor: Ich darf also nicht meine eigene Art zu urteilen in die Kommunität hineintragen. Wendet vielmehr eure ganze Intelligenz auf, ihre Regel zu ergründen und sie ihnen verständlich zu machen, von ihnen üben zu lassen, ohne euch in nichtige Details einzulassen. Dabei würdet ihr euch nur verlieren und nichts Rechtes leisten.
Man macht großes Aufhebens von der Seelenführung, und doch ist sie so einfach. Für Weltleute gilt als Richtschnur allein die Theologie, für Ordensleute ihre Regel. Und noch einmal: suchen wir nicht interessant zu sein. Damit gewinnt man kein Vertrauen. Haltet euch möglichst heraus, und seid ihr gegen euren Willen hineingeraten, so bedarf es vieler Klugheit, Weisheit und vielen Gebetes. Damit greift man nie daneben und geht keine Irrwege. Oblaten müssen so handeln.
Sollen die Oblaten die Seelen, die sie zu führen haben, dahin bringen, dass sie nach der Methode des hl. Franz v. Sales beten und in seinem Geiste leben? Selbstverständlich, dazu sind wir ja berufen. Wir müssen sie anhalten, Methode und Mittel des hl. Franz v. Sales gebrauchen. Das sind übrigens in unserer Zeit die wirksamsten Mittel. Das meint auch die hl. Kirche, wenn sie sagt, die Lehre des hl. Franz v. Sales sei ein ebener und sicherer Weg.
Glaubt aber eine Seele, außerordentlicher Gunsterweise Gottes gewürdigt zu werden, so soll sie ihren Vorgesetzten um Rat fragen, in aller Klugheit und Diskretion. Wir sagten es bereits. In diesen Fällen heißt es zwei Extreme vermeiden: allzu ungläubig und widerspenstig sein, und andererseits durch allzu große Leichtgläubigkeit fehlen. Gott hat die Macht, außerordentliche Dinge zu wirken, wann immer er will. Tut er dies aber jedes Mal, wenn es behauptet wird? Bestimmt nicht.
In unserem brieflichen Gedankenaustausch müssen wir, wie gesagt, sorgsam die Ausdrücke meiden, die eine allzu große menschliche Zuneigung wie Vertraulichkeit verrieten. Unser Moralprofessor am Großen Seminar, Herr Chevalier, ich zitiere ihn gern, sagte uns: Schreibt ihr an eine Frau, die euer Beichtkind ist, so versetzt euch in die Gegenwart ihres Gatten oder ihres gewöhnlichen Beichtvaters. Seid überzeugt, dass euer Brief auf diese oder jene Weise in deren Hände fällt, in die Hände des Gatten, des Vaters, der Mutter, des Bruders, etc. Dann werdet ihr vorsichtig sein und keine Dummheiten schreiben.
Meine Freunde, wir sollten uns keine Illusion machen, und das tut man so leicht! Manchmal ist man versucht zu sagen: Ich habe soeben gut gesprochen, gut gehandelt! Nicht jeder brächte dasselbe fertig… Was sind das für Kindereien, eines ernstzunehmenden Menschen unwürdig! Hat man wirklich gut gesprochen, so verdankt man das doch der Gnade Gottes. Hat man seine Sache aber schlecht gemacht, so soll man die Schuld nur bei sich selber suchen.
Die alten, betagten Beichtväter sollten manchmal ihren Vorrat an Ratschlägen und Ermahnungen auffrischen und erneuern. Man geht nicht gern zu alten Beichtvätern seine Sünden beichten. Das Sprichwort sagt: alte Ärzte, aber junge Beichtväter! Wenn man Intelligenz und alle Arten von Wohlgerüchten (allgemeine Heiterkeit…). Ist das aber schlecht? Bestimmt nicht. Es sind gute Eigenschaftem, sogar wertvolle, ein gutes Herz, eine reiche Phantasie, Schwung und Lebhaftigkeit zu besitzen. Es sind Himmelsgaben. Man darf aber auch die Blumen, die man am Fronleichnamsfest vor die hl. Eucharistie streut, nicht entweihen, indem man sie für einen anderen Kult verwendet.
Neulich führten im Pfarrheim St. Jean junge Mädchen ein Theaterstück auf. Nachdem äußerte jeder seine Ansicht darüber. Einer von ihnen, der hochwürdige Herr Jossier, sagte zu mir: „Wie schön das war!“
Ich musste weinen, so war ich ergriffen! Ich sagte zu mir selbst: „Er hat eine so hohe Empfindsamkeit des Gemütes. Er wird sicher ein so guter Redner werden wie sein Onkel.“ Diese Dinge sind also nicht schlecht. Man muss dem lieben Gott dafür danken. Vergessen wir aber nicht, dass man leicht Missbrauch damit treiben kann. Nimmt man diese menschlichen Gaben demütig und gläubig entgegen und bedient sich ihrer, kann man aus ihnen größten Nutzen ziehen. Aber noch einmal: Missbrauchen wir diese Gaben in unseren Beziehungen zu den Seelen nicht. Das hieße ja, sie profanieren, wollte man sie jemand weihen, der darauf keinen Anspruch hat.
„In den apostolischen Werken und in der Ausübung des priesterlichen Dienstes sollen sie mit großer Sorgfalt alles vermeiden, was auch nur den leisesten Verdacht gegen die Tugend erwecken könnte.“
Darauf soll man sehr achten. Möge alle Böswilligkeit und Gottlosigkeit niemals in unserem Wandel einen Grund für die Verleumdungen finden. Klugheit ist eine Tugend, das darf man nicht vergessen. Manchmal fühlt man sich von Natur aus gedrängt, dies und das um jeden Preis zu wagen. Ein gutes Urteil aber ist Grundlage der Klugheit. Es kommt vor, dass man sich nicht klar ist über all die Umstände, in denen man sich befindet. Da sollte man dann beten: „Gib mir Herr die Weisheit, die an deiner Seite thront, dass sie mit mir sei und arbeite.“
„Sie seien sich stets bewusst, dass Gott nie segnet, was man zur Befriedigung der Neigungen des Herzens oder der Eigenliebe tut…“
In unserer Guten Meinung haben wir das große Gegenmittel gegen das Sich-selbst-Suchen des Herzens und der Eigenliebe. Wenn wir die rechte Gesinnung erwecken, unterwerfen wir das Gelingen unseres Mühens dem Willen Gottes. Haben wir Erfolg, so empfinden wir Freude, denn der Anblick des Guten beglückt immer. Haben wir Misserfolg gehabt und konnten wir das gewünschte gute nicht vollbringen, so sind wir mit dem zufrieden, was wir gewirkt haben, da Gott es so für richtig fand. Suchen wir hingegen unser Gefallen in unserem Tun, so schickt der liebe Gott Prüfungen und lässt mitunter das völlige Misslingen unserer Unternehmungen zu, und manchmal vor allem die Verleumdung.
„Um das Gelübde der Keuschheit leichter halten zu können, sollen sie bei ihren Mahlzeiten stets sehr mäßig sein…“
Bei allen Mahlzeiten sollen wir nicht die vorgeschriebenen Abtötungen vergessen. Manchmal ist sie ja so leicht zu üben… Wir leben in einer Gemeinschaft und haben nicht, was wir gern möchten und wünschen. Man setzt uns etwas vor, was wir gar nicht essen wollen. Eine unbedeutende Kleinigkeit also… und doch ist es unsere Abtötung. Was bleibt uns davon? Ein übernatürliches Verdienst. Meine Freunde, wir wollen die Dinge nach Art des hl. Franz v. Sales annehmen, der freudig die Selbstüberwindung übte, wenn man ihn schlecht bediente, der aber auch eine Möglichkeit fand, sich zu überwinden, wenn man ihn gut bediente. Das ist sittlich wertvoll, denn unsere innere Absicht, die Einstellung unseres Willens bestimmt das Verdienst. Vergessen wir das nicht, wir Oblaten, d.h. Menschen, die mit Gott allezeit, vereinigt sind. Nutzen wir jederzeit alles, was er uns schickt, dann sind wir wahrhaft jeder Situation gewachsen.
„Sie sollen den Müßiggang fliehen, der aller Laster Anfang ist und andauernde Beschäftigung als Schutz für ihr Gelübde der Keuschheit betrachten.“
Ein kraftvolles Mittel, der Versuchungen jederzeit Herr zu werden, ist ununterbrochene Beschäftigung. Unser Verstand rostet übrigens, wenn er nicht beschäftig wird. Haben wir wirklich nichts für ihn zu tun, können wir ihn dann nicht, sobald unsere materielle oder intellektuelle Arbeit aufhört, mit geistlichen und übernatürlichen Dingen beschäftigen? „Mein Vater wirkt bis zu dieser Stunde und ich mit ihm.“ Wir müssen es unserem Herrn gleichtun in dieser wie in jeder Hinsicht. Der Heiland wirkt also wie sein Vater ohne Rast, bis zu dieser Stunde. Die Arbeit ist somit etwas Heiliges, ist eine Wache für unser Herz.
In diesem Zusammenhang lege ich jedem die persönliche, private Arbeit ans Herz. Tut etwas, wo immer ihr seid. Ihr verspürt Lust zum Predigen? Warum euch auf die Predigttätigkeit vorbereiten? Oder für die Naturwissenschaften? Warum sich ihnen nicht, wann immer ihr eine freie Minute dafür findet, etwas hingeben? Entwickeln wir doch gern die Gabe, die in uns steckt! Jeder möge in sich einen besonderen Zug und Hang haben und pflegen, indem er natürlich alles dem Gehorsam unterwirft und dafür sorgt, dass dies in keiner Weise seinen Berufspflichten schadet und die allgemeine Ordnung stört. In einer Kommunität sollten sich alle nur möglichen Fähigkeiten vorfinden. Darum soll jeder zu erkennen suchen, was in ihm verborgen liegt. Er darf auch nicht seiner erbärmlichen Eigenliebe nachgeben, indem er den anderen daran hindert, seinem persönlichen Zug zu folgen… Diese Weite des Geistes ist ein Zeichen hoher Intelligenz. Wir hatten einst als Generalvikar hier in Troyes Herrn Roizard, der im Ruf stand, der beste Pfarrer der Diözese zu kleinen Plan unterbreiten, macht er uns jedes Mal Mut, ihn auszuführen. Er geht auf unsere Ideen ein und geht über unsere Vorschläge noch hinaus, indem er unauffällig alles Unpassende daran ausmerzt und die besten Ratschläge erteilt, um sie zum Gelingen zu bringen.
In einer Ordensgemeinschaft sollte man ebenso vorgehen. Vor jedem müssen wir Achtung haben. Wer etwas seinem inneren Zug gemäß unternimmt, den sollten wir nicht lächerlich machen und uns nicht gegen sein Tun sperren, das dem Gehorsam entspricht. Das ist eins der großen Geheimnisse der Ordenslebens: seinen Mitbrüdern helfen, dass sie ihre gottschenkten Gabe zur Entfaltung bringen. Bitten wir Gott darum. Denn so will es der echte Geist des hl. Franz v. Sales.
Nicht weil du überzeugt bist, was dein Mitbruder unternimmt, werde scheitern und im Sande verlaufen, wird es wirklich misslingen. Warum einen Mitbruder daran hindern, über dich hinauszugehen und hinauszusehen? Fürchtest du etwa, er könne dich in den Schatten stellen? Und dann? Was wäre das schon für ein Unglück? … Selig jene, die ein reines und keusches Herz haben, weil sie Gott in allem sehen, was sie tun, weil sie Gott in den guten Qualitäten ihrer Seele schauen und sich auf seine Hilfe verlassen können.
D.s.b.
