Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 10.03.1897: Über das Gelübde und die Tugendhaftigkeit der Keuschheit

Was unser Gehorsamsgelübde betrifft, so bestehe ich auf dem, was ich das letzte Mal ausgeführt habe. Hier gilt es eine Entscheidung zu treffen, einen frommen und philosophischen Entschluss zu fassen: Ich will Ordensmann sein, und ich werde es sein, koste es, was es wolle. Kommen große Schwierigkeiten über uns, so überwindet man sie mit größerem Mut und Energie. Aber euer Gehorsam sei vernunfterhellt! Der Gehorsam muss also von einem Prinzip ausgehen, das unserer Vernunft gerecht wird. Anderenfalls wäre es recht schwierig, selbst mit der Gnade Gottes, in sich die nötige Kraft zu finden, um ununterbrochen unsere Fehler und unseren Eigenwillen zu beherrschen. Wenn man sich das ganz klar gemacht hat, wenn man sich darüber seinen Grundsatz und seine Entscheidung gebildet hat, wird der Gehorsam gewiss noch Opfer verlangen. Er bietet aber bedeutend weniger Schwierigkeiten.

Halten wir uns eng an den Gehorsam. Er ist unsere Rettung. Die Kirche ist nichts anderes als eine große Schule des Gehorsams: Man gehorcht dem Evangelium, dem Papst, allen Gesetzen, die sie verkündet hat. Der Gehorsam hat nichts an sich, was herabmindert oder erniedrigt. Im Gegenteil, er adelt unseren Charakter und unsere Persönlichkeit. Im Übrigen ist es viel edelmütiger zu gehorchen als es nicht zu tun. Verweigert man nämlich den Gehorsam, setzt man sich dem entgegen, der befiehlt, so folgt man seiner Lust und Laune, die mitunter mehr oder weniger ehrenhaft sind. Gehorcht man aber, so dient man all dem, was in uns wahrhaft groß ist. Wer versteht es denn zu gehorchen? Fast nur die Menschen, die in Wahrheit überlegene Menschen sind. Die Menschwerden, das Beispiel des Gottmenschen, waren notwendig, um uns die Größe des Gehorsams verständlich zu machen. Unter diesem Blickwinkel ist der Gehorsam wirklich schön…

Wir wollen darum bitten, dass der liebe Gott uns Laienbrüder schickt. Es ist sehr schwer, gute Brüder zu finden, jetzt, wo die Erziehung nicht mehr christlich ist.

Gelübde und Tugend der Keuschheit. „Da die Keuschheit eine der wichtigsten Zierden des Ordensstandes ist, werden die Oblaten sie besonders sorgfältig hüten…“

Die vollkommene Keuschheit ist die Eigentümlichkeit des geistlichen und besonders des Ordensstandes. Im geistlichen Stand (des Weltklerus) legt man eher ein bloßes Versprechen ab, das nicht dieselbe Ausdehnung hat wie das Gelübde. Dieses Versprechen besteht darin, alles zu vermeiden, was die heilige Tugend verletzen kann. Es verpflichtet aber nicht zur Praxis der mehr positiven Seite des Gelübdes. Es erstreckt sich nicht auf alle Feinheiten der innersten Herzens- und Liebeshingabe an unseren Herrn, schließt also durchaus nicht die volle Betätigung der Tugend ein.

„Sie werden daher mit stets erneuter Wachsamkeit all ihre inneren und äußeren Sinne bewachen.“

Es heißt also, seine Augen, Ohren, Gedanken und Vorstellungen, sein ganzes Herz, wohl behüten, dass nichts diese schöne Tugend verletze. Beachtet im Äußeren gut diese Vorsichtsmaßnahme. Setzt euch nicht der Versuchung aus. Gebraucht die Regeln der Vorsicht und Klugheit, wenn ihr auf die Straße geht. Es kommt mitunter vor, dass Frauen und Mädchen aus Arbeiterkreisen euch Schmähworte zurufen. Gebt ihnen keine Antwort! Ich weiß wohl, dass man manchmal versucht ist, sie durch ein kurzes Wort in die Schranken zu weisen. Tut es nicht. Geht weiter, ohne etwas zu sagen. Euer Wort würde überdies schlecht aufgenommen, ausgelegt und wiederholt werden. In Anbetracht der Schlechtigkeit der Zeitungen könnte dies sogar Folgen haben. Man soll also keine geistreichen Bemerkungen machen wollen in solchen Umständen, es würde zu nichts führen. Und dann, widerspräche, das nicht dem klösterlichen Geist der Demut und Selbstüberwindung, der Schläge entgegennimmt, ohne sie zurückzugeben?

„Sie sollen mit einer ständigen Wachsamkeit über ihre Blicke wachen und sie nie bei etwas Gefährlichem verweilen lassen.“

Diese Regel der christlichen Sittsamkeit heißt es wohl beachten. Wir sollen über unsere Blicke wachen und sie nie auf schlechte und gefährliche Dinge richten. Es kostet immer eine Überwindung, sich der Blicke zu enthalten, die nicht von vornherein ganz schlecht sind. Da sollten wir an das Wort der Hl. Schrift denken: „Der Tod steigt durch das Fenster ein.“ Die Fenster der Seele sind aber die Augen.

Man führt zahlreiche Beispiele dafür an, welche Gnaden Gott den Seelen schenkt, die sich der Abtötung der Augenlust befleißigen. Macht selbst diese Erfahrung, und ihr werdet sehen: Wenn ihr nicht seht, was ihr nicht sehen sollt, wird euch Gott Dinge schauen lassen, die ihr in Wahrheit schauen sollt. Versucht es nur, meine Freunde. Um einen Schüler zu ertappen, der euch beschwindelt und dumme Streiche begeht. Um ein gutes Urteil in seelischen Dingen zu erlangen, gibt Gott denen Licht und Einsicht, die ihre Augen nicht für neugierige Zwecke gebrauchen: „Herr gib, dass ich sehe!“

Es besteht ein Ausgleich zwischen den Gesetzen der Natur und der Gnade. Beschwert man die eine Seite der Waage, geht die andere Waagschale hoch. Zwischen den beiden Verhaltensweisen besteht ein exaktes Verhältnis. Das alles sind vielleicht kleine Dinge, doch die Heiligen geben sehr darauf acht. Noch einmal: Wir sind keine Maschinen und kein Waagbalken, der nur funktioniert, wenn man ihn in die richtige Position bringt. In unserem religiösen Leben ist eine Unzahl von kleinen Gesetzen zu beachten, die sich nur bemerkbar machen, wenn man recht aufmerksam und treu ist.

„Sie sollen auf ihre Worte achten und sich nie ein Gespräch oder einen Ausdruck erlauben, der diese hl. Tugend verletzen könnte.“

Man muss gut auf sich achtgeben, wenn man sich kein Wort oder keinen Ausdruck durchgehen lassen will, der schlechten Eindruck macht. Ich weiß wohl, dass in diesen Dingen unsere erste Erziehung (in der Familie) ausschlaggebend ist. Wenn man jung ist, gewöhnt man sich gewisse Redewendungen an, die man nicht übel ansieht, die aber in Wirklichkeit nicht sehr schön sind und schockieren und skandalisieren können. Besonders in Gegenwart von Kindern heißt es da vorsichtig sein. Mitunter kann man unglaubliches Unheil anrichten, wenn man nicht auf der Hut ist. Ein unüberlegtes Wort, das uns entgleitet, erweckt den Eindruck, wir nähmen im Grund unserer Seele die wichtigsten Dinge auf die leichte Schulter. Und die Kinder ziehen daraus manchmal ganz ungewöhnliche Folgerungen.

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass wir in unseren Beziehungen zu Weltmenschen, besonders Frauen, jedes Wort vermeiden müssen, das allzu menschliche Zuneigung verriete, sowie jede Äußerung, die nicht der strengsten Keuschheit entspricht. Große Wachsamkeit und Klugheit ist da von Nöten. Und müssen wir manchmal zwangsläufig auf gewisse Einzelheiten eingehen, heißt es sehr achtgeben, dass wir nicht bei unseren Gesprächspartnern den Eindruck erwecken, all das habe in unseren Augen nicht viel Bedeutung.

„Sie sollen über all ihre Gedanken wachen und sich nie einen erlauben, der auch nur den Schein der Sünde haben könnte.“

Man muss jeden schlechten Gedanken vermeiden. Sich dabei aufhalten ist ein Vergehen. Das lehrt die Theologie. Da kommt uns ein böser Gedanke. Wenn wir nun, statt ihn auszuschlagen, daran festhalten, liegt offenbar ein Fehler vor, den wir beichten müssen. Er ist umso schwerer und gefährlicher, als er uns mehr oder weniger direkt zur Unkeuschheit führt.

„Sie sollen ihr Herz bewachen, Gott allein anhangen und eifersüchtig darauf bedacht sein, keiner anderen Liebe als der seinen Einlass zu gewähren.“

Das sollen wir wohl beachten in den Zuneigungen, die wir für unsere Kinder haben können. An ihnen auf allzu natürliche Weise hängen, verwässert unsere übernatürliche Liebe und ist überdies eine schwere Gefahr für unsere Sittlichkeit. Man soll sein Herz auch nicht an Frauen hängen. Für gewöhnlich ist das eine Selbsttäuschung, die zu großen Unordnungen und zu Unglücksfällen führt. Sich an eine Frau hängen, ist eine Schwäche. Ich weiß wohl, dass man nicht absoluter Herr darüber ist, ob man schwach ist oder nicht. Das liegt in der Natur eines jeden begründet. Wir müssen unsere Natur annehmen, wie sie ist, und versuchen, sie besser und heil zu machen. Verspüren wir in uns ein Bedürfnis nach Liebe, so wollen wir uns an Gott wenden. In ihm finden wir alles, was wir brauchen, um glücklich zu werden. Wenn es also geschieht, dass ein Ordensmann sich zu solchen Zuneigungen hinreißen lässt, ist er kein Ordensmann mehr. Bald wird er vielleicht ein unnützer und gefährlicher Mensch sein.

Das große Heilmittel für solch ein Unglück ist es, sich dem Beichtvater zu eröffnen, ihm sagen, was man leidet, von ihm ein Mittel erbitten, um sich davon zu befreien. Vertraut man sich ihm so an, beginnt man zu kämpfen, dann verleiht Gott außerordentliche Gnaden zu siegen. Dann sind wir für den Kampf gewappnet. Gott stellte zu unserer Verfügung die Leuchten einer schönen Intelligenz. Vermehren wir sie jeden Tag durch Studium, Betrachtung und ernste Erwägungen. Gott gab uns die Fähigkeit zu lieben, er gab uns ein Herz. Gott gab uns die Fähigkeit zu lieben, er gab uns ein Herz. Erweitern und adeln wir es, dieses Herz, indem wir es ganz der Gottesliebe ausliefern. Wenn wir unser Herz aber natürlichen Zuneigungen überlassen, richtet das allzu oft nicht wiedergutzumachende Verwüstungen an. Am Anfang heißt es viel kämpfen. Die von solchen Erbärmlichkeiten heimgesucht werden, sind wahrhaft unglückliche Menschen. Wenn sie aber tapfer kämpfen, werden sie triumphieren. Sie werden dann einen tiefen Frieden genießen, und der liebe Gott verleiht ihnen große Macht über die Seelen.

Die anderen hingegen, die schwächlichen Seelen, die sich solchen Armseligkeiten hingeben, die schwächlichen Armseligkeiten hingeben, sah ich immer ein unglückliches Leben führen, das mehr als einmal schlecht geendet hat. Gott ist ein eifernder Gott. Wenden wir von ihm unser Herz ab, um es irgendwo anders anzuklammern, dann zieht er eines Tages das Brett unter unseren Füßen dort, und wir stürzen in den Abgrund.

Was die Versuchungen gegen die hl. Reinheit betrifft, so hat jeder seinen Teil davon zu tragen. Der hl. Paulus selbst hat sie erduldet: „Ein Stachel des Fleisches wurde mir gegeben, ein Engel Satans, dass er mir ins Gesicht schlage.“ Das Mittel, den sündigen Gedanken und die Gelegenheit zur Sünde zu meiden, ist Gebet und Fasten, indem man sich in der Nahrung, den Vergnügungen und Genüssen des Geistes, des Herzens und des Leibes einen Zwang auferlegt. Der Kampf besteht nicht darin, frontal anzugreifen, wobei wir riskieren würden zu unterliegen. Wir fliehen vielmehr die nächste Gelegenheit und lassen uns auf keine Diskussionen unseres Verstandes ein, weder mit uns noch mit anderen. Ferner gilt es, zur hl. Jungfrau sowie zum Schutzengel seine Zuflucht nehmen. Über allem aber heißt es, alle Weichlichkeiten und Sinnlichkeiten im Lebenswandel zu meiden, die Befriedigung im Essen und Trinken einschränken. Man soll ein geordnetes und hochherziges Leben führen, damit wir über die nötige Widerstandskraft verfügen.

Wozu die Versuchungen? Zunächst sind sie eine Folge der Erbsünde. Sodann liegen sie im Plan der Vorsehung als ein mächtiges Mittel zur Selbstheiligung. Sie vermitteln der Seele mehr Energie als es die strengsten Bußübungen vermöchten. Die am meisten versucht werden, härten ihre Seele ab für alle anderen Lebenskämpfe. Ohne Zweifel belohnt Gott die Seele, die kämpft. Wären wir wirklich treu, dann würden wir Gott sogar bitten, uns Versuchungen zu schicken… Danken wir ihm wenigstens dafür, dass er welche schickt…

D.s.b.