Kapitel vom 03.03.1897: Über die Praxis der Buße während der Fastenzeit
(Vor dem Eintreten der Novizen): Einige von den jungen Professen, die wir soeben zugelassen haben, bezeugen mir, dass sie den lebhaften Wunsch haben, das Ordensleben aufs Gewissenhafteste zu führen. Wollen wir weiterhin gute Professen haben, dann müssen wir die Mittel anwenden, die in allen Ordensgemeinschaften angewendet werden: Die jungen Professen sind zwar keine Novizen mehr, dennoch müssen wir ihnen etwas geben, was sie ein wenig mit dem Noviziat und seinen Gewohnheiten verbindet. Solange sie Novizen waren, wurden sie im klösterlichen Leben ausgebildet, hatten eine Leitung und wurden in unsere Bewegung eingereiht. Darin sollten sie es aber zur Vollkommenheit bringen. Es sind frisch gepflanzte Bäumchen, die ihre Wurzeln noch tief ins Erdreich absenken müssen, um daraus ihre Nahrung zu ziehen und den Stürmen zu widerstehen. Sie müssen sich auch an die Glut der Sonne gewöhnen.
P. Chambelland soll darum euer Meister und P. Ozanam sein Assistent sein. Meine Freunde, schließt euch eng zusammen und liebet einander! Wenn ihr fest zusammenhaltet, werden euch die Noviziatsübungen keine Schwierigkeiten bereiten. Ihr werdet mehr Kraft haben, euren Widerwillen zu überwinden. Während des Noviziates habt ihr euch an die Praxis der Gelübde allmählich gewöhnt, jetzt ist es an der Zeit, sie in allem Ernst zu halten.
Und ich wünsche dringend, dass ihr das tut, meine Freunde. Und noch einmal: liebt einander!
Stützt euch gegenseitig bei den verschiedenen Übungen, in euren Studien, in euren Klassen. Wir sind jetzt verpflichtet, euch zu prüfen und genau zu sehen, was ihr leisten könnt. Das ist ein ernster und wichtiger Augenblick. Macht euch also mit ganzer Seele ans Werk. Ich sage euch ja: wir müssen euch studieren, um euch gut kennenzulernen, um euch dann den Arbeitsplatz zuzuweisen, der für euch passt und zu dem ihr befähigt seid. Es fehlen euch ja nicht die Fähigkeiten. Ihr seid eine Schar junger Männer, die bestimmt guten Willen haben. Lasst euch formen und meißeln, und macht euch auch eurerseits zu einer Einheit zusammen. Das wird euch dann umso enger an die Kongregation ketten. Glaubt mir, meine Freunde, die Liebe ist ein sehr starkes, aber auch ein mildes Band. Man liebt ja immer mehr jene, mit denen man als Kind und junger Mensch zusammengelebt hat, seine Studiengenossen und Noviziatsgefährten. Das sollt auch ihr tun.
Ich lade euch ein, gut zu profitiere von der Leitung des P. Chambelland. Er versteht es, euch zu führen und wird Verständnis für jeden von euch haben. Er gibt sich ganz seiner Aufgabe hin und ist intelligent. Ich wohnte kürzlich seiner ersten Konferenz über die Kirche bei, die er vor den Oblatinnen hielt, und staunte über die Ordnung, die Vortragsweise und die Exaktheit all dessen, was er da sagte. Ich kannte sicher seine Fähigkeiten schon vorher, wusste aber nicht, wie ungewöhnlich diese waren. Geht zu ihm also mit Vertrauen.
(Nach dem Eintreten der Novizen). Heute, meine Freunde, beginnt die hl. Fastenzeit. Wir müssen fasten und sind verpflichtet, Buße zu tun. Dispens vom Fasten und Abstinenz ist keine Dispens der Bußpflicht. Man ist zu der Art von Buße verpflichtet, die man leisten kann. In der Heilsordnung der Vorsehung ist es absolut notwendig, Buße zu tun: „Tuet Buße!“
Ohne Buße kein Sündennachlass, kein Lohn für gute Werke. Wie sollen wir aber Buße tun? Könnten wir fasten, wie die hl. Kirche es vorschreibt, so wäre dies zweifellos die beste Buße, das beste Fasten, das wir üben könnten. Wo immer die Gesundheit das erlaubt, erfüllt es die Seele mit Freude und man ist in Wahrheit glücklich. Die Ordensleute der strengen Bußorden sind für gewöhnlich sehr fröhliche Menschen. Es wäre darum recht wünschenswert, wenn wir so fasten könnten, wie die Gesetze der Kirche es vorschreiben. Doch der Mehrzahl aus uns ist das wegen unserem Einsatz im Schulunterricht kaum möglich. Wie also in der Praxis Buße tun?
Zunächst müssen wir gewissenhaft prüfen, was wir in der Hinsicht tun können. Können wir nicht alle Vorschriften der hl. Kirche befolgen, so sollen wir wenigstens versuchen, irgendetwas zu tun, und zwar alles, was wir vernünftigerweise tun können. Wir wissen, dass die Theologie die Schulleiter dispensiert, das ist klar. Sind wir aber keine Lehrer oder sonst nicht mit Arbeit überhäuft, so wollen wir vor Gott und mit unserem Beichtvater prüfen, was wir leisten können. Warum sollten jene, die es können, sich beim Frühstück nicht mit etwas Brot zufrieden geben, mit dem „frustulum“, also der Theologie? Indem man so seinen Magen hinhält, lässt sich mit Hilfe dieser Kleinigkeit oft vermeiden, dass ihm zu viel zugemutet wird. Strenges Fasten kann nämlich schädlich sein und Kopf- und Magenbeschwerden verursachen. Kann man somit diese Art Fasten vornehmen und durch solche Milderung (der kirchlichen Fastendisziplin) der Kirche gehorsam bleiben, so erbaut da umso mehr und entspricht mehr der Kirchenzucht.
Beim Mittagessen nimmt man das, was einem vorgesetzt wird. Man vergesse aber die übliche Abtötung bei Tische nicht. Jeder möge seine kleine Methode befolgen, diese Abtötung zu üben, z.B. indem er gern annimmt, was ihm weniger oder gar nicht mundet. Jedenfalls sollte man gerade in der Fastenzeit es nie unterlassen bei Tische irgendeine Selbstüberwindung zu üben.
Für den Nachmittagskaffee gilt das Gleiche wie für das Frühstück. Wer es fertig bringt, möge gar nichts nehmen oder nur einen Bissen Brot, damit der Magen nicht zu sehr strapaziert wird.
Am Abend dagegen nehme man wieder, was vorgesetzt wird. Aber auch hier vergesse man nicht die Abtötung. Denkt daran! Es ist unsere Pflicht, vor allem in der Fastenzeit. Es darf nicht vorkommen, dass die Fastenzeit unbeachtet vorübergehe und in jeder Weise den übrigen Zeiten des Kirchenjahres gleiche.
Was die Abstinenz und die Natur der Speisen betrifft, so braucht ihr euch darum keine Gedanken zu machen, da ihr ja die Abstinenz übt, die euch die Ordensgemeinde auferlegt. Wie wolltet ihr sonst denn Abstinenz üben? Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Abstinenz zu üben. Ich will euch eine ganz besondere Art nennen, sie zu verwirklichen: Der hl. Petrus sagt: …indem ihr euch mit dem Leiden Christi vereinigt. Es gibt drei Arten, sich mit unserem Herrn zu vereinigen: mit seinem Willen, mit dem wir den unseren vereinigen. Das ist die Gute Meinung. Sein heiliges Fleisch empfangen, das ist die hl. Eucharistie. Und schließlich sich mit seinem Leiden verbinden, mit seiner Passion, indem man in Gemeinschaft mit unserem Herrn in seinem bitteren Leiden alle Mühen, Heimsuchungen und Leiden annimmt, die uns begegnen. Meine Freunde, beherzigt diese Dinge gut und macht euch bereit für die Leiden, die Prüfungen und Versuchungen jeder Art, an denen es in der Fastenzeit nicht fehlen wird.
„Indem ihr euch mit dem Leiden Christi vereinigt.“ Schreibt das in euer Merkbuch. Bereitet an jedem Morgen euer Tagewerk mit solchen Gedanken vor. Lasst das in eure Vorsätze eingehen: diese oder jene Übung der Abtötung beim Essen, in der Fastenzeit, auf der Zelle, im Bett… „Indem ihr euch mit dem Leiden Christi vereinigt.“ Wir müssen teilnehmen an allem, was Christus gelitten hat, nicht nur während seiner Passion, sondern bei all seinen Entbehrungen, Widersprüchen und Leiden. Wir sollen spüren, dass dieses Gesetz (des Leidens) jeden Augenblick auf unsere Schultern drückt. Erinnern wir uns jederzeit daran, dass wir zur Abtötung verpflichtet sind.
Ich wünsche sehr, dass ihr diese zwei Arten von Buße im Gedächtnis behaltet: Die Abtötung bei allen Mahlzeiten, und die Überwindung des eigenen Willens durch einen exakten, treuen und liebenden Gehorsam gegenüber dem göttlichen Willen. In dieser Hinsicht müssen wir echte Ordensleute werden. Von dieser Lehre müssen wir uns einen soliden Vorrat zulegen. Sie lässt uns die Dinge in ihrem wahren Wert und Wesen erkennen. Damit erwirbt die Seele Weisheit, Klugheit und Kraft. Im Namen des Herrn! Amen.
