Kapitel vom 24.02.1897: Die richtige Art, zu gehorchen und wie man korrekt mit der Außenwelt korrespondiert
„Damit auch die körperliche Gesundheit an der Wohltat des Gehorsams Anteil habe, soll niemand außerhalb der Mahlzeit Speise und Trank ohne Erlaubnis des Oberen zu sich nehmen.“
Diese Unterwerfung schließt eine Selbstüberwindung ein. Das Ordensleben ist aber ein Leben der Abtötung. Es ist abgetötet entweder auf Grund großer Bußübungen oder auf Grund vieler aufeinanderfolgender kleiner Bußakte. Man könnte das eine „in Brotsamen und ganz kleine Teilchen aufgelöste Buße“ nennen. Zweifellos eignet den großen Bußorden ein Heiligungsmittel, das uns abgeht. Zweifellos hat das Fasten der Kartäuser, Trappisten und Kapuziner einen starken Anteil an der Heiligung jedes einzelnen dieser Orden. Es ist das also ein großes und mächtiges Mittel, ein Heiliger zu werden. Das Leben der Heiligen zeigt uns zur Genüge, ein wie wirksames Hilfsmittel das ist.
Uns fehlt diese Art Abtötung. Es wäre auch unvereinbar mit unseren Beschäftigungen: Predigt, Unterricht, mühsame Arbeit. Diese strengen Kasteiungen werden bei uns ersetzt durch eine Vielzahl von kleinen Akten, die uns schwer fallen, zu denen wir aber verpflichtet sind. Unsere Vollkommenheit besteht in der ununterbrochenen Annahme des göttlichen Willens, besteht darin, jede unsere Handlungen vollkommen auszuführen, besteht darin, mit Friede und Sanftmut des Geistes oder sogar große Mühsal, jede noch so große Unbequemlichkeit, die über uns kommt, zu preisen. Man wird zugeben müssen, dass man große Vorteile aus dieser unablässigen Selbstüberwindung zieht. Die Seele, die an diese Praxis gewöhnt ist, wird dadurch gefestigter und widerstandsfähiger. Sie wird bewahrt vor den Abschweifungen der Phantasie der Sinne, der Versuchungen des Fleisches und der Welt. Gewöhnlich kehrt der Teufel nach großen und in die Augen springenden Kasteiungen in Begleitung von sieben anderen Teufeln zurück, die schlimmer sind als er, und der Endzustand dieser Seele ist schlimmer als der frühere. Nach solchen Abtötungen heißt es demnach noch mehr auf der Hut sein als vordem. Ich sage euch das im Hinblick auf die Seelen, die euch später anvertraut werden. Es ist viel leichter und sicherer, die Seele mit Hilfe von kleinen und beständigen Überwindungen auf dem rechten Weg zu erhalten als mit Hilfe großer Bußübungen. Wir haben davon ein sprechendes Beispiel in der Geschichte der Heimsuchung. Während der großen Revolution gab es in der Heimsuchung die wenigsten Austritte und Apostasien. Alle oder fast alle hatten die Kraft und den Heldenmut, ihren Gelübden treu zu bleiben. Woher kam ihnen aber diese Seelenstärke, die den Mitgliedern der strengeren Orden fehlte?
Nehmt einen Magnet her. Belastet ihn mit kleinen Eisenstückchen und fügt jeden Tag ein oder zwei neue hinzu. Ihr werdet ihn dahin bringen, dass er schließlich ein beträchtliches Gewicht anzieht, das er nicht angezogen hätte, wenn ihr ihm die ganze Last auf einmal aufgebürdet hättet.
Diesen Weg sollt auch ihr gehen, meine Freunde, es ist ein zuverlässiger Weg. Trachtet aus allem, was euch begegnet, euren Nutzen zu ziehen. Sagt nicht der hl. Franz v. Sales, wir sollten bei jeder Handlung die darin liegende Mühe und Abtötung annehmen? Freilich kann man am Anfang seines Ordenslebens nicht schon auf alles achtgeben. Doch mit der Zeit gewöhnt man sich daran, liest alles auf und nutzt alles. Auf diesem Weg sammelt man Kräfte. Die anderen Mittel können gefährlich werden, vor allem in unserer Zeit mit ihrer großen Willens- und Glaubensschwäche.
Schlussfolgerung: Wenn mir merken, dass wir wirklich etwas brauchen, so holen wir uns beim Oberen die nötigen Erlaubnis. Wir haben z.B. einen starken Schnupfen. Etwas Milch und Kaffee täte uns gut: bitten wir einfach darum. Diese Unterwerfung wird uns mehr nützen als die Abtötung, darauf zu verzichten, wobei wir den eigenen Willen üben.
„Ohne Erlaubnis des Oberen soll man die Zelle eines anderen nicht betreten.“
Ist es nötig, dass man miteinander Gedankenaustausch pflegt, sollte man immer die Erlaubnis einholen. Das ist mühsam, aber umso besser.
„Niemand führe irgendjemand von draußen ohne Erlaubnis in seine Zelle.“
Wenn ihr jemand empfangen müsst, so führt ihn ins Sprechzimmer. Müsst ihr ihn in eurem Zimmer empfangen, so verschafft die nötige Erlaubnis dafür.
„Bevor die Mitglieder der Kongregation irgendwelche Bücher oder Schriften veröffentlichen, müssen sie nicht nur die Erlaubnis des Generaloberen, sondern auch die Genehmigung des Ordinarius erbitten, wo die Drucklegung stattfindet.“
Hier handelt es sich nach den Lehren des Kirchenrechts um den Ordinarius des Ortes, bei dem das Buch gedruckt werden soll. Ein Ordensmann also, der in Troyes wohnt, aber sein Buch anderswo drucken lässt und veröffentlicht, braucht kirchenrechtlich nicht die Erlaubnis des Bischofs von Troyes.
Da fällt mir etwas ein: Ich lege allen Patres die „Annales Salesiennes“ ans Herz. In allen Orden unterstützt jeder einzelne das, was im Orden geschieht, geschrieben und veröffentlicht wird. Davon sollten wir keine Ausnahme machen. Und das umso vertrauensvoller, als alles, was bisher von unserer Genossenschaft veröffentlicht wurde, Hochschätzung und Verbreitung verdient. Wir sollten ja einen Leib und eine Seele bilden. „Eine Seele bilden“ ist schwerer, weil jeder die Dinge auf seine Weise sieht. Darum sollte man die Angelegenheiten der Kongregation nicht mit den eigenen Augen, sondern mit seinem Gewissen sehen. Das verlangt mitunter das Opfer der persönlichen Einschätzung, aber auf diese Weise vollbringt man einen Akt des Gehorsams, der Unterwerfung unter Gott, dem man den Gehorsam gelobt hat.
Gestern unterhielt ich mich mit dem Domherrn Tissut über verschiedene Dinge. In allem, was er sagt und tut, hat er seine eigene Art zu suchen und zu urteilen, die er mit Vorliebe durchzusetzen versucht, wenn es möglich ist. Ich machte aber die Beobachtung, sobald es sich um allgemeine Interessen handelt, sieht er völlig von seinem persönlichen Nutzen und seiner Vorliebe ab, bleibt schön auf seinem Platz und präsentiert die Dinge ganz einfach zum Nutzen der Allgemeinheit und nicht mehr zu dem seiner eigenen Person. Diese Beobachtung habe ich bei allen wertvollen Menschen gemacht, die ich kennen lernte. Das kleine Ich verbirgt sich dann und verschwindet immer hinter im Interesse der Allgemeinheit. Diese Handlungsweise verrät Charakter und Fähigkeit. Wir sollten ja keine kleinlichen und engen Geister sein wollen, die nur sich selbst sehen.
Es ist ganz natürlich, dass wir das lieben, was wir selbst tun. Was wäre unser Leben sonst? Stellen wir aber unser kleines Ich hinter das Wohl der Allgemeinheit, so beweisen wir damit große Fähigkeit. Jedem Ding ist sein Platz und Recht einzuräumen: nun gilt das Allgemeinwohl aber mehr als das eigene. Vorteil und Ehre der Kongregation gehen vor der eigenen. Seien wir also keine kleinlichen Menschen, sondern volle und reife.
Ich empfehle euch also die „Annales“. Sie sind gut abgefasst. Beweis dafür ist, dass sie gelesen werden. Im Allgemeinen werden derlei Veröffentlichungen nicht viel gelesen. Die Post bringt sie und man legt sie in die Ecke.
P. von Mayerhoffen erhält Glückwünsche und Ermunterungen dafür von allen Seiten. Trachten wir bei Gelegenheit, wo es möglich ist, Bezieher zu gewinnen. Die „Annales“ müssen ihre Unkosten decken. Auf diese Weise tun wir etwas Gutes. Bei den täglichen Besuchen, die zu mir kommen, stelle ich fest, dass man die „Annales“ schätzt. Unterstützen wir sie also. Besitzen wir Intelligenz und Willen, dann werden wir das tun.
„Die Brüder sollen sich vor der Versuchung hüten, in den Klerikerstand überzutreten…“
Die Laienbrüderfrage ist unglücklicherweise für uns kein schwieriges Problem (offenbar weil keine Brüder vorhanden waren). Früher war es leicht, Brüdernachwuchs zu bekommen. Heute ist das schwierig. In den Klöstern und Konventen gab es nicht immer Laienbrüder. Im 11. und 12. Jahrhundert musste man eine genaue Grenzlinie ziehen zwischen den Chorbrüdern und den Laienbrüdern, weil alle hohen Persönlichkeiten und Sprösslingen adeliger Abstammung, die ins Kloster gingen, um das Verdienst der Demut zu haben. Da solche Bitten nicht abreißen wollten, musste man zwei Ränge einführen.
Was es heute so schwierig macht, Brüder und gute Brüder zu bekommen, ist der Mangel an Glauben in unserer Zeit. Wir haben sicher gute Jungen. Doch was sie beherrscht, sind nicht übernatürliche Gedanken. Das genügt aber nicht. Man kann die Feststellung machen, dass alles, was die Kongregation an ganz Gutem wie an ganz Schlechtem aufweist, gerade die Brüder sind. In den Gegenden, die noch gut katholisch sind, ließen sich vielleicht Brüderberufe finden. Es fehlt uns aber an der nötigen Organisation, diese anzuwerben. Vielleicht müsste man große Ausgaben machen, um solche Spezialinstitute für Brüderberufe zu gründen. Aber an Geld fehlt es uns eben auch. So sind wir gezwungen, Pläne dieser Art auf spätere Zeiten zu verschieben… Hätten wir genügend Brüder, die wir in unsere Kollegien und in alle Häuser tun könnten, so wäre sicher viel gewonnen, und zwar in jeder Hinsicht. Die Pikpusbrüder haben das. Sie haben Brüder als Gärtner, als Maurer und Schmiede. Das Haus der Herz-Jesu-Damen ist ausschließlich von Laienbrüdern gebaut worden.
Jeder von uns möge sich das wohl zu Herzen nehmen: die Interessen der Ordensgemeinde allzeit vor Augen haben, alle sich als zusammengehörig fühlen. Damit ist man stark, um sich und anderen Gutes zu erweisen.
D.s.b.
