Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 17.02.1897: Die richtige Art zu gehorchen, und der richtige Umgang mit der Korrespondenz mit der Außenwelt

„Alle Mitglieder der Kongregation sollen dem Generaloberen schnell, freudig und beharrlich gehorchen.“

Ich habe das letzte Mal über die Grundbegriffe des Gehorchens gesprochen und auf welchen Standpunkt man sich stellen muss, um den klösterlichen Gehorsam zu üben. Ich wiederhole: der Gehorsam kann nicht gut vollzogen und wirklich praktiziert werden, wenn man sich nicht auf diesen Standpunkt stellt, den man Gott gelobt hat und wenn man sich nicht sehr darum bemüht, dieses Versprechen zu halten. Das liefert uns den Grund für unser Gehorchen. Sicher genügt es nicht, dass er vernünftig sei. Er muss auch übernatürlich, fromm, schnell, freudig und beharrlich sein, ohne Wenn und Aber. Man gehorcht freudig, weil es einem Freude macht, sich Gott unterzuordnen. Also nicht deshalb, weil man dabei etwa eine natürliche Befriedigung verspürt, sondern weil wir zufrieden sind, für Gott etwas tun zu können. Das ist das Geheimnis des Gehorsams.

Beharrlich gehorchen: Nur durch Gebet lässt sich diese Beharrlichkeit erringen. Spricht man vom Gehorsam, so meint man im Allgemeinen die Tugend, die man verwirklicht mittels energischer und isolierter Einzelakte. Man versteht aber nicht, dass eine beständige Tugend, die darin besteht, sich unaufhörlich Gott hinzugeben ohne sich ihm je zu entziehen, viel mehr Energie und Seelenstärke erfordert und viel heroischer ist als irgendwelche herrlichen Handlungen, die getrennt voneinander vollbracht werden. Man schätzt eine Handlung höher, die so im Vorbeigehen vollzogen wird, der aber sehr viele Erbärmlichkeiten Eigenliebe und Egoismus vorausgehen und nachfolgen. Falls dieser großartige Akt, den du vollbringst, genug Verdienste in sich birgt, um so und so viele andere mittelmäßige Akte gutzumachen und zuzudecken, dann ist es gut. Ist das aber meist der Fall? Liegt dagegen eine Stetigkeit von zusammenhängenden Akten einer Tugend vor, die sich nie verleugnet, dann ist das echter Heldenmut. Im Leben der Guten Mutter war gerade das der schönste Ehrentitel ihrer Heiligkeit: ihr vollkommener Gehorsam hat sich nie Lügen gestraft, niemals und in keiner Lebenslage. Dazu ist wie gesagt große Seelenstärke und viel Energie erfordert.

„Sie müssen ihr Urteil und ihren Willen unterwerfen.“

Sein Urteil unterwerfen heißt also nicht, wie wir gesehen haben, glauben und sich einzureden suchen, das Befohlene sei in sich besser als unsere eigene Meinung. Es heißt vielmehr, davon überzeugt sein, in diesem besonderen Fall will Gott, dass wir so handeln wie er es durch den Mund des Befehlenden angibt. Dann handelt ihr nicht nach eurem eigenen Gutdünken, sondern unterwerft euer Urteil dem Gehorsam. Das ist alles. Der so verstandene Gehorsam ist durchaus ausführbar. Er ist ein Mittel, sich jederzeit und immer richtig festzulegen gemäß dem klar erkannten Willen Gottes.

Anderenfalls bliebe man im Ungewissen. Im Wollen liegt ein unaufhörliches Kommen und Gehen, weil unser Wille seiner Natur nach veränderlich ist. Durch den Gehorsam wird unsere Pflicht klar und einer energischen Seele alles leicht.

„Die Oblaten sollen mit größter Pünktlichkeit dem Ruf der Glocke wie der Stimme unseres Herrn Jesus Christus selbst gehorchen.“

Ihr könnt feststellen, dass auch das Kapitel vom Gehorsam auf viele Einzelheiten eingeht wie das der Armut. Es wird eben dem einen wie dem anderen große Wichtigkeit beigemessen. Zweifellos ist der Gedanke, unser Herr rufe uns selbst durch den Klang der Glocke und man gehorche dem Herrn selbst, wenn man ihr folge, ein Mittel, das uns immer siegen lässt, ein Mittel, das die Gnade in sich trägt, denn derlei lässt sich nicht ohne Gnade bewerkstelligen.

„Man soll niemand etwas befehlen, wer immer es sei, noch irgendeine Zurechtweisung erteilen, außer man hat vom Oberen den Auftrag dazu erhalten oder ist durch sein Amt dazu verpflichtet.“

Man soll nicht dazu hergeben zu befehlen, und vor allem nicht, die anderen zurechtzuweisen, wenn man dazu nicht beauftragt ist. Das soll aber nicht heißen, man dürfe einem Mitbruder, den man etwas Falsches tun, sich etwas in den Kopf setzen und in die Irre gehen sieht, nicht zu Hilfe kommen durch einen freundschaftlicheren Rat, durch ein gütiges und brüderliches Wort. Im Gegenteil, das muss man sogar tun, aber eben auf freundschaftliche Weise und nicht in einem gebieterischen und vorwurfsvollen Ton.

„Man soll nicht danach trachten, von einem Oberen das zu erlangen, was ein anderer bereits verweigert hat…“

Von einem Oberen eine Erlaubnis erbitten, die ein anderer verweigert hat, ohne ihm diesen Umstand mitzuteilen, wäre keine loyale Tat. Es wäre unehrenhaft und des Gewissens eines Ordensmannes unwürdig.

„Keiner darf sich in das Amt und die Aufgabe eines anderen einmischen. Wird er aber um eine Gefälligkeit ersucht, besonders in einem der niederen Ämter, soll er sie mit Herzlichkeit erweisen…“

Handelt es sich dabei nur um einen momentanen Dienst, dann ist es gut. Soll es aber länger dauern und häufig geschehen, müsste der Obere eingeweiht werden.

„Ohne Berechtigung durch den Oberen darf niemand Briefe empfangen…“

Das Briefgeheimnis betrifft das Naturrecht. Wir wollen die Heimsuchung zum Vorbild nehmen. Die Oberin empfängt dort alle Briefe, lässt die betreffende Schwester kommen und öffnet vor ihr den Briefumschlag. Für gewöhnlich liest sie nicht die Briefe von Familienangehörigen, des Beichtvaters oder Seelenführers. Hat sie aber schwerwiegende Gründe zu der Annahme, dass unter dem Deckmantel der Familie oder der Seelenführung etwas Unmoralisches oder Übertriebenes geschieht, was der Nonne oder das klösterlichen Praxis schaden könnte, dann legt ihr die Klugheit und Liebe die Pflicht auf, auf diskrete Weise Kenntnis vom Inhalt des Briefes zu nehmen. So ähnlich sollten auch wir vorgehen. Der Obere soll einsehen, wie zartfühlend er in dieser Hinsicht verfahren muss, vor allem bei Familienbriefen, die vertrauliche Mitteilungen enthalten, die nur Empfänger erfahren darf. Der Obere soll in solchen Fällen so viel Takt haben, dass er diese Briefe nicht liest. Es hieße sonst, die Heiligkeit des Geheimnisses verletzen. Es wäre eine Beleidung des Ordensmannes und seiner Familie.

Was Briefe der Seelenführung betrifft, ist die Sache noch delikater. Hier gilt der Grundsatz, dass der Obere auf keinen Fall Einsicht in die Korrespondenz zwischen Beichtvater und Beichtkind nehmen darf. Es kann freilich vorkommen, dass sehr ernste und gewichtige Gründe vorliegen, Verdacht zu hegen und solche Briefe als gefährlich anzusehen. Wird diese Korrespondenz zu häufig und zu umfangreich, verliert man dadurch Zeit, den Geist des Gehorsams und der Liebe, so kann der Obere manchmal verpflichtet sein, sich Aufklärung zu verschaffen. In unserer Zeit geschehen ja mitunter höchst merkwürdige Dinge…

Hier ein Beispiel, das ich euch wohl erzählen darf, und das eure Erfahrung bereichern wird: ein Jesuitenpater beantwortete regelmäßig die Briefe eines seiner weiblichen Beichtkinder. Diese Briefe waren nicht schlecht, sie waren sogar gut. Doch hatte er es sich angewöhnt, sein Beichtkind mit seinem Vornamen Margarete anzureden und sie auch in seinen Briefen so zu nennen. Die Mutter dieser Person war darüber sehr schockiert und fragte mich um Rat, wobei sie mir die umfangreiche Korrespondenz mitbrachte. Ich sprang in die Höhe, als ich die Überschrift des ersten Briefes las, der mir in die Hände fiel. Dieser gute Pater nannte sein Beichtkind „Meine Schöne“… Auf Bitten der Mutter hielt ich es für meine Pflicht, weiter zu lesen. Doch von diesen Ausdrücken abgesehen, die öfter wiederkehrten, war tatsächlich nichts auszusetzen in der ganzen Briefsammlung.

Wir wollen darum gut achtgeben, welche Ausdrücke wir in Briefen dieser Art gebrauchen. Was Briefe an Frauen betrifft, heißt es aus vielerlei Gründen äußerst vorsichtig sein. Der hl. Franz v. Sales sagt von solchen Briefen, man müsse sie mit der Spitze des Federmessers schreiben… Man soll aber auch hier nicht übertreiben, noch etwas erzwingen. Jedes Mal, wenn ihr an einen Mann und vor allem an eine Frauen schreiben müsst, sagt euch vor: Mein Brief kann in fremde Hände fallen, kann gelesen und beredet werden. Er muss darum so abgefasst sein, dass er in den schlechtesten Zeitungen des Landes erscheinen kann, und das ist in der Tat schon mehr als einmal vorgekommen.

Habt ihr vertrauliche Dinge mitzuteilen, was sehr leicht möglich und auch berechtigt ist, so bedient euch einfacher und natürlicher (auch: leichtverständlicher) Ausdrücke, aus denen man euch keinen Strick drehen kann, falls der Brief abhandenkommt.

Noch ein anderes Abenteuer dieser Art: Ein guter Pfarrer korrespondierte mit einer Frau, die eine große Phantasie und einen leichten Sinn hatte und sein Beichtkind war. Diese Frau gebrauchte in ihren Briefen allzu höfliche, ja sogar liebevolle Ausdrücke. und der Pfarrer antwortete im gleichen Stil, doch waren seine Briefe eher fromm zu nennen und voll guter Ratschläge. Diese Briefe fielen in die Hände des Gatten der Frau, der darob großen Lärm schlug. Er brachte mir die gefundenen Briefe und rief: diesen Pfarrer erschieße ich… Ich hatte viele Mühe, ihn zu beruhigen und wenigstens die guten Absichten der Pfarrers zu rechtfertigen. Das erfuhr nun der Pfarrer und er kam ebenfalls zu mir. Er erklärte mir, er gehe sofort zum Staatsanwalt, um dem Gatten einen Prozess anzuhängen. Mein lieber Pfarrer, sagte ich zu ihm, das werden Sie nicht tun. Wenn Ihre Briefe in die Hände des nächstbesten Advokaten fallen, wird er sie unfehlbar kostenpflichtig aburteilen. Denn so schreibt man nicht an eine Frau, wie rein auch ihre Absichten gewesen sein mögen… Auch bei ihm hatte ich meine liebe Not, ihn zur Vernunft zu bringen.

Darum Vorsicht mit unserer Korrespondenz. Nicht jedermann hat ein gutes Urteil. Gewisse Ausdrücke, die wir in aller Unschuld gebrauchen, könnten uns leicht Verdrießlichkeiten verursachen. Fassen wir darum diesbezüglich einen guten Vorsatz. Ich wiederhole: Schreiben wir unsere Briefe so, dass jedermann sie lesen kann. Wir sollten es uns zur Gewohnheit machen, unsere Briefe gern vom Oberen öffnen zu lassen. Das ist zweifellos ein Akt der Unterwerfung. Aber wir werden nichts Gediegenes leisten ohne das, ohne diese Abhängigkeit. Muss denn nicht allem, was wir tun, etwas Losschälung und Leid zugrunde liegen? „So halten sie sich bereit, alle Mühe und Abtötung, die sich in ihrem Tun finden, zu ertragen“, sagt das Direktorium. Begreift diese Lebensweisheit, meine Freunde. Sie wird euch vor sehr vielen Erbärmlichkeiten bewahren.

Für die Briefe des Ordensmannes an Weltleute heißt es gewisse Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Man muss Würde und Ernst wahren. Gewiss darf man etwas Witz hineinlegen, wenn man an Freunde schreibt. Doch ist er mit Maß zu gebrauchen. Steckt auch ein bisschen Würze darin, dann ist es gut. Zuviel davon würde alles verderben. Denken wir bei unserem Briefverkehr wie bei all unseren Beziehungen zum Nächsten an die Empfehlung des Trienter Konzils an die Kleriker: Nur Würde, Maß und Frömmigkeit sollen sie zur Schau tragen. Hüten wir uns also, unseren Briefpartner zu skandalisieren. Derlei Dinge verzeihen und vergessen die Gläubigen nicht.

In den großen Seminarien ist man darin nicht allzu streng. Unser Moralprofessor, Herr Chevalier, sagte uns: Immer, wenn ihr an einen Weltmenschen schreibt, sollte euer Schreiben eine religiöse Note tragen. Ihr braucht keine Predigt zu halten, aber man muss merken, dass da ein Mann Gottes schreibt. Das, meine Freunde, gilt noch mehr für uns Ordensleute. In unseren Briefen darf diese religiöse Note niemals fehlen. Halten wir darüber eine Gewissenserforschung ab und fassen wir dementsprechende Vorsätze.

In dieser Woche wollen wir um einen guten Ausgang der Seligsprechung der Guten Mutter beten. Oft treten in solchen Unternehmungen Schwierigkeiten aller Art auf. „Promotor fidei“ ist ein Advokat. Er verwertet als guter Advokat alles, was gegen die Sache der Guten Mutter spricht. Es hat den Anschein, dass man in Rom Streit mit mir sucht, weil ich gesagt habe, die Gute Mutter sei die größte Heilige des Himmels. Nun, das ist meine Meinung und dabei bleibe ich. Ich muss ja nach meiner Überzeugung sprechen. Ich habe das Leben vieler Heiliger gelesen und ziehe die Gute Mutter allen anderen vor. Meine Meinung ist wohl begründet und solide untermauert. Im Besonderen habe ich die Gute Mutter niemals gegen die Liebe fehlen, nie ihrem Gefühl und ihrer Neigung entgegen den Vorschriften folgen sehen… Bei seiner Bischofsweihe empfing mich Msgr. Cortet mit größter Herzlichkeit. Die Gute Mutter hatte mir dagegen gesagt, es sei ein harter und grober Mensch. Ich dachte mir, sie müsse sich getäuscht haben. Ich war fast versucht, mich über ihren Irrtum zu freuen, weil ich dann glaubte, ich könne vielleicht alles, was sie mir gesagt und aufgetragen hatte, in Zweifel ziehen und mit Füßen treten. Und siehe da, später musste ich einsehen, dass sie recht gehabt hatte. Darum glaube ich, dass man schwerlich neben der Guten Mutter eine Tugend findet, die so umfassend oder gar noch umfassender ist die ihre. Lasst uns darum für das Gelingen ihrer Sache beten.

D.s.b.