Kapitel vom 10.02.1897: Mit Freude und beständig gehorchen
„Zu Ehren des Gehorsams, den unser Herr Jesus Christus auf Erden der seligen Jungfrau, dem hl. Josef und allen mit einer Würde bekleideten Personen geleistet hat, mochten sie gut oder böser sein, werden wir…“
Der Gehorsam, den unser Herr der seligen Jungfrau und den anderen Personen auf Erden erwiesen hat, den guten wie den bösen, sollte auch Vorbild für unseren Gehorsam sein.
Was unsere Verpflichtung zum Gehorsam angeht, können wir nur einen Entschluss fassen: zu handeln wie ich als Schüler der Sexta im Kleinen Seminar gehandelt habe. Man verzeihe mir, dass ich mich immer selbst zitierte, nicht wahr. Ich hatte als Studienaufseher einen gewissen H. Trouve, ausgetrocknet an Leib und Seele. Weil ich während des Studiums den Pultdeckel geöffnet hatte, gab er mir 100 Verse zum Abschreiben. Ich hatte gute Lust, die Strafe nicht anzunehmen. „Da bist du schön hereingefallen“, sagte ich mir. „Nein, diesem bösartigen, hässlichen, ungerechneten Mann gehorche ich nicht… Aber dem lieben Gott will ich gehorchen. Ja, für ihn schreibe ich die Verse ab.“ So sollten wir nie den Menschen. Ich konnte nie begreifen, dass ein Mensch sich einem anderen Menschen unterwerfen könne…
Der hl. Paulus will nicht, dass wir wie Dummköpfe gehorchen. Er spricht von einem „vernünftigen Gehorsam“. Man unterwirft sich ausschließlich dem Willen Gottes, weil nur dieser wahrhaft vernünftig ist. Sobald ich diesen göttlichen Willen erkenne, verborgen unter der Hülle des menschlichen Wortes, ergebe ich mich ohne Zögern. Warum also kämpfen? Gegen wen denn? Gegen Gott und die Vernunft? Wenn du solch einen zweifelhaften Sieg davontragen willst, so haftet diesem „Sieg“ mehr Schande an als einer Niederlage.
Zu dieser Philosophie solltet ihr euch alle bekennen. Ergreift umgehend die Motive des Glaubens. Stellt euch die Lehre des hl. Paulus vor Augen. Durchdenkt euren Gehorsam: einen „vernünftigen Gehorsam“. Ich habe das Gelübde abgelegt, Gott zu gehorchen in der Person meiner Vorgesetzten. Würde Gott mir höchstpersönlich diesen Befehl erteilen, so würde er vielleicht nicht diesen Ton und diese Form gebrauchen. Aber inhaltlich würde er dasselbe verlangen. Und darum gehorche ich, und tue mit ganzem Herzen nicht was ein Mensch mir befiehlt, sondern Gott. Und ich gehorche Gott umso mehr, weil ich damit nicht meinem Gefühl, meiner Neigung und meiner Natur folge…
Von diesen Dingen sollten wir uns einen soliden Vorrat zulegen, meine Freunde. Immer hat man eine kleine Demütigung, eine kleine Kränkung zu überwinden, wenn man sich einem Gehorsam gegenübersieht, der uns etwas kostet. Dieser Akt des Glaubens, den wir damit vollbringen, ist aber Gott höchst angenehm. Handelt so, und ihr werdet euch sehr wohl befinden. Befiehlt man uns etwas, was uns nicht passt, müssen wir vorgehen wie die Gute Mutter: sie sammelte sich einen kurzen Augenblick vollbrachte dann auf der Stelle und nach besten Kräften ihren Gehorsamsakt.
Seien wir Männer des Glaubens, die in den Ereignissen nicht nur das erblicken, was alle sehen, ohne es zu verstehen. Erblickt darin vielmehr Gott, der in allem und an allen Orten seine Hand mit im Spiel hat. Bemüht euch, mit Gott mitzuwirken. Ein „vernünftiger Gehorsam“: dieser Blick auf die göttliche Wirksamkeit macht allein euren Gehorsam vernünftig. Von diesem Grundsatz müsst ihr ausgehen: Ich habe es versprochen, ihm zu gehorchen, darum gehorche ich ihm allein, wenn ich dem Oberen gehorche.
„Alle Mitglieder der Kongregation sollen daher unserem Hl. Vater, dem Papst… Gehorsam leisten.“
Der Hl. Vater ist der Chef der Kirche und hat alle Gewalt über unseren Gehorsam. Man ist mit unserem Herrn eines Sinnes nur unter der Bedingung, dass man mit seinem Statthalter und Stellvertreter auf Erden einig geht.
„Alle Mitglieder der Kongregation sollen dem Generaloberen schnell, freudig und beharrlich gehorchen. Sie müssen ihr Urteil und ihren Willen unterwerfen.“
„Schnell, prompt gehorchen“: Wenn man beim Gehorchen zaudert, den Gehorsam hinausschiebt, sich nach links und rechts dreht, dies und das überlegt, um sich endlich zu entschließen, was ist das schon für ein Gehorsam? Er hat uns viel gekostet und bringt kaum etwas ein. Hier heißt es kurz abschneiden. Die Gute Mutter sagte: In Sachen Gehorsam heißt es entschlossen vorzugehen!
„Freudig gehorchen“: Wie schön das ist! Man gibt sein eigenes Fühlen, Wollen und Urteilen aus Liebe zu Gott auf. Man bringt ihm das Opfer in der Freude seines Herzens dar. Gibt man uns aber etwas zu tun, was uns verdrießt, eine lästige Arbeit… wo bleibt da die Freude? „Lasst uns aufblicken zu Jesus,… der angesichts der vor ihm liegenden Freude das Kreuz erduldete.“ (Hebr. 12,2). Es hat den Anschein, dass auch unser Herr zunächst das Kreuz nicht mit Freude aufnahm, aber: „angesichts der vor ihm liegenden Freude“ sammelte er sich, machte eine gute Meinung und nahm sich vor, es mit Freude zu tragen. Lasst uns darum ebenfalls freudig gehorchen. Es ist gewiss keine Freude, um es noch einmal zu sagen, die auf den ersten Anhieb kommt. Man muss sie sich vielmehr, wie es unser Herr tat, bewusst ins Herz und in den Willen setzen. Wir haben gar nichts anderes zu tun, als was unser Herr auch tat. Das wird einigen nicht sehr schwer fallen, für andere bedeutet das ein ungeheures Opfer. Das hängt von unserer Veranlagung ab.
„Beharrlich gehorchen“: Für einen Augenblick macht man gern eine großmütige Anstrengung. Der höhere Teil der Seele überwindet tapfer die Abneigung, die wir gegen das Gehorchen haben… Aber immer, ein ganzes Leben lang gehorchen, das ist etwas ganz anderes. Darum müssen wir die Gnade, die Kardinaltugenden zu Hilfe rufen. Wir beten zu wenig um Gerechtigkeit, Starkmut, Klugheit und Mäßigkeit. Nur diese können ein Gegengewicht schaffen zu unseren angeborenen Fehlern…
Da wir nicht alle mit dem gleichen Temperament zur Welt kommen, und es in jedem Charakter Überspitzungen wie Lücken gibt, müssen wir von Gott innig die eine oder andere Kardinaltugend erflehen. Diese füllen die Lücken aus und mildern die Übertreibungen, indem sie jedes Wollen, jede Leidenschaft und jeden Trieb auf das rechte Maß zurückführen. Der große allgemeine Verfall der Willen, Herzen und Geister kommt von der Vernachlässigung der Tugenden her… Was man will und erstrebt, muss gut sein, muss deshalb von Anfang bis Ende beharrlich erstrebt werden, ohne Wanken. Wer ein schwächliches Temperament, einen weichlichen Charakter hat, lässt sich leicht in dem oder jenem Punkte gehen. Er muss den lieben Gott besonders intensiv um die Kardinaltugend des Starkmutes bitten, um beharrlich gehorchen zu können. Ähnlich auch bei den übrigen Tugenden.
„Sie müssen ihr Urteil und ihren Willen unterwerfen.“
Was heißt: sein Urteil unterwerfen? Mein Oberer sagt mir, etwas sei schwarz, während ich es weiß sehe. Diese Pille ist schwer zu schlucken. Frage ich meinen Nachbarn, so bestätigt er mir, es sei wirklich weiß… Das Urteil unterwerfen: erteilt man uns einen Gehorsam, so heißt es zu ihm (dem eigenen Urteil) sagen: Du bist also nicht der Meinung deines Vorgesetzten. Darum schweige jetzt, du hast hier nichts zu sagen. Es heißt, unsere Art zu urteilen hintansetzen.
Unser Urteil unterwerfen, heißt nicht immer, dass wir unsere Ansicht ändern müssten. In sehr vielen Fällen brauchst du deine Meinung nicht zu unterdrücken, sondern sie lediglich dem lieben Gott zu Füßen legen. Ihr braucht nur demütig und folgsam das zu tu, was euch aufgetragen ist, mag es euch auch dünken, anders sei es besser. Der liebe Gott will nun einmal, dass du es so machst. Darum tust du es in Einfalt, um ihm zu gehorchen, der es so will.
Unterwirft man also sein Urteil, wie ich es hier erläutert habe, so bedeutet das keine Vergewaltigung, auch nicht das Gegenteil dessen, was man selber tun möchte. Vielmehr tut man genau das, was man selber tun will. Das ist ein eminent menschlicher und freiwilliger Akt. Damit man so zu gehorcht, müsst ihr somit einen Akt freien und vollkommenen Wollens setzen. Sein eigenes Meinen und Wollen beherrschen macht uns eigentlich zum Menschen, das Tier ist dazu nicht fähig. Darum kann auch ein dummer und bornierter Mensch sich nie dazu aufschwingen, während ein aufgeklärter, intelligenter und kluger Kopf sein eigenes Urteil leicht zum Schweigen bringt.
Die geistlichen Schriftsteller schildern im Allgemeinen die Unterwerfung des Urteils nicht in diesem Licht. Was sie unter diesem Namen vorführen und vom Ordensmann verlangen, die mehr oder weniger starke Veränderung der eigenen Meinung, setzt eine spezielle Gnade voraus, die der einzelne nicht immer erhält und die Gott nicht immer zu geben verpflichtet ist. Das Urteil unterwerfen heißt ganz einfach, aus Liebe zu Gott das eigene Urteilen zum Schweigen bringen, heißt: nicht das anhören, was uns vorschreibt, sondern das anhören und ausführen, was der liebe Gott in diesem Augenblick durch den Mund des Oberen von uns verlangt. Ich sage es noch einmal, das ist der freie und ungezwungene menschliche Akt mit Auszeichnung. Das kann nur der höhere Teil der Seele erfassen und tun.
„Dieser Gehorsam muss auch den anderen Oberen, sowohl den Haus- wie den Provinzialoberen geleistet werden.“
Ein Lehrer muss dem Studienpräfekten gehorchen. Nehmen wir einen Lehrer, der seinen Unterricht gemäß dem Studienprogramm erteilt, jedenfalls glaubt er es. Da macht der Studienleiter ihm gegenüber eine einfache kritische Bemerkung. Sie können sich jetzt darüber verständigen und aussprechen, dann ist alles in Ordnung. Sagt nun der Obere oder der Studienpräfekt, der ihn vertritt, trotz dieser Aussprache dem Lehrer, er solle es anders machen, muss dieser sich fügen. Unterwirft der Lehrer demütig seinen Willen, ist er der Gnade sicher. Dabei kann er ausgezeichnete Gründe für seine Ansicht haben… Der Obere kann diese Gründe, wenn er es für gut hält annehmen. Weist er sie aber zurück, heißt es sich unterwerfen. Und noch einmal: unterwirft sich der Lehrer, wird er Erfolg, weil Gott mit ihm ist.
Meine Freunde, an diese Dinge muss man glauben wie man ans Evangelium glaubt. Unser Herr hat ein beachtliches Wort gesagt: Wenn zwei von euch einig sind, so mögen sie um was immer bitten, mein Vater wird es ihnen gewähren. Beachtet wohl, dass es nicht heißt: wenn man sich einig ist, irgendetwas zu tun, was den Himmel unmittelbar betrifft, sondern: einig über irgendetwas… An dieses Wort dürfen wir fest glauben. Den Dingen des Gehorsams muss man, meine Freunde, wie den Dingen des Ordenslebens vollen Glauben entgegenbringen. Ist das leicht? Nicht immer. Entweder tut man es auf Grund einer Gabe, die uns auf der natürlichen Ebene zu Eigen ist, oder aber kraft einer speziellen Gnade. Haben wir diese Gabe oder Tugend nicht, müssen wir sie inständig von Gott erbitten in unseren Gebeten.
Lasst uns eine großmütige Gesinnung haben und den Dingen des Gehorsams Ehrfurcht entgegenbringen. Von welcher Seite sie immer kommen mögen, wir müssen sie annehmen. Gebrauchen wir den Gehorsam als ein wirksames Mittel, um zum Guten zu gelangen, um in unserem Amt und unseren Dienstleistungen Erfolg zu haben. Das sind keine Nebensächlichkeiten, meine Freunde, das ist die Philosophie des Glaubenslebens, die Lehre hl. Thomas und der Kirchenväter. Hat man das tief erfasst, dann hat man auch Erfolg im religiösen Leben.
Wie gewinnen wir aber dieses Verständnis? Ich sage es noch einmal: dank einer natürlichen Gabe Gottes oder einer speziellen Gnade. Nehmt einen mit Intelligenz gut begabten Ordensmann. An seiner ganzen Art vorzugehen erkennt man, dass er die Dinge des Ordensstandes wohl verstanden hat. Stellt man daneben einen anderen mit weniger Begabung, der aber dennoch im Guten Erfolg hat: Dieser zweite Ordensmann erhielt dann von Gott eine Sondergnade, die er brauchte. Stellt nun zwischen diese beiden einen dritten, dem sowohl die natürliche Gabe wie auch die spezielle Gnad abgeht: Er treibt dahin und wird auf jede Art und Weise umher gerissen.
Bitten wir Gott, das zu verstehen und auszuführen.
D.s.b.
