Kapitel vom 27.01.1897: Ein Wort anlässlich des Festes des hl. Franz v. Sales
Von P. Rollin erhielt ich dieser Tage einen Brief. Er ist weiterhin in Rom bei den Kardinälen gern gesehen. Man bezeigt ihm in Bezug auf die Kongregation viel Wohlwollen und Vertrauen. Er hofft, dass der Prozess der Guten Mutter von Erfolg gekrönt sein wird.
Einen langen Brief erhielt ich von P. David. Die Patres Ladron und Saunier sind unterwegs nach Montevideo. Er dagegen versucht in Ecuador zu bleiben, um die geschäftlichen Angelegenheiten zu regeln. Er hofft gleichfalls, dass die Schwestern wenigstens teilweise bleiben können.
Am Kap herrscht weiterhin Hungersnot. Die Patres und Schwestern sind an dem Punkt angelangt, wo sie nichts mehr zu essen haben. Sie haben keine Ochsen mehr, um in Springbock Getreide zu holen. Wir müssen die Gute Mutter fest anrufen. Als sie noch lebte, erhielt sie in materieller Hinsicht vom lieben Gott alles, worum sie bat: Regen, schönes Wetter, gute Ernten. Es ist dringend nötig, dass sie unseren armen Missionaren hilft.
Meine Freunde, am Vortag des Festes des hl. Franz von Sales wollte ich euch alle beisammen haben, um euch ein kurzes Wort zum Fest zu sagen. Wir sollten uns alle eng um unseren seligen Vater zusammenschließen und ihn bitten, dass wir das Direktorium vollkommen erfüllen. In der Tat, nur auf Grund des Direktoriums stellt unsere Kongregation etwas vor, hat einen Daseinszweck und nimmt in der Kirche Gottes einen Rang neben den anderen Kongregationen ein. Aus den Briefen, die ich zum Jahreswechsel erhielt, schallt ein einstimmiger Chor, dass die Oblaten dazu berufen sind, in der Kirche viel Gutes zu wirken. In ihnen, so sagt man, findet sich etwas vom lieben Gott, das man spürt, weil Gottes Gnade in ihnen kraft des Direktoriums wohnt…
Das Direktorium war der beständige Gedanke des hl. Franz v. Sales, der Wunsch seines Herzens und seines Wollens. Wir können somit anlässlich seines Festes nichts Besseres tun als ihm versprechen, dass wir uns in das innerliche Leben, das er selbst geführt hat, ebenfalls einführen zu lassen. Die Gute Mutter sagte mir auf ihrem Sterbebett: „Man wird große Dinge schauen. Man wird den Heiland auf Erden wandeln sehen. In den Seelen wird man die Frohbotschaft neu zum Aufleben bringen. Und Sie werden das vollbringen, Sie und Ihre Patres. Wie gern hätte ich das noch erlebt“, fuhr sie fort. „Was ich aber noch lieber habe, ist das Opfer, das Gott mir da abverlangt, sowie die göttlichen Absichten. Mich hat er diese Dinge sehen und verstehen lassen. An Euch ist es, sie zur Ausführung zu bringen…“
Meine Freunde, hier geht es um sehr ernste Dinge. Eine hohe Sendungsaufgabe ist euch damit übergeben worden… Schätzen wir denn das Direktorium nach seinem wahren Wert? Spielt es für nicht wenige neben all ihren Beschäftigungen, Ämtern und täglichen Besorgungen eine reichlich untergeordnete Rolle? Nimmt es sich unter den Alltagssorgen nicht ein bisschen unscheinbar aus? Wie etwas Marmelade auf dem Brot? Und doch ist das Direktorium die Grundlage unserer Ernährung, die Fackel, die unseren Weg erleuchtet und deren Licht uns jeden Augenblick die Straße des göttlichen Willens und Wohlgefallens zeigt.
Bitten wir den hl. Franz v. Sales, uns das zu geben, was er zu seinen Lebzeiten den Menschen nicht geben konnte. Sein Werk ist noch nicht abgeschlossen, er ließ es unvollendet zurück. Schwester Maria Genofeva sagte zu mir: „Unser hl. Stifter ist im Himmel sehr beschäftigt. Was der liebe Gott in ihn hineingelegt und was er den Menschen damals nicht geben konnte, will er ihnen jetzt mitteilen. Und das will er gerade mit Hilfe Ihrer Patres vollbringen.“
Meine Freunde, das sind keine hohlen Phrasen, keine unbegründeten Einbildungen. Es muss vielmehr unser Evangelium werden wenigstens der Abschluss unseres Evangeliums, das Wort, das unseren Weg erleuchtet.
Möge darum jeder 14 Tage der Treue zum Direktorium verbringen in Vereinigung mit dem hl. Franz v. Sales und der Guten Mutter!
Von vielen Leuten wird eine Gründung unseres Ordens erwünscht, und man trifft bereits Vorkehrungen dafür. Man wendet sich an uns, weit über das Maß hinaus, das wir bejahen können. Wir müssten uns also vergrößern und ausbreiten. An euch, meine lieben Freunde, ist es, durch Gebet und Treue vom lieben Gott Hilfskräfte zu erlangen, treue und mutige Noviziatsgefährten, die unser Betätigungsfeld verbreitern und entfalten.
In unseren Händen liegen Schätze von Gnaden. Wir müssen die guten und treuen Knechte sein, die die ihnen übergebenen Talente zum Früchtetragen bringen. Dann wird Gott zu euch die Worte sagen: Wohlan du guter und getreuer Knecht. Seid ihr aber untreue und faule Knechte, die ihr Talent in ihr Taschentuch wickeln und in der Gartenecke vergraben und sich dabei sagen: das geht mich nichts an, das ist nicht meine Sache, dann gilt für euch das Wort: du böser Knecht!
Ich sage es noch einmal: diese Bewegung, die da auf uns zukommt, existiert schon seit langer Zeit, in letzter Zeit hat sie sich aber verstärkt. P. Lebeau schreibt mir, die Gläubigen, Bischöfe und Priester nähmen mit großem Eifer unsere Kongregation und den Franz-Sales-Bund auf. Eine gewisse Anzahl von Laien und Geistlichen beschäftigen sich schon damit… Ich stelle fest, dass wir in unserer Umgebung keine Feinde mehr haben, sondern nur noch Freunde. Der Klerus von Troyes schätzt die Dienste, die wir ihm erweisen. Man verspürt ein Bedürfnis, zu den Oblaten zum Beichten und in ihre Predigt zu kommen, weil unser Geist ein Geist der Einfachheit ist. Man erkennt jetzt, dass wir nur den Willen und die Ehre Gottes suchen, unsere eigenen Interessen hintansetzen und die Belange Gottes jederzeit an die erste Stelle rücken. All diese Überlegungen helfen uns, das Fest des hl. Franz v. Sales mit ganzem Herzen zu feiern.
D.s.b.
