Kapitel vom 02.12.1896: Die große und gute Art, das Noviziat zu machen
„Nach der Vorschrift des hl. Konzils von Trient und des Apostolischen Stuhles dauert das Noviziat ein ganzes Jahr…“
Die Satzungen bestimmen, dass man das Noviziat nicht über sechs Monate hinaus verlängern kann. Hier liegt in der Tat eine Rechtsfrage vor: Der Novize, der bereits lange Monate in der Ordensgemeinde verbracht hat, muss inzwischen genügend bekannt sein. Wäre es nicht so, wäre er also noch nicht hinreichend bekannt, so wäre das ein Beweis, dass seine guten Eigenschaften recht wenig sichtbar werden. Die Kongregation, die ihn aufnähme, liege Gefahr, ihn ohne innere Berufung aufzunehmen. Es ist darum höchst angebracht, dass das Noviziat in allem Ernst erfolge und zwar innerhalb der normalen Zeitspanne. Allzu große Langsamkeit im Erwerb der notwendigen Tugenden würde ja dazu zwingen, es unbedingt noch weiter zu verlängern, und es bestünde die Gefahr, es überhaupt nicht zu absolvieren. Der Novize muss sich folglich mit ganzem Herzen an die Arbeit machen, und das von der ersten Stunde an.
„Vor der Zulassung zur Einkleidung müssen die Postulanten zehntägige Exerzitien machen.“
Was diese Exerzitien von 10 Tagen zu Beginn des Noviziates sowie vor der zeitlichen und ewigen Profess betrifft, so heißt es genauestens die gewöhnlichen Bestimmungen der Exerzitien befolgen. Es ist gut, sich an das zu halten, was ich zu wiederholten Malen zu diesem Thema in den Kapiteln gesagt habe. Es ist ratsam, diese Ausführungen zu sammeln und sich während der geistlichen Einkehr danach zu richten.
Die Exerzitien der Oblaten sind eine wirkliche „Solitude“ (Anm.: „Einsamkeit, Zurückgezogenheit, Abgeschiedenheit“.). Es gibt sehr viele Arten, Exerzitien zu machen. In manchen Orden gibt es eine sehr große Anzahl von Übungen während dieser Tage: Betrachtungen ohne Ende…
Ich denke da an einen Professor des Großen Seminars, den ich während seiner Exerzitien in einem Pariser Kloster aufsuchte. Er sagte mir: „Hier, das habe ich jeden Tag zu tun“, und er zeigte mir 8 große Folio-Seiten (Anm.: „Folio: Maß im Buchdruck, Höhe ca. 40 – 45 cm.“), die er während eines einzigen Tages zu lesen und zu meditieren hatte. „Wollte ich all das aufmerksam durchlesen“, fuhr er fort, „müsste ich mich von Morgen bis Abend nur damit beschäftigen.“ Das ist nicht praktisch. Exerzitien sind kein Studium. Sie sind eine Folge von Übungen des gewöhnlichen Lebens, die man mit größerer Aufmerksamkeit und Vollkommenheit vorzunehmen trachtet. Man macht Exerzitien in der Absicht, in den folgenden Tagen und Monaten all das so gut zu machen, wie man es während der Einkehrtage getan hat. Zwar weisen diese Tage etwas zahlreichere Übungen auf, man betet mehr, und vor allem überwacht man sich intensiver. Doch die Art und Weise zu betrachten, sich in aller Einfachheit mit Gott zu unterhalten, mit ihm zusammen sein Tagewerk vorzubereiten, all das ändert sich während der Exerzitien nicht.
Der hl. Franz v. Sales nennt die Exerzitien „solitudes“. Die Seele, die zu sich spricht: „Das ist die Tagesordnung der Exerzitien, ich will sie mit größter Exaktheit einhalten, erhält von der göttlichen Vorsehung die Gnade, ausgezeichnete Einkehrtage zu verbringen.
Der liebe Gott kann Krankheiten zulassen, ärgerliche Nachrichten, Verdrießlichkeiten und Trockenheiten schicken: kann das die Exerzitien beeinträchtigen? Alle anderen Ordensleute sagen vielleicht: unter diesen Umständen können wir keine Exerzitien machen… Ich aber antworte ihnen: man kann sie sogar sehr gut machen, denn die beste Art, Exerzitien zu machen, besteht darin, sich in der Treue, in der Unterwerfung unter den göttlichen Willen zu üben, der sich gerade in den Ereignissen offenbart, die uns da treffen. Besteht darin, auf Gott einzugehen, und sich ganz eng an ihn zu halten.
Gewiss muss man sein Gewissen erforschen, Entschlüsse fassen, neue Verpflichtungen in Erwägung ziehen, die der Gehorsam uns vielleicht überträgt. Doch die Herzmitte der Exerzitien liegt in dem oben Gesagten. Lassen wir auch die Weltleute, die Weltgeistlichen so geartete Exerzitien machen, wenn sich die Gelegenheit dazu bieten sollte. Das ist dann eine wahre und gute Einkehr, die da vor sich geht. Was hat unser Herr gesagt? „Der Geist ist zwar willig, das Fleisch aber schwach.“ Man glaubt, ausgezeichnete Exerzitien gemacht zu haben, weil man lange Betrachtungen gehalten, weil man sich vielleicht allerlei Illusionen gemacht hat. Man spricht von hohem Mut und davon, dass man alle Hindernisse überwinden werde. Was geschieht aber? Nun, der Teufel, der fortgezogen war, kehrt mit sieben anderen, schlimmere als er, wieder zurück, und sein Zustand wird schlimmer sein als vorher. Es gibt wenige solcher Exerzitien, denen nicht große Versuchungen auf dem Fuß folgen, Versuchungen der Verzagtheit mitunter, ja richtige Katastrophen. Es sein denn, diese Exerzitien waren sehr schmerzvoll und mühselig und man habe während derselben einen hohen Großmut bewiesen. Dann bringen sie ähnliche Ergebnisse zustande wie das Fasten, die Kasteiung oder irgendeine andere Bußübung.
Der Geist ist willig, das Fleisch schwach. Hier liegt das große Geheimnis der Seelenführung, das große Geheimnis auch des hl. Franz v. Sales, der es in dieser Methode zu unerreichten Meisterschaft gebracht hat. Es gilt also, seine religiösen Pflichten zu durchdenken, was man getan und unterlassen und was man zu tun hat. Es heißt großmütige Entschlüsse fassen und sie unter den Schutz der hl. Jungfrau, unseres hl. Stifters und der Guten Mutter zu stellen. Dann werden diese Gedanken im entscheidenden Augenblick uns in den Sinn kommen. Will man sich aber auf das stützen, was einem während der Einkehrtage durch den Kopf und die Phantasie ging, so stützt man sich auf ein sehr zerbrechliches Schilfrohr.
Ich hoffe, wir können uns eines Tages auch mit Exerzitien für Weltgeistliche befassen. Mehr als ein Priester der Diözese Troyes hat mich schon gefragt, ob dies möglich sei. Sie sehen darin für sie geeignete Mittel, sich zu heiligen und die ihnen notwendigen Erleuchtungen zu erhalten.
Ich will nicht behaupten, es sei unmöglich, Exerzitien auch auf eine andere Art und Weise zu machen. Nur das will ich sagen, dass mehr oder weniger heftige Akte des Verstandes und der Phantasie nicht viel taugen, dass lange und mit Betrachtungen überladene Exerzitien leicht Gefahren in sich bergen.
Was ich euch da sage, ist das Ergebnis einer langen Erfahrung. So haben es jedenfalls der hl. Franz v. Sales, der hl. Alfons v. Ligouri und die Gute Mutter gehalten. Darum lasst uns die Exerzitien der Einkleidung, der Gelübdeablegung und der Weihen sowie die jährlichen Exerzitien auf diese Weise vornehmen. Dann werden sie unfehlbar ihre Wirkung hervorbringen. Denn nicht ihr macht die Exerzitien, sondern Gott. Ihr seid einzig dafür da, ihm zu gehorchen, seinen Willen zu erfüllen, ihm zu dienen, und auf seine Forderungen einzugehen.
Haltet eure Exerzitien also gewissenhaft in diesem Sinn. Denn niemals kann man anderen gute Exerzitien predigen, wenn man sie nicht selbst gut gemacht hat.
Es verstehe sich von selbst, dass zu den Exerzitien auch eine gute Vorbereitung auf die hl. Beichte gehört. Diese Vorbereitung sollte sehr ernst und vollständig sein.
Der Vorteil solcher Art von Exerzitien liegt darin, dass sie niemand abschrecken, dass sie jeder vornehmen kann. Natürlich bedarf es einer gewissen Willensstärke, denn Exerzitien können in gewissen Augenblicken recht mühsam werden. Schwester Maria-Genofeva konnte ihre Einkehrtage nie auf eine andere Weise machen. Ich erinnere mich, dass ihr diese Tage immer äußerst schwer fielen. Doch nach ihren 10 Tagen Trockenheit und Leiden schenkte ihr Gott außerordentliche Gnaden. Auch unsere Exerzitien werden nicht immer glückliche und angenehme Tage sein. Machen wir uns darauf gefasst. Wir haben allezeit die Exerzitienvorschriften zur Hand, klammern wir uns daran. Wir fühlen uns schlecht, erleben harte Versuchungen. werden wie der hl. Hieronymus in der Wüste von schlechten Gedanken bestürmt. Wir fühlen uns zum Bösen gedrängt. Diese Tage werden uns, statt zu einem Himmel, zu einer Hölle… Ist das aber schlimm? Nein, der liebe Gott gebraucht vielmehr dieses Mittel, um unsere Seele zu heiligen und uns im wahren geistlichen Leben zu begründen.
Wir müssen zu den Exerzitien in der Nachfolge Christi gehen. Der Herr sagte nicht zu den Aposteln: Geht abseits an einen einsamen Platz, sondern: Kommt mit mir! Bleibt nicht allein und auf eure eigenen Kräfte angewiesen! So müssen alle unsere Exerzitien gemacht werden. Flößt ihnen Verständnis, Achtung und Liebe zu dieser Lehre ein. Alle ohne Ausnahme können ihre Exerzitien auf diese Weise machen, können das Leben führen, das wir führen und ihre Betrachtungen machen wie wir.
D.s.b.
