Kapitel vom 18.11.1896: Über den Geist und die Praxis der Armut
„Die Patres sollen die vollständige geistliche Kleidung tragt den Talar und das Zingulum…“
Was das Beffchen (Anm.: „zwei weiße Streifen, manchmal auch violett am Hals“) betrifft, das wir bisher trugen, so lasse ich euch hierin alle Freiheit. Wenn wir es bisher trugen, dann deshalb, weil wir nicht auffällig vom Weltklerus abstechen wollten, unter dem wir leben. Man kann es also dort weiterhin tragen, wo die Weltgeistlichen uns lieber mit dem Beffchen sehen. Wo es aber gleichgültig ist, möge man es nicht tragen, da unsere Satzungen nur den römischen Kragen erwähnen. Ich betrachte das Beffchen ganz und gar nicht als Wesensbestandteil unserer Kleidung. Versteht mich richtig: Wir dürfen uns nicht als Fremdlinge inmitten des Diözesanklerus bewegen, unter dem wir leben, und uns also nicht durch die Kleidung unterscheiden. In Macon z.B. ist es unwichtig, in Paris glaube ich ebenfalls. Bei uns weiß ich nicht. Ganz bestimmt wird die Gewohnheit es zu tragen früher oder später verschwinden. So nähern wir uns mehr und mehr dem Brauche Roms. Es entspricht aber unserem Geist, uns nicht abzusondern, sondern denen zu gleichen, in deren Mitte wir leben.
Was die Soutane betrifft, so ist es notwendig, dass wir uns als gute Ordensleute zeigen: unsere Kleidung muss reinlich sein, das ist entscheidend. Wenn der Habit uns manchmal weniger gut passt als wir gerne möchten, sollten wir uns darüber hinwegsetzen. Vollbringen wir gute kleine Akte der Abtötung, wenn die Gelegenheit sich bietet, das wird uns sehr nützlich sein. Ich weiß wohl, dass gewissen Naturen eine Überwindung dieser Art härter und unerträglicher erscheint als am Freitag bei Wasser und Brot fasten… Meine Freunde, wir müssen unsere Abtötungen da suchen, wo sie zu finden sind und wo der liebe Gott sie für uns bereithält. Seht doch, wie Soldaten eingekleidet werden, ihre Uniform ist nach Maß geschneidert. Sind wir nicht auch Soldaten unseres Herrn? Nach der hl. Regel sind wir alle gleich, nicht das geringste Zeichen einer äußeren Unterscheidung steht irgendeinem von uns zu. Profitieren wir also von dieser kleinen Abtötung, wenn sie uns begegnet, wie von einer religiösen Übung. Wenn ihr wüsstet, wie viel euch das bei Gott einbringen wird! „Wenn du die Gabe Gottes känntest!“ Wie teuer euch der liebe Gott das später zurückzahlen wird! Nehmen wir also, ich wiederhole es, als eine wirkliche Abtötung an. Ich weiß nicht, ob ihr darüber wie ich denkt: nichts macht mich grantiger (übler gelaunt) als wenn mir etwas nicht passt…
Lest nur das Leben der heiligen Ordensleute durch, sie nehmen immer das am wenigsten Schöne und Gute für sich. Das adelt den Ordensmann und rückt ihn an den Platz, an den er gehört. Das drängt die Eigenpersönlichkeit zurück. Eine Persönlichkeit sein, ist ja sehr schön. Aber man muss sie benutzen, um sich selbst in derlei Dingen auszumerzen.
Ich denke an die Jesuiten und Lazaristen: ihre Soutane steht ihnen wahrhaftig nicht immer gut… Machen wir es ihnen nach. Abtötungen werden uns von dieser Seite her bestimmt nie mangeln. Da haben wir Schätze zu gewinnen, übersehen wir sie nicht.
Bezüglich der Sauberkeit ist zu beachten, dass wir unsere Kleider gut pflegen sollen. Bürsten wir sie aus oder noch besser: wenn sie Schmutzflecken aufweisen, so nehmen wir einen alten Wollsocken oder einen alten Tuch- oder Wolllappen. Das ist bequemer und erfolgreicher. Achten wir darauf, keine Flecken auf dem Kleid zu dulden. Das wird in allen religiösen Orden ausdrücklich empfohlen, selbst bei den Ordensleuten, die nicht ausgehen und ihr Haus nicht verlassen. Die Kartäuser und Trappisten üben peinlichste Sauberkeit aus Ehrfurcht vor ihrem Stand und dem hl. Gewand, das sie tragen. Alle diese Dinge, im religiösen Geist vollzogen, nützen uns oft mehr als ein Fasten und selbst eine Betrachtung und bringen uns größere Verdienste ein.
„Die Patres können alle Ämter der Kongregation innehaben…“
Es scheint mir, dass man für den Posten des Generalökonoms nicht einen einfachen Leviten hernehmen kann. Die wichtigsten Ämter sollen nach den Satzungen den Priestern vorbehalten sein.
Was die Kleidung der Brüder betrifft, so mögen sie an den Sonntagen und den Tagen mit liturgischen Zeremonien den Habit tragen, den die Regel vorschreibt. An den übrigen Tagen und im Inneren des Klosters tragen sie zur Arbeit gewöhnliche Kleidung.
„Man soll nur jene in die Kongregation aufnehmen, die wenigstens das sechzehnte Lebensjahr erreicht haben und ein großes Verlangen nach der christlichen Vollkommenheit bekunden.“
Wesentliche Voraussetzung für den Eintritt in den Ordensstand ist der Wunsch, vollkommen zu werden, ein besserer Christ, als man es in der Welt sein kann, zu werden. Man muss vom Wunsch erfüllt sein, sich mittels der klösterlichen Tugenden zu heiligen, muss etwas mehr haben wollen als die Weltchristen und sogar als die Weltgeistlichen.
Der Stand des Weltgeistlichen ist etwas sehr Heiliges. Doch die Frömmigkeit eines Pfarrgeistlichen genügt im Allgemeinen nicht für den Ordensmann. Bei ihm muss eine viel stärkere Tendenz zum Übernatürlichen vorliegen, zur Treue gegenüber dem Wohlgefallen Gottes selbst in den kleinsten Dingen, zu einem abgetöteten und gehorsamen Leben, zur Frömmigkeit. Anderenfalls hätte das Ordensleben seinen Sinn verloren.
„Die Unterhaltskosten, die der Postulant zu erbringen hat, richtet sich nach den Bedürfnissen des Hauses und der Leistungsfähigkeit des Postulanten.“
In den Frauenklöstern verfährt man in diesem Punkt sehr streng. Rom will nicht, dass man eine Schwester ohne Mitgift aufnimmt. Jene, die absolut nichts beisteuern können, werden für Dienstleistungen im Haus hergenommen. Dann schätzt man den Wert ihrer Arbeit und ihres Fleißes ab. Die Hilfsmittel, die sie auf diese Weise dem Haus zu verschaffen vermögen, ersetzen bei ihnen die Mitgift. Bei den Männern liegt die Sache etwas anderes. Sie haben Aussicht, Priester zu werden. Nichtsdestoweniger stellt ihr fest, dass Rom wenigstens von den Postulanten und Novizen ein Kostgeld verlangt oder wenigstens den Gegenwert dieses Geldes, falls man die Summe nicht vollständig aufbringen kann, und das bis zu dem Zeitpunkt, wo sie endgültig Ordensleute und Mitglieder der Kongregation geworden sind.
„Nach den Bedürfnissen des Hauses…“
Wir können sagen, dass wir die ärmsten Ordensleute Frankreichs sind. Wir erfüllen alle Bedingungen der Armut. Die Genossenschaft besitzt nichts, wovon sie leben könnte. Das Noviziat ist nicht gegründet (Anm.: „hat also keine Stiftungsgrundlage“), hat keine festen Einnahmequellen. Soll das heißen, dass ich diesen Zustand bedaure? Nein. Wird die hl. Regel treu befolgt, dann sind wir reich genug. Gott wird uns stützen und zu Hilfe kommen. Das möge keiner von uns vergessen. Jeder möge die Last der Armut tragen, indem er alle anfallenden Entbehrungen auf sich nimmt, die Übung der Abtötung, die der Armut entspringt, liebgewinnt, und so wenig wie möglich ausgibt… Wir sollten uns darüber ganz klar sein, dass man sein Armutsgelübde nur dann wirklich hält, wenn man die Armut auch wirklich übt, wenn man wenigstens von Zeit zu Zeit etwas reale Mühsal infolge der Armut leidet.
Die Kapuziner besitzen nichts, ihre Wohnung gehört ihnen nicht. Wir dagegen haben Kollegien, jawohl… aber wir müssen dafür Steuern bezahlen…
Früher sagte man zu den Kindern, in den christlichen Familien, sie seien arm, und man leitete sie an, mutig auf kleine Gelüste zu verzichten. Ihr werdet mir jetzt sagen: „Aber, Herr Pater, Sie sagen uns ständig dieselben Dinge.“ Meine Freunde, ich sage nur, was für uns strikteste Wahrheit ist. Jeder von uns muss davon überzeugt sein, dass er arm ist, in einem Armenhaus wohnt und sich wie ein Armer zu benehmen hat… Wenn ich diese Feststellung mit so viel Nachdruck mache, glaube ich, niemand damit zu verletzen. Mir scheint, im Allgemeinen folgt man den großen Linien der Armut. Beobachten wir sie aber auch in allen Einzelheiten! Bemühen wir uns, Verzicht zu leisten und nur das absolut Notwendige zu beanspruchen.
Es ist schön und gut, die Armut im Äußeren zu beobachten. Wir müssen sie aber auch innerlich liebgewinnen. Ja, wir sollten den Stand der Armut lieben, lieben den Zwang und die Mühsal, die daraus entspringen, weil uns das unserem Herrn ähnlicher macht. Nie sah ich einen sichereren Beweis der Auserwählung als diese fromme Liebe zur Armut. Ich könnte sehr viele Beispiele von Weltleuten, Ordensfrauen und Ordensmännern dafür anführen. Wenn dieser Sinn der Armut einmal in eine Seele eingekehrt ist, senkt der liebe Gott sichtbar seinen Blick voll Wohlgefallen auf sie. Es scheint, dass diese Vorzugsseelen zur Familie von Nazareth gehören…
Bittet die Gute Mutter um Erleuchtung. Sie verstand die Armut so erstaunlich gut. Das erlebte ich in der Heimsuchung von Troyes 40 Jahre hindurch. Betretet einmal ein Heimsuchungskloster: ihr werdet überrascht sein von der Armut, die dort herrscht. In der Speisekammer stehen nur alte Schränke… Das hat mich am meisten erbaut. Das adelt die Seele und nähert sie Gott. Die Losschälung von der Kreatur bringt uns Gott näher. Warum empfing der hl. Franz v. Assisi die Wundmale? Warum wurde er Patriarch einer Familie, so zahlreich wie die Sterne des Himmels? Es war die Belohnung für seine Armut. Streben wir danach, dasselbe zu tun.
„…und nach der Leistungsfähigkeit des Postulanten…“
Durch eure persönliche Arbeit, durch euer Amt kommt ihr der Kommunität zu Hilfe. Ihr seid Professoren, Präfekten, verrichtet irgendeine Handarbeit: Tut alle das im Geist der Armut und voll Hochherzigkeit. Das ist eine Schuld, die ihr der Ordensgemeinde abzahlt. Und Gott zieht sich damit euch gegenüber eine Schuld zu, die er großzügig erstatten wird.
Ja, Gott zahlt freigebig. Was soll er denn hier auf Erden noch mehr geben? Der gute Ordensmann empfängt von Gott mehr und wird reicher beschenkt als wäre er der Kaiser von Russland. Er hat einen herrlichen Platz im Himmel und ist bereits hier auf Erden Gegenstand göttlicher Aufmerksamkeiten mehr als irgendwer sonst. Unser Herr erwählt ihn, um ihn zu unterweisen und die Geheimnisse seines Herzens zu offenbaren. Wenn unser Herr zu einer Seele sagt: „Komm und folge mir“, kann er bestimmt für sie nicht mehr tun, und als Gott kann er doch alles. Urteilt man nur oberflächlich und unüberlegt, leuchtet dies nicht ein. Geht man aber der Sache auf den Grund, so schließt diese göttliche Auserwählung alles ein, alles, was ihr an Gutem, Großem und Glücklichen ausdenken könnt und mehr als das…
Gott kann niemandem aus uns Besseres geben, nichts, was tiefer unsere übernatürlichen Bedürfnisse befriedigt. Da lohnt sich wirklich die Mühe des Versuchs, für ihn etwas zu tun.
D.s.b.
