Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 22.07.1896: Über das Studium der Theologie und die Feiertage

Bald braucht ihr keinen Unterricht mehr zu erteilen, könnt euch mehr Erholung gönnen und spazieren gehen. Wir werden weiterhin vier Stunden Theologie in der Woche betreiben. Ich empfehle euch, meine Freunde, eure Zeit gut zu nutzen, sie nicht zu vergeuden und an eurer Theologie zu arbeiten. Jede Lektion will gut gelernt sein, dass man sie gut vortragen kann. Über alles solltet ihr euch gründlich Rechenschaft ablegen und euch damit tief durchdringen. Es ist nicht genug, jede Lektion, eine nach der anderen (getrennt) zu wissen. Ihr habt einen Traktat der Theologie begonnen. In einem Traktat ist alles untereinander verzahnt und verkettet wie in einem Buch der Geometrie, wo sich auch eins aus dem anderen ergibt, und so ist es mit jeder Wissenschaft.

Der letzte Lehrsatz eines Geometriebuches ist das Produkt von allem, was das Buch enthält. Kennt ihr aber nur den letzten Lehrsatz und habt alles Übrige vergessen, dann wisst ihr nichts oder recht wenig.

So steht es auch mit der Theologie. Hier, möchte ich sagen, müsst ihr vor allem die Verzahnung, das Gewebe einer jeden Abhandlung studieren und verstehen. Theologie muss man mit dem Gedächtnis studieren, mehr noch mit dem Verstand, aber auch mit der Feder in der Hand. Macht immer einen kleinen Auszug aus eurem Theologiekurs, kurz und klar. Ein Inhaltsverzeichnis, oder eine Folge von Tabellen, die euch einen Überblick gewähren, wenn ihr das lieber habt. Beginnt beim 1. Kapitel, fahrt mit dem 2. fort und so weiter. Wenn ihr die nachfolgende Frage studiert, so lasst das Band nicht aus dem Auge, das diese mit der vorhergehenden Frage verbindet. Seid ihr bei der letzten Frage angekommen, so werdet ihr in eurem Geist schön geordnet alle früheren Themen tragen.
Begreift das wohl… Vielleicht seid ihr versucht zu sagen: das ist die Methode, die ihnen allein eigen ist… Nun, diese Methode ist aber unverzichtbar, sonst wisst ihr nichts. Wenn ihr am Vortrag eurer Weiheexamina steht, müsst ihr sonst von vorne zu studieren anfangen. Wie ein Maurer, der ein Haus gebaut hat und nun schließlich feststellt, dass es nicht aufrecht steht, sondern die einzelnen Teile auseinanderstreben. Er muss es ganz abreißen, um es Stein für Stein neu zusammenzusetzen. Ordnet also in eurem Verstand alles, was ihr lernt, zu einer Einheit, damit der bereits gelernte Stoff euch ständig gegenwärtig bleibe. Werdet euch klar über die Verkettung der Gedanken und kommt oft darauf zurück. Im Augenblick des Examens steht der Stoff dann gegenwärtig in eurem Kopf, und die unmittelbare Vorbereitung bietet keine Schwierigkeit mehr.

Das gilt für die Theologie ebenso gut wie für jedes andere Studium: Philosophie, Geschichte, Kanonisches Recht, was weiß ich noch? Das gilt sogar für das Studium der Grammatik. Vernachlässigt man diese Methode, wird unser Geist schnell müde. Am Schluss weiß man dann nicht mehr, was man am Anfang gelernt hat, in unserem Kopf herrscht ein Durcheinander, man kennt sich nicht mehr aus, und nichts bleibt zurück. Selbst wenn man bloß hin und wieder gewissenhaft arbeitet, kommt es soweit, dass man fast nichts behält.

Vergesst auch nicht, immer mit der Feder in der Hand zu arbeiten. Zerlegt, fasst zusammen und notiert, was euch besonders auffällt. So studiert man mit Frucht und behält es.

Ich möchte nicht noch einmal auf das zurückkommen, was ich euch im letzten Kapitel über das Thema der Ferien gesagt habe. Es ist eine sehr günstige Zeit für euer religiöses Leben, falls ihr sie recht zu gebrauchen versteht. Bedenkt, dass der Gott der Ferien auch der Gott des inneren Lebens ist. Die Zerstreuung und der Zeitvertreib, die ihr braucht, sind in Ordnung. All das entspricht dem Willen Gottes und muss darum aus Liebe zu ihm und in religiösem Geist bejaht werden. Gebraucht all das, vor allem das, was euch am Angenehmsten ist, um euch noch mehr mit Gott zu vereinigen. Tut alles im Verein mit ihm und in Abhängigkeit von ihm. So wird die Ferienzeit euch von Nutzen sein, wird eine Zeit der Ernte und des Fortschrittes. Weihen wir da Gott unsere Gedanken, Willen, Worte und Werke. Gern wird er alles annehmen, denn all das ist ihm angenehm. Er wird euch darob umso mehr lieben.

Wir wollen gute Vorsätze fassen, dass die Ferien keine Zeit des Verfalls, sondern der Stärkung werden, die uns neue Kraft verleiht für Verstand und Willen. Da frischen wir unsere geistigen Kräfte auf. Der hl. Stifter sagt: Ist man recht müde, hat ein aufreibendes Studium unseren Geist angestrengt, so soll man seine Seele schweigend zu Füßen des Herrn halten. Das sei eine Art geistigen Schlafes, und dieses Schlummern sei für die Seele ebenso nutzbringend wie der natürliche Schlaf für den Leib. Ferner sagt er: so, wie wir nicht unablässig arbeiten können, so können wir auch nicht beständig das aktive Gebet üben. Ja, wir können uns nicht einmal ständig und aktuell in der Gegenwart Gottes halten. Bei jeder Betätigung bedürfen wir gelegentlicher Entspannung und Ruhe. Entscheidend bleibt, dass wir die Hand unseres Herrn nicht loslassen, sondern sie recht festhalten. Darin besteht das geistliche Leben.

Man ist nicht heilig, wenn man außerordentliche und wunderbare Dinge vollbringt. Man ist auch nicht heilig, wenn man große Erleuchtungen empfängt, heilig ist man aber, wenn man die Gute Meinung macht bei jeder Handlung und wenn man treu sein Direktorium befolgt. Bemüht ihr euch also, während der großen Ferien gut euer Direktorium zu beobachten, dann wird diese Zeit euch selbst wie den anderen Nutzen bringen.

Wir sollten den lieben Gott auch bitten, Arbeiter in seinen Weinberg zu schicken. Wir brauchen sie in den Missionen, den Kollegien und apostolischen Werken. Wir brauchen sie auf der Kanzel und der Seelenführung. Ich empfehle euch dieses Anliegen besonders dringend für die Ferien. Setzt alle Möglichkeiten ein, die in eurer Macht stehen, um uns guten Nachwuchs zu besorgen, je nach den Umständen und mit aller nötigen Klugheit und Diskretion. Betet, ja betet viel dafür. Und handelt nach dem Maß eurer Fähigkeiten. Das sollt ihr während der Ferien nicht vergessen.

Wenn wir treu sind, wenn wir gute Ordensleute sind, werden wir bestimmt viel Gutes wirken. Worin besteht dieses Gute? Nun, es besteht in zuverlässigen und grundlegenden Dingen. Hier geht es nicht um etwas Oberflächliches, um einen glänzenden Einfall, ein mitreißendes Wort, eine mehr oder weniger üppige Phantasie. Es geht hier ganz einfach um das christliche Leben, das übernatürliche Leben, das wir in unserer Zeit so dringend benötigen, weil man es immer seltener antrifft. Die Erziehung in unseren Familien ist nicht mehr christlich fundiert. Der Priesternachwuchs geht zurück. Es scheint, dass der Lebenssaft eintrocknet, ja ganz auszutrocknen droht. Gewiss empfängt der Priester weiterhin die Gnaden der Priesterweihe, die Vollmacht, die Sakramente zu spenden. Was aber vielen Priestern unserer Zeit abgeht, ist die ernste Erziehung in einer christlichen Familie. Das ernste Fundament, die ersten guten Eindrücke haben gefehlt, der christliche Lebenssaft der Geburt und der Saft der Familie.

Ein Priester sagte mir, was bestimmt übertrieben ist: „Wenn es so weitergeht, so glaube ich, werden viele junge Priester den Glauben verlieren und ihn auch anderen wegnehmen. Sie kennen noch recht und schlecht den Buchstaben der Theologie. Was aber den Geist, die Gewohnheiten, die Art, die Dinge zu sehen und zu beurteilen betrifft, wirklich, der christliche Geist ist ihnen abhanden gekommen… Was bleibt ihnen dann noch?“

Meine Freunde, wir müssen ganze Priester sein, müssen „die Gnade des Inneren“ ebenso haben wie die, welche ich die „Gnade des Äußeren“ nennen möchte. Wir müssen in uns die Gnade empfangen und bewahren, die Gott für uns bestimmt und die uns zu Priestern und Ordensleuten nach seinem Herzen machen wird. Das muss der Saft sein, der uns mit Leben durchpulst, und kraft dessen wir unserer göttlichen Sendung gerecht werden. Und wo schöpfen wir diese Gnade? In den Sakramenten, der hl. Kommunion und der hl. Messe. Diese Stärke können wir durch Treue zu allen Übungen des geistlichen Lebens erneuern und dauerhaft machen.

Die Gute Mutter sagte mir: „Die Menschen werden schlecht werden. Von allen Seiten wird ein Kampf losbrechen. Die Schwierigkeiten werden kein Ende nehmen, die von links und rechts über uns hereinbrechen. Da heißt es, sich mit Mut wappnen. Bewahrt euren Willen treu für Gott!“ Das hat sie mir zu wiederholten Malen versichert, und alle Voraussagen, die sie mir machte, haben sich erfüllt. Sie gestand mir auch, sie hätte gern noch die Oblaten gesehen und alles Gute, das sie durch ihre Arbeit wirken werden. „Das wird sehr schön sein“, sagte sie, „man wird den Heiland wieder über die Erde schreiten sehen.“ Ja, das muss sehr schön sein, weil die Gute Mutter so viel Mut aufbringen musste, darauf zu verzichten, das vor ihrem Tod noch zu erleben. Meine Freunde, ich sage es noch einmal, was die Gute Mutter vorhergesagt hat, hat sich verwirklicht, immer und jederzeit… Hüten wir uns also, für die göttliche Aktivität ein Hindernis zu werden. Wir dürfen uns nicht der göttlichen Bewegung und Gnade entgegenstellen und sie bekämpfen. Die Treue zur Gnade muss das Fundament unseres Geists, die Grundlage unseres ganzen Lebens sein.

Mehrere Male versicherte mir die Gute Mutter auch, dass eine ganz besondere Gnade den Werken unseres priesterlichen und klösterlichen Dienstes anhafte. Seid darum zuerst Ordensleute, durch und durch Ordensleute. Wir haben keine große Zahl äußerer Übungen wie viele andere Ordensleute. Dafür stehen uns innere Mittel in Fülle zur Verfügung, und gerade diesen wohnt große Kraft inne. Wir wollen unsere Kraft und Stütze da suchen, wo Gott sie für uns bereit gestellt hat, nämlich in uns selbst. Da ergreifen wir sie in aller Demut und allem Vertrauen. Im Vollbesitz unseres Willens und unserer Freiheit setzen wir sie ins Werk. Dann handelt der Heiland selbst in uns und durch uns.

D.s.b.