Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 08.07.1896: Welches Mittel wir brauchen, um unsere gesteckten Ziele zu erreichen.

Wir besitzen ein Mittel und ein sehr wirksames, um das Ziel zu erreichen, das uns gesteckt ist. Welches ist dieses Ziel?

Unser Ziel ist die Vereinigung mit Gott, ist die Treue, die Erfüllung der Satzungen und Ordensvorschriften. Unser Ziel besteht darin, dass wir arm, gehorsam, keusch und liebevoll, mit einem Wort: gute Ordensleute sind.

Um an dieses Ziel zu gelangen, gibt es ein großes Mittel, das schwerlich in den Büchern zu finden ist, das ich vielmehr praktiziert im Leben der Guten Mutter Maria Salesia bewundert habe, ein Mittel, das sie unmittelbar von ihren heiligen Gründern gelernt hat.

Dieses Mittel besteht darin, alles, was in unseren Händen liegt, unseren guten Willen, unsere Kräfte, Talente, ja selbst unsere Fehler, die Schwierigkeiten und Hindernisse, all das zu benutzen, um mit größtmöglicher Gewissenhaftigkeit und Liebe zu verwirklichen, was Gott und die Regel von uns erwarten.

Hört gut zu, was ich euch jetzt sage: das große Mittel, von dem ich euch spreche, ist: was immer an Gutem und Schlechtem uns begegnet, ja alles, was auf unserem Weg liegt, zur Vervollkommnung unseres Ordenslebens und unserer Gottvereinigung zu verwerten. Das ist unser Weg, meine Freunde, nur auf diesen dürfen wir uns begeben, denn da finden wir eine sehr wirksame Hilfe.

Oft sagte mir die Gute Mutter: Wir müssen entschlossene Menschen sein, sogar hartnäckige, die, koste es, was es wolle, ihr Ziel erreichen wollen, das sie sich vornehmen. Dieses Ziel, die möglichst ununterbrochene Vereinigung mit Gott, zu erreichen, ist aber nicht leicht. Es geht nicht ohne Hindernisse. Auf unserem Weg begegnen wir sehr vielen Schwierigkeiten jeder Art und jeder Qualität: Zerstreuungen, Verdrießlichkeiten, Widersprüchen, Widerständen von außen und innen, all das tut sich zusammen, um uns zu entmutigen, aufzuhalten und vom Ziel abzulenken.

Es geht nun darum, das Geheimnis zu entdecken, wie wir gerade, die am meisten unserem Ziel entgegenstehenden Dinge zu unserem Nutzen einsetzen können. Auch die Gute Mutter erlebte im Laufe ihrer Alltage sehr viele Enttäuschungen, Unannehmlichkeiten, musste in ihrer Umgebung Mutlosigkeiten und Rückschläge feststellen und sah sich zahlreichen verworrenen Situationen gegenüber. All das aber, was sie von ihrem Ziel hätte abbringen können, wurde ihr in Wirklichkeit zu einer Hilfe, und das auf Grund der Art und Weise,, wie sie sich ihrer bediente, um dem Willen Gottes entsprechend zu handeln und sich noch inniger mit diesem göttlichen Willen zu verbinden.

Da gibt es z.B. Versuchungen gegen die hl. Keuschheit, die uns zusetzen können. Auf den ersten Blick scheinen sie direkt unserem Gelübde der Keuschheit entgegenzustehen, ein Hindernis, das unserer priesterlichen und klösterlichen Berufung widerspricht. Nun, die großmütigen und aufgeklärten Seelen ziehen ganz im Gegenteil aus diesen Versuchungen Profit, indem sie noch lebhafter und sicherer ihr Ziel erreichen und die Keuschheit mit noch mehr Sorgfalt und Liebe üben. Sie leben in einer vermehrten Wachsamkeit dahin, sobald solche Versuchungen über sie kommen, leben in einer noch treueren Erinnerung an die Gegenwart Gottes, in einer genaueren Beobachtung des Direktoriums, in einer vollkommeneren Abtötung. Und so vermeiden sie mittels dieser Versuchungen noch sorgfältiger die Sünde und üben reichlicher und großmütiger die Tugend. Man muss also so gut wie möglich das Hindernis umgehen. Lässt sich das nicht tun, so müssen wir es überspringen.

Es ist übrigens eine Erfahrungstatsache: die reinsten Seelen, jene, die am meisten Anspruch auf die Krone und den Ruhmeskranz der Keuschheit haben, werden für gewöhnlich nicht von Versuchungen verschont. Im Gegenteil, es sind die versuchten Seelen, jene, die tapfer widerstanden haben und sich in der Versuchung mit umso größerer Liebe und Treue an unserem Herrn klammerten, der allein sie retten kann. In solchen Seelen treffen wir die kompletteste, best verstandene und von Gott am meisten geliebte Keuschheit an. Das ist eine Tatsache. Dieses Hindernis also, die Versuchung, wird, weit davon entfernt, die Seelen von ihrem Ziel abzuziehen, wenn sie großmütig sind, zu einem Mittel, einem Ansporn und einer energischen Hilfe, um zu Gott zu gelangen. Und dies umso mehr, je mehr man im Begriffe steht, ihn zu verlieren, ihn aber um jeden Preis bewahren will.

Wir leben umgeben von Menschen mit sehr schwierigen Charakteren. Da sind solche, die uns reizen und ärgern, andere, die unser Tun falsch auslegen und über uns schlecht urteilen. Wie sollen wir ihnen gegenüber die Liebe bewahren? Indem wir uns des Direktoriums bedienen, die Gute Meinung machen, indem wir in diesem teuren Mitmenschen unseren Herrn sehen und zu ihm mit umso größerer Liebe gehen, als wir wissen, dass wir gerade dadurch unserem Herrn gefallen. Wird unser Liebesakt auf diese Weise nicht vollständiger als hätten wir überhaupt keine Schwierigkeit zu überwinden gehabt? Wird unser Lohn dadurch nicht reicher und sicherer? Daraus erkennt ihr, dass Hindernisse auch ihre guten Seiten haben. Ihretwegen handeln wir energischer, übernatürlicher und folglich auch verdienstlicher als sonst.

Das erlebte ich immer wieder bis in die geringsten Einzelheiten des Lebens der Guten Mutter hinein. Kam eine große Sorge über sie, ein Unglücksfall, eine Katastrophe, die ihre Gedanken natürlicherweise hätten ablenken, ihr inneres Leben blockieren, sie ihrer Gottvereinigung hätten entreißen müssen, so schöpfte sie ganz im Gegenteil gerade darin neue Kraft. Als Folge davon vereinigte sie sich umso inniger mit dem Willen und Wohlgefallen Gottes.

Das muss uns, meine Freunde, zur beständigen Praxis, ich möchte fast sagen, zu einem Glaubenssatz werden. Da muss ich an ein schönes Wort des hl. Martyrers Ignatius denken. Als dieser Bischof von Antiochien nach Rom transportiert wurde, um dort als Martyrer zu sterben, wurde er auf der ganzen Überfahrt von Soldaten bewacht, die ihn umso bösartiger behandelten, je gütiger und liebevoller er sich gegen sie benahm. In einem Brief an seine Gläubigen schreibt er das Wort: Ihre Bosheit wird mir zu meiner Lehrweisheit, die mich die Liebe lehrt. Dieses Wort eines Heiligen ist wahrhaft wunderbar.

Diese Weisheit sollten auch wir in alle Ereignisse hineinlegen, die uns heimsuchen. In der Schule haben wir mit schwierigen Schülern zu tun, die einen bösartigen Charakter haben oder faul sind… Sagen wir da zu uns selbst vor der Unterrichtsstunde: Ich muss mir einen großen Vorrat an Geduld zulegen, muss alle Hilfsquellen zu meiner Erfindungsgabe mobilisieren, denn: Ihre Bosheit wird mir zu meiner Lehrweisheit. Das sollte das Kennzeichen der Oblaten des hl. Franz v. Sales sein, dass sie sich hingeben, eher als die anderen Entgegenkommen und Kosten auf sich nehmen, um die ihnen anvertrauten Seelen zum Guten zu führen. Das ist eine wesentlich salesianische Praxis. So geht ihr geradewegs aufs Ziel los, das ihr euch gesteckt habt, und die Umstände, die euch aufhalten, ablenken und entfernen wollen, benutzt ihr so, um durch sie vollständiger und sicherer euer Ziel zu erreichen.
Soll das heißen, wir widersetzen uns nicht dem Bösen? Wir kämpfen gegen das Übel nicht an? Wir nähmen das Böse ebenso an und bejahen es wie das Gute? … Nicht im Geringsten. Gewiss lassen wir uns zum Bösen hinab, um es zu erkennen, zu unterscheiden, zu erfassen. Dann aber erheben wir unsere Seele zum Willen Gottes, um dann wiederum, von der Gnade gestärkt und befestigt, zu unserer Pflicht und zum lieben Nächsten hinabzusteigen, indem wir bessern, was zu bessern ist, und anerkennen, was es zu bejahen gibt.

Ich wiederhole es, meine Freunde: das ist tiefe Philosophie, ist die Philosophie der Heiligen. Nehmen wir sie ganz in uns auf und ziehen wir aus ihr Nutzen. Dann sind wir wahrhaft großmütige, starke, erleuchtete und einsichtige Menschen, darauf bedacht, den Willen Gottes zu tun. Fassen wir unser Ziel wohl ins Auge und erfassen wir es gut: den Willen Gottes tun, uns mit ihm zu vereinigen, gute Ordensleute sein. Lernen wir sodann, alle Mittel zu gebrauchen, die der liebe Gott auf unseren Weg legt und denen er uns begegnen lässt, auch wenn sie diesem Ziel direkt zu widersprechen scheinen. Erheben wir uns auf ein höheres Niveau, steigen wir bis zu Gott empor, dann bringen wir mit Hilfe dieser Mittel eine Wirkung hervor, die jener völlig entgegensteht, die diese Mittel natürlicherweise hervorbringen.

Liebt diese Art von Betätigung! Alles, was euch zustößt, alles, was euch begegnet, gebraucht es auf eine wirkungsvolle Weise. Das erfordert sicher Großmut, Verzicht auf sich selbst und selbstlose Hingabe, doch wir müssen es tun, um das Ziel zu erreichen, welches wir uns vorgenommen haben, d.h. zur Vereinigung mit Gott zu gelangen durch die genaue Beobachtung unserer Satzungen und unseres Direktoriums.

Als die Gute Mutter nach Troyes kam, waren die dortigen Schwestern sicher recht gut. Sie hatten jedoch lange Jahre während der Französischen Revolution außerhalb des Klosters gelebt. Einige kannten kaum mehr die Feinheiten des Ordenslebens. Sie brachten viel guten Willen mit, hielten aber nichts von den kleinen Einzelheiten der hl. Regel: das waren für sie überflüssige Dinge. Allmählich versuchte nun die Gute Mutter, dagegen vorzugehen, indem sie zunächst die jungen Novizinnen heranbildete. Doch all diese jungen Ordensfrauen starben eine nach der anderen. Der liebe Gott rief sie alle zu sich. Die Gute Mutter sah ihre Absicht vereitelt… Aber sie verlor nicht den Mut. Sie sagte sich nicht: hier habe ich nichts mehr zu tun. Mir fehlen die Mittel, mein Ziel zu erreichen, ich bin machtlos… Laut sagte sie überhaupt nichts. Aber in ihrem Herzen sprach sie leise: Mein Gott, ich habe zuerst nicht verstanden, jetzt aber begreife ich: du willst es selbst machen, du ganz allein.

Und mit größerem Vertrauen in das Wirken des Herrn machte sie sich ans Werk. Der Heiland vollbrachte selber in den Seelen die gewünschte Arbeit, und die Ordensgemeinde wurde von einem außerordentlichen Eifer erfasst.

Auch wir machen uns oft an die Arbeit mit der Überzeugung, es müsse gelingen. Das aber nimmt keine gute Wendung. Sollen wir jetzt den Mut verlieren? Fangen wir wieder von vorne an und stützen wir uns noch mehr auf den lieben Gott, der uns wahrscheinliche zeigen will, dass er allein den Erfolg geben kann. In der Schule, auf der Kanzel, in der Seelenführung, gleichgültig bei welcher Arbeit: habt guten Mut! Denn hier haltet ihr ein Mittel in der Hand, um das ersehnte Resultat noch sicherer zu erreichen, weil ihr demütiger seid und den lieben Gott noch stärker in euer Tun einsetzt. Lasst uns das in den Angelegenheiten der Innen- wie der Außenwelt beachten, in wichtigen Dingen wie in den tausend Kleinigkeiten des Alltags. Und es ist auch ein wichtiges Mittel unserer Selbstheiligung. Denn auf diese Weise reinigt man seine Seele, befreit sie von den Banden der Eigenliebe und des eigenen Wollens, um nur noch den Willen Gottes zu leben. Ja, der Wille Gottes ist alles, absolut alles. Außerhalb dieses Willens bleibt uns nichts, kein Mittelpunkt, kein Stützpunkt, rein gar nichts…
Der Wille Gottes allein macht aus uns etwas, nur dank dieses Willens taugen wir etwas. Außerhalb dieses göttlichen Willens sind wir nichts, haben wir keine Kraft, kein Gesicht. Jeder andere stellt dann mehr dar als wir. Schreitet ihr aber in der Richtung des göttlichen Willens voran, so habt ihr allezeit seinen Lebenszweck, ihr tut eure Pflicht, tut das, warum ihr Ordensleute geworden seid, ihr leistet etwas.

Was ich euch da vortrage, findet ihr nicht überall. Gewiss lehren die geistlichen Schriftsteller, man soll dem Willen Gottes folgen, sie machen es aber zu keiner eigentlichen Lehre, wie es der hl. Franz v. Sales tut. Bei ihnen wird es nicht zu einem Mittelpunkt, einem Stützpunkt für das geistliche Leben, auf den sich alles stützt, absolut alles… Das ist unser Prinzip, meine Freunde, unser großes Mittel, sicher und wirksam.

Soeben erhielt ich einen Brief aus Rom von P. Rollin. Er schlägt vor, dass P. Simon zum Apostolischen Vikar ernannt und zum Bischof geweiht werde. Beten wir in diesem Anliegen. Die Nachrichten vom Kap sind gleichbleibend, die Trockenheit herrscht noch immer.

D.s.b.