Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 01.07.1896: Verbinden wir uns und seien wir richtige Männer!

Im letzten Kapitel rief ich euch zur Liebe auf gegenüber unseren Patres und der Kongregation. Liebe bedeutet Wohlwollen und Hingabe. Ich mache euch auf die Wahrheit aufmerksam, die sehr theologisch ist, dass diese Liebe eine Gabe Gottes, eine übernatürliche Tugend ist, die nur kraft einer besonderen Gottesgabe betätigt wird. Sie kann also nicht das Ergebnis unserer natürlichen Anstrengungen sein. Es ist vielmehr eine unverdiente Gnade. Wir müssen eifrig bei Gott darum anhalten. Ohne eine besondere Gottesgabe lieben wir unsere Kommunität, die religiöse Disziplin und die Werke der Genossenschaft nicht vollkommen. All das dürfen wir nicht deshalb lieben, weil man es so gut erledigt, weil diese Dinge uns gefallen, weil sie unserem Geschmack oder unserem besonderen Temperament entsprechen. Die Geist und Geschmäcker sind verschieden, auch die Eindrücke. Was uns selbst gefällt, gefällt noch lange nicht den anderen. Ohne eine besondere Gabe Gottes kann man darum gar nicht in allen Gefühlen und Affekten mit anderen übereinstimmen. Das können wir nur von Gott erbitten in der hl. Kommunion.
Dieses Wohlwollen für die Ordensgemeinde, diese Liebe ist das wirksamste Mittel, um an unser Ziel zu gelangen, damit unsere Genossenschaft in der hl. Kirche das Gute hervorbringe, das sie zu wirken berufen ist. Gott ist die Liebe. Alles, was er schafft, ist vollkommen, ob materielle oder geistige Geschöpfe. Gott ist die Liebe, und wo immer die Liebe wohnt, bringt sie die Vollkommenheit mit. Alles in der Welt wohlgeordnet, weil Gott die Liebe ist. Machen wir uns diese Wahrheit zu Eigen. Es sei die Achse unseres Ordenslebens, unsere alltägliche und immerwährende Praxis: alles, was wir zu tun haben, aus Liebe tun, Liebe und Wohlwollen an die erste Stelle rücken. Das tat der hl. Franz v. Sales wie die Gute Mutter.

Ihr werdet mir antworten: „Herr Pater, das ist unmöglich. Man kann nicht leben, ohne seine Gefühle und Gedanken zu sagen und zu offenbaren.“ Das ist wahr, man kann es nicht. Aber alles, was ihr sagt und tut, sei allezeit auf dem Fundament der Liebe aufgebaut und gehe aus diesem Schatz hervor. Die Oblatinnen, die im geistlichen Leben die größten Fortschritte machen, und die die tüchtigsten Oblatinnen sind, legen das Gelübde der Nächstenliebe ab. Zuerst für eine bestimmte Zeit, für ein paar Wochen. Der Beichtvater erlaubt es. Sie sind bestrebt, in nichts dagegen zu fehlen, und jene, die dieses Gelübde abgelegt haben, sah ich in der Einheit der Herzen und im Frieden dahinleben.

Jeder hat seine Art zu urteilen, zu fühlen und zu handeln. Wir sind veränderlich. Hat man aber das Gelübde der Liebe abgelegt, so verbindet diese Liebe die Seelen zum gleichen Wohlwollen und zum gleichen Denken. Darum lade ich auch euch, meine Freunde, ein, dieses Gelübde abzulegen. Ich fühle es, wir müssen uns fester zusammenschließen. Wir sind kein Regiment Soldaten, die durch eine eiserne Disziplin zusammengehalten werden. Wir sind auch kein Wohltätigkeitsverein, der durch Mitgliederbeiträge zu einer Einheit wird, und der die säumigen Mitglieder mit einem Bußgeld belegt. Wir haben kein anderes Band als das der Liebe, besonders wenn es durch das Gelübde der Liebe verstärkt wird, durch das Gelöbnis also, ein echtes liebendes Wohlwollen zu üben.

Ein Pfarrer aus einer Nachbardiözese bat mich um Oblatinnen, weil „sie, wie man mir erzählte, untereinander liebevoll sind.“ Nun, vor einigen Jahren hätte er das nicht sagen, hätte er diese Bemerkung nicht machen können. Da steht ihr, welch günstigen Eindruck das hervorruft, und in der Tat setzt die Betätigung der Liebe, das Befolgen dieses Gelübdes der Liebe, echte und schwierige Tugend voraus. Man muss schon gut auf sich achtgeben, wenn man kein einziges Wort gegen die Liebe sagen, wenn man schweigen will, wo man nicht reden soll, wenn man alles von der guten Seite sehen und in allem und überall helfen, besänftigen will. Dahin, meine Freunde, sollten wir gelangen. Alle Patres sollten in ihren Beziehungen zum Nächsten, vor allem in ihren Gesprächen, bei ihren Ausgängen in die Welt, ihren Besuchen in Pfarrhäusern und gegenüber Besuchern im eigenen Haus große Sorge tragen, kein einziges Wort zu sagen, das einen Mangel an Liebe und Vertrauen zu einem Mitbruder verriete. Man sollte Gott, der es allein geben kann, um die Kraft bitten, seinen Widerwollen und seine Augenblicksaufwallungen gegen Mitbrüder zu überwinden und allezeit und in jedem Augenblick in den Grenzen der hl. Liebe zu verbleiben.

Ich lade euch darum alle ein, wenn möglich das Gelübde der Nächstenliebe abzulegen. Tut das zunächst für einen Monat, dann für sechs Wochen, dann für eine längere Zeitspanne. Setzen wir aber auch positive Akte der Liebe, denn jedes Mal, wenn wir das tun, vollbringen wir etwas Gott höchst Angenehmes. Vielleicht retten wir für Gott eine Seele oder tragen wenigstens etwas dazu bei.

Ein heiliger Priester oder Ordensmann kann somit kraft seiner Liebesakte und aller anderen Tugenden unendlich viel Gutes wirken.
Ohne Unterlass zieht er Gnaden auf die Seelen herab, sowohl durch die Mühen seiner Seelsorge wie durch seine Gebete und alle anderen Tugendakten.

Und das ist ja gerade unser Lebensinhalt: „Wir haben kein anderes Band als das der Liebe, das ja das Band der Vollkommenheit ist. Denn die Liebe ist stark wie der Tod und ihr Eifer unbeugsam wie die Hölle.“ Um dahin zu gelangen, müssen wir innerliche Menschen sein. Was taugt ein Mensch? Was stellt er vor? Was macht ihn letztlich zum Menschen? Doch nur sein Inneres, sein Mitwirken mit der Gnade, seine innere Disposition, seine Absichten, seine ganze Gesinnung. Sogar das Äußere hängt wesentlich vom Inneren ab. Alles menschliche Tun wird gelenkt und geleitet von seiner Intelligenz. Sie bestimmt und bereitet die Mittel, um an dieses oder jenes Ziel zu gelangen. Der Mensch ist wesentlich ein innerliches Lebewesen, und sein ganzes Äußere ist nur eine Folge seiner inneren Gedanken und Empfindungen. Bemühen wir uns also, wahrhaft innerliche Menschen zu werden. Wir haben zu diesem Zweck ein ausgezeichnetes Mittel in der Hand, das uns der hl. Franz v. Sales gibt, das Direktorium. Von ihm leben wir, das Direktorium predigen wir und lehren es die Seelen. Es ist unser Erbe und unser Schatz. Wir müssen ins innerste Mark der Gedanken des Direktoriums vordringen, müssen dahin gelangen, dass all unsere Handlungen von Gott abhängen und zu ihm zurückzukehren. All unser Tun muss im Blick auf Gott, unter seinem Auge und aus Liebe zu ihm geschehen. Dann wird unsere ganze Seele gleichsam von Gott eingefasst und durchtränkt. Aus unserem ganzen Schaffen wird man Gott herausfühlen und alles bringt uns ihm näher. Wir werden mit ihm gleichsam eins… Alles wird verdienstlich und kostbar in seinen Augen.

Eine Täuschung ist dann nicht mehr möglich, man trifft immer ins Schwarze, in allem erreicht man das Ziel, die Gottes- und Nächstenliebe. Immer hat man Erfolg. Man ist einfach unfehlbar. All unsere Handlungen und Arbeiten, welcher Art sie auch sein mögen, müssen materiell oder geistig vom Direktorium durchtränkt sein. Arbeiten der Hand wie des Geistes sollen in diesem Geist getan werden.

Dann sind wir stark, großmütig und mächtig. Unsere Seele wird keine Schwächen kennen, wenigstens keine vollständigen, denn kleine Schwächen werden immer vorkommen. Wer hätte solche noch nie erlebt?

Wir wollen uns also dem innerlichen Leben weihen, das jedermann offensteht. Da finden wir alles Notwendige, um sicher und leicht zu Gott zu gelangen. Gottes Licht wird aus unseren Augen leuchten, sein Antrieb wird uns anspornen und vorwärtstragen. Alles, was immer wir in Angriff nehmen, wird dann, vor allem in der Seelsorge, wunderbare Wirkung haben. Das wird unsere Umgebung spüren, und wir werden so unendlich viel Gutes an den Seelen tun können.

Ein Beichtvater, der solch ein Leben der Innerlichkeit nicht führt, gibt die Lossprechung: gewiss wird dann die sakramentale Gnade in der Seele des Beichtkindes wirksam, und zwar umso reicher, je besser dessen innere Disposition ist. Doch außer dieser eigentlichen Sakramentsgnade gibt es noch eine, die man in der Theologie die nachfolgende Gnade des Sakramentes nennt, und diese fehlt einem Beichtvater ohne Innenleben. Tragen wir in uns also dieses innerliche Leben, dann teilen wir dem Beichtkind etwas mit, was zur Wohltat der sakramentalen Gnade noch hinzukommt. Und die Seelen der Gläubigen spüren das. Sie verstehen, achten und verehren diesen innerlichen Priester, fühlen, dass er sich für sie interessiert und sie zum lieben Gott führt. Sie wirken mit dem Beitrag ihres Beichtvaters mit, und es geschieht in ihnen eine wirkungsvolle, umfassende und großmütige Arbeit.

Dieser Geist der Innerlichkeit begegnet uns in der Lehre des hl. Franz v. Sales wie in der der Guten Mutter. Nicht um Geld lässt er sich freilich erkaufen, sondern nur um den Preis der ununterbrochenen Mühe, vereint mit Treue und Wachsamkeit über sich selbst. Er wird sozusagen nur pfennigweise erworben, kommt nicht im „en gros“ und nicht auf einen Schlag, noch ergießt er sich über uns wie der Hl. Geist über die 12 Apostel. Wie ein Tau kommt er Tropfen für Tropfen über uns.

Ist das ein unangenehmes und langweiliges Leben, meine Freunde? Nein, ganz im Gegenteil, es ist das Geheimnis des glücklichen Priesters, Ordensmannes und Laien. Nehmt diesen Gedanken also tief in eure Seele auf und macht euch diese Art, die Dinge zu sehen, ganz zu Eigen.

Das muss zu unserer ganz speziellen Eigenart gehören, die Dinge so zu sehen und so zu beurteilen. Wir müssen uns viel Mühe geben, innerliche Menschen zu werden. Das soll nicht heißen, unsere Innerlichkeit müsste so groß werden, dass wir kein Verständnis mehr aufbringen für die Dinge dieser Welt, dass wir mit der Außenwelt keinen Kontakt mehr haben und nur noch ein auf uns konzentriertes Leben führen, ein Leben, das sich auf unsere persönliche Aktion beschränkt und sich nicht mehr um andere kümmert… Nein, darum geht es hier nicht. Ganz im Gegenteil, wenn wir dies Leben der Innerlichkeit führen, von dem ich sprach, machen wir alles gut. Unser Herr sagte zu seinen Aposteln: Wer tut, was ich sage, wer an mich glaubt, wird die gleichen Werke tun, die ich tue, ja noch viel größere. Das hat unser Herr selbst vorausgesagt. Ist das nicht schön, noch größere Werke zu vollbringen als selbst unser Herr sie vollbracht, so klein und unbedeutend wir selbst auch sein mögen?

Auf diesen Weg müsst ihr euch begegnen, meine Freunde, das ist der rechte Grund und Boden. Außerhalb dieses Weges wären wir nicht die Ordensleute, die wir sein müssen, ja wir wären überhaupt keine Ordensleute. Durchdenkt gut die Worte, die ich euch da sage, denkt daran in eurer Betrachtung, bei der hl. Messe, vor dem heiligsten Altarsakrament. Bittet Gott um das nötige Licht. „Herr, mache, dass ich sehe! Herr, vermehre unseren Glauben!“ Das sollten wir von der Guten Mutter erbitten. Ja, inständig müssen wir darum beten, wirklich auf der Höhe der göttlichen Forderung zu stehen.

Ich habe dem Nuntius von Paris, Msgr. Ferrata, geschrieben. Hier ist seine Antwort. (Anm.: „P. Brisson liest nun den Brief vor…“). Er ist uns gegenüber sehr gütig. In schwierigen Angelegenheiten, die Griechenland betreffen, hat uns Msgr. Ferrata gegen die Anklagen, die unsere geschworenen Feinde gegen uns vorbrachten, verteidigt. Er schrieb zu unseren Gunsten einen Brief nach Rom und erhielt vom Papst einen für uns sehr tröstlichen Brief. Er versprach, uns davon eine Abschrift zukommen zu lassen.

P. Rollin wird weiterhin freundlich in Rom aufgenommen. Euren Gebeten empfehle ich die Mission in Afrika, weil wir uns mit der Absicht tragen, sie zu vergrößern. Zu diesem Zweck werden wir gewisse Vorkehrungen treffen, über die ich euch später sprechen will und die der Genossenschaft großen Nutzen bringen werden.

Aus Montevideo erhielten wir ein Schreiben, in dem man uns dringend um einen Pater als Spiritual für die dortige Heimsuchung bittet. Er soll auch für Volksmissionen zur Verfügung stehen und für apostolische Gänge. Vielleicht lassen sich dafür unsere Patres aus Ecuador hernehmen, die dort nichts mehr tun können, weil die Revolution weiterhin unumschränkt herrscht. Denn Revolution bedeutet Freimaurerei. Sie hat eine ungeheure Macht, weil sie überall Anhänger hat. Auch das empfehle ich euren Gebeten.

D.s.b.