Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 25.03.1896: Die Gattung der Seminaristen ist nicht gleich der Gattung der Oblaten.

Heute will ich zum Thema die Satzungen des Institutes nehmen: Ziel des Institutes.

„Die Mitglieder des Institutes stellen sich unter den Schutz des hl. Franz v. Sales und machen es sich zur Aufgabe, die Tugenden des Priester- und Ordensstandes im Geist des hl. Kirchenlehrers zu üben. Daher sollen sie sich aus ganzem Herzen bemühen, sich selbst zu heiligen, um dadurch wirksamer an der Heiligung des Nächsten mitzuhelfen…“

Dieser erste Artikel ist leicht verständlich und bedarf keiner langen Erklärung. Er drückt aus, dass das Ziel, das wir uns vorstellen, die Übung der priesterlichen und klösterlichen Tugenden ist gemäß dem Geist der hl. Franz v. Sales. Der Geist des hl. Kirchenlehrers ist ein Geist großer Einfachheit, ein wesentlich praktischer Geist. Der Ordensmann, der diesen Weg geht, muss sich heiligen mit Hilfe der Dinge, die er unter seinen Händen hat, mit Hilfe der Regel, des Direktoriums, der täglichen Verpflichtungen. Anderswo soll er keine Mittel zu seiner Heiligung suchen. Er heiligt sich vielmehr mit den Dingen, die er täglich zu besorgen hat, mit den Pflichten eines jeden Augenblicks, mit den Menschen, mit denen er zusammenkommt, mit seinen Tugenden und Fehlern, mit seinem Geist und seiner Art zu urteilen. Das möge ein Oblate des hl. Franz v. Sales wohl verstehen. Die Heiligung liegt bei ihm nirgendwo anders als in seiner täglichen Pflicht. Das ist das Geheimnis, das wir nicht aus dem Auge verlieren dürfen.

Darauf möchte ich die Aufmerksamkeit besonders unserer jungen Ordensleute lenken. Wir sollten den alten Menschen ausziehen, wie der hl. Paulus sagt. Noch mehr aber soll man den jungen Menschen abstreifen, den Kollegschüler, den Seminaristen. Seminaristen mögen eines Tages gute Pfarrer und gute Kapläne abgehen. Ob sie aber gute Ordensleute sein können? Gewiss will ich über die Seminaristen nichts Schlechtes sagen. Als ich noch im Seminar von Troyes lebte, hatten wir als Leiter gelehrte und heilige Männer. Das Seminar stand in Blüte und gereichte zur höchsten Erbauung. Ich kannte einen Mitseminaristen, der während seiner ganzen Seminarjahre kein einziges Wort außerhalb der Freizeit und während des Stillschweigens gesprochen hat und niemals gegen die Liebe fehlte. Das war ein wirklicher Heiliger. Er hatte so viel Gutes in sich, dass man damit zehn Ordensleute von unserer Art hätte ausstatten können. Daneben gab es andere, die ohne den hohen Grad dieser Tugend zu erreichen, ihm doch sehr nahe kamen. Es sind heiligmäßige Priester geworden, die ihre Pfarreien erbauten und Seelen retteten. Wenn ich also von Seminaristen und von Seminargeist spreche, verstehe ich das nicht in diesem Sinne. Ich denke vielmehr an solche, die ich nicht gerade als Muster euch vor Augen stellen könnte. Und vor diesem Seminaristengeist sollt ihr euch hüten, vor dem Gymnasiastengeist, der über alles urteilt und alles kritisiert.

Hört doch unseren jungen Klerikern zu, die von diesem Geist besessen sind, wie sie reden: gerade auf dem Stuhl sitzen, knien ohne sich aufzustützen, eine aufrechte Körperhaltung einnehmen, das ist doch alles nichts… Und in ihrem kleinen Gehirn kritisieren sie ihre Mitbrüder, bekritteln die Ordensregel. Nein, nein, meine Freunde, nicht das brauchen wir, um gute Oblaten zu werden. Hier liegt ein Mangel an Urteil und an Ordensgeist vor. Diese sogenannten Kleinigkeiten können nur für andere Nichtigkeiten darstellen, für uns bedeuten sie viel, sind sie alles, weil gerade das den Oblaten ausmacht. Seht nur, wie der hl. Franz v. Sales mit seiner hohen Intelligenz sorgsam die kleinsten Übungen zusammenträgt und sie nicht achtlos wegwirft. Unser Institut hat aber das Ziel, die Tugenden des Priester- und Ordensstandes gemäß dem Geist des hl. Kirchenlehrers und seinem Geistlichen Direktorium zu üben.
„Daher sollen sie sich aus ganzem Herzen bemühen, sich selbst zu heiligen…“

„Die zwei Gruppen der Oblaten: die Patres und die Brüder. Die Mitglieder der Kongregation stammen aus zwei Gruppen: den Klerikern und den Laienbrüdern, die Brüder genannt werden…“

Bittet den lieben Gott, dass er uns Brüder sende. Es ist in der Zeit, in der wir leben, sehr schwer, gute Brüder zu finden. Die Brüder, die ja weniger Ausbildung und auch weniger Mittel haben, sich im rechten Geist zu erhalten als die Patres, Feier der hl. Messe, Breviergebet, Seelsorgewerke, haben eine schwere Aufgabe, die aber auch sehr verdienstlich ist. Äußerlich gesehen, und wenn sie im Grunde ihres Herzens keine vollendeten Ordensleute sind, haben sie nicht mehr Hilfe als einfache fromme Laien. Und das genügt für viel nicht, die den inneren Kern alles ist. Brüder kann man fast nur noch in Gegenden gewinnen, die kernkatholisch geblieben und wo jedermann seine Ostern hält. Brüdernachwuchs ist also schon jetzt recht schwierig zu bekommen, und das wird sicher in Zukunft noch schwieriger werden.

Wir müssen unsere Brüder mit Liebe und auch mit Ehrfurcht umgeben. Seien wir doch ihre Helfer. Sie erweisen der Genossenschaft großen Nutzen und sind ihr notwendig. Umgekehrt können auch sie in der Kongregation wertvolle Mittel für ihre Selbstheiligung finden. Die Väter vom Hl. Geist haben das Mittel gefunden, viele Brüder zu gewinnen: 1. sie suchen im (reichs-)deutschen Elsass sowie in den Ländern des Glaubens, 2. sie unterhalten apostolische Werke, Jugendheime und Waisenhäuser für Landkinder, aus denen sie ihre Brüderberufe holen. Dieser Brüdernachwuchs zählt zu den größten Anliegen, und sie haben damit recht…

„Die Unterhaltskosten, die der Postulant zu erledigen hat, richten sich nach den Bedürfnissen des Hauses und der Leistungsfähigkeit des Postulanten…“

In Rom wollte man in diesem Punkt unsere Satzungen ändern und die notwendige Geldsumme klar festlegen. Es scheint, dass darüber des Langen und Breiten debattiert wurde in der Kommission, die unsere Satzungen zu prüfen hatte. Weil aber Ordensberufe sehr oft aus Familien kommen, die für die Unterhaltskosten nicht aufkommen können, muss man oft welche aufnehmen, ohne etwas Bestimmtes von ihnen zu verlangen. Auf unseren Einwand hin blieb man bei unserem Entwurf.

Doch wird in Postulant wohl begreifen, dass er, wenn er einen Unterhaltsbeitrag leisten kann, dies natürlich auch tun muss. Ist er dazu aber außerstande, so soll er durch seinen Fleiß in der Arbeit, besonders der Handarbeit, durch Dienste jeder Art das ersetzen, was er finanziell nicht leisten konnte, und so im Rahmen seiner Möglichkeiten die Kosten für seinen Unterhalt decken. Es sollte uns jedenfalls ein Anliegen sein, unseren Lebensunterhalt selbst zu verdienen, welches Amt auch immer uns übertragen wird, ob Predigttätigkeit, Beichtstuhl, Aufsicht oder Unterricht, etc. In unserer Zeit hält es schwer, Hilfsquellen für unser Auskommen zu erschließen. Deshalb sollte ein jeder mit ganzem Herzen dafür Sorge tragen. Das wird übrigens eine der Segnungen unseres Ordenslebens sein, diese demütige Fürsorge, unseren Lebensunterhalt zu verdienen: „Selig die Armen im Geiste…“ Der Geist der Armut also und der Gedanke sollte uns stets gegenwärtig sein: wir müssen uns wie Arme benehmen, die im Dienste einer Kongregation stehen, die ihrerseits arm ist.

Das ist ein sehr wertvoller Standpunkt, meine Freunde, und umso wertvoller, als er reine Wahrheit ist. Man erzählt, ob es stimmt, weiß ich nicht, ein Jesuit habe vor seinen Mitbrüdern am Fest des hl. Ignatius von Loyola gepredigt: „Meine Hochwürdigen Mitbrüder, ihr legt feierlich das Gelübde der Armut ab. Das ist sehr schön. Aber dieses Gelübde heißt es auch praktizieren. Und um die Armut wirklich zu üben, müsst ihr irgendeinen Mangel leiden. Nun, ich schaue mich um… und stelle fest, dass es euch an gar nichts mangelt…“

Nun, das war eine kleine Bosheit von schlechtem Geschmack, und obendrein ungerecht. Aber, meine Freunde, träfe das nicht ein bisschen auf uns zu? Erinnern wir uns, dass wir das Gelübde der Armut nicht zu dem Zweck ablegen, um alles zu haben. Wir legen es vielmehr ab, um gute Ordensleute zu werden. Und dieses Gelübde wird erst dann vollkommen beobachtet, wenn wir echte Liebe zur hl. Armut haben, wenn es uns Freude macht, Mangel zu spüren, uns mit wenigem zu begnügen, sorgfältig das zu behüten, was uns anvertraut wurde, sowie der Kongregation neue Hilfsquellen zu erschließen. Mitbrüder sind verpflichtet, ihre Mitbrüder zu unterstützen: „Einer trage des anderen Last.“ Tragen wir diesen Gedanken mit uns herum. Arbeiten wir für unsere Mitbrüder, setzen wir uns ein für die Genossenschaft. Dieser Gedanke wird für uns zu einem kraftvollen Mittel der Heiligung, der Sammlung und des echten Ordensgeistes werden, glaubt mir das. Dann leben wir in einer wahrhaft göttlichen Atmosphäre.

„Nach der Vorschrift des Konzils von Trient und des Apostolischen Stuhls dauert das Noviziat ein ganzes Jahr.“

Das Noviziat sei wirklich eine Schule treuer und pünktlicher Beobachtung der kleinen Dinge, an die wir uns streng halten sollen: ein unnützes Wort zurückdrängen, sich um eine gute Haltung bemühen, etc. Das Noviziat gibt die Gussform aus Erde, gießt Gips oder Bronze hinein: Jeder muss sehen, was er in seine Gussform hineinschütten will. Ist die Bronze nicht gut geschmolzen, ist sie mit Steinen oder Schmutz vermischt, wird die Statue unförmig und muss neu gegossen werden. Wenn man nun aber das Standbild nicht neu gießen kann…

Das Noviziat gleicht also in etwa einer tönernen Statue. Ist diese nun misslungen, wie soll man sie reparieren? Man kann es nicht. Der Novize muss somit entschlossen in den Schmelzofen einsteigen und sich schmelzen lassen. Er muss sozusagen ganz flüssig werden, um aufs Genaueste die Form des Modells anzunehmen. Wenn ihr nur Seminaristen seid, dann begreift wohl, dass ihr euch umschmelzen lassen müsst, um Oblaten zu werden. Seid ihr aber gut geschmolzen, dann werdet ihr nachher eure persönliche Festigkeit zurückgewinnen und für immer die Gussform des klösterlichen Lebens bewahren. Ich sage vielleicht immer dasselbe, aber das ist unerlässlich, weil man diese Wahrheiten heutzutage kaum noch verstehen will. Es herrscht eben, nach den Worten der Guten Mutter, ein Mangel an Aufnahmefähigkeit, an Urteilsvermögen, eine enge und Unwissenheit der Geister vor. Müht euch folglich, meine Freunde, um ein wenig Urteil, um etwas Tatkraft, auch um ein bisschen Mut, darum bitte ich euch. Seid ihr aber noch im Noviziat, dann müsst ihr euch vor allem umschmelzen lassen und durch Opfer und Trübsäle hindurchgehen. Bleibt auch nur irgendein Teil von euch ungeschmolzen, dann wird dieser Rohstoff, der nicht angeglichen wurde, die ganze Statue verderben.

Ja, liebe Freunde, glaubt ein bisschen das, was euer Oberer sagt, glaubt eurem Novizenmeister, glaubt euren Satzungen, dem Papst und der Hl. Kirche. Die Kirche hat gesprochen, sie hat entschieden und uns bestätigt, dass hier und hier allein das Mittel bereit liegt, uns zu heiligen, am Werk der Erlösung und am Heil der Seelen mitzuwirken.

Die große hl. Theresia sammelte mit einem Strohhalm die Linsen auf, die zwischen die Fließen des Küchenbodens gerollt waren. Sie war aber kein Dummkopf, sondern die gescheiteste Frau von Spanien. Sie sagte auch: Das kleinste Quantum an Gottesliebe, die geringste Handlung, die aus Liebe verrichtet wird, ist größer und wichtiger als die bedeutendste Unternehmung der Regierungspolitik.

Fügen wir also Gott in unser Leben ein, in unser Denken und Lieben, in unsere Geschäfte und Handlungen. Ist dies alles nicht auch für uns wichtiger als alles, was die ganze Welt zu unseren Gunsten tun könnte?

Das ist wahre Philosophie, ist die wahre Weise, die Dinge zu sehen und zu beurteilen. Nicht gehorchen ist Feigheit, und eine Dummheit dazu! Gehorcht darum Gott, um seinen Willen zu entdecken und euch mit ihm zu vereinigen. Wenn ihr so gehorcht, bekräftigt ihr euren eigenen Willen und eure Freiheit. Im Grunde ist Gehorchen ein Akt edler, intelligenter und absoluter Unabhängigkeit. Wenn ihr diesen Akt setzt, seid ihr groß. Das ist die Wahrheit, meine Freunde. Beherzigt diese Lehre, sie vermittelt euch ein festes Fundament. Es mag den Anschein haben, ihr vollbrächtet damit nichts. Dieses Nichts schenkt euch aber den lieben Gott. Seht nur, was in den Sakramenten geschieht.

Was ist schon ein Sakrament? Ein Nichts, ein bisschen Wasser, ein bisschen Brot! Ist das denn schon etwas? Nun, mit diesem bisschen Wasser wird eure Seele wiedergeboren. Unter der Gestalt des bisschen Brotes verbirgt sich Gott selbst, der darin wohnt und euch nährt. So stellt auch die unscheinbarste Handlung, die ihr mit klösterlichem Geist vollbringt, etwas Göttliches dar. Eure menschliche Aktivität erweitert sich, sie reicht der Gottheit die Hand. Alle Handlungen des Christenlebens wirkt Jesus Christus selbst im Verein mit euch: „Der Christ ist ein zweiter Christus.“

Moses schlägt mit seinem Stab an den Felsen. Was ist schon so ein Stock, dass er einen Felsen öffnet und Wasser hervorquellen lässt? Darum glaubt er auch, zweimal schlagen zu müssen. „Weil Du gezweifelt hast“, bekommt er zu hören“, sollst Du nicht in das Gelobte Land eingehen.“ Und doch hat dieser Stock den Felsen gespalten und Wasser hervorsprudeln lassen. Alles, was wir tun, alles, was wir in Händen haben, ist noch unbedeutender als der Stab des Mose. Haben wir doch Glauben und zweifeln wir nicht, dann werden auch wir Felsen öffnen und das verheißene Land betreten. Unser Glauben wird uns in allen Lagen und Umständen behüten, er wird uns verteidigen und nähren, trösten und uns hier unten wie dort oben das Gelobte Land schenken.

Bittet während dieser Passionszeit um diesen Glauben. Passion bedeutet Überfluss an Verdiensten unseres Erlösers. Möge uns der göttliche Heiland nicht nur das rechte Wollen, sondern auch die nötige Einsicht in diese Dinge geben, und damit gleichzeitig die Verdienste seines Leidens, Kreuzes und Blutes. Erwerben wir diese Gnade durch unsere Treue zu den kleinen Dingen, dann wird uns das Kreuz, wie die Gute Mutter sagte, erleuchten.

„In der Mitte des Kreuzes“, sagte sie, „strahlt ein Licht auf, das die Herzen erwärmt, die Geister erleuchtet, das uns Einsicht in alles gibt, was jeder klösterliche Akt wert ist und was er an Wirkung hervorbringen kann.“

D.s.b.