Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 05.06.1895: Der Eifer: Markenzeichen unserer Berufung

Für alle Priester und besonders für alle Ordensleute, die für apostolische Arbeiten bestimmt sind, gibt es eine Tugend, die für sie wesensnotwendig und unerlässlich ist: den Seeleneifer. Er ist das sichere Kennzeichen der Berufung zum Ordensstand und wesentliche Vorbedingung für jeden Erfolg. „Diese halbtoten Herzen, wozu sind sie schon tauglich?“ klagt der hl. Stifter.

Man kann einwenden: Wir sind nicht alle zum Apostolat berufen, es gibt auch Werke der Geduld. Das stimmt, aber diese Werke des Duldens setzen einen noch hochherzigeren und stärkeren Eifer voraus als die seelsorgerlichen Apostolatswerke, die schon in sich selbst Ansporn und Ermutigung geben.

Wo findet sich nun die Quelle dieses Eifers? In der Liebe zu Gott. Man liebt dann die Seele, wenn man Gott liebt. Wir erweisen der Kirche nach dem Maße unseres Eifers Dienste. In meiner Seminarzeit bewiesen viele Seminaristen Eifer für die Regeltreue, für die Heiligung ihrer selbst wie ihrer Mitstudenten, für den guten Einfluss, den sie ausüben konnten. Wir müssen den Hl. Geist um diesen Eifer bitten. Betrachtet die Apostel: auf diese Weise haben sie die Kirche auferbaut, und aus diesem Grunde hat die Kirche Bestand. An dem Tag, an dem der Hausvater einschläft, nahen die Bösen und säen Unkraut ins Ackerfeld. Schläft der Hirte ein, so dringen die Wölfe in die Herde und rauben die Schafe.

Bereits im Noviziat geht es darum, sich um diesen Eifer zu bemühen, damit man später die Schafe wohl behüten kann. Es kommt auch vor, dass man Eifer für die anderen zeitigt, aber nicht für sich selbst. Man vernachlässigt die Vervollkommnung in der Gottesliebe und die pünktliche Beobachtung der hl. Regel. Was ist die Folge? Dieser Zustand hält an, und später macht man es nicht besser, weil es von Anfang an versäumt wurde. Lest nur das Leben aller Heiligen, eines hl. Alfons, Franz v. Sales oder Vinzenz v. Paul: der Eifer wurde mit ihnen gleichsam geboren, schon als kleine Kinder waren sie von ihm erfüllt. Während ihrer Jugendzeit pflegten sie diese Einstellung durch Achtsamkeit und Wachsamkeit über sich selbst, und später ließen sie darin nicht nach. Im Eifer heißt es also sich beharrlich üben.

Zurzeit sind wir vielleicht ganz einfach Aufseher im Studium. Warum zeigen wir so gar keinen Eifer? Natürlich müssen wir die Wirklichkeit sehen: Aufsichtführen ist mitunter ein höchst mühseliges Geschäft, das einem viel Unannehmlichkeiten, Verdrießlichkeiten und Verletzung der Eigenliebe einbringt. Dennoch müssen wir das alles zu unserer Heiligung wie für die Vervollkommnung der uns Anvertrauten annehmen.

Hier in Troyes gab es früher einen Bahnhofsvorstand, H. Chapelle, der vorher Schulleiter war. Er erzählte mir, er habe viele Schüler gehabt, die ihn alle gern hatten. Er hielt selbst fast sämtliche Aufsichten, war gleichzeitig Disziplinarpräfekt und Studienleiter. Eines Morgens ging er im Schlafsaal auf und ab und entdeckte einen Schüler, der einen Tadel zu verdienen schien. Doch da überlegte er: „Mit welchem Recht täte ich das? Bin ich denn selbst so wertvoll, dass ich meinen Willen anderen aufzwingen darf? Steht über mit nicht einer, der mehr Macht und Recht dazu hat, nämlich Gott? Stehe ich mit ihm in einem guten Verhältnis? Habe ich nicht von ihm all meine Autorität? Mit diesen Gedanken machte ich zwei oder drei Runde im Schlafsaal, bis ich zu dem Schluss kam, ich dürfe mich nicht so abseits von Gott halten, sondern muss die hl. Sakramente häufiger empfangen. Von dem Augenblick an bemühte ich mich, mich zu Gott und seinem hl. Willen zu erheben. Bald spürte ich, dass ich über meine Schüler eine sehr große Autorität bekam, weil ich mit Gott vereinigt lebte.“

Er wurde dann Bahnhofsvorstand und alle hatte ihn gern. Viele kamen mit ihm in Kontakt. Er war so sympathisch, dass man sich ihm eröffnete, sogar die Inspektoren, und fragte man ihn: „Herr Chapelle, warum sind Sie immer so zufrieden, fröhlich und glücklich, während ich traurig, von Sorgen und Unruhe niedergeschlagen bin?“ so antwortete er: „Weil ich unseren Herrn liebe und ihm diene. Tun Sie dasselbe, und wenn Sie einmal entdeckt haben, was in unserem Herrn und seinem Evangelium alles steckt, werden Sie ebenso glücklich werden.“

Tun wir es also H. Chapelle gleich. Mitunter begegnet man Menschen, aktiv und unternehmungslustig, die sich nicht begnügen mit dem Eifer, den sie in ihrem Umkreis betätigen können, sondern die noch mehr tun möchten. Der hl. Stifter sagt dazu: „Das Gott angenehmste Gut ist nicht das, dass ihr in eurer Einbildung wirkt, sondern das, dass sich in euren derzeitigen Aufgaben und eurem Tätigkeitsgebiet vorfindet.“ Unser Eifer soll sich darum auf die Personen richten, die mit uns zusammenkommen und auf das Amt, das uns übertragen wurde.

Warum spreche ich heute mit euch darüber? Ihr wisst, was unser Herr sagte: „Glaubt ihr, am Ende der Welt gäbe es noch viel Glaube auf Erden? Die Liebe wird erkalten. Wir sind dazu bestimmt, das Feuer zu entfachen. Sind wir aber selber erloschene Kohlen, was leisten wir dann schon? Erbitten wir darum vom lieben Gott die Gnade des Eifers.“

Die Gute Mutter hatte nicht den Auftrag, der ganzen Welt zu predigen. Was tat sie dann sonst? In ihren Gebeten bewies sie einen beharrlichen, großmütigen und unermüdlichen Seeleneifer. Alle wollten sie sehen, sie um Rat fragen. Ihre Kommunität befand sich in einer ausgezeichneten Verfassung. Woher kam das? Von ihrem persönlichen Einfluss. Sie betete für alle, für ihre Ordensgemeinde, die Leidenden und Unglücklichen. In der hl. Kommunion sollten wir Gott innig um diesen Seeleneifer bitten, falls wie später zu apostolischen Werken berufen werden sollten. Und sollte Gott viel von uns fordern, zeigen wir uns großmütig.

Seht nur, was der Engel zu Ananias sagte, als er ihm befiehlt, den Saulus aufzusuchen: „Ihn habe ich zu einem Gefäß der Auserwählung zu tragen.“ Die Leiden, die unser Eifer in den verschieden uns übertragenen Aufgaben zu ertragen hat, haben also den Zweck, unseren tätigen Willen anzufachen und uns anzuspornen. Wir sind sich glücklich, wenn wir einmal in den Himmel kommen. Können wir aber eine Seele, zehn oder gar hundert andere hinter uns herziehen, dann wird unsere Seligkeit vervielfacht, ja verhundertfacht durch die Anzahl der Seelen, die wir gerettet haben. Wir sind auf Erden nicht nur um zu schaffen und zu leiden, sondern in erster Linie, um in den Himmel zu kommen. Keiner von uns wurde aus einem anderen Grunde Oblate. Darum muss in uns ein großer Schatz an Glauben, Frömmigkeit und Regeltreue vorhanden sein. Unser Eifer darf nicht erkalten, sondern muss brennen, an uns nagen, uns verzehren: der Eifer verzehrt mich. Vielleicht besitzen wir alle keine solche Glut des Eifers, aber keiner kommt ohne ihn in den Himmel.

Erflehen wir ihn von unserem Herrn durch Vermittlung unserer himmlischen Freunde, der hl. Franziska v. Chantal, der Guten Mutter. Schwester Maria Genofeva sagte zu mir: „Ich sehe unseren hl. Stifter sehr beschäftigt. Er hat viel zu tun, weil der liebe Gott ihm eine große Aufgabe auf Erden übertragen hat. Ich sehe etwas sehr bedeutsames sich vollziehen. Haben Sie Vertrauen!“ Und sie fuhr fort: „Sehen Sie, der Maurer, der unserer Mutter einen Prozess anhängen wollte, wird bald kommen, um ihr mitzuteilen, dass er gar nichts gegen sie unternehmen wird.“ Und wirklich kam er am kommenden Tag ins Kloster, bat die Gute Mutter zu sprechen, begrüßte sie und entschuldigte sich bei ihr mit den Worten, er habe inzwischen die Quittung gefunden. So bewies Schwester Maria Genofeva durch die Voraussage eines natürlichen Ereignisses die Richtigkeit ihrer übernatürlichen Einsichten.

Sie versicherte also, der hl. Franz v. Sales betreibe ein gewaltiges Werk in der Kirche. Dieses Werk setze aber großen Eifer voraus, weil eine große Zahl von Seelen dadurch gerettet würden, freilich nur in dem Maße, als man auf die Pläne der göttlichen Vorsehung eingehe.

D.s.b.