Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 29.05.1895: Die materiellen Dinge sind auch von Bedeutung

Als Oblaten haben wir unserer Theologie etwas Eigenständiges hinzuzufügen: eine Lehre, von der man keine Ahnung hat, wenn man sie nicht direkt empfangen hat. Die Bücher über die Frömmigkeit sprechen nicht darüber. Die Theologie scheint auf den ersten Blick sagen zu wolle: der Gebrauch der materiellen Dinge ist in sich etwas Gefährliches und Verwerfliches. Gewiss mag solche Sprache keine Irrlehre enthalten, aber sie trifft auch nicht ganz die Wahrheit.

Was den materiellen Dingen an Schlechtigkeit anhaftet, ist das Böse, das die Menschen in sie hineinlegen. Es besteht theologisch gesehen kein Zweifel, dass der Teufel infolge der Erbsünde große Macht über die materiellen Dinge gewonnen hat. Darum auch die kirchlichen Segnungen der Dinge, die zu unserer Nahrung, Kleidung und unserem Gebrauch dienen sollen. Daraus ist aber nicht zu folgern, diese Gegenstände seien in sich schlecht oder gefährlich geworden. Ihre Gefahr liegt lediglich in der bösen Gesinnung derer, die sich ihrer bedienen, um ihre Sinnlichkeit, Gaumenlust und ihren Stolz zu befriedigen. In sich selbst sind sie weder böse noch gefährlich.

Ich gehe noch weiter und behaupte, dass die materiellen Dinge etwas Gutes in sich haben, dass ihr Gebrauch also gut ist, sobald er berechtigt ist, gut sowohl in natürlicher wie in übernatürlicher Hinsicht.

Diese Wahrheit schien mir greifbar in der Heimsuchung verwirklicht. Das war genau die Lehre der Guten Mutter. Danach handelte sie. Sie gebrauchte alle materiellen Dinge, um durch sie zum lieben Gott emporzusteigen.

Und diese Lehre stützt sich ganz aufs Evangelium. Hat unser Herr die Sakramente nicht auf die stofflichen Dinge gegründet? Hat er die Beweise für seine Gottheit nicht auf Wunder gestützt, die er mit Hilfe von irdischen Dingen wirkte? Das Evangelium ist voll davon: Verwandlung des Wassers in Wein, wunderbarer Fischfang, Brotvermehrung, etc. Nach der Auferstehung gibt er seinen Jüngern zu essen: Brot, unter der Asche gebacken, und Honigwaben am Ufer des Sees Genezareth. Gebrauchte er für seine Sakramente nicht sehr handgreifliche Materie: Wasser, Öl, Brot und Wein? Etc.

Daraus folgt aber, dass die Ächtung und Verdammung der materiellen Dinge, die gewisse überspitzte Geister zum Dogma erheben möchten, nicht der Wahrheit entspricht. Sie verwechseln den schlechten Gebrauch einer Sache mit der Sache selbst.

Die Gute Mutter, die in der Schule des hl. Stifters groß geworden war, dachte durchaus richtig, als sie die Materie hinzunahm, um die Gnaden Gottes zu erwirken und weiterzugeben. Das steht übrigens in vollem Einklang mit der Theologie und deren Lehre von den Sakramenten und Sakramentalien, den Agnus Dei, den Medaillen und dem geweihten Brot. Ist es nicht sehr beachtenswert, dass die Hölle einen abgrundtiefen Hass all diesen Dingen entgegenbringt? Vor kurzem las ich einen Artikel der Enzyklopädie und stellte eine Art eingefleischter Wut über diese Prinzipien fest. Mit Spott übergoss man das sogenannte kleine katholische Amulett…

Die Gnade, die den stofflichen Dingen anhaftet, ist eine ganz spezielle, einleuchtend, besonders in den Sakramenten und Sakramentalien. Darüber hinaus unterliegt es keinem Zweifel, dass jedes von Gott geschaffene Ding etwas Heiliges und Göttliches in sich trägt. Jenen, die es in der rechten Weise und maßvoll benutzen, helfen diese Dinge zu ihrer Heiligung.

Jedes Mal, wenn ich esse, wenn ich mich des Morgens ankleide, trete ich doch in Berührung mit etwas Materiellem, das aber von Gott gewollt ist und von ihm speziell zu meinem Gebrauch bestimmt wurde, somit also sein Wohlgefallen an sich trägt: „Und Gott sah, dass es gut war.“ Etwas Gutes, Heiliges und Heiligendes also.

Was ich euch da sage, erscheint euch vielleicht etwas überspitzt. Nichts ist jedoch einfacher und von grauer Theorie entfernter. Bedenkt doch, dass ihr auf diese Weise in ständigem Kontakt mit Gott seid, nicht nur im Denken und Lieben, sondern durch das Tun eures ganzen Lebens. Wer in dieser Gesinnung dahin lebt, wäre sicher ein Heiliger. So wiederholte auch die Gute Mutter oftmals: Wir müssen das ganze Kreuzzeichen machen, nicht nur im Namen des Sohnes und des Hl. Geistes. Auch im Namen des Vaters. Denn das Werk, das ihm in besonderer Weise zugeschrieben wird, ist das der Erschaffung.

Und die Schlussfolgerung aus diesem so wahren, grundrichtigen, Gott und den Menschen so ehrenden Prinzip: Wir sollen den Missbrauch der geschaffenen Dinge unterlassen und uns ihrer nicht bedienen zur Befriedigung unserer Leidenschaften entgegen dem Willen des Schöpfers. Die Dinge vielmehr an ihren rechten Platz rücken, Gott durch den Gebrauch der irdischen Dinge ehren, wie sich andere ihrer zur Lästerung und Beleidigung Gottes bedienen. Diese Wahrheit gilt es dann auch in der Leitung der Seelen zu verbreiten. Vergessen wir nie dieses Prinzip.

Wir wollen es selbst in die Tat überführen und uns heiligen, indem wir mit Dankbarkeit das gebrauchen, was Gott uns anbietet. Dazu hält uns auch der hl. Stifter im Direktorium an, indem er uns auffordert, Gott zu danken für die kleinen Bequemlichkeiten, die er uns so väterlich einräumt. Gebrauchen wir sie mit Frömmigkeit, und nicht nur das, sondern auch mit Ehrfurcht vor den materiellen Dingen, die wir benutzen: Es sind Gaben aus der Hand Gottes. Behandeln wir sie nicht gleichgültig. Was wäre davon zu halten, wenn wir Gleichgültigkeit gegenüber der Beichte und Kommunion an den Tag legten? Beide sind Gaben Gottes im geistlichen Bereich, die materiellen Dinge dagegen, unser Wohlbefinden, Gegenstände unseres täglichen Gebrauchs sind Gaben Gottes der natürlichen Ordnung. Wer hat sie geschaffen? Wer hat sie uns geschenkt? Sind sie nicht ein Beweis der Liebe und der Segnungen Gottes über uns? Beachtet ihr sie nicht, dann entschwindet das Licht aus eurer Nähe, eure Seelen trocknen aus und werden gleichgültig und unfähig, das übernatürliche Leben eines Oblaten zu führen. Diese fromme Hingabe an die materiellen Dinge, diese wohl verstandene Hochachtung wird den Horizont eurer Seele weiten und euch in beständiger Verbindung mit Gott erhalten.

Glaubt nur nicht, ich trüge hier allzu mystische, überspitzte und gekünstelte Dinge vor. Es gibt nichts Positiveres, Klareres und Vollkommeneres als das! „Im Namen des Vaters!“ Möchte euch alle dazu verleiten, die Güter der Kommunität, die Gegenstände eures persönlichen Gebrauchs mit Ehrfurcht zu behandeln. Gebraucht sie mit Andacht als ein wahres Heiligungsmittel.

Wo werdet ihr in 50 Jahren sein? An dem Ort, den ihr durch euer Alltagsleben zu bewohnen verdient habt. In der Wohnung, die ihr durch eure Bemühung erkauft habt. Da werdet ihr auch einfinden mit dem Paket an Vorräten, die ihr gesammelt habt. Das ist kein Ort zum Feilschen, wie unser hl. Stifter sagt. Euer Schatz an großartigen Tugenden und übernatürlichen Handlungen wird vielleicht nicht sehr glänzend ausfallen, eure außergewöhnlichen Verdienste wohl nicht sehr zahlreich sein. So sucht wenigstens diese kleinen Verdienste eines jeden Tages, eines jeden Augenblicks zu erwerben. „Wir haben hier keine bleibende Stätte.“ Seien wir nicht von dieser Welt. Der Meister ist bei uns, wenn wir so handeln und versuchen, alle unsere kleinen Besorgungen zu heiligen. Dann gehören wir zu seiner Stadt und werden heilig. Ja, darin sollten wir unser vornehmstes Heiligungsmittel sehen.

Daran lass uns also festhalten. Töten wir uns ab und bleiben wir mit dem lieben Gott durch das Mittel unserer Kleider oder unserer Zelle verbunden. Suchen wir Gott in allem, was uns umgibt. Nehmt den hl. Aloysius, den hl. Alfons v. Ligouri, den hl. Vinzenz v. Paul: so haben sie sich geheiligt, sie hatten keine andere Methode. Begreift also wohl, dass ihr Liebe in eurer Arbeit und zu den Dingen eures Gebrauchs haben müsst, dass ihr all das als etwas schätzt, was von Gott stammt, euch heiligen und Gnaden vermitteln kann. Sucht diese Gnaden, um es noch einmal zu sagen, in eurer Kleidung, Nahrung und Arbeit. Gebt darauf Acht, mit eurem Geist und eurem Herzen! Lasst euch von diesem Geist durchdringen. Dann mögt ihr mit dieser oder jener Sache beauftragt sein, dieses oder jenes materielle Ding zu verwalten haben: mit welcher Sorgfalt, Aufmerksamkeit und Hochachtung werdet ihr euch eurer Pflichten entledigen! Und wie dies alles euch beim Werk eurer Heiligung behilflich sein wird! Welche Stütze bietet euch das für den allgemeinen Fortschritt wie für das Wachstum im Ordensleben!

Ich wiederhole: Ihr findet das nicht in Büchern oder wenigstens sehr selten. Und doch ist es die Lehre des Evangeliums. Was eurem Leben dienlich, was den Kindern Gottes notwendig ist, das kann nicht von Gott verflucht sein.

Die hl. Theresia ging vom Chorgebet zu den materiellen Dingen und zur Handarbeit über. Sie umgab diese irdischen Gegenstände mit Ehrfurcht als etwas, was mit Religion und Gott zu tun hat. In ihnen nah sie Gott ebenso wahr wie im Gebet. Liegt hierin nicht der wahre Sin jeder Arbeit und jeglichen Gebrauchs zeitlicher Dinge?

Diese materiellen Güter stellen einen realen Wer dar. Unsere Seele lebt hienieden nur mit Hilfe unseres Leibes. Sie muss somit auf den Körper ebenso Rücksicht nehmen wie auf alles, was dieser braucht. Eine Kommunität lebt und erhält sich nur mit Hilfe der materiellen Dinge. Tragt diese Dinge, wenn schon nicht in euren Händen, falls ihr nicht damit betraut seid, so doch wenigstens in eurem Herzen kraft der Hochachtung und Liebe, die ihr für sie hegt. „Wir sind zufrieden, wenn wir Nahrung und Kleidung haben.“

Diese Praxis gibt unserem Leben eine feste Grundlage, vereinigt uns mit Gott, verleiht dem Willen eine Stütze und festigt uns im Beruf. Wir alle müssen unser ganzes Leben hindurch Theologie betreiben. Dazu verpflichten uns die Satzungen. Der Priester braucht Theologie. Sie ist unerlässlich für die Zulassung zu den höheren Weihen. Die Kirche verlangt eine Prüfung für jene, die der Priesterweihe nahen. Denkt an das Examen, das der hl. Franz v. Sales in Rom dem Papst und den Kardinälen vor seiner Bischofsweihe abzulegen hatte. „Gehe hin, mein Sohn“, sagte der Hl. Vater. „Mögen die  Wasser deiner Zisterne sich ausbreiten und weithin die Straßen und öffentlichen Plätze bewässern.“

Wissen tut not. Um zu wissen, muss man aber lernen und behalten. Um sicher zu gehen, dass man gut behalten hat, legt man Prüfungen ab und zwar „ohne Rosenwasser“. Die guten Patres, die bisher den Auftrag hatten, diese Examina entgegenzunehmen, waren recht nachsichtig. Sie jagten niemandem Furcht ein… Es gibt zweierlei Arten von Quellen und Brunnen: solche aus Bronze und solche aus Gusseisen. Die sind hart und kalt. Aber ihr Wasser ist rein und gut. Anderes Wasser entquillt einfach dem Rasen.

Ist man aber sicher, reines Wasser davon zu bekommen? Ob man nicht aus Versehen auch Fröschlein und kleine Schlangen mit verschluckt?

So sollte auch ein Examen doch ein bisschen streng sein, aus Gusseisen oder aus Bronze. Wir stellen darum künftig für diese Prüfungen eine Kommission auf. Die Examina finden natürlich in lateinischer Sprache statt. Ohne Latein kann man schwerlich gute Theologie studieren. In Französisch ist sie keine Theologie. Latein ist eine tote Sprache, jedes Wort hat seinen bestimmten Sinn wie in Erz gemeißelt, während der Sinn der französischen Wörter sich jeden Tag ändert… Lernt eure Theologie also in einer Sprache, die sich nicht ändert. Lernt die Definitionen, die Leitsätze und die grundlegenden Texte. Alles Übrige studiert gründlich durch und macht es zu eurem geistigen Eigentum. In den Seminarien wird über jedes Examen ein Protokoll angelegt, in allen Regeln aufgestellt, von den Examinatoren unterzeichnet und sorgfältig aufbewahrt.

Vor diesem Beschluss braucht ihr aber keine Angst zu haben. Hat man für die Vorbereitung alles Nötige getan, seinen ganzen guten Willen, seine Anstrengung und seine Intelligenz in die Waagschale geworfen, wird man die Prüfung auch bestehen. Verstehen wir wohl, dass der Ruf zur Priesterweihe etwas sehr Ernstes darstellt. Ich empfahl und empfehle erneut die Lektüre des Pontifikale. Man möge es gründlich durchdenken. Denn mit einer zweifachen Wegzehrung sollten wir uns wappnen: mit der Wissenschaft und mit der Frömmigkeit und die Regeltreue einer tief priesterlichen und ordensmännischen Seele liefern. Ihr werdet die hl. Messe gut lesen, wenn ihr das Wesen derselben erfasst habt. Ihr werdet dann verstehen, dass ihr dabei Ihn vertretet, dass ihr ein zweiter Christus seid. Dann besitzt ihr die nötige Frömmigkeit, denn ohne diese habt ihr niemals das Bewusstsein der priesterlichen Heiligkeit und eurer priesterlichen Verpflichtungen, und ihr werdet nie etwas erreichen.

Zum Schluss habe ich die Freude euch mitzuteilen, dass Rom gnädig auf unsere Bitte reagiert hat, den Oblaten einen täglichen Ablass von 200 Tagen für das Morgen- und Abendgebet, wie es im Direktorium steht, zu gewähren. Dieser Ablass wurde uns unter dem 23.04.1895 und für immer ausgestellt.

Ein neuer Beweis, nach vielen anderen, für das Vertrauen, das man uns an höchster Stelle entgegenbringt.

D.s.b.