Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 08.05.1895: Unsere solide und vollständige Grundlage

Was den Oblaten in seinem geistlichen Leben auszeichnet und prägt, ist etwas Heiliges, Gerades, Vollständiges, das jedermann versteht und bejaht und allen die Überzeugung gibt: das ist in Ordnung. Das betont selbst die Kirche im Offizium vom Fest des hl. Franz v. Sales. Auch die Gegenseite, also das geistige und materielle Leben des Oblaten muss mit diesem geistlich-religiösen und übernatürlichen Charakter übereinstimmen. Darum seien die Oblaten darauf bedacht, alles, was sie in Unterricht, Predigt, Seelenführung und Apostolat tun, sehr gut zu tun.

Alle diese verschiedenen Verrichtungen sollten leidenschaftlich gut ausgeführt werden. Das wollen wir uns tief ins Herz gravieren: Unsere Geschäfte dürfen wir nicht so recht und schlecht, nachlässig und aufs Geratewohl erledigen. Jeder begreife, dass seine Obliegenheiten mit Vollkommenheit zu besorgen sind, indem er seine ganze Fähigkeiten, sein ganzes Herz und seine ganze Seele hineinlegt. Noch nie sah ich, dass ein Mensch, der seine Arbeit gut besorgt und dabei etwas zu leiden findet, nicht glücklich dabei sei. Nie auch sah ich welche, die missmutig und verdrossen ihre Arbeit erledigen, die dabei den Frieden des Herzens fanden.

Der liebe Gott hat uns nicht wie Engel erschaffen, dass wir von Gebet, Erleuchtungen und Eingebungen leben. Auch zum Arbeiten erschuf er uns. Unser Schaffen liegt also im Plane Gottes, ist somit etwas Heiliges und Geweihtes, entspricht dem Willen Gottes und wird von ihm beschützt. Seine Gnade unterstützt es. Fügen wir aber zu unserem Arbeiten etwas Liebe bei, dann ziehen wir uns göttliche Gnaden ohne Maß zu. Darin besteht das große Geheimnis des hl. Franz v. Sales wie der Guten Mutter und aller Heiligen. Verrichten wir darum gut jede Handlung, so unbedeutend sie sein mag, gut, sehr gut, mit Ehrfurcht und in der von der Regel und dem Gehorsam angegebenen Firm. Was wird die Folge davon gekrönt sein. Wenn nicht in dem Sinn, den wir im Auge hatten, so jedenfalls doch im übernatürlichen Sinn. Diese Wahrheit heißt es gut erfassen. Nie sah ich sie besser verwirklicht als bei Franz v. Sales und der Guten Mutter. Alles, was immer wir tun, nimmt so ein übernatürliches Gepräge an.

Ist das lästig? Nimmt es uns den Gebrauch unserer Fähigkeit und unserer Freiheit? Im Gegenteil. Unsere Fähigkeiten werden dadurch geheiligt und unsere Freiheit vermehrt. Denn die Freiheit ist doch das Vermögen, das gesteckte Ziel zu erreichen, ohne der Macht der Leidenschaften zu erliegen. Es stärkt und festigt auch unseren Beruf. Es muss also etwas Großes sein. „Was seid ihr in die Wüste hinausgegangen zu sehen? Ein Schilfrohr, das vom Wind hin und her gezerrt wird? Nein: Einen Propheten? Mehr als einen Propheten.“

Unser Tun bringt unfehlbar diese Wirkung hervor. Führen wir aber ein rein natürliches und zerrissenes Leben, sind wir ich weiß nicht was, achten und lieben wir nichts, so werden wir auch nichts darstellen. Nehmen wir darum diese Lehre des hl. Franz v. Sales ernst. Tun wir jederzeit den Willen Gottes und bringen wir unseren eigenen in Übereinstimmung mit dem göttlichen. Diese Wahrheit hat man ein wenig aus den Augen verloren. Die Kämpfe mit den Protestanten hatten zur Folge, dass man sehr spekulative Wege beschritt. Man sprach dann abfällig von der Materie, behauptete, sie trage den Fluch der Erbsünde an sich und verlegte die Vollkommenheit in Formeln und Übungen. Wozu sollt ihr sie aber in derlei äußeren Dingen suchen, wenn ihr sie in euren Handlungen selbst findet? Ihr habt die Sache also in euren Händen, warum sie nicht nutzen? Wozu Betrachtungen aus großen Büchern machen? Ihr findet Gottes Willen doch in allem, was er euch zu tun aufträgt.

Ich wünsche, ich möchtet diese Lehre wohl verstehen, die ungemein praktisch und theologisch ist und mit dem Evangelium so ganz übereinstimmt. Als ich zum ersten Mal im Großen Seminar beichtete, sagte mein Beichtvater zu mir: „Sie sind nun im Großen Seminar. Da müssen Sie verstehen, dass Ihre Heiligung von Ihnen selbst abhängt. Wir haben in uns alles, wessen wir bedürfen. Wir brauchen also nicht links oder rechts andere Mittel zu suchen. Gott liefert uns alles. Unsere Regel, ein kleiner Artikel dieser Regel, ja die unbedeutendste Kleinigkeit davon enthält alles. Wollen Sie dafür einen Beweis? Betrachten Sie unseren Herrn: Wie lange Zeit verbrachte er, bevor er seine Frohbotschaft predigte? 30 Jahre. Was tat er während dieser Zeitspanne? Er gehorchte, arbeitete und tat ganz unbedeutende Dinge, in Unterordnung unter Maria und Josef. Jede seiner Handlungen aber war göttlich! So sollten auch wir uns auf das Priestertum vorbereiten mithilfe der Kleinigkeiten unseres Lebens und darin das Mittel sehen, ein anderer Christus zu werden.“ Diese Worte machten einen tiefen Eindruck auf mich. Die geringste Sache, die unbedeutendste Übung der Regel stellt also einen Wert dar, ja einen sehr großen Wert…

Unser Leben ist somit etwas sehr Positives und Reales. Ohne ein Fundament steigt man nicht sehr hoch, die Basis muss vollständig und solide sein, und das gilt gerade auch für unser übernatürliches, priesterliches und klösterliches Leben. Verstehen wir das wohl und lieben wir diese Wahrheiten. Behandeln wir jedes Ding mit Ernst. Dann erreicht man alles, was man will. Unser Herr verheißt das. Nur muss man selber alles Nötige tun, um es zu erhalten. Bitten wir Gott um Verständnis dafür, und um es zu verstehen, müssen wir es erst üben. Nehmt das Direktorium: liest man es einfach durch, dann versteht man nichts. Man muss es studieren und üben, muss sich darauf stützen und gründen als auf etwas, was eine Praxis für jeden Augenblick abgibt. Gewiss macht nicht alles, was wir zu tun haben, immer Vergnügen. Opfert man es Gott aber mutig auf, dann bewirkt Gott, dass es uns weniger hart dünkt, ja dass wir es lieb gewinnen: dann aber verrichtet man es zum eigenen wie fremden Nutzen gut.

Ich habe ziemlich gute Nachrichten vom Kap, es geht dort gut voran. Alle Patres sind zufrieden. Die Zahl der Gläubigen steigt allmählich. Zu Pella, in Springbock, geht es gut voran. In Ecuador ist es mühsamer, das Land wird von einer Revolution geschüttelt, die Freimaurer treiben dort ihr Unwesen und suchen, dem Land den Glauben zu rauben. Unsere Patres haben kein Seminar mehr. Klerus und Laien haben sich der Fortführung des Seminars widersetzt. Der gute Bischof hat mir darüber einen sehr traurigen Brief geschrieben. Doch hat man unseren Patres das Kolleg von Tulcan angeboten.

Bei Gelegenheit könnte man euch die Frage stellen, was wir bezüglich der staatlichen Gesetze zu tun gedenken. Mit den neuen Gesetzen haben wir uns nicht auseinanderzusetzen, weil wir eine Handelsgesellschaft sind wie die Eisenbahn im Osten Frankreichs und andere Gesellschaften. Wir „treiben Handel“ und hoffen, dass man uns so in Ruhe lässt. Wir müssen aber doch für die religiösen Kongregationen beten.

Macht euch fleißig an eure Arbeit. Wenn ihr tut, was ich euch nahegelegt habe, wird alles gut, weil wir dann alle eines Sinnes sind, indem wir dieselbe Lebensweise führen. Wahren wir eifrig die Liebe untereinander, und vermeiden wir, diesen oder jenen zu kritisieren. Wir sollen einander hochschätzen und uns als Mitbrüder behandeln, die sich achten und lieben. In jedem von uns findet sich immer etwas von Gott und seiner Gnade. Was aber im Nebenmenschen göttlich ist, müssen wir jederzeit lieben. Das Übrige geht uns nichts an.

D.s.b.