Kapitel vom 16.01.1895: Die Bedeutung der Wirkmächtigkeit des Segnens
Die erste Funktion, die dem Priester bei der Weihe übertragen wird, ist die Segensgewalt. Im Allgemeinen hat man wohl eine ungenügende Vorstellung von dieser Vollmacht und Wohltat, Menschen und Dinge zu segnen. Man legt sich keine hinreichende Rechenschaft ab, was dies bedeutet, und das nicht nur die gläubigen Laien, nein, auch die Priester und Ordensleute. Und doch stellt die Kirche gerade die Vollmacht in die erste Linie. Ganz offenkundig misst sie ihr einen allerhöchsten Wert bei.
Die Sünde des ersten Menschen hat nicht nur das Menschengeschlecht befleckt, sondern überhaupt alles Geschaffene. Durch sie geriet die ganze Schöpfung unter die Herrschaft des Teufels. Jedenfalls ruht nicht mehr Gottes wohlgefälliger Blick des ersten Tages auf der Kreatur. Eine Folge der Erbsünde also. Christi Erlösung muss folglich auf die materielle Welt ebenso Anwendung finden wie auf die geistige: Alles in Christus erneuern, sagt der hl. Paulus, was im Himmel und auf Erden ist.
Diese Wiederherstellung alles Geschöpflichen wurde gerade dem Priester übertragen. Er muss der Schöpfung helfen, dass sie Gott gibt, was ihm gebührt, und sein göttliches Wohlgefallen wiedergewinnt. Diese priesterliche Vollmacht und diese Amtsverrichtung sollen große Wirkungen hervorbringen. Beachtet nur in der Heiligenlegende, wie der Segen des Priesters oft erstaunliche Wirkungen hervorbrachte, wie seine gesegneten Hände häufig Wunder etwas wie Verwerfung lag auf ihnen als Furcht der Erbsünde, die des Priesters Segen neutralisiert und in einen heiligen und heilsamen Einfluss verwandelt. Die Geschichte der Kirche ist angefüllt mit derlei Tatsachen und beweist die wichtige Rolle, die die Kirche von jeher dem Priestersegen beimaß.
Betrachtet die Praxis der Kirche wie der Heiligen, die nicht nur ihre Nahrungsmittel segneten, sondern auch Gewänder, Möbel, Häuser und Felder. Übrigens kommt diese ganze Lehre vom Segen in den Segensformeln zum Ausdruck, deren sich die Kirche bedient, und das besonders in der wichtigsten Segnung: der des Weihwassers. Man muss sie aufmerksam durchlesen, um alle Wirkungen dieser priesterlichen Funktion zu begreifen.
In den ersten christlichen Jahrhunderten sandten sich die Christen gegenseitig Eulogien (Anm.: „Überbleibsel geweihter Brote“), geweihte Wachslämmer und Medaillen zu. Man schenkte sie sich von Freund zu Freund, von Kirche zu Kirche. Dieser Sitte maß man große Bedeutung bei und hütete sie mit größter Ehrfurcht. Die Kirche hat besonders den Gebrauch des geweihten Brotes bewahrt, das an alle Gläubigen während der Pfarrmessen verteilt wird. Wir sollten es mit Ehrfurcht annehmen, es als Schutzmittel und Segen betrachten. Dasselbe gilt von allen anderen Gegenständen, die die Kirche weiht: Skapuliere, Medaillen, Kreuze, Rosenkränze, Agnus Dei.
Seien wir von der Größe dieser Gnade und Segensgewalt tief überzeugt, die der Bischof uns da überträgt. Gewiss geht dies letztlich von Gott aus, aber es kommt auch von uns, von unseres Händen und unserem Willen. Niemand kann geben, was er nicht hat.
Unsere Hände müssen also heilig sein, damit sie des Segens würdig seien, zu dem sie berufen sind, würdig auch der Heiligkeit, die sie vermitteln sollen. Welch zarte Gewissenreinheit, welche Sittenreinheit müsste dem Priester innewohnen, wie sie vom einfachen Gläubigen nicht verlangt wird. Diese Macht zu segnen sei für uns auch eine Rettung aus gefährlichen Versuchungen. Unsere Hände, unsere Zunge und unsere Blicke müssen so heilig sein, dass in dem Augenblick, wo wir unsere Hände auflegen, die hl. Gebetsformeln sprechen, Personen und Dinge anschauen, die Versöhnung der Kreatur mit ihrem Schöpfer sich wirklich vollzieht. Betrachtet, wie der hl. Paulus auf dieser Aussöhnung der Schöpfung besteht: „Die ganze Schöpfung seufzt und liegt in Geburtswehen bis zu dieser Stunde.“
Gebrauchen wir also gut diese erste priesterliche Vollmacht, die die hl. Kirche uns da anvertraut. Benutzen wir sie für uns selbst: segnen wir unsere Mahlzeiten, unsere Kleider, unser Bett, wenn wir uns niederlegen, unsere Gebrauchsgegenstände. Umgeben wir uns und hüllen wir uns ein in Segnungen, leben wir inmitten von geweihten Gegenständen, die wir damit dem lieben Gott zurückerstattet haben.
Hier tut sich ein gewaltiger Horizont dem Priester auf, ein ganz erlesenes und begünstigtes Leben, eine glückliche Atmosphäre, aus der der Priester nicht heraustreten sollte. Ich übertreibe uns nicht. Oder besagt das Leben der Heiligen etwas anderes? Was tat unser hl. Gründer? War es im Grund nicht genau das? Und dies sollten wir auch unseren Gläubigen verständlich machen. Ohne sich vielleicht über diese Lehre klar zu sein, spüren sie in ihrer Frömmigkeit instinktiv das Richtige. Sie hegen Ehrfurcht vor dem Segen des Priesters und haben Vertrauen in ihn. Sie fühlen es deutlich: ein geweihter Gegenstand darf nie wieder zu rein weltlichen Zwecken verwendet werden. Sie haben eine ziemlich genaue Vorstellung von der Wohltat und der Hilfe, die ihnen der Segen des Priesters verleiht. Macht ihnen darum, meine Freunde, in euren Unterweisungen und Beziehungen diese übernatürlichen Wirkungen des priesterlichen Segens auf Personen und Sachen begreiflich. Seht nur, wie man in katholischen Ländern bei jeder Gelegenheit um den Segen des Priesters bittet. In Belgien knieten alle Kinder nieder, um meinen Segen zu erbitten. In diesen glaubensstarken Ländern weiß man eben, dass der Segen zur Sündenvergebung verhilft, die bösen Geister und die Versuchungen vertreibt, oft Krankheiten heilt und fast immer die Kranken stärkt und erleichtert. Lasst euch von diesen Gedanken des Glaubens tief durchdringen, damit eure Segnungen wirksamer werden und ihr das Wort Christi wahrmacht: „Sie werden ihnen die Hände auflegen und sie werden sich wohlfühlen.“ Das göttliche Wort verleiht also dem Segen des Priesters seine Wirksamkeit.
Der Fürst von Hohenlohe, ein Freund der Guten Mutter, der ihr auch schrieb, war einer der bewundernswertesten Wundertäter unserer Zeit. Seine Macht beruhte auf dem grenzenlosen Vertrauen, das er in die Wirksamkeit des Segens setzte. Das erste Wunder, das er wirkte, geschah zu Gunsten der kleinen Tochter seiner Verwandten, die krank und bewegungslos dalag. Er legte ihr die Hände auf, bediente sich des Vorrechts der Priester zu segnen, und das Mädchen wurde gesund und konnte wieder gehen. Gott gewährte dieses Wunder, um den Glauben und das Vertrauen zu belohnen.
Habt also den gleichen Glauben und ihr werdet gute Priester und Ordensleute sein. Ihr werdet so mit reichen und sicheren Gnaden ausgestattet, deren Ausspender ihr seid. Was ihr mit Glauben und Frömmigkeit segnet, wird ganz offensichtlich geheiligt sein. Auf diese Weise bringt ihr euer Priestertum zu großer Frucht, gebt Gott sein Eigentum zurück und bringt es wieder unter seine Herrschaft.
Ihr selbst aber werdet inmitten der zeitlichen Dinge, deren ihr euch bedient, und die ihr gesegnet habt, Gott müheloser finden. Ihr erwerbt innere Sammlung und Salbung, einen unbesieglichen Schutz gegen Versuchungen und Schwierigkeiten, und Kraft inmitten der Strapazen und Mutlosigkeiten des Weges. Euer Einfluss auf die Seelen wird zu- oder abnehmen ja nach dem Wachsen oder Schwinden eures Glaubens an diese übernatürlichen Gedanken. Bittet Gott bei der Betrachtung, bei der Besuchung des Allerheiligsten und bei der hl. Messe, er möge euch im Glauben erneuern und die Gnaden eurer Berufung wieder erwecken. Der hl. Paulus sagt zu Timotheus: „Ich ermahne dich, wecke die Gnade Gottes, die in dir ist kraft der Auflegung meiner Hände, wieder auf.“
In Chaource bei Troyes lebte ein heiligmäßiger Priester, H. Martinot, ein Glaubensbekenner, während der Französischen Revolution. Er genoss hohe Verehrung, und ich kannte viele Leute, sogar in meiner eigenen Verwandtschaft, die von ihm geweihte Gegenstände ehrfürchtig aufbewahrten. Man schrieb ihnen eine besondere Kraft zu. Ging man hierin zu weit? Ich weiß es nicht, glaube es aber nicht. Unsere Oblatenlehrer ihre priesterliche Vollmacht wohl benutzen und Bücher und Hefte, eigene und die ihrer Schüler, segnen. Aus dem Grund ihres Herzens sollen sie auch ihre Schüler segnen, indem sie dabei das „Komm, Heiliger Geist…“ beten. Ihr werdet es erleben, wenn ihr euren Segen so vorausschickt, was es euch einbringt. Ihr werdet besser unterrichten und mit euren Schülern eine echte, spürbare und übernatürliche Verbindung eingehen. Denn in eurem Segen liegt eine Kraft zu einigen und zu verbinden, die Seelen und Herzen einander zu nähren, den Frieden, die Freude und das gute Einvernehmen zu fördern. Bewahrt also gut in euch diese Vollmacht und nutzt sie aus. Denkt oft daran und übt sie priesterlich und religiös aus.
Die Mutter des Olier, des Gründers der Priester von St. Supice, führte ihren Sohn, als er noch ganz klein war, zum hl. Franz v. Sales, der gerade in Lyon weilte. Das war ein kleiner Trotzkopf, der seiner Mutter viel Kummer bereitete, und einen schwierigen Charakter hatte. Sie bat den Heiligen, dass er ihn segne. „Er wird ein großer Diener Gottes werden“, beruhigte sie der Heilige, „und wird der Kirche große Dienste erweisen.“ Der Segen des hl. Franz v. Sales zeitigte später die großen Wirkungen, die er vorausgesagt hatte.
In den christlichen Familien war es früher Brauch, dass die Eltern ihre Kinder segneten. Der sterbende Vater segnete seine um ihn knienden Kinder. Das geschah und geschieht noch heute in den glaubensstarken Ländern am Vorabend der ersten hl. Kommunion. Nichts von Bedeutung geschah ohne den Segen der Eltern, und nichts verlieh der väterlichen Autorität mehr Würde und Glaubwürdigkeit als das. Das habe ich in meiner eigenen Kindheit erlebt. Meine guten alten Eltern gaben allabendlich ihren kleinen Kindern den Segen.
Die Gute Mutter hegte ebenfalls großes Vertrauen in den Segen der Väter und Mütter. Sie forderte dazu auf. Zu diesem hohen Glaubensniveau sollten wir also die Seelen emporführen. Das wäre das Heil und die Rettung für die Familien und die Gesellschaft. Und wir sind die „Schatzmeister“ dieser Wahrheiten. Uns obliegt es, die Geister aufzuklären, und sie über Gebrauch und Wohltaten dieser göttlichen Privilegien zu belehren.
Wie häufig übt doch die Kirche die Zeremonien der Segnungen und Weihen aus, jene Vollmachten, die uns übertragen wurde. Die Gedanken, die wir da erörtert haben, sollten uns immer wieder in den Sinn und ins Herz kommen. Sie müssten die Atmosphäre unsres religiösen Lebens bilden.
Zum Schluss möchte ich euch noch mitteilen, dass wir anlässlich des Jahreswechsels an verschiedene Persönlichkeiten Roms geschrieben haben und sehr schöne und liebevolle Antworten erhielten. Kardinal Mazella, der unsere Satzungen approbierte, Kardinal Ledochovski, der Präfekt der Propaganda sowie der Kardinalvikar Parochi haben uns sehr liebenswürdig zurückgeschrieben. Auch der Erzbischof von Lyon hat uns ein kurzes Wort gesandt, das wirklich aus dem Herzen kam. Der Erzbischof von Sens, der Bischof von Autun, und mehrere andere ebenfalls, auch der Bischof von Mainz. Vor allem der von Versailles bezeugte uns und unseren Werken in einem langen Schreiben seine innige Verbundenheit. Er bedankt sich für das Gute, das wir in seiner Diözese wirken. Den schönsten Brief von allen aber schrieb uns der Kardinal von Paris. Er versichert uns, wie angenehm ihm unsere Wünsche und vor allem unsere Gebete sind.
Das beweist, meine Freunde, dass wir uns auf dem rechten Weg befinden. So sprechen die Häupter der Bistümer, in denen wir arbeiten. Unser Arbeiten ist ihnen also angenehm, da sie es uns auf eine so liebenswürdige Weise bezeugen.
D.s.b.
