Kapitel vom 09.01.1895: Die Messe – unser wichtigster Dienst
In den letzten Kapiteln unterhielten wir uns über die Heiligkeit des Priestertums. Das Priestertum hat zwei wesentliche Funktionen: das hl. Messopfer darbringen und das Bußsakrament spenden. Zwei weitere Betätigungen sind mit diesen Hauptfunktionen verknüpft: die Macht und der Auftrag, Menschen und Dinge zu segnen sowie das Predigtamt. Am Anfang der Priesterweihe weiht der Bischof die Hände des Priesters, damit sie anschließend selber segnen und weihen können.
Die Grundverrichtung des Priesteramtes ist sicher die Darbringung des hl. Messopfers. Wenn jeder Priester schon verpflichtet ist, die Messe gut zu feiern und sich sorgfältig darauf vorzubereiten, so gilt das zweifellos noch viel mehr von uns Ordensleuten, die wir ja ein vollkommeneres Leben führen und eine reinere Seele haben sollen. Infolgedessen sollen wir nach der Lehre des hl. Thomas wegen der größeren Ähnlichkeit unseres Lebens mit dem Leben Jesu auch auf eine gottgefälligere Weise zelebrieren.
Wir denken wenig daran, dass die hl. Messe unser wichtigster Dienst ist. Gewiss bereitet man sich auf die hl. Priesterweihe gebührend vor. Aber legt man sich auch genügend Rechenschaft ab von der Größe gerade dieser priesterlichen Funktionen und der soliden Basis von Heiligkeit, die man hierfür beibringen müsste? Leider weiß man über die hl. Messe viel zu wenig. Man kennt mehr oder weniger gut ihre Zeremonien, dringt aber nicht tief genug ein in die erhabene Größe dieses Dienstes, den man da versieht, in den überreichen Schatz an Gnaden, den man da erwirken kann. Wir haben zwar unser Direktorium, das uns eine lange und eingehende Vorbereitung und ebenso gründliche Danksagung anbietet, die man gebrauchen kann, wenn man sich davon eine wirkliche Hilfe verspricht. Wann aber können wir dem hl. Franz v. Sales sagen, was er zur hl. Franziska sagte: „Gott gibt mir die Gnade, sobald ich mein Gesicht zum Altar wende, nie eine Zerstreuung zu haben?“ Bemühen auch wir uns darum, unsere ganze Seele und unseren Geist da in Gott zu versenken und alle zerstreuenden Gedanken zu meiden.
Die Gute Mutter empfing gerade bei der hl. Messe ihre großen Gnaden. Sie machte die Messe zur hauptsächlichen Übung ihres religiösen Lebens. Es wäre zu unserer Belehrung nützlich, wenn wir das nachlesen wollten, was der hl. Franz v. Sales über das hl. Messopfer sagt und was die Kirchenväter und Lehrer des Mittelalters darüber schreiben. In der Nachfolge Christi findet sich ein schönes Kapitel, das recht umfassend die Wirkungen der hl. Messe erörtert, dazu die innere Disposition, die wir beibringen sollen. Darüber sollten wir alle eine exakte Vorstellung haben, sollten unser Urteil nach der Lehre der Theologen und Doktoren bilden.
Was Gott an der Religion als Gegenstand einer besonderen Zuneigung vor allem liebt, ist das hl. Altarsakrament. Eine große Zahl von Kirchenlehrern hat es ein wahres Paradies genannt, in den man den menschgewordenen Gott selbst genießt. Das ist das Sakrament seiner Wonne: Meine Wonne ist es, bei den Menschen zu sein. Er wurde Mensch, nicht um uns nur ein einziges Mal zu erlösen, sondern um es ohne Unterlass zu tun, um uns ohne Unterbrechung die Kraft und das Leben, dessen wir bedürfen, zu schenken. Im Himmel spielt unser Herr keine andere Rolle als er es auf Erden tat. So weilt unser Herr die meiste Zeit bei den Menschen, wo kommt er ihnen am nächsten? Doch im hochheiligen Sakrament des Altares. Daraus folgt doch, dass dieses Sakrament etwas Hocherhabenes, Unaussprechliches sein muss, wenn die hl. Menschheit des Herrn Gott hier ihr größtes Opfer darbringt und dem Menschen die wirksamste Hilfe anbietet. Erfasst also wohl, wie wichtig unsere Vorbereitung auf die hl. Messe ist und welche Andacht wir zu ihrer würdigen Zelebration mitbringen sollen. Da unser Herr daran seine Wonne findet, müssen auch wir hier besser als irgendwo sonst verweilen. Es muss der Augenblick unseres höchsten Glücks, unser Himmel auf Erden sein. Unsere Empfindungen dürfen sich hier nicht von denen des himmlischen Vaters und Jesu Christi unterscheiden.
Die aber noch nicht Priester sind, mögen dieses Glück bereits aus der Ferne ins Auge fassen und sich innerlich dafür bereiten. Vergessen wir nie, um es noch einmal zu sagen, dass unser Herr darin seine Wonne findet. Bereitet euch darum auf die Priesterweihe mit großem Eifer vor, aber auch mit etwas Wissensdrang. Die Traktate der hl. Väter und der aszetischen Schriftsteller über die hl. Eucharistie heißt es studieren. Der hl. Alfons hat sehr schöne Dinge über die Andacht zum hl. Altarsakrament geschrieben. Es wird gut sein, in der Morgenbetrachtung und wenn wir allein zu Füßen unseres Herrn im hl. Sakrament verweilen, unsere ganze Seele mitzubringen und vom lieben Gott das nötige Licht zu erbitten. Denn hier offenbart sich Gott der Seele mehr als sonst wo. Als man den hl. Thomas v. Aquin fragte, welcher Lehrer ihm die tiefen Geheimnisse der Theologie vermittelt habe, gab er zur Antwort: „Zu Füßen des Kreuzes und zu Füßen des hl. Sakramentes hab ich all das gelernt. Da hat Gott auf meine Fragen geantwortet und mir das nötige Licht gegeben.“ In diesem Augenblick findet Gott also seine Wonne und sein Paradies, bei uns zu sein. Das möge für uns also keine Zeit der Müdigkeit und der Mutlosigkeit sein, sondern eine Zeit der Anbetung. In der Besuchung des hl. Sakramentes, in der hl. Messe und Kommunion finden wir Gott selbst.
Ihr geht dreimal die Woche zur hl. Kommunion. Wenn ihr etwas weiter vorangeschritten seid, werdet ihr noch öfter kommunizieren. Und das sei eure große Vorbereitung auf die hl. Priesterweihe. So wie man vor gleich welcher Karriere seine Studien gemacht haben muss, so wie man nicht beichthören kann, ohne seine Theologie zu kennen, ebenso wenig kann man eines Tages die hl. Messe feiern, ohne lange und gründlich Herz und Geist für diese große Aktion bereitet zu haben. Auf diese Weise, meine Freunde, werdet ihr nicht nur Subjekte, sondern tatkräftige Akteure des hl. Messopfers werden.
Bereitet euch darauf besonders bei der hl. Kommunion und der Besuchung des Allerheiligsten vor. Legt euch einen Vorrat zu an Wissen und Einsichten in alle diese großen Dinge des priesterlichen Lebens.
Wir verstehen es nicht, die hl. Messe gut zu lesen. Betet, und ihr werdet es lernen. Jesus Christus ist ja das Licht. Er erleuchtet jeden Menschen, der in diese Welt kommt. Beherzigen wir, was der hl. Alfons sagt, was das Buch der Nachfolge Christi sagt, was so viele andere schöne und gute Bücher lehren. Im Seminar ließ man uns studieren, was Thomas v. Kempen, Kardinal Bona, der hl. Alfons über diesen Gegenstand lehren. Das Priestertum ist ein Weg, ein Lauf, und der Altar ist das Ziel dieses Laufs, der Grenzstein dieses Wegs. Unser ganzes Leben lang währt die Vorbereitung, damit wir auf diese Weise weniger unwürdig werden, den Altar emporzusteigen. Die hl. Messe muss von dem gut verstanden werden, der sie liest. Dann wird sie in Wahrheit zum Opfer des Erlösers, Fortsetzung und Vollendung des Kreuzesopfers.
Die guten und heiligen Priester lesen ihre Messe gut. Und die Gläubigen wohnen solchen Messen gern bei. Da herrscht eine Atmosphäre, die man anderswo vergeblich sucht. Der hl. Chrysostomos lehrt, der Priester sei nicht allein am Altar. Er sah während seiner hl. Messe die Engel dem Sohne Gottes das Geleite geben, wie sie es im Himmel tun. „Sie sind da“, sagte er, „ich habe das gesehen.“
Nehmen wir uns diesen Gedanken zu Herzen, damit uns der Vorwurf erspart bleibe, wir läsen die Messe oberflächlich, würdelos und allzu schnell. Wenn noch ein wenig Glauben auf Erden zurückbleibt, ein bisschen Hingabe, ein bisschen Gutes, dann verdanken wir das zweifellos dem hl. Messopfer, der wirklichen Gegenwert Christi im hl. Sakrament. Ohne die hl. Eucharistie hätte die Welt längst das wenige Gute verloren, das ihr noch verbleibt.
Ich schließe, indem ich meine Empfehlungen noch einmal zusammenfasse: Wer noch nicht Priester ist, bereite sich darauf mit der ganzen Überzeugungskraft seiner Seele, lange und ernst vor. Die sie bereits lesen, sollten oft und oft ihre innere Gesinnung erneuern. Die hl. Messe darf kein isolierter Akt sein, getrennt vom übrigen Tagewerk. Seien wir frühmorgens am Altar, bleiben wir dort den ganzen Tag über mit dem Herzen. Unsere Gedanken und Affekte sollten ohne Unterlass dorthin zurückkehren. Die hl. Messe sollte wirklich das Opfer unseres ganzen Tagewerkes, ja all dessen sein, was wir im Laufe eines Tages Gott anbieten oder von ihm empfangen. Die hl. Messe muss von uns Besitz ergreifen, muss uns wie ein Gewand umgeben, muss uns durchdringen, muss unsere Speise werden im Inneren und unser Kleid im Äußeren. Unser Wort und unser Tun sollte von ihr belebt werden. Die hl. Messe allein kann aus uns heilige Ordensleute machen.
Nicht weit von hier lebt ein sehr heiligmäßiger Priester. In der Andacht zum hl. Messopfer besteht seine ganze Praxis. Ich habe nur die hl. Messe, sagt er, sie bewahre ich den ganzen Tag. Er übt keine Seelsorge aus. Die Erinnerung an das Messopfer des Morgens und die Vorbereitung auf die Messe des kommenden Tages füllt die Leere seines Alltags aus. Das sollte auch die Praxis der Oblaten des hl. Franz v. Sales werden.
