Kapitel vom 14.02.1894: Überall und in allem das Religiöse finden
Ein sehr beherzigenswertes Prinzip ist, dass alle Gute, das in einer Kongregation geschieht, von der vollständigen Beobachtung der Satzungen und Regeln abhängt. Nichts kann dem Ordensmann nützen noch dem Institut Vorteil einbringen ohne diese bedingungslose Unterwerfung unter alle Vorschriften. Wird dadurch etwa die persönliche Initiative unterdrückt? Keineswegs. Der Religiose wird dadurch in seiner Aktivität mehr gelenkt als gehemmt. Seine Aktion muss sich zwar unter bestimmten Bedingungen abspielen. Aber statt sie auf zielfremde Dinge zu verschwenden, wird sie umso mehr aktiv, je mehr sie sich innerhalb eines genau umschriebenen Rahmens bewegt. Ob Lehrer, Ökonom oder Direktor, die Verhaltensweise ist für jedes dieser Ämter festgelegt. Sache des Oblaten ist es nun, was Gott ihm an Intelligenz und Eifer gegeben hat, hier einzusetzen. Wesentlich ist, dass alles dem Geist der Kongregation gemäß geschieht, mit den Hilfsmitteln und nach den Regeln, die vorgezeichnet sind, damit man so einen Oblaten gerade an seinem Tun leicht erkennen kann. Bei uns darf es keinerlei Spur eines äußeren Auseinanderklaffens geben, überall und in allem muss sich der Ordensmann verraten. Wir werden es schaffen, uns Form und Gepräge des Oblatenordens anzueignen, wenn wir genauestens die intellektuelle und die geistliche oder übernatürliche Ordnung wahren.
Die materielle Ordnung umfasst die Verwaltung und die Organisation der Güter unserer Genossenschaft. P. Lebeau ist als Generalökonom und Visitator beauftragt, dafür Sorge zu tragen. Jedes andere System, und schiene es dem Institut auch reichere Hilfsquellen zu erschließen, muss sich seinen Anordnungen beugen, es sei denn, der Generalobere hat die Frage studiert und eine andere Entscheidung gefällt. Wir wollen nicht nur die Ratschläge des P. Visitators befolgen, seine Anweisungen annehmen und allein seine Befehle ausführen, jeder von uns ist auch positiv zur Armut verpflichtet, und zwar zu einer wirklichen, tatkräftigen Armut, indem er Ausgaben vermeidet, seine Kleider und sonstigen Gebrauchsgegenstände schont und für die Erhaltung der Güter der Genossenschaft sorgt. Denn durch diese Liebe zur Armut und die Ersparnisse, zu denen sie anregt, verdient eine Kongregation ihren Lebensunterhalt und mehrt ihre Güter. Ginge uns diese grundlegende Tugend ab, würden wir auch nur die kleinsten Vorschriften vernachlässigen, dann entzöge uns Gott seinen Segen. Bleiben wir aber wahrhaft arm, dann werden wir das Lob verdienen, das uns einmal eine Wohltäterin gespendet hat: „Die Oblaten sind mir teuer, weil sie die Armut lieben.“ Gott wird dieses Wort bestätigen und uns seinen Schutz und seine Hilfe gewähren, solange wir arm bleiben.
Die Fragen der intellektuellen Ordnung betreffen besonders P. Rolland und, während seiner Visitationen, P. Lebeau. Diese beiden haben darüber zu wachen, dass die Studienprogramme beachtet und die Methoden befolgt werden. Ein Oblatenlehrer mag gewiss seine eigene Art zu urteilen und zu handeln haben. Es kann sogar vorkommen, dass seine Methode sich als besser erweist als die etablierte. Mit Sicherheit aber würde er sein Ziel verfehlen, vor allem das Endziel, das nur Frucht eines gemeinsamen Mühens sein kann. Der Unterricht wäre weder einheitlich noch lückenlos, wenn ihm nicht ein einheitliches Programm noch eine gleichförmige Methode zugrundeläge. Muss sich der Lehrer aber nach einer festen Studienordnung richten, dann bleibt ihm immer noch genug Eigeninitiative, wenn er dafür sorgt, dass die Lehrprogramme genau eingehalten und die Methode treu angewandt werden. Und sein Gehorsam wird umso mehr Verdienste zeitigen, je mehr Opfer ihm all das abverlangt. Ist er intelligent, dann wird er gerade diesen Gehorsam hochschätzen. Denn dann wird die Weiterentwicklung keine Schwierigkeiten bieten und er wird verstehen, dass das reibungslose Funktionieren einer Maschine nicht bloß Sache eines einzelnen Räderwerkes ist, so vollendet dieses auch sein mag, sondern dass es nur dann Einheitlichkeit im Unterricht geben kann, wenn alle in dem Sinn und auf die Weise vorgehen, wie es uns angegeben wird. Warum werden die Marianisten als Musterbilder von Lehrern angesehen? Weil alle ihre Lehrer, wie ein geistreicher Mann, ein Fachmann einmal sagte, Novizen seien. Sie kennen tatsächlich wie echte Novizen nur den passiven, freien und intelligenten Gehorsam.
Wir haben einen unserer Patres in die Mission geschickt, ein Mann Gottes. Da er aber erst spät bei uns eintrat, konnte er sich nicht ganz die innere Gestalt unseres Institutes aneignen. Er opfert sich auf, ohne sich aber genügend um die Regeln und die Anleitung zu kümmern, die ihm gegeben wurde. Was ist die Folge? Der liebe Gott segnet kaum sein Mühen. Er ist weit davon entfernt, den wohltätigen Einfluss auszuüben, den er ausüben könnte. So erging es auch uns, wenn wir uns der Leitung entzögen, die man uns vermittelte und wir der Bewegung unserer eigenen Natur folgten. Ich weiß sehr wohl, dass man von uns manchmal zu sagen, für einen Ordensmann ist die Ordensregel eben die Lebensregel und der Gehorsam das Geheimnis des Erfolges und des Verdienstes vor Gott.
Was nun die Dinge der geistlichen Ordnung betrifft, so haben wir unsere Grundsätze des rechten Verhaltens, die Ratschläge, die man uns gegeben hat, und die guten Beispiele, die uns voranleuchten. All das ist unser Schatz und unser Reichtum. Da finden wir das Licht und den Anstoß zum Guten, die Hochherzigkeit für unser Handeln und die sichere und leichte Norm für unser Verhalten zu den Seelen. Da bleibt nichts im Ungewissen, nichts dem freien Belieben des einzelnen überlassen. Der Weltgeistliche in seiner Pfarrei dagegen wählt seine apostolischen Werke aus, wie sie ihm passen. Er baut sie auf und führt sie nach seinem persönlichen Geschmack weiter. Sein Nachfolger nun teilt nicht seine Ansichten, reißt das Vollbrachte wieder ab, um es durch andere Werke zu ersetzen, die er für notwendiger hält. Weder der eine noch der andere vollbringt etwas Folgerichtiges, Beständiges und Dauerhaftes. Der Ordensmann braucht hingegen nur, indem er dem vorgezeichneten Weg folgt, das Begonnene fortzuführen. Man merkt gar nicht, dass ein Mensch fehlt. Der Geist, die Anleitung und die Aktionsmittel bleiben ja dieselben. So kann ein Jesuit aus einer Stadt verschwinden, ohne eine Spur von Bruch, von Zufall oder persönlicher Aktivität zurückzulassen. Er überlässt seinem Nachfolger seinen Beichtstuhl und seine Apostolatswerke. Man sieht an diesem Beichtstuhl dieselben Beichtkinder, in den Werken dieselben Personen, die sie mit ihrem Einfluss und ihrer Börse unterstützen. So muss es auch bei unsere Führung allen leichter zugänglich und unser Geist klarer ausgeprägt ist, unsere Lebensweise niemand zur Last fällt und unsere Aktivität ohne Aufhebens erfolgt, ohne Anmaßung, Eifersucht und Kritik an dem, was andere tun. Vergessen wir aber nicht, dass wir nur unter der Bedingung Oblaten sind, dass wir ganz und gar von unseren Satzungen und Regeln abhängig machen. Wir immer für diese Abhängigkeit von der Ordensregel kein Verständnis aufbringt, hat keine große Intelligenz oder aber es fehlt ihm am nötigen Charakter. Er wird immer nur ein Diener sein, der das Auge seines Herrn fürchtet oder aus Zwang handelt. Das aber ist kein Mensch und schon gar kein Oblate. Ein Oblate fühlt sich stark im Gehorsam und ist sicher, sein Ziel zu erreichen, wenn er sich selbst aufgibt. Er verlässt sich mehr auf Gott und seine Ordensregel als auf seine eigenen Kräfte. Er ist mit einem Wort ein wahrer Ordensmann.
D.s.b.
