Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 07.02.1894: Das Direktorium – Abtötung während der Fastenzeit

Tut Buße! Das Offizium der ganzen Fastenzeit lädt uns dazu ein. Doch verstehen wir heutige Menschen kaum noch diese ernste Sprache. Tut Buße: das ist ein Gebot der göttlichen Gerechtigkeit, die wir zwar hören, aber wir sorgen uns nicht hinreichend darum, sie auf unser Leben ernstlich anzuwenden. Buße muss sein, aber selbst die Kirche sieht sich gezwungen, auf Grund unseres niedrigen Glaubensniveaus und unserer Schwäche die Bußpraxis stark einzuschränken. Sie hat das Fastengebot gemildert und einen Teil der Abstinenzverpflichtungen aufgehoben. Dennoch bleibt die Pflicht zur Buße weiterhin ein Gebot der Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit aber kann nicht aufgehoben werden. Und wir selbst, obgleich Ordensleute, vergessen wir nicht allzu oft, dass wir Gott für unsere Verfehlungen Genugtuung schulden?

Es ist wahr: uns Oblaten legen die Satzungen und Ordensregeln keine positive Verpflichtung zu körperlicher Abtötung auf. Werden aber Oblaten etwa verschont von geistigen Nöten, Eigenliebe, Empfindlichkeit, Eifersucht, innerem Widerstand gegen das, was sie belästigt und peinigt? Lassen sie sich nicht auch von ihren kleinen Leidenschaften und Gelüsten leiten? Das sind aber ebenso viele Quellen von Unvollkommenheiten und Sünden, für die sie Sühne leisten müssen. Erfolgt diese Sühne nicht auf dieser Welt, so wird die Schuld nach unserem Tod umso drückender auf uns lasten, als wir ihre Begleichung auf das Gericht Gottes verschoben haben. In unseren Satzungen wird uns also keine körperliche Bußübung positiv vorgeschrieben, daran ist nicht zu zweifeln. Aber bietet uns das Direktorium nicht bedeutend Besseres als das? Der Kapuziner, der unsere Satzungen zu prüfen hatte, war überrascht, darin keine ausdrücklichen Bußwerke aufgeführt zu finden. Darum wollte er einige einfügen. Doch ein Kardinal riet davon ab mit der Begründung: Wenn die Oblaten sich befleißigen, sämtliche Punkte ihres Direktoriums zu beobachten, dann finden sie in dieser Pünktlichkeit jeden Augenblick Abtötungen, die mehr als Fasten und Geißelungen kreuzigen. Gerade das aber wollen wir nicht recht verstehen. Aus unserer Treue zum Direktorium machen wir kein Mittel, für unsere Vergehen Buße zu tun.

Und doch muss, um es noch einmal zu sagen, jede Sünde gesühnt werden. Sie erfordert eine Wiedergutmachung auf Grund ihrer Schwere. Diese Schwere aber wird bemessen nach dem Grad der Freiwilligkeit und der Erkenntnis, die man vor der Wahrheit besitzt. Nach dem Maß auch der mehr oder weniger reichen Gnade, die uns zuteilwird, nach den Einsprechungen, deren Gott uns würdigt, nach den tausend Hulderweisen, mit denen er uns überhäuft. Urteilt daher selbst über das Ausmaß von Buße, zu der ein Oblate verpflichtet ist. Hat er da ein Recht zu sagen: Meine Ordensregel schreibt mir keine Buße vor, folglich bin ich Gott gegenüber quitt in diesem Punkt. Ganz und gar nicht. Unsere Regel hat zwar über diesen Punkt nichts festgelegt, doch gibt es ein höheres Gebot, das alle Christen verpflichtet, besonders die Ordensleute: dass man nämlich für seine Sünden Sühne leisten muss. Jetzt ist die Zeit gekommen und die Kirche drängt uns, unsere der göttlichen Gerechtigkeit Genugtuung zu leisten. Unnütz wäre es, außerhalb unserer Oblatenexistenz die Wiedergutmachung zu suchen, zu denen wir gehalten sind. Seien wir zufrieden, ein Partikelchen nach dem anderen von dem Kreuz aufzulesen, wie sie jede unserer täglichen Übungen vom Kreuz abschneidet. Das wird genug sein, unsere Schuld zu bezahlen, und Gott wird Gefallen daran finden, wenn wir nur Treue wahren unserem Direktorium. Vernachlässigen wir keine der Gelegenheiten, die sich uns bieten, ein Opfer zu bringen, einen Akt der Demut, der Abtötung, der Selbstentäußerung, der Unterstützung und Liebe zu unseren Mitbrüdern zu vollbringen. Die Gute Mutter konnte in ihrer Krankheit nur mühsam die Treppe hinaufsteigen. Man legte ihr nahe, sich doch des Geländers zu bedienen. Ihre Antwort: „Man muss doch ein wenig die Buße verspüren.“ Der hl. Bernhard wurde zu Beginn seines Ordenslebens nicht müde, Gott zu bitten, ihm Verständnis für alle Erklärungen und Verdienste zu schenken, die in jedem einzelnen Kreuzpartikel enthalten sind. Unablässig achtete er darauf, dass keins davon zur Erde fiel. Mehr noch als er sind wir verpflichtet, der göttlichen Gerechtigkeit Genugtuung zu leisten.

Möge das Direktorium also, besser verstanden und treuer geübt, unsere große Fastenbuße bilden. Bitten wir darum den lieben Gott, unsere hl. Stifter, besonders die Gute Mutter, die es verstanden hat, darin das Geheimnis der Heiligkeit zu entdecken.

D.s.b.