Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 17.01.1894: Habt allen guten Mut!

Der hl. Franz v. Sales wiederholt oft: Habt guten Mut! Diese Parole war damals sehr passend. Und heutzutage passt sie noch mehr und ist noch notwendiger. Hätten alle Christen guten Mut, dann ertrügen sie mit großem Verdienst die Misere des Lebens und die Prüfungen und blieben immer siegreich. Und der Ordensmann noch mehr. Denkt nur an das Wort des Weisen: „Mein Sohn, wenn du dich dem Dienst Gottes verschreibst, mache dich auf Prüfungen gefasst!“ Wärt ihr also wohl vorbereitet in den Dienst Gottes eingetreten, dann bräuchtet ihr eure Seelen nicht gegen so viele Versuchungen zu wappnen. Verlieren wir aber nicht den Mut, wenn die Versuchung über uns kommt. Begreifen wir vielmehr, dass das Leben ein Kampf, ein Kriegsdienst, ein Ringkampf ist. Dieser Kampf und damit die Versuchung muss die Speise sein, die unser Leben erhält, nicht der Friede, die Freude und die Tröstung. Hier auf Erden heißt es ringen und kämpfen. Wogegen denn? Gegen das Fleisch und den Geist, gegen unsere Natur, gegen Überdruss, Widerwillen, Verzagtheit, die Folge der Unwissenheit, gegen das, was wir nicht begreifen, was uns gegen den Strich geht, was wir nicht sehen und erkennen, wenn wir im Dunkeln tappen. Warum aber den Mut verlieren? Setzen wir unsere Arbeit nur mit Geduld und Ausdauer fort. Warum fortsetzen? Warum nicht anderes beginnen? Wenn ich fortfahre, sehe ich dann etwa klarer? Vielleicht nicht. Wenn euch der liebe Gott aber beruft, in Dunkelheit und Finsternis zu leben, dann ist das eben euer Weg. Wird er da nicht mit euch sein? Und solltet ihr jeden Augenblick euch von neuem aufraffen, euren Mut in beide Hände nehmen müssen, so nehmt auch das an. Der Herr ist ja mit euch, ihr geht in Sicherheit den rechten Weg.

Wollt ihr aber nicht kämpfen und dulden, dann bewegt ihr euch nicht gemäß eurer Berufung auf dem euch zugewiesenen Weg. Das Direktorium sagt es formell: Bei jeder Handlung haltet euch bereit, mit Ruhe und Sanftmut des Geistes jede Mühe und Abtötung, die euch dabei begegnen, aus der väterlichen Hand unseres Gottes und Erlösers anzunehmen… Das ist der Lebensinhalt des Oblaten, und solch eine Lebensweise verleiht außerordentliche Kräfte. Tag für Tag legt man eure Kraftquellen frei. Wie in der Physik legt ihr ein Gran (d.i. ein Apothekergewicht) auf eine Platte, die an einem Magnet von der Stärke eines Kilogramm hängt. Jeden Tag setzt ihr ein neues Gran zu und erreicht, indem ihr unmerklich das Gewicht vermehrt, dass der Magnet schließlich vier oder fünf Kilogramm trägt. Hättet ihr versucht, ihm auf einmal dieses Endgewicht aufzubürden, wärt ihr nicht ans Ziel gelangt. Tut desgleichen: gewöhnt euch daran, die kleinen Heimsuchungen des lieben Gottes zu tragen. Dann wird das Leben nicht eintönig. Jeder kleine Zwischenfall, jeder kleine Verdruss wird Gelegenheit zu 15 oder 20 kleinen Tugendübungen. So stärkt man allmählich seinen Willen und befähigt ihn zu sehr großen Leistungen. Dahin aber auf den ersten Anhieb gelangen wollen, wäre Illusion. Es gibt keine Übermenschen. Der eine taugt nicht mehr als der andere.

Gott teilt den einen wie den anderen mit. Es ist da wie mit einem Tischtuch: Es ist etwas zu klein und bedeckt nicht den ganzen Tisch. Zieht man nun nach der einen Seite, entblößt man die andere. Der liebe Gott ist der Vater aller, er gibt allen Odem und Leben, Mut und Kraft, um die Schwierigkeiten, die über uns kommen, zu meistern. Die Bewegungen der Seele gleichen in vielem denen der Atmosphäre. Auch da gibt es Gezeiten mit Ebbe und Flut, Überschwemmungen und Gewitterstürme, unerwartete Schläge, die die Seele nach allen Seiten zerren und drehen. Seht nur, was bei der französischen Revolution alles in Frankreich passierte: sämtliche religiösen Kommunitäten wurden verzagt und enttäuscht, hatten keine Kraft und Entschlussfähigkeit mehr. Wer die Versuchungen zur Mutlosigkeit überwindet, reiht sich schnell unter die Siegreichen ein. Wenn jeder sich entschließt, mutig seinen Teil an Lasten und Mühen zu tragen, sein Direktorium treu zu beobachten, mit ganzem Herzen die Unterwerfungen und Abtötungen auf sich zu nehmen, dann schreitet alles geregelt und tüchtig voran. Bei unseren Ämtern und Aufgaben trägt die Hälfte von allem den Stempel der Mühsal, Beschwerlichkeit und Verdrießlichkeit, und das manchmal drei Viertel der Zeit oder sogar die ganze Zeit oder sogar die ganze Zeit hindurch. Tragen wir dies alles guten Mutes. Das ist das Mittel uns zu heiligen, und auf diesem Weg werden wir bald große Heilige, vollendete und bewundernswerte Ordensleute. Der liebe Gott legt alles Nötige zu unserer Reinigung und Stärkung auf unseren Lebensweg. An uns ist es, dies alles zu benutzen, indem wir es mit Stärke, Entschlossenheit und mannhaftem Mut zu unserem persönlichen Gut und Eigentum machen. Solch ein Leben schenkt Licht und sehr lebhafte Einsichten. „In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.“ Wenn ihr den Willen Gottes jeden Augenblick, 10-, 20-, 30mal am Tag tut, dann lebt ihr mit Gott, mit dem Wort Gottes, das das Licht eines jeden ist, der in diese Welt kommt. Mit seiner Hilfe werdet ihr einsehen und verstehen. Eure Seele wird zunehmend von den Strahlen des ewigen wie zeitlichen Lichtes erhellt. Wäre die Französische Revolution und die großen Irrlehren nicht gekommen, hätten diese den Menschen nicht dem Willen Gottes, dem Worte Gottes und dem Licht entrissen, hätte man fortgefahren, in diesem Licht Literatur, Künste und Naturwissenschaften zu pflegen, wer weiß, wie weit man dann gekommen wäre?

Ich muss euch einen Gedanken mitteilen, der mir gekommen ist, wir sind ja unter uns. Gestern kam mir beim Gebet die Frage: Was werden wir im Himmel eigentlich tun? Und ich sagte mir: Würde ich im Himmel unseren Herrn nur so sehen, wie ich ihn gesehen habe, dann würde mir das für die ganze Ewigkeit genügen. Was mir also genügen würde, wären nicht tiefschürfende Erwägungen, ein Eindringen in die göttlichen Mysterien, sondern ganz einfach der Anblick unseres Herrn, si wie er mir erschien, mit seiner Haltung und seiner ganzen Art, sich zu geben. Ja, das würde für die ganze Ewigkeit genügen. All das, in sich so vollkommen und umfassend, ist unschwer zu entdecken und zu verwirklichen: Wenn wir das, was ich oben ausgeführt habe, gut praktizieren, wenn wir den Willen Gottes also in all unserem Tun vollziehen, verwirklichen wir „das Leben und das Licht“ in unserer Seele. Dann fängt man an, zu sehen, zu verstehen, Seele und Herz damit zu nähren. Man findet den Herrn, und das genügt. Wie kommt es aber, dass ich beim Anblick unseres Herrn das Empfinden hatte, unendlich glücklich zu sein?

Wie soll man sich darüber klar werden? Ich kann es nicht, fühle aber, dass es so stimmt. In unserer kleinen Lebenspraxis finden wir also alles Nötige, um zur vollkommenen Anschauung Gottes zu gelangen. Wir vereinigen unseren Willen voll und ohne Vorbehalt mit dem göttlichen, und darin liegt der Himmel. Gewiss ist das noch nicht der absolute Himmel, ohne Schleier und Hülle, der Himmel ohne Schmutz, Ängste und Dunkelheiten. Aber es ist doch der Himmel. Vierzig Jahre lang war ich Zeuge dieser Wunder. Es schien auf den ersten Blick nichts in die Augen Springendes, und brachte doch wunderbare Wirkungen hervor.

Hat übrigens die Gute Mutter nicht sehr oft gesagt, die Welt werde gerettet, wenn die Oblaten gegründet seien, wenn man unseren Herrn wieder über die Erde schreiten sehen und dann klar erkennen werde, dass dies einzig das Werk unseres Herrn ist, weil sonst niemand Derartiges zuwege bringt. Und wenn dann das Heil der Welt gewirkt sei, werde unser Herr klar zeigen, dass er allein der Urheber dieses Werkes ist. Deshalb müssten die Oblaten, so fügte sie hinzu, genau seinen Spuren folgen, damit das gewirkte Gute auch Bestand habe. Um uns auf diese Zeiten so einzigartiger Gnaden und außerordentlicher Ereignisse gebührend vorzubereiten, müssen wir uns aber bemühen, unseren eigenen Geist abzutöten, von dem ganzem Herzen jede kleine Mühsal anzunehmen und jedem Verdruss und jeder Verzagtheit Herr zu werden. An solch einem Reichtum kann sich jedermann bereichern, denn hier finden alle, was sie brauchen, und das ist gut so. Damit vermehren wir unseren Schatz.

Habt also guten Mut! Seid in der gegenwärtigen Stunde von einem tatkräftigen Glauben erfüllt! So wie die Sterne an dem Tag, an welchem Gott sie ins Dasein rief, antworteten: „Da sind wir!“ so wollen auch wir Gott gehorchen und unseren Mut festigen. Möchte jeder sich vornehmen dies zu tun, ohne lange zu zögern, wie unser hl. Stifter sich ausdrückt, oder, wie man in der Champagne sagt: ohne lange am Hafer herumzuschnüffeln.

D.s.b.