Kapitel vom 06.12.1893: Über die Leidenschaft, alles gut zu tun.
Jeder Orden, jede Kongregation hat ihre eigene Weise zu leben, die nur ihr eigen ist und die ihren Charakter prägt. Die einzelnen Mitglieder dieser Orden und Ordensgemeinden müssen sich daran halten, da sie Gutes nur unter dieser Bedingung wirken können. Gleichgültig, welches der Geist, der Charakter, die Gebräuche der anderen Orden sind. Wir können und sollen sie bewundern, für gut und nützlich halten. Aber hüten wir uns, deren Weg zu gehen, wenn er sich vom unseren unterscheidet. So vollkommen er sein mag – er würde uns nicht ans Ziel bringen, das uns vor Augen schwebt. Wie jede andere religiöse Gesellschaft haben auch wir unseren eigenen Geist, unsere Art vorzugehen. Nun, die Art der Oblaten ist es aber, alles, was Gehorsam und Pflicht uns auferlegt, leidenschaftlich gut zu tun. „Leidenschaftlich gut tun“, dieses Wort hat eine große Reichweite! Dem Oblaten genügt es nicht, gut zu handeln. Er muss so viel Herz in sein Tun hineinlegen, als ginge es um seine ureigenste Sache. Er muss seine ganze Intelligenz, seinen ganzen Willen, sein ganzes Gemüt dabei betätigen. Wie unser Herr selbst müsste er von sich sagen: Ich wirke.
Er bleibt Herr seines Tuns. Nichts beschränkt sein Handeln, nichts zwingt ihn. Welches Verdienst folglich für den, der auf diese Weise wirkt! Dieses Herrenwort „Ich wirke“ lässt sich indes auf unser Schaffen nur in dem Maß anwenden, als wir in Vereinigung mit Gott handeln. Daraus folgt aber, dass es für uns nichts Gleichgültiges und nichts Unbedeutendes gibt. Alles ist da bedeutend, weil das Prinzip unseres Handelns im Willen und Wohlgefallen Gottes liegt. Gott hat es nötig, große Mittel einzusetzen, um seine Wunder zu wirken.
Was ist schon ein Tropfen Wasser, auf den Kopf eines Kindes gegossen? Was ein Wort wie dieses: Ich spreche dich los, oder: Das ist mein Leib? Und doch bewirken dieser Wassertropfen, diese so einfachen und kurzen Worte die größten Wunder. Das gilt auch für unser Tun: Ich führe Aufsicht beim Studium, ich unterrichte, ich predige, ich höre Beichte. Das sind ebenso viele Akte, die in uns wir in den anderen Wunder der Heiligung hervorbringen, wenn wir sie leidenschaftlich gut verrichten und sagen können: ich wirke. Ich handle ungezwungen und aus freien Stücken, ich handle aus Liebe.
Wie gelangen wir aber dahin, dieses Wort „Ich wirke“ zu verwirklichen? Indem wir uns daran gewöhnen, nichts zu planen und nichts zu tun, ohne sicher zu sein, dass wir infolge unseres Gebets die Hilfe und Unterstützung für dieses Werk haben. Indem wir uns daran gewöhnen, allzeit ehrlich und einfach zu handeln, ohne uns selber dabei zu suchen und ohne uns Rückblicke auf das Vollbrachte zu erlauben. Vergessen wir nicht, dass wir durch unser Tun und Lassen den Menschen zum Schauspiel werden, und dass unser Äußeres unsere innere Gesinnung widerspiegeln muss. Unser hl. Stifter war gerade unter diesem Gesichtspunkt ein Vorbild, das wir nicht genug studieren können. Bei ihm war alles wohl geordnet, einfach und natürlich. Nirgendwo, ob allein oder in Gesellschaft, begab er sich dieser schönen Haltung, die die Seelen entzückte. Freilich erreichte er das nicht ohne Anstrengung, ohne Opfer, ohne große Wachsamkeit über seine eigene Person. Zu diesem richtigen Verhalten müssen wir unsere Novizen heranbilden. Sie werden darin eine Quelle von Abtötungen finden, die mitunter schwer und hart sind. Doch das Verdienst, das mit Opfern verbunden ist, sollte ihnen den Wunsch danach und Liebe dazu einflößen. Studieren, sammeln und gebrauchen wir alles, was den Stempel unseres Geistes, unserer Art zu leben und zu handeln, trägt, indem wir „aus Liebe zu Gott“ handeln. Für uns selbst finden wir darin Heiligung sowie das Geheimnis, zu den Seelen zu sprechen, sie zu Gott zu führen, und sie mit Gott zu vereinigen.
D.s.b.
