Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 19.07.1893: Die Heilige Messe

Fünfter Artikel: Anleitung, der hl. Messe beizuwohnen. Während der Priester sich vorbereitet, versetze man sich in die Gegenwart Gottes. Wenn er das Schuldbekenntnis betet, werfe man sich im Geist vor Gott nieder…

Zu Beginn der Messe vergessen wir nicht, unser Herz durch das Schuldbekenntnis vor Gott zu bereiten. Das sollte aber keine bloße Formel bleiben, sondern eine ehrliche Gesinnung, ein echtes Bekenntnis aller Fehler unseres ganzen Lebens ausdrücken. Demütigen wir uns also ob aller begangenen Sünden, ob unsere Fehler, Schwachheiten und Erbärmlichkeiten, auch ob all des Schändlichen, das in unserem Charakter und in unserem Leben sowie in dem liegt, was die anderen missbilligen, was ihnen missfällt.

Wie wenig Glauben gibt es doch zurzeit in der Welt, wie wenig besitzen wir selbst davon! Wie selten bereut man ehrlich eine Sünde, demütigt sich vor den Menschen, die Zeuge davon waren! Tun wir es wenigstens vor Gott! Bekennen wir reumütig die vielen Fehler, Verkehrtheiten, die so zahlreichen Handlungen unseres Lebens, die unserem Beruf widersprechen, die die ungeheure Liebe Gottes zu uns beleidigen.

Wie gern komme ich immer wieder auf denselben Gedanken zurück! Wie tät er uns gut, wenn wir ihm bloß treu wären! Tun wir vor Gott, was die Gute Mutter tat: wie vernichtet hielt sie sich vor Gott. Und das ist kein Pappenstiel, vernichtet zu sein! Darin liegt aber die ganze Wirksamkeit unseres Gebetes. Das verleiht uns Würde, Aufrichtigkeit und Großmut. Das bewirkt, dass Gott uns anhört und erhört. Denn da stehen wir ganz auf dem Platz, der uns gebührt. Wir sind so, wie wir sein sollen. Und Gott steht dann ebenfalls auf seinem Platz.

Hätten wir die Gewohnheit, uns klein zu sehen, dann ertrügen wir alles mit Freuden. Würden wir uns gerne verdemütigen, dann verspürten wir keinen Abscheu mehr, zu gehorchen, wenn der Gehorsam uns gegen die Natur geht, wenn man uns etwas befiehlt, was uns missfällt: Wir sind Oblaten, wir sind als die Letzten von allen gekommen: lieben wir es also, stets die letzten zu sein. Dies sei das Kennzeichen unserer Tugend, das Zeugnis unserer Heiligkeit. Sich demütigen erniedrigt und entwürdigt nicht. Im Gegenteil, es verleiht Würde und offenbart wahre Seelengröße.

Diese Gesinnung gehört also wesentlich an den Anfang der Messe. Vergessen wir darum nie, sie in uns zu erwecken.

„Dann kann er den Rosenkranz beten oder andere Gebete, die er besonders liebt, bis zum Evangelium. Da steht er entschlossen auf, um seine Bereitschaft zu zeigen, auf dem Weg der Gebote des Evangeliums zu wandeln. Dabei spricht er: Jesus ist gehorsam…“

Jenen, die selbst die hl. Messe nicht lesen können oder noch nicht lesen, empfehle ich dringend Aufmerksamkeit und Andacht bei der hl. Messe. Gerade während der Jahre, die der Priesterweihe vorangehen, lernt man, sie einmal mit großem Glauben zu lesen, indem man ihr fromm beiwohnt. Die jungen Ordensleute, die der hl. Messe gut beiwohnen, verdienen sich überfließende Segnungen.
Weiter unten im Direktorium werden wir sehen, dass wir bei dem so schönen und fruchtbaren Gedanken verweilen sollen, die Messe sei das Opfer der Kirche. Der Priester, als Diener der Kirche, tritt da für alle Glieder dieser Kirche ein, für die Anwesenden wie Abwesenden, für die Lebenden und Verstorbenen. Sein Gebet erreicht da alle. In reichem Maße teilt er davon den armen Seelen im Fegefeuer mit, ja sogar den Heiligen des Himmels, deren akzidentielle Glorie er Himmel vermehrt. Jene unserer jungen Patres, die noch nicht Priester sind, sollen diese Gebete auswendig lernen, damit sie sie später bei der Messe rezitieren können.

„Erhebt der Priester bei der hl. Wandlung den Leib des Herrn, betet der Oblate ihn mit aufrichtiger Herzenszerknirschung an, opfert ihn mit dem Priester Gott dem Vater auf zur Vergebung seiner und der ganzen Welt Sünden.“

Dieser Gedanke unseres hl. Stifters ist sehr schön. Er gibt uns genau die Weise an, wie wir uns aufopfern sollen: vorbehaltlos und bedingungslos. In Gemeinschaft mit unserem Herrn sollen wir uns opfern und auf dieselbe Weise wie er. Dieser Opferakt sollte in Vereinigung mit seinem Opfer und ohne Einschränkung vollzogen werden.

„Kann er die hl. Kommunion nicht wirklich empfangen, so empfängt er sie geistigerweise.“

Ganz eindringlich empfehle ich die geistliche Kommunion, in diesem oder vielen anderen Augenblicken des Tages. Franz v. Sales schärft uns diese Übung als einen Gott höchst wohl gefälligen Akt sehr ein. Der hl. Alfons war der unermüdliche Apostel der geistlichen Kommunion. Ich glaube, er war es auch, der erzählt, Gott habe ihm zwei wunderschöne Gefäße gezeigt, das eine aus Gold, das andere aus Silber. Das goldene enthielt seine sakramentale Kommunionen, das silberne die geistlichen.

Jene, die einen inneren Zug zur hl. Eucharistie verspüren, tun gut daran, ihm bereitwillig zu folgen. Es ist ein mächtiges Mittel, sich mit Jesus Christus zu vereinigen, und unterhält und uns eine starke Empfindung der Liebe zu ihm. Und die geistliche Kommunion bringt ganz ähnliche Wirkungen hervor. Herzlich empfehle ich euch die Gebete, die uns der hl. Alfons in seinem „Besuchungen des Allerheiligsten“ für die geistliche Kommunion anbietet. Eins davon, ein sehr langes, kann man während der Messe beten, falls man nicht kommuniziert. Ein anderes, kürzeres, eignet sich mehr tagsüber.

Jeder hat seine kleinen menschlichen Neigungen, der eine, je nach Veranlagung, ist Mechaniker, der andere Chemiker, der dritte Insektenforscher, und wer weiß was noch. So sollten wir auch unsere kleinen geistigen Neigungen haben für diese oder jene Andacht. Ich empfehle euch allen die Andacht zur geistlichen Kommunion. Glaubt nur nicht, eine Andacht sei eine seelische Schwäche. Im Gegenteil, ich scheue mich nicht zu behaupten. Man könne gar keine starke Verehrung für etwas haben ohne eine große Intelligenz, ohne einen wohl geordneten und umfassenden Geist. Die Andacht (Anm.: „ ‚devotion‘ heißt auch Verehrung, Frömmigkeit, Hingabe, Ergebenheit.“) ist unbestreitbares Kennzeichen eines überlegenen Geistes, weil sie unsere Gedankenwelt erweitert, uns mit vielen Dingen in Berührung bringt, uns in Geheimnisse und Erleuchtungen einweiht und unsere Fähigkeiten stärken entwickel. Das Betätigungsfeld der Andacht ist ungeheuer groß: Andacht zur seligen Jungfrau, zu den Heiligen, zum heiligsten Altarsakrament, etc. Ich führe als Beispiel Abbé Cardot an, den ihr alle kennt: niemand war intelligenter und frömmer als er, niemand hatte einen festeren und energischeren Charakter. Seine Frömmigkeit war groß und voller Leben, sie ging bis an die äußersten Grenzen. Gerade aus seiner Frömmigkeit zog er seine tiefen Einsichten, die große Spannweite seiner Seele und seiner Fähigkeiten.

Bemühen wir uns also so wie er um eine große Andacht zur hl. Eucharistie. Um wie viel haben wir doch den Herrn zu bitten! Lernen wir, mit ihm zu sprechen und nehmen wir zu diesem Zweck nicht unsere Zuflucht zu Büchern oder Abhandlungen, so gut sie sein mögen. Studieren wir vielmehr uns selbst in der hl. Eucharistie und, wenn ich so sagen darf, studieren wir durch uns selbst.

In meiner seelsorgerlichen Karriere habe ich bei den intelligenten Menschen immer festgestellt, dass gerade die großen Geister und Charaktere eine starke Neigung zur Frömmigkeit hatten. Und ich sage noch einmal: besonders in der hl. Messe schöpft man diese Andacht. Ich erinnere mich, als ich das Sprechzimmer der Heimsuchung betrat, erblickte ich die Gute Mutter, die soeben aus der Messe kam. Ihr Gesicht war wie verklärt, alles an ihr atmete Gott. Etwas sichtlich Übernatürliches war an ihr, das ich nicht definieren kann. Haben wir also wie sie eine große Andacht zur hl. Messe, zu unserem auf dem Altar sich opfernden Herrn. Die frommen Seelen spüren das Glück, sich da dem Herrn nahen zu dürfen und sich mit den Engeln zu verbinden. Diese umschweben ja den Altar und beten unseren Herrn an in der Eucharistie.

Fassen wir darum einen Vorsatz, dem hl. Messopfer so beizuwohnen, wie es das Direktorium rät. Erneuern wir mit Hilfe der hl. Messe unseren Glauben und unsere Liebe zum Herrn. Der Priester sei sich bewusst, dass niemand dem Heiland näher steht als er und dass er seinen ersten Segen empfängt. Ja, bei der hl. Messe kann man allerhöchste Segnungen empfangen. Wenn unser Herr sich uns in der hl. Kommunion schenkt, dann beginnt für uns ein Leben der Gemeinschaft mit ihm. Um diese Gemeinschaft ausdrücken, haben die Franziskaner in ihrem Wappen ein schönes Symbol: die Hände unseres lieben Herrn umschlingen die Hände des hl. Franz v. Assisi. Bitten auch wir um solch innige Vereinigung des Denkens und des Tuns.

D.s.b.