Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 01.03.1893: Die Ablegung der Ordensprofess

Die Profess. „Wenn der Novize die für das Noviziat vorgeschriebene Zeit beendet hat, und die erforderlichen Eigenschaften besitzt, wird er für die Profess vorgeschlagen. Seine Zulassung erfolgt durch Stimmenmehrheit.“

Wir haben einfache Gelübde. Die neueren Kongregationen haben nicht das Recht, feierliche Gelübde abzulegen. Nur die Jesuiten dürfen das auf Grund eines ausdrücklichen Privilegs.

Welcher Unterschied besteht zwischen beiden Arten von Gelübden? Bezüglich der eingegangenen Verpflichtungen keiner. Seht nur, was das Kirchenrecht darüber sagt. Früher waren die Gelübde feierlich, d.h. von der menschlichen Gesellschaft und den bürgerlichen Gesetzen anerkannt. Wer das feierliche Gelübde der Armut abgelegt hatte, war für die irdischen Güter tot, auch vor dem Gesetz. Er konnte nicht einmal ein Testament machen, es wäre null und nichtig gewesen. Ebenso wenig konnte er ein amtliches Schriftstück unterzeichnen. Er war gewissermaßen gestorben.

Bei den Kongregationen mit einfachen Gelübden ist dies anders. Da die Sitten und Gebräuche sich geändert haben, müssen sie sich zwangsläufig den geänderten Lebensbedingungen der Gesellschaft anpassen, in der sie leben. Einst schützte das Bürgerliche Gesetzbuch die Ordensgelübde. Heute dagegen ist es sehr schwer, sogar die kanonischen Gesetze einzuhalten. So erlebte ich vor 40 oder 50 Jahren, dass man sich fragte, ob es überhaupt noch Ordensleute gäbe und ob man jene, die nur mit großer Mühe ihre wesentlichen Grundsätze mit den Forderungen der Außenwelt und des bürgerlichen Lebens vereinbaren konnten, noch Ordensleute nennen kann. Rom hat entschieden und kategorisch erklärt, dass die Gelübde, wenn auch einfach und nicht feierlich, dennoch als echte Gelübde anzusehen sind und man es mit echten Ordensleuten zu tun hat.

Unsere Gelübdeformel ist sehr schön. Denn „aus Liebe zu Gott“ legen wir sie ab. Diese Liebe zu Gott ist in der Tat unsere erste Pflicht. Der hl. Paulus sagt ja: wenn einer unseren Herrn Jesus nicht liebt, sei er verflucht. Hüten wir uns also, unter diesen Fluch zu fallen. Wir müssen es in dieser Liebe zu großer Fertigkeit bringen. Dafür ist aber nichts dienlicher als die Frohbotschaft zu lesen, besonders das Evangelium des hl. Johannes. Johannes ist der Historiker des Lebens Jesu, er kannte ihn intimer als die übrigen Apostel und zeigt uns das Herz Jesu, seine Affekte, sein Urteilen, und seine Denkart. Er war eben der Lieblingsjünger. Die Lektüre dieses Evangeliums kann ich darum nur empfehlen. Sein Studium führt uns zur Gottesliebe.

„Und in Umarmung deines Kreuzes.“ Die Gelübde halten wir natürlich nicht, wenn wir das Kreuz zurückweisen, im Gegenteil. Auch nicht, wenn wir nur zu Füßen des Kreuzes bleiben oder die Lippen darauf drücken. Wir müssen es schon in unsere Arme nehmen und gegen unser Herz pressen. Gewöhnlich machen wir uns nicht viel Gedanken über die Formeln unserer Gebete, sagen sie gewohnheitsmäßig herunter. Wir sollten hier aber gut auf den Sinn der Gelübdeformel achten: Herr Jesus Christus, aus Liebe zu Gott und in Umarmung deines Kreuzes…

In der Formel der ewigen Gelübde stellen wir uns unter den Gehorsam des Generaloberen und seiner Nachfolger und versprechen unter ihrer Autorität Armut, Keuschheit und Gehorsam. Die Formel sagt: „nach den Satzungen der Oblaten des hl. Franz v. Sales.“

Die Tragweite dieses Ausdrucks gilt es gut erfassen. Armut, Keuschheit und Gehorsam gelobt man ja in sämtlichen Kongregationen, jedoch nach den Satzungen der jeweiligen Genossenschaft. Unsere Armut ist also nicht die der Kapuziner. Die Armut besteht für den Oblaten nicht nur darin, nichts zu Eigen zu besitzen und über nichts zu verfügen. Wir lieben vielmehr diese Tugend aus Verehrung und Liebe zur Armut unseres Herrn in Nazareth, die die Armut in reinster Form war und die auch wir zu verwirklichen trachten.

Das Gelübde der Keuschheit besteht im Allgemeinen darin, unsere Seele vor jedem unreinen Makel zu bewahren. Mit Franz v. Sales gehen wir aber noch weiter: wir meiden nicht nur Verstöße, sondern setzen positive Tugendakte der Keuschheit, indem wir unser Herz und unsere Liebe dem Herrn weihen. Das nämlich ist die wahre Keuschheit: unsere innerste Liebe und Zuneigung für den Herrn reservieren.

Auch der Gehorsam unterscheidet sich bei uns von dem der anderen: es ist der Gehorsam eines Freundes, eines Kindes. Wir hören das Wort und den Anruf Gottes in jedem Gehorsam und befolgen ihn mit dem Herzen.

Es genügt somit nicht, die Gelübde nur so im Allgemeinen zu befolgen, denn alle Ordensregeln haben gewisse Ähnlichkeiten. Unsere Praxis muss sich auf die Besonderheiten unserer Satzungen erstrecken.

Noch eine Bemerkung betreffend dieser Gelübde: Jeder Handlung, die aufgrund eines Gelübdes vollzogen wird, haftet nicht nur das Verdienst des Opfers, sondern das viel kostbarere Verdienst der „Tugend der Religion“. Die Tugend der Religion hat nach den Theologen die größtmögliche Wirkung und den stärksten Einfluss auf unsere Heiligung. Kein Zweifel also: was man aufgrund eines Gelübdes tut, ist Gott angenehmer als das ohne Gelübde Vollbrachte.

Das sollten wir nicht vergessen. Was ich heute über die Gelübde sage, darf kein toter Buchstabe bleiben. Geben wir uns Mühe, unsere Gelübde während dieser Fastenzeit gut zu halten. Wir ziehen uns dadurch selbst, unseren Eltern und Verwandten, Freunden und Abgestorbenen viele Gnaden zu. Schließen wir unsere Ordensregel in unser Herz ein. Sie ist die Seele unserer Gelübde und unseres ganzen Ordenslebens. Sie begründet die Heiligkeit des Ordensmannes, ist die Stärke und Zier der hl. Kirche.

Sammeln wir einen kleinen Vorrat von guten Werken in dieser Fastenzeit. Machen wir es wie die „Bienen“ des hl. Franz v. Sales, die mit dem bisschen Honig, den sie durch ihre kleinen und bescheidenen Bemühungen aus jeder Blüte saugen, reiche und köstliche Waben in ihren Bienenstöcken anfüllen.

Lassen wir uns also nichts durchgehen, selbst nicht in den unbedeutendsten Dingen, um unsere Gelübde in ihrem ganzen Umfang zu halten. Haben wir eine schwierige Unterrichtsstunde zu halten, denken wir an unser Gelübde des Gehorsams. Verspüren wir Versuchungen der Sinnlichkeit oder Eigenliebe, so nehmen wir den Kampf dagegen auf kraft unseres Gelübdes der Keuschheit. Das wird uns ein zusätzliches Verdienst einbringen. Nehmen wir das an, was man uns gibt, arbeiten wir, wenn wir lieber ruhen würden, erholen wir uns, wenn es an der Zeit ist und wir lieber schaffen möchten. Das ist verdienstlich und macht uns zu guten Ordensleuten. Der hl. Augustinus sagt, im Himmel erhalten jene, die ihr Leben äußeren Werken gewidmet und in der Kirche sehr geglänzt haben, keine größere Belohnung als die Ordensleute, die ihr Leben im Schweigen des Klosters verbrachten.

Liebe Freunde, lasst uns also eine gute Fastenzeit verleben. Wir sollen ja gute Ordensleute sein. Unser Leben soll nicht der Lebensweise aller anderen gleichen. Wir sollen Gott gehören und eine reiche Ernte an Verdiensten für uns und die anderen hervorbringen.