Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 22.02.1893: Das Noviziat: Eine Art Gefängnis

„Während des Noviziates soll man die Novizen in alle Übungen des Ordenslebens, vor allem in jene der Gelübde, einführen.“

Bezüglich des Noviziates zirkulierten auch bei uns sehr verschiedene Ansichten. Man sagte, unser Noviziat sei überhaupt kein Noviziat, denn so könne man keine Ordensleute heranbilden. Und sogar nach Ansicht der Noviziat wäre es besser, völlig abgesondert ausschließlich den Übungen des Noviziates zu leben.

Nun, ich will euch sagen, dass dies bei den Verhältnissen, in denen wir leben, eine absolute Unmöglichkeit ist. Ich bin sicher, 49 bis 50 Novizen wären, wenn sie ausschließlich mit Dingen des Noviziates beschäftigt wären, (am Ende des Noviziates) nicht bessere Oblaten wären, als wenn sie gar nichts getan hätten. Das kommt von den Sitten unserer Zeit.

Heutzutage kann man leicht jungen Leuten begegnen, die gern zur Beichte und Kommunion gehen, dabei aber grobe Fehler, ja sogar Todsünden begehen. Wir nehmen ins Noviziat ja auch junge Leute auf, die aus der Welt kommen. Glaubt ihr da, es sei vorteilhaft und leicht, die jungen Menschen wirklich kennen zu lernen, wenn man sie in völliger Abgeschlossenheit hält? Bei unseren ehemaligen Schülern, die wir selbst erzogen haben und von Kindheit an kennen, mag das hingehen. Sie haben uns bereits Beweise ihrer Frömmigkeit und ihrer Berufung gegeben. Bei solchen ginge man also keinerlei Risiko ein. Ihrer Verhaltensweise und ihrer Gesinnung sicher, könnte man sie von der Außenwelt abschließen und sie ausschließlich auf die klösterliche Vollkommenheit hinlenken. Wie steht es aber mit jenen, die direkt aus dem Weltleben zu uns stoßen, selbst wenn sie aus christlichen Familien, ja sogar aus dem Priesterseminar kommen? Sie mögen gut und zuverlässig sein, aber ist das keine verschwindende Minderheit? Ich spreche aus Erfahrung meines hohen Alters. Es ist einfach eine Folge unserer unglückseligen Zeitläufe, mangelnder Gewissenhaftigkeit und des Fehlens einer echten, soliden christlichen Erziehung. Die Religion wird ziemlich häufig in den Familien fast nur noch als bloße Formsache betrachtet. Die Kinder, die in solch einem Milieu heranwachsen, bewahren natürlich die Spuren davon. Nehmt dazu eine krasse religiöse Unwissenheit. Der Glaube ist nicht mehr als eine bloße Verstandesunterweisung. Es genügt aber doch nicht, so recht und schlecht unsere Pflichten gesagt zu bekommen, man muss sie gleichzeitig erfüllen. Genauso wenig wie ein Arbeiter seinen Beruf beherrscht, wenn er die Theorie auswendig im Kopf hat.

Ich sage also: bei uns Oblaten verbringt man das Noviziat genau in der Weise, die uns nottut. Wäre unser Noviziat und die Art, wie wir es verbringen, nichts als ein Abklatsch der Noviziate anderer Orden, hätten wir unseren Daseinszweck verfehlt. Das hat man uns in Rom deutlich zu verstehen gegeben, als wir dort die ersten Pläne unserer Kongregation präsentierten.

Ohne jeden Zweifel würde ein Noviziat das, völlig abgetrennt von allem, ausschließlich mit Übungen der Frömmigkeit und Betrachtung ausgefüllt wäre, in unserer Zeit in keiner Weise genügen, um eine Berufung mit Sicherheit kennenzulernen. Nach der Probezeit könnte das vortrefflich passen: ein Pater oder Bruder, der sich während einiger Zeit rein geistlichen Übungen hingeben möchte, würde da reiche Früchte ernten. Das könnt ihr tun während der Zweck da. Im Übrigen sollten wir uns nach dem Vorbild des Noviziates der Heimsuchung richten: dort nehmen die Novizinnen an allen Übungen der Kommunität teil und haben darin Ämter und Beschäftigungen inne.

Es wird behauptet, ein Novize, der Unterricht erteilt, könne gar kein richtiger Novize sein. Und ich behaupte, beschäftigt man ihn ausschließlich mit Betrachtung und Frömmigkeitsübungen, so wird er nicht durchhalten und wird sich auf keinen Fall an unsere Lebensweise gewöhnen.

Wir sind nun einmal keine beschaulichen Ordensleute. Soll man ihn aber dazu anhalten, das Studium der Mystik zu betreiben? Wozu würde das dienen? Gewiss sollen wir die hl. Theologie studieren, aber zu passender Zeit und am richtigen Ort, und nicht ausschließlich. Der Novize bereitet sich doch für sein zukünftiges Leben vor. Sein jetziges Leben soll dem gleichen, das er später führt. Was ihn allein von den übrigen Oblaten unterscheiden soll, ist nach den Satzungen eine große Demut und dass er sich für den letzten aller hält. Eine große Einfachheit und Hingabe an das, was man ihm zu tun gibt. Dieser Gedanke ist nicht meine Privatmeinung. Wir haben ausdrücklich darüber in Rom verhandelt und haben darüber die Zustimmung sehr angesehener Theologen, die in der Kirche hohe Autorität genießen.

Man kann also durchaus sein Noviziat absolvieren, wie es sein soll, und sich trotzdem verschiedenen äußeren Beschäftigungen hingeben. So hatte auch der hl. Aloysius im römischen Kolleg der Jesuiten neben seinen theologischen Studien noch ein Amt inne, kümmerte sich außerdem um die Kranken, steckte sich schließlich bei der Pflege der Pestkranken an und starb daran.

Wenn die Regel der anderen Orden ein stärker abgesondertes Noviziat vorschreibt, so ist der Grund dafür darin zu suchen, dass zurzeit ihrer Gründung die Kandidaten aus echt christlichen Familien kamen. Man war ihrer Gewissenhaftigkeit ganz oder fast ganz gewiss. Damit will ich nicht sagen, die Kandidaten, die zu uns kommen, hätten kein Gewissen. Aber worin besteht denn zur gegenwärtigen Stunde für viele, ja für die meisten Menschen das Gewissen? Wie oft ist es doch durch Unwissenheit in Glaubensfragen irregeleitet! Mutter Maria Salesia sagte darum: Wir werden einmal staunen, wie Gottes Urteile ausfallen werden und wie er Rücksicht auf diese Ignoranz nehmen wird. Und sie sagt weiter: Die Erbsünde hat den Verstand stärker verletzt als den Willen.

Nehmt also einen so gearteten jungen Menschen und steckt ihn in ein Noviziat, wo er sich allein mit Betrachtungen, Lesungen und Beichten zu beschäftigen hat. Er kann sich daran gewöhnen, und man wird erkennen, ob er einen starken Willen hat. Aber was erfährt man sonst über ihn? Wie will man seine Fähigkeiten kennenlernen, wenn man ihn von der Arbeit fernhält? Bedenkt nur, wie wir nach dem hl. Franz v. Sales betrachten sollen! Er nennt sie „Vorbereitung auf den Tag“. Auf diese Weise sollen also unsere Novizen ihre Betrachtung machen, statt dass sie sich tiefschürfenden Überlegungen über Glaubensgeheimnisse hingeben. Hieße das nicht die Gnade in vollen Güssen auf ein ausgedörrtes Erdreich schütten? Gehen wir aber vor, wie ich es anrate, dann wenden wir eine gute Philosophie und eine gediegene Theologie an. Gute Mittel anwenden wollen hilft nichts, wenn die betreffenden Menschen nicht mittun. Das hieße einen Quaderstein mit einem scharfen Rasiermesser bearbeiten. Viel eher tut ein stumpfer Meißel not, will sagen einfachere Mittel. Glauben wir also nicht, eine andere und zwar vollkommenere Art und Weise brächte unsere Oblaten hervor. Lässt ein Novize sich willig führen, und füllt gewissenhaft das Amt aus, das man ihm gab, befolg er treu die Satzungen, so wird er zweifellos ein ausgezeichneter Novize. Man greife also nicht unsere Art und Weise an, das Noviziat zu machen, sondern greife vielmehr die Novizen an, die sich nicht daran zu halten verstehen. Ich sage es noch einmal: Ich folge hier einzig und allein dem Gedanken des hl. Franz v. Sales, wie er ihn in der Heimsuchung und im Hl. Haus von Thonon verwirklicht hat.

So wird man leicht einen guten Novizen erkennen können. Der ist es, der seine Betrachtung gut macht, seine Freizeit recht verbringt, sein Amt gewissenhaft ausfüllt, der fromm, gehorsam und einfach ist. Er macht Fortschritte in der Heiligkeit und verbringt sein Probejahr ebenso gut als lebte er völlig abgeschlossen in der Welt. Hat er einen echten Beruf, dann wird er sich sagen: Genau das ist mein Weg, und er wird diesen Weg gehen.

Hören wir übrigens, was unsere Satzungen dazu sagen: Man wird die Novizen in alle Übungen des Ordenslebens einführen, besonders in jene der Gelübde. Sie sagen also nicht bloß: in alle Übungen des Noviziates. Ein Novize hat somit alles zu tun, was auch einem Ordensmann zu tun obliegt. Man ist seiner Berufung dann sicher, wenn er sich in allen Praktiken des Ordensstandes geübt hat und nicht nur, wenn er ein ganzes Jahr in völliger Abgeschiedenheit gelebt hat. Wer garantiert denn, dass er sich nicht gehen lässt, sobald ihm die Autorität des Novizenmeisters fehlt? Wenn Kartäuser, Benediktiner und Trappisten in solcher Weltferne ihre Probezeit verbringen, ist das durchaus in Ordnung, weil es der Lebensweise entspricht, die sie später führen. Ihr Noviziat verläuft so ganz im Sinn ihres späteren Ordenslebens. Wir hingegen sind auf Grund unserer apostolischen Tätigkeit dazu berufen, in Kontakt mit der Welt zu bleiben. Darum muss auch unser Noviziat dieser Bestimmung Rechnung tragen.
Was den Novizen ausmacht, ist sein Gehorsam, seine Treue zur Gnade Gottes und die gewissenhafte Befolgung der Ordensregel. Ich bestehe nachdrücklich auf diesem Gedanken. Man wird dagegen einwenden, im Noviziat solle man sich ausschließlich mit Theologiestudium befassen. Gewiss hätte das seine guten Seiten. Doch was soll man anschließend mit solchen Novizen anfangen? Ich habe bestimmt nichts gegen Theologie, wollte man mich doch schon mit 13 Jahren zum Professor der Theologie machen. Überdies verpflichtet uns unserer Regel streng, unser ganzes Leben lang Theologie zu studieren.

Gewiss hat es sein Gutes, scholastische Theologie in zusammenhängender Form zu betreiben. Bedenkt ihr aber auch, wohin es führt, wenn man sich ihr allzu ausschließlich hingibt? Wer nur Theologie betreibt, taugt für einen Professor der Theologie, aber nicht immer für die Seelsorge. Ich denke da an einen betagten Professor der Theologie, der gestand, er habe sich nur ein einziges Mal im Leben dazu aufraffen können, Beichte zu hören, und zwar eine alte Frau, und auch da habe er sich nicht entschließen können, ihr die Lossprechung zu geben. Die Erfahrung zeigt, dass es nicht immer Erfolg garantiert, wenn man einen Doktor der Theologie zu einem Pfarrer macht.

Mit einem Wort: Glaubt mir, es liegt mir fern, ein ernstes Studium der Theologie zu tadeln, im Gegenteil. Aber ich finde, wir haben recht, wenn wir das Noviziat auf unsere Art verbringen, statt es fast ausschließlich für das Studium der Theologie oder für religiöse Übungen zu reservieren.

Das möge genau niedergeschrieben werden. Und wenn ich euch alles sagen darf, was ich denke: Wir handeln so gerade aus dem Grund, weil es die anderen nicht tun.

D.s.b.