Kapitel vom 30.11.1892: „Begehre nichts und schlage nichts ab.“
„Im Rahmen der Satzungen befolge der Oblate gern den unschätzbaren Grundsatz: begehre nichts und schlage nichts ab.“
Mithilfe dieses Grundsatzes ist Franz v. Sales heilig geworden. Nichts verlangen und nichts abschlagen erfordert eine gewisse Vollkommenheit, weil man sich da vollständig dem Willen Gottes ausliefert und vorbehaltlos den Händen der Vorsehung übereignen muss.
Es versteht sich von selbst, wenn einer krank ist oder sonst etwas benötigt, wenn eine dringliche Notwendigkeit vorliegt oder man einen bedeutenden Nutzen daraus zieht, soll man den Oberen oder wer sonst dafür zuständig ist, darum bitten, ja man ist sogar dazu verpflichtet. Man überträgt euch z.B. ein Amt oder einen größeren Auftrag. Nehmt es aus der Hand Gottes an. Wenn ihr aber glaubt, dafür völlig unbegabt zu sein, dann sagt dies einfach und offen. Und dann überlasst euch in aller Einfachheit dem Gehorsam. Denn da ihr eure Pflicht getan, geht euch der Rest nichts mehr an. Ihr tut dann euer Bestes und macht euch weiter keine Vorwürfe.
Dieser Grundsatz ist von unschätzbarem Wert, dann auf seinen eigenen Willen verzichten, ist oft schwerer als bei Wasser und Brot fasten. Bei der hl. Messe sollten wir oft solche Verzichte auf unseren Eigenwillen erneuern. Und das müsste das Ziel all unserer Anstrengungen und Arbeiten sein. Alle Heiligen zielten wenn auch auf verschiedenen Wegen nur darauf ab: Ein Franz v. Sales, ein Franz v. Assisi, ein Bruno, Dominikus und Ignatius, sie wollten einzig darauf hinaus und wollten auch ihre Untergebenen dahin führen. Die Mittel zu diesem Ziel mögen sich voneinander unterscheiden, das Ziel selbst bleibt unverrückbar: der Verzicht auf den eigenen Willen.
Bei Franz v. Sales ist der Weg zu diesem Ziel sehr kurz. Trachtet bei jeder Gelegenheit euren Willen dem des lieben Gottes unterzuordnen, dann habt ihr euer Ziel schneller und leichter erreicht als durch lange Gebete, Fasten und Bußwerke. An der Zuverlässigkeit der Lehre des hl. Franz v. Sales wie der Guten Mutter brauchen wir nicht den geringsten Zweifel zu hegen. Zu oft hat Rom die Wahrheit und Richtigkeit ihrer Doktrin bestätigt.
Das also bilde die Grundlage für unser geistliches Leben. Diese Einstellung belebt all unser Tun und macht es verdienstlich für das ewige Leben. Legen wir ihm darum große Bedeutung bei, und nehmen wir es in unserer Morgenbetrachtung hinein. Wie oft wissen wir dem lieben Gott nichts zu sagen. Denken wir doch an unser Tagewerk und opfern wir Gott alles auf, was uns voraussichtlich begegnet, alles, was wir zu erledigen haben, indem wir sprechen: Mein Gott, jetzt schon opfere ich es Dir auf, weil ich betreffenden Augenblick vielleicht nicht daran denken werde.
In diesem Zusammenhang darf ich euch die Gewohnheit des hl. Franz v. Sales zurückrufen, die hl. Messe zusammen mit unserem Herrn zu feiern. Beteuern wir ihm, dass wir in diesem Augenblick seine Diener, sein Herz, seine Arme sind, dass er durch uns handeln und durch seine Einheit mit uns seine Gnaden und zuwenden, unsere Schwächen und Unvollkommenheiten gutmachen, unsere kleinen liturgischen Verstöße und Unaufmerksamkeiten verzeihen möge. Und ich versichere euch, ihr werdet wirksam von ihm unterstützt werden und spüren, dass unsere Seele keineswegs auf sich allein gestellt bleibt: Ein wirksames Mittel also, in uns den Gedanken an Gott zu unterhalten und unsere Einheit mit ihm sicherzustellen.
„Diese Haltung fördert den Frieden seiner Seele und wahrt die Ruhe seines Herzens, die ihm schon so oft empfohlen wurde…“
Ja, das wird die Ruhe unseres Herzens und den Frieden unserer Seele unterhalten. Wir sind unseres Weges sicher, sicher auch der Tatsache, dass wir Kinder Gottes und seine Auserwählten sind und dass wir gottgefällig handeln. Gehen wir also in dieser Gesinnung unseres Weges. In unseren Schwierigkeiten werden wir uns dadurch ermutigt und gestärkt fühlen.
Klagen wir grundsätzlich niemals. Bei dieser Gelegenheit und anlässlich des Briefes des T., in dem er schreibt: „er hasse dieses Weiberregiment“, möchte ich euch gegen eine weitere Gefahr in Schutz nehmen: Fürchten wir nicht so sehr, von Frauen regiert zu werden, als vielmehr, uns selber weibisch zu benehmen. Seien wir Männer. Tratschen wir nicht über alles und jedes, über Weihen, Versetzungen und tausend Einzelfragen, wie es die Art von Schwatzweibern ist. Wie beschämend wäre das für einen Mann! Beweisen wir doch einen größeren und weiteren Geist! Wahren wir unsere Würde. Durch kleinlichen Tratsch entehrt man sich selbst. Man sage, was notwendig ist, und sonst nichts. In der Aussprache mit dem Oberen oder dem Novizenmeister kann man sich sogar auf intime Einzelheiten einlassen, aber verzeiht mir den Ausdruck: Man gehe doch nicht jedem Beliebigen auf „Küchendetails“ ein. Darum noch einmal: lieber lasse man sich von Frauen herum kommandieren als dass man sich wie Frauen benimmt. Meiden wir in unseren Beziehungen allen kleinlichen Tratsch und nichtssagendes Geschwätz. Derlei Dinge entehren uns und nehmen uns viel vom Charakter des Ordensmannes weg.
Auch ohne starke Gesundheit können wir einen starken Charakter haben. Beide Dinge lassen sich durchaus vereinbaren. Wenn wir Nichtssagendes reden, geht das immer auf Kosten von Ernsterem. Alles kann man nicht auf einmal sagen und tun. Schütteln wir darum alles Nutzlose ab, um dem Notwendigen Platz zu machen.
„Aus einem ernsten und triftigen Grund, z.B. zurzeit einer öffentlichen oder einer nur die Gemeinde betreffenden Heimsuchung können die Oberen für einige Tage außergewöhnliche Gebete, Fasten und Bußübungen anordnen…“
In einer Ordensgemeinde können Umstände und Ereignisse eintreten, die den Oberen veranlassen, Bußwerke und Fasten anzuordnen. Dies möge er aber nur nach Einholung eines kompetenten Rates tun und nachdem er die Meinung der Kommunität angehört hat. Denn die Mitbrüder darf er nicht überlasten und soll keine Übungen vorschreiben, die die Mehrheit der Gemeinschaft ablehnt.
Ich schließe mit der doppelten Empfehlung, die das Gesagte zusammenfassen soll: Halten wir unsere Seele mit Gott vereinigt, indem wir alles, was uns vom Gehorsam aufgetragen wird, bejahen. Bleiben wir in unseren Beziehungen zueinander in den Grenzen einer vollendeten Schicklichkeit, indem wir alles kleinliche Schwatzen vermeiden. P. Deshaires weilt in Rom, um dort den Prozess „De-non-cultu“ für die Gute Mutter zu führen (dass ihr bisher keine offizielle Verehrung erweisen würde). Er schreibt, er könne sich in der klösterlichen Geduld üben, da er manchmal zwei Stunden warten müsse vor einer Bürotür, um dann unverrichteter Dinge wieder heimzugehen. Dieses Leben ermüde ihn sehr. Alle jedoch, die ihm begegnen, sind der Sache der Guten Mutter mit ganzer Seele zugetan. Wir dürfen also volles Vertrauen auf einen guten Ausgang hegen.
D.s.b.
