Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 23.11.1892: Über die Demut und Einfachheit.

„Dieser Rat ist von solcher Wichtigkeit, um den Geist der Genossenschaft zu erhalten…“

Ich will nicht mehr auf das zurückkommen, was ich das letzte Mal zum Thema der Rechenschaft vorgetragen habe. Mit dem hl. Stifter will ich nur betonen, dass sie ein ausgezeichnetes Mittel ist, in der Vollkommenheit Fortschritte zu machen. Bei Männern braucht die Rechenschaft nicht so ins Einzelne zu gehen wie bei Frauen. Sie mögen ganz einfach und mit wenig Worten die Verfassung ihres Gewissens, ihre Neigungen, Schwierigkeiten und Verfehlungen offenlegen. Einige wenige Ratschläge werden dann genügen, um sie auf den rechten Weg zurückzulenken.

Fürs Noviziat kann man noch weniger auf die Rechenschaft verzichten. Schwerlich kann ein Novizenmeister Seelen formen, deren innere Verfassung er nicht kennt. Man geht ja nicht ins Noviziat, nur um im Noviziat zu sein, sondern um dort etwas zu tun. Anderenfalls würde das Noviziat zu einem mehr oder weniger langweiligen, inhaltslosen, oft sogar schädlichen Aufenthalt. Der Novize muss im Gegenteil fest entschlossen sein, all das zu tun, was man von ihm verlangt, und sich wie weicher Teig formen und kneten zu lassen.

Nun hat aber jeder seinen eigenen Geist, und dieser kann eine gute Sache und eine kostbare Hilfsquelle und Fähigkeit sein. Doch alle Verschiedenheiten des Charakters müssen sich zur Einheit wandeln und in Beziehung zu einem beherrschenden Mittelpunkt gebracht werden. Darin besteht die Mühe der Formung des Charakters.

Glauben wir nun nicht, dieses Werk der Formung beinhalte die Zerstörung unserer Fähigkeiten und der natürlichen Hilfsmittel, die Gott zu unserer Verfügung gestellt hat. Das Noviziat darf nicht zu einer Deformation (Entstellung) des Individuums führen, Gewisse strenge und traurige Geister stellen sich vor, um heilig zu werden, müsse man seine eigenen Gedanken, Gewohnheiten und Urteile abstreifen. Natürlich geht es nicht, ohne zahlreiche Wandlungen und Korrekturen vorzunehmen, doch auf unsere natürlichen Fähigkeiten, unseren Verstand und Charakter brauchen wir wahrlich nicht zu verzichten. Wir müssen uns vielmehr selber treu bleiben. Jeder soll seine Intelligenz und seine Qualitäten beibringen. Sache eines klugen Seelenführers und Novizenmeisters ist es, den inneren Zug und den Seelenzustand eines jeden seiner Söhne zu erkennen und zu unterscheiden, damit er alle gemäß dem göttlichen Wohlgefallen leiten kann.

Das erinnert mich an eine kleine Geschichte: Der gute Pfarrer von Anglure – seit langer Zeit gestorben – hatte die große hl. Theresia von Grund auf studiert. Eines Tages fand er, dass diese Heilige viel zu viel Verstand besaß. Er sammelte all seine Mitbrüder zu einer Konferenz und trug ihnen eine lange und gewissenhafte Abhandlung vor, die ihnen beweisen sollte, der Papst habe falsch gehandelt, sie heiligzusprechen. Der brave Mann war über so viel Intelligenz einfach skandalisiert. Ziehen wir nicht mit diesem Pfarrer den Trugschluss, der Geist habe in den Angelegenheiten des lieben Gottes nichts zu suchen. Erlauben wir vielmehr auch unseren Heiligen, gescheit zu sein.

Gott hat uns alle mit verschiedenen Qualitäten erschaffen, und wir brachten bei der Geburt auch Fehler und Mängel mit ins Leben. Der Novizenmeister soll sich nun bemühen, die guten Qualitäten zu entfalten und die Mängel zu beheben. Unsere persönlichen Qualitäten sind das Talent, das uns anvertraut wurde, sind unser Erbteil, etwas Positives also, ein Geschenk, das wir unter der Leitung des Gehorsams zum Früchtetragen bringen sollen. Die Charakterfehler dagegen sind etwas Negatives. Die Arbeit des Novizenmeisters muss nun darin bestehen, die guten Fähigkeiten auf einen einzigen Mittelpunkt hin zu orientieren. Und die Rechenschaft kann hier als das große Mittel dienen.

„Der Oblate strebe ohne Unterlass nach der wahren und aufrichtigen Herzensdemut und halte sich darum für gering und niedrig…“

Auch diesen Rat heißt es in die Praxis überführen. Demut bedeutet nicht Herabwürdigung und Entehrung, sondern Ehre, besteht sie doch darin, anzuerkennen, dass uns alle Güter von Gott allein kommen. Teilte er uns nun einige Gaben zu, so seien wir ihm doch dafür dankbar und lassen wir sie Früchte bringen. Dann ist alles in Ordnung. Sich darauf aber etwas einbilden und unsere Selbstgefälligkeit damit nähren, wäre völlig verfehlt. Bleiben wir im Herzen und in unserem Äußeren ganz einfach, und betrachten wir uns als Schuldner. Nichts gefällt Gott und den Menschen so sehr wie das. Das Schwierigste ist aber nicht die Demut, das Sich-klein-fühlen, sondern das Sich-demütigen-lassen, das Sich-verachtet-fühlen.

„Wenn ihn auch die Welt so einschätzt, nehme er das als seine Niedrigkeit durchaus entsprechend hin. Er sehe darin ein kostbares Unterpfand der Liebe Gottes zu ihm…“

Wenn solch kleine Verdrießlichkeiten und Verachtungen uns treffen, so erwecken wir eine kräftige gute Meinung, um innerlich dazu ja zu sagen. Derlei Akte sind äußerst verdienstvoll, und die Art, wie wir sie annehmen, kann ein Thermometer der Tugend genannt werden. Stößt uns also etwas gegen unsere Natur zu, so fügen wir und darein, setzen es in Beziehung zu unserer hl. Regel und führen es in der Einfachheit unseres Herzens aus.

Die Einfachheit verleiht dem Ordensleben einen schönen Glanz. Denken wir zurück: haben sich die Priester, Beichtväter und Volksmissionare, die wir am meisten geschätzt und von denen wir die beste Erinnerung bewahrt haben, nicht gerade durch Einfachheit ausgezeichnet? Ich bin dessen sicher. Einfachheit erringt Vertrauen. Gerade nach dieser Tugend sollen darum die Oblaten streben.

Ich selbst liebe die Einfachheit mehr als die Demut. Im Grund unseres Herzens verborgen lasst uns ganz demütig sein, unser äußeres Gehabe aber kleide sich in Einfachheit! Die Welt findet keinen Zugang zur Demut und schwer ist es, sie äußerlich zu üben. Für die Einfachheit hingegen bringt jeder Verständnis auf. Nur setzt die Einfachheit – ich wiederhole es – Demut voraus. Demütigen wir uns deshalb bei der hl. Messe, bei der Betrachtung, bei jeder Gelegenheit! Die Erinnerung an unsere vergangenen und gegenwärtigen Sünden und Leidenschaften wird es uns sehr erleichtern, uns vor Gott zu erniedrigen. Fassen wir gern ins Auge, Erbärmliche und Gemeine, und demütigen wir uns darum tief vor Gott. Halten wir von Zeit zu Zeit unsere Betrachtung über begangenes Unrecht, um uns unserer Schwächen von neuem so recht bewusst zu werden. Das wird in unser Herz Wahrheit und Zerknirschung einziehen lassen. Die Lektionen der Demut, die wir uns selber geben, schenken uns einen starken Frieden der Seele. Wenn Gott uns die Gnade schenkt, uns selbst zu erkennen, dann gibt er auch die Gnade, uns zu bessern.

„Es wird ihm überhaupt ein Herzensanliegen sein, sich nicht zu entschuldigen, weder bei einer Zurechtweisung, noch bei unterlaufenen kleinen Fehlern.“

Geben wir doch ruhig zu: wenn wir kleine Fehler begangen haben, würden wir genauso gut große begehen, wenn Gott uns nicht mit seiner Gnade hielte.

„Es kann vorkommen, dass ein Oblate durch ein unfreundliches und überhebliches Wort einen Mitbruder verletzt. Dann bitte er ihn sobald wie möglich um Verzeihung.“

Ich empfehle, diese kleine Übung der Wiedergutmachung frischweg vorzunehmen, sobald man allein und vor indiskreten Blicken sicher ist, oder aber in Gesellschaft von Ordensleuten weilt. Lässt sich das nicht sofort verwirklichen, dann warte man auf die erste günstige Gelegenheit oder bezeugt ihm sonst wie eine Herzlichkeit, indem man ihn z.B. einfach um eine Entschuldigung bittet.

Ich schließe mit dieser Empfehlung: Möge das Kennzeichen der Genossenschaft eine große Einfachheit sein, möge Geradheit, Natürlichkeit und Vernünftigkeit unsere Beziehungen zu jedermann prägen. Das werden wir uns erleichtern durch Demut vor Gott und vor uns selbst. So werden wir jene Ausgewogenheit und Ruhe erwerben, die die Gegenwart Gottes anzeigt.

D.s.b.