Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 16.11.1892: Einige wichtige Hinweise und Lehren.

„Der Oblate soll sehr darauf bedacht sein, sich nach dem Geist seiner Genossenschaft durch getreue Beobachtung der Regel zu heiligen…“

Auch der Soldat muss trainieren in seinem Dienst, ein Handwerker in seinem Fach, ein Maler in seiner Malerei. Wir dürfen nicht meinen, alle Ordensleute hätten denselben Geist und müssten sich infolgedessen auf dieselbe Art vervollkommnen. Gewiss sind sie alle Arbeiter am Evangelium, jedoch solche mit verschiedenen Arbeitsmethoden. Euer äußeres wie inneres Leben muss sich von dem der anderen unterscheiden, da wir sonst ganz unnütz wären, weil wir uns ja gemäß unserem Institut heiligen sollen. Je vollkommener wir sind, umso nachhaltiger ist unsere Wirkung. Auf welche Weise gelangen wir nun zu dieser Vervollkommnung?

„…durch genaue Beobachtung der Regel. Dazu bedienen sie sich jeder Erleuchtung, die ihnen bei der Betrachtung, bei der Lesung, bei der Unterweisung im Kapitel, bei der Beichte, bei der Predigt und sonst wie zuteilwird.“

Unter den Ordensgemeinschaften hat jede ihre eigene Art zu urteilen und zu handeln. Darin liegt die Kraft und Vitalität einer Kongregation. Alle Menschen haben doch nicht dieselben seelischen Bedürfnisse. Wer diese geistige Veranlagung hat, findet die nötige Ergänzung in diesem Orden, der andere in jenem. Aus diesem Grund müssen auch wir durch unser äußeres wie inneres Verhalten unsere Absichten und Zwecke in diesem Oblatenorden gewissenhaft zu erfüllen trachten. Das scheint auf den ersten Blick zweitrangig zu sein, ist aber von ungeheurer Tragweite. Betrachtet die Orden, die sich am besten und reinsten bewahrt haben, z.B. die Söhne des hl. Bruno v. Köln, die seit fast 1000 Jahren bestehen. Warum bedurften diese Kartäuser nie einer Reform? Weil sie nichts geändert und nichts Neues eingeführt haben. Noch heute singen sie das göttliche Offizium wie zu Zeiten des hl. Bruno. Auch in der Heimsuchung führte man keine Neuerungen ein. Darin liegt ein Prinzip starker Stabilität. Unsere Kongregation hat gewiss nicht den Ehrgeiz, es besser als die anderen zu machen, ganz und gar nicht Aber sie hat den Ehrgeiz, ganze Sache zu machen. Das geschieht, indem wir es so machen (wie das Direktorium es angibt) und dass es alle auf dieselbe Weise machen. Sonst täten wir Schritte außerhalb des Weges. In unseren Predigten und der Führung, die wir bestimmten Seelen angedeihen lassen, dürfen wir nicht von dieser einheitlichen Linie abweichen, sollten vielmehr alle von der gleichen Art sein. Das hat man mir mehr als einmal bestätigt und ich höre es sehr gern: Die Oblaten haben alle das gleiche Gepräge. Ihre Art zu sprechen, zu urteilen, die Dinge und Menschen einzuschätzen, alles trägt dasselbe Siegel. Diese Einmütigkeit gilt es zu bewahren.

In der Seelsorge und Predigttätigkeit sind zweifellos gewisse allgemeine Richtlinien zu beachten, die immer anzuwenden sind. Es gibt sehr weitgespannte Grundsätze und Methoden, die für alle Fälle passen, weil sie auf der Natur der Dinge und des Zieles beruhen, das es zu erreichen gilt. Doch von diesen ganz allgemeinen Leitlinien abgesehen, haben wir unsere eigene Methode. Was immer wir lesen, sehen und tun mögen, wir müssen es auf unser Sondergut zurückführen. Das wird unsere Intelligenz wunderbar bereichern, da all das Vielerlei auf den einen und denselben Punkt hinstrahlen wird. In seinem persönlichen und äußeren Vorgehen mehr und Besseres tun zu wollen als die Kongregation tut, wäre wahrlich ein wenig glücklicher Ehrgeiz. Die Gewissenhaftigkeit, sich dem Geist der Kongregation anzugleichen, diese Treue ist eine Gnade, ein Sondergeschenk Gottes, das man sich durch treue Observanz erdient. Seine Verpflichtungen liebt man mehr als alle andere, man kommt ihnen in Treue nach und vermittelt diese Liebe auch den anderen. Die große Macht dieser Welt ist doch die Liebe. Gott ist die Liebe. Liebt also euren Unterricht und ihr werdet gut unterrichten, eure Schüler aber werden eurem Unterricht und ihrem Lehrer zugetan sein. Liebt die Observanz, dann bringt ihr euch und euren Anvertrauten ein Maximum an Nutzen ein. Liebe ruft Gegenliebe hervor.

„Jedermann hat die Pflicht, sich gemäß seinem Beruf zu vervollkommnen. Das gilt umso mehr für den Oblaten, da alle Anweisungen… in der hl. Regel enthalten sind…“

Darauf heißt es gut sein Augenmerk richten, die Punkte, gegen die man verstößt, genau ins Auge fassen, sie notieren, beichten und entsprechende Entschlüsse fassen. Nur das formt und schafft den Oblaten. Nur so kann man Großes wirken. Betrachtet die Gute Mutter: Alles, was sie tat, verdankte sie dieser Liebe zur hl. Regel, zur Observanz, zum Direktorium. Ihr ganzes Leben bestand einzig darin. Bei ihr drehte sich alles darum.

Eine andere Ordensregel muss nicht unbedingt dieselben Wirkungen hervorbringen, weil unsere Lebensweise der einer Familie entspricht, wie mir gestern noch ein sehr gescheiter Mann bestätigte, dem Leben nämlich der hl. Familie in Nazareth. Und das ist das vollkommenste Leben, weil es am meisten dem unseres Herrn gleicht. Unsere Ordensregel ist dazu berufen, einen nachhaltigeren Einfluss als andere Regeln auszuüben, weil sie von jedem Menschen verwirklicht werden kann. Der Beweis dafür wurde erbracht. Betrachtet nur den hl. Franz v. Sales, die hl. Chantal, die Gute Mutter, alle Priester, die sich auf diesen Weg begeben haben, allen voran Fenelon. Er hat im Westen Frankreichs wahre Wunder der Bekehrung zustande gebracht, die heute noch andauern. Desgleichen haben auch die ungewöhnlichen Werke unseres hl. Stifters die Zeiten überdauert. Jahrhunderte von Revolutionen wären nötig, um ihr Werk zu erschüttern. Bedenkt nur, was die Gute Mutter an Wirkungen hervorgebracht hat bei den Seelen. Das hat Beständigkeit, weil es auf festen Grund gebaut ist und nicht nach rechts oder links neigt. So werden auch unsere Werke bleibenden Bestand haben. Nur dürfen wir nichts ändern und umkrempeln wollen. Alles Andersgeartete mag für andere gut sein, für uns taugt es nicht. Kalk ist sehr gut, Gips auch. Mischt aber beide zusammen und ihr habt einen miserablen Zement.

„Der Hausobere und jeder einzelne Oblate achte sehr darauf, dass sich keinerlei Neuerung einschleiche. Jeder Versuch, mehr oder weniger tun zu wollen…“

Seid starkmütig, meine Freunde, und gleicht nicht Wetterfahnen, die beim ersten Windstoß kreischen und nachgeben. Ihr habt eure Zielsetzung und euren Leitstern: schaut also nur nach dieser einen Richtung! Bleiben wir gleichzeitig demütig und achten wir die Überzeugung eines jeden anderen, während wir für uns selber das, was wir in unserer Umgebung sehen, hören und wahrnehmen, von unserem Ideal abbringen. Behalten wir unbeirrbar das eine Ziel im Auge. Führen wir keine neuen Andachten ein. Die Kartäuser haben überhaupt keine, und sind doch zufrieden. Ihr seid Ordensleute, alle Tugenden und Vollkommenheiten schließt das Direktorium und die Satzungen ein. Wofür anderswo suchen? Alles andere ließe sich mit dem unsrigen nicht vereinbaren. Mein Vergleich mit dem Kalk und dem Gips trifft nur zu sehr zu.

„Auch der Obere hat nicht das Recht, entgegen den bestehenden Regeln etwas abzuändern oder hinzuzufügen…“

„Vor allem ist es notwendig, dass die Brüder fortfahren, sich zu eröffnen…“

Hier ist der Platz, über das jüngste Dekret von der „freiwilligen Rechenschaft“ zu sprechen. Dieses Dekret wurde notwendig aufgrund ärgerlicher Missbräuche, die in verschiedenen Frauen- und priesterlosen Männerorden vorkamen. Ich selbst erlebte Beispiele, wie in Frauenkommunitäten Oberinnen ihre Untergebenen Rechenschaft über Sünden und vergangene Fehler ablegen ließen. Und in Männergenossenschaften verlangten Laiennovizenmeister regelrechte Beichten über gegenwärtige wie vergangene Verstöße. Das war ein unerträglicher Missbrauch, gegen den eine kräftige Reaktion angebracht war.

Und die Reaktion fiel auch dementsprechend energisch aus. Dennoch dürfen wir nichts übertreiben. Das Dekret untersagt den Vorgesetzten, durch Überredung oder Gewalt und wider den freien Willen der Untergebenen die Offenbarung ihres Gewissenszustandes und Innenlebens zu verlangen. Dagegen dürfen und sollen Obere weiterhin Rechenschaft fordern über äußere Verfehlungen, über Fragen der verschiedenen Ämter wie auch der Regeltreue. Nur aus Dingen des Gewissens und des Innenlebens sollen sich da raushalten!

Soweit für die Oberen. Was die Untergebenen betrifft, so besteht nicht mehr die strikte Verpflichtung von früher, über das Innenleben Rechenschaft abzulegen. Sie können sie aber jederzeit freiwillig vornehmen. Der dritte Artikel des Dekretes gibt ihnen dafür ausdrücklich die Erlaubnis. Und tun sie dies in Einfachheit und Gelehrigkeit, werden sie daraus einen ungeheuren Nutzen ziehen.

Man hat immer volle Freiheit, sein Gewissen dem zu eröffnen, dem man es eröffnen will, um einen Akt der Demut zu vollbringen, um einen Rat einzuholen oder um Einblick in sein Inneres zu gewähren, damit man es besser kennenlernt. Der sterbende Bayard beichtete seinem Schildknappen. Wer wollte ihm daraus einen Strick drehen? Wer würde nicht vielmehr seinen Glauben und seine Demut bewundern?

Die Gewissenseröffnung – wird sie gut vorgenommen – bringt uns einen ungeheuren Nutzen. Wir müssen sie darum klug und diskret fördern, ohne daraus ein Gesetz zu machen, da die Kirche dies formell untersagt hat. Wir brauchen aber nicht päpstlicher als der Papst zu sein und verbieten und tadeln, was er formell erlaubt. Seit dem Erscheinen des Dekretes gibt es eine gewisse Tendenz an gewissen Orten wie z.B. im Deutschen Reich – wie mir ein Brief gestern bestätigt – die verbietet, dass man dem Oberen sage, was man auf dem Gewissen hat. Es sei vielmehr besser und dem Geist der Kirche gemäßer, ihm nichts zu sagen. Seine Sünden, Zweifel und Versuchungen behalte man besser für sich offenbare sie allein dem Beichtvater. Gegen diese Tendenz protestiere ich, weil sie grundfalsch ist. Mit dieser Übertreibung kommt man zu merkwürdigen Resultaten: Junge Geistliche, jeder Erfahrung und jeden Urteils bar, machen sich zu absoluten Leitern von Ordensgemeinden und von Heimsuchungsklöstern. Obere, Überlieferungen und Ordensschriften werden bedeutungslos. Der junge Priester macht sich zum alleinigen Anwalt des Geistes des hl. Franz v. Sales, alles dessen, was mit der Formung und Berufung der Novizinnen zusammenhängt, ja mit der ganzen Leitung der Kommunität. Irgendein Kaplänchen behauptet da: „Mir allein steht die uneingeschränkte geistliche Leitung zu.“ Das stimmt nicht: der Seelsorgedienst des Priesters, des Hausgeistlichen, ja sogar des Oberen hat damit nichts zu tun. Ihre Seelsorge besteht darin, Sünden anzuhören, in Versuchungen beizustehen, gute Ratschläge zu geben, und zwar stets im Einklang mit dem Geist des Instituts und nicht mit dem eigenen Geist. Sodann die Lossprechung zu geben oder nicht zu geben, wenn dies notwendig erscheint. Der Seelsorger soll nützlich raten und der Oberin und der Kommunität zur Seite stehen, dass sie auf dem Weg der Regeln und Satzungen voranschreiten. Niemals geht es darum, nach dem eigenen Kopf vorzugehen, dem eigenen Urteil, den persönlichen Ideen zu folgen und folgen zu lassen. Im Ordensstand bedarf es einer starken Einheit der Herzen und Willen, und das in verstärkerem Maße beim hl. Franz v. Sales. Das Ordensleben hätte keinerlei Bestand, wenn es sich auf ein rein äußeres Nebeneinander von Einzelwesen gründen würde. Das Ordensleben hätte keinerlei Bestand, wenn es sich auf ein rein äußeres Nebeneinander von Einzelwesen gründen würde. Darum finde ich es sehr angemessen, dass Ordensleute ihrem Oberen Offenheit bekunden und die Beichtväter diese Aufgeschlossenheit gegenüber der Autorität mit Klugheit und Diskretion erleichtern und fördern. Das Vertrauen der Untergebenen an sich ziehen und es dem Vorgesetzten abwenden, würde einen offenkundigen Diebstahl bedeuten.

Ich wünsche sehr, dass das, was ich hier erläutert habe, seine Geltung behalte und in der Führung der Genossenschaft bestimmend sei. Das Dekret besagt ganz einfach, die Oberen dürfen die Offenlegung von Gewissensfragen, Sünden, Versuchungen und Zweifel etc. nicht mehr erzwingen, belässt aber der einzelnen Ordensperson alle Freiheit, es aus sich heraus zu tun. Und ich füge hinzu: Ist der Untergebene ein guter Ordensmann, dann wird er es tun und Einblick in sein Seelenleben gewähren. Das ist meine Überzeugung, die ich hier mitteilen darf. Legt er trotz inneren Widerstrebens seinem Vorgesetzten Rechenschaft über sein Inneres ab, so vollbringt er einen sehr vollkommenen und verdienstlichen Akt und zieht sich Gnaden zu, auf die er sonst eben verzichtet.

Das Dekret hat die während ihres ganzen Lebens geübte Praxis der Guten Mutter in vollem Umfang bestätigt. Nie hat sie aus sich die Rechenschaft einer Schwester verlangt, gleichwohl verstand sie und wusste anderen verständlich zu machen alle Vorteile, die demütige und gelehrige Seelen aus ihr zogen. Was ich da über das Dekret und die Rechenschaft ausgeführt habe, bezieht sich auf Kongregationen, die wir berufen sein können, seelsorgerlich zu betreuen. Denn das Dekret findet seine Anwendung einzig auf Genossenschaften, die keine eigenen Priester haben. Uns selbst betrifft es also in keiner Weise. Halten wir uns einfach an unsere Satzungen, die diesen Punkt des inneren Lebens dringend anempfehlen, wenn sie auch gleichzeitig betonen, er verpflichte uns äußerlich in keiner Weise. Aber wir dürfen auch die Gnaden der Rechenschaft nicht erhoffen, wenn wir diese nicht praktizieren. Aus all dem folgt, dass wir uns auf die gewissenhafte Befolgung der hl. Regel verlegen und andererseits selbstlos und unkompliziert in unserem Verhältnis zum Nächsten sein sollen.

Erteilt stets nur solche Ratschläge, die das größere Wohl der Seelen im Auge haben. Behalten wir nichts für uns zurück und ziehen wir niemand an unsere Person. P. Lejeune sagte einmal bei Priesterexerzitien: Seid keine Müller, denen nachgesagt wird, sie behielten immer etwas von dem zurück, was man ihnen zum Mahlen übergibt. Wir wollen nichts zurückbehalten, sondern Korn, Mehl und Kleie ungeschmälert unseren Kunden abliefern.

D.s.b.