Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 07.11.1892: Über das Direktorium (Teil 2)

Was will das Direktorium?

„Das Direktorium empfiehlt – es ist wahr – eine Menge von Übungen. Anfangs ist es gut und ratsam, den Geist in geregelter Zucht und Tätigkeit zu halten…“

Das Direktorium ist nur ein Mittel, um zur christlichen, priesterlichen und klösterlichen Vollkommenheit zu gelangen. Gewiss bestehen daneben noch andere Mittel. In den anderen religiösen Instituten bedient man sich verschiedener Hilfsmittel, anderer Übungen, alles, was den Leib und die Sinne in Zucht hält. Nicht alle gehen also denselben Weg. Manchen bekommt ein Büßerleben besser. Gewisse Geister, deren Wille der Geschmeidigkeit ermangelt, die sich nur schwer den Weisungen von Oberen beugen können, nehmen leichter mühevolle Übungen des Leibes auf sich und gelangen so zur Vollkommenheit.

Unsere Mittel sind einfacher. Körperliche Praktiken sind an sich ausgezeichnet. Aber man will hier auf materielle Weise zu geistigen Dingen aufsteigen. Das Direktorium hingegen geht geraden Weges aufs Ziel los. Ohne äußere Gewaltkuren führt es die Seele zur Vollkommenheit ihres Standes, wie dieser auch beschaffen sein mag.

Unser hl. Stifter urteilt, es sei am Anfang gut, den Geist an diese Vielzahl von Einzelakten zu gewöhnen, wogegen man später diese Vielheit in die einfache Übung der Vereinigung mit Gott verwandeln könne. Beginnen müssen wir also mit dem Direktorium und uns an seine Vorschriften halten, solange uns der liebe Gott nicht offenkundig zu Höherem beruft. Geben wir uns hierin keiner Illusion hin und halten wir nicht geistliche Trägheit für einen Zustand der Gottvereinigung. Das Direktorium ist und bleibt unsere Hauptverpflichtung. Darauf allein heißt es achten, ob wir es befolgen.

Es ist ein recht kleines Büchlein, das beim ersten Anhieb gar nichts von Bedeutung zu enthalten scheint: Nichts von Kirchenvätern, kaum Stellen aus der Hl. Schrift, keinerlei Vernunftbeweise, keine kunstgerechten Lehrsätze. Und doch bietet es die Substanz des innerlichen Lebens, ein sinnreich angelegtes, einfaches und sicheres Mittel – ein ebener und untrüglicher Weg. Der Sekretär des Genfer Bischofs Mermillod nannte es das beste, zuverlässigste und irrtumsloseste Heiligungsmittel, die umfassendste Gymnastik des Willens zur Vollkommenheit hin. Es sollte darum Gegenstand all unserer Gewissenserforschungen sein, des Mittags wie des Abends.

Wie lange heißt es nun, sich dieser anstrengenden Übung zu unterwerfen, um zum Zustand beständiger Gottvereinigung, zur Liebe des Vertrauens, zu dieser Einheit mit dem Willen Gottes zu gelangen? Das weiß nur Gott allein. Die einen haben weniger Schwierigkeiten, die anderen mehr, weil die Gnade in ihnen verschieden wirkt. Nur das eine kann ich sagen: Nimmt man es mit dem Leben nach dem Direktorium ernst, so gelangt man bestimmt eines Tages ans Ziel. Wie lange das währt, sollte uns nicht bekümmern. Machen wir uns nur frisch ans Werk, und müssten wir auch unser ganzes Leben hindurch als Anfänger praktizieren. So wird Gott auf jeden Fall ständig mit uns vereinigt bleiben und wir entfernen uns nie aus seiner Gegenwart. Verharrt gleichzeitig in einer starken Liebe des Vertrauens zum göttlichen Willen, da dies ja das erklärte Ziel des Direktoriums ist. Habt das Vertrauen, dass jede Anstrengung ihr Gutes hat und euch zum Vorteil gereicht, und lasst euch wie ein Kind bei der Hand führen: Rede Herr, denn Dein Diener hört. Ich will nur das tun, was Du willst, mein Gott. Trachten wir, über den bloßen Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes hinauszugehen, indem wir uns um eine vollkommene Einheit unseres Herzens mit dem göttlichen Willen bemühen. Trifft uns eine Mühsal, so soll sie unsere Liebe zum Willen Gottes noch vermehren, indem wir uns innig und liebevoll an ihn klammern. Ist das etwas Außergewöhnliches? Der hl. Franz v. Sales hat es so gemacht. Der hl. Vinzenz, die hl. Chantal, Alfons und die Gute Mutter haben sich auf diese Weise geheiligt. Seht nur, wie sehr sich der hl. Alfons trotz seiner Schwächen, Versuchungen und Prüfungen jeder Art abmühte, den Willen Gottes liebevoll zu umfangen.

„Es ist die Aufgabe des Oberen, den inneren Zug und Zustand eines jeden seiner Söhne zu erkennen und zu unterscheiden, um sie alle nach Gottes Willen zu leiten.“

Auf die Klugheit und Diskretion unseres Vorgesetzten müssen wir vertrauen. Er soll uns ja den Weg weisen, den wir gehen sollen. Und der Obere möge vom Hl. Geist das nötige Licht erbitten und die Zartheit der Seele, die zu erfassen sucht, was Gott wünscht, ob dieses Opfer, oder jenen Verzicht oder die Aufgabe des eigenen Willens. Denn nur der Hl. Geist kann diese Dinge geben. So wie die körperliche Beschaffenheit eines jeden verschieden ist, so auch der Gesundheitszustand der Seelen, da Leib und Seele sich sehr ähneln. Ein von einer schweren Krankheit Genesender kann nicht zehn Meilen marschieren. Darum: Zeige mir den Weg, den ich wandeln soll, Herr, sowie jenen, auf dem ich die anderen führen soll.

„Ja, noch mehr: Sollten sich einige – selbst im Noviziat – finden, die davor zurückschrecken, sich den im Direktorium angegebenen Übungen zu unterwerfen – vorausgesetzt, dass nicht Eigensinn…“

Selten wird es vorkommen, dass die Scheu, sich dem Direktorium zu unterwerfen, einem anderen Motiv entspringt als der hl. Stifter sie hier aufzählt. Halten wir uns also in diesen Grenzen. Das Direktorium sollte die Grundlage für unser persönliches Verhalten wie auch für die Leitung der anderen abgeben. Das ist einfach und klar, wozu lange herum suchen. Begegnen wir aber trotzdem jeder Seele mit Ehrfurcht und studieren wir sie unter den Augen Gottes: Löschet die Flamme nicht aus! Das Direktorium ist identische mit der Lehre der Guten Mutter. Betrachten wir uns als verpflichtet, schrittweise zu dieser Gottvereinigung zu gelangen.

Mir ging gute Nachricht zu von den Patres, die Kap der Guten Hoffnung in See stachen, obwohl ihre Überfahrt zu Beginn reichlich stürmisch verlief. Auch in Ecuador verlief die Reise unserer Patres gut. Sie sind im Seminar eingetroffen zur großen Freude des P. David. Unsere englischen Patres kommen allmählich auf Touren und beginnen, ihr Apostolat auszudehnen. Das Haus dort dehnt und weitet sich. Schließen wir all diese Anliegen in unsere Gebete und in unsere Herzen ein und bleiben wir alle eng verbunden, da wir nur ein Herz und eine Seele bilden sollen.

D.s.b.