Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 02.11.1892: Über das Aufnahmeverfahren in die Kongregation

Heute möchte ich nur ein Wort über unser aller Pflicht sagen für den Nachwuchs unserer Kongregation zu sorgen. Zunächst müssen wir selbst gute Ordensleute sein, den Gehorsam lieben, unser Direktorium befolgen. Mit solchen Dispositionen wecken wir Berufe in unserer Umgebung. Eine Berufung ist ein Geschenk Gottes, ist der Atem des Hl. Geistes, der weht, wo und wann er will. Wenn unsere Gemeinschaft ein Herz und eine Seele in Gott ist, wenn Energie und Willenskraft in ihr leben, wenn die verschiedenen Ämter darin und die Observanz geschätzt und geliebt werden, wird uns das zwangsläufig Berufe einbringen. Als Religiosen sind wir gehalten, für Nachwuchs zu sorgen. Wären wir Einsiedler, läge die Sache anders.

Beten wir jederzeit und bei jeder hl. Messe in diesem Anliegen. Das Gebet für Berufe gehört dermaßen zu unserem Aufgabenbereich, dass der Herr im Evangelium sich ausdrücklich sich selbst nicht für zuständig erklärt, sondern den Aposteln befiehlt: Bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seinen Weinberg sende. Auch wir sollen nach dem Gleichnis den Familienvater um Arbeiter bitten. Vergesst diese Pflicht nicht in euren Gewissensforschungen. Wenn ihr gar keine andere Möglichkeit habt, für Nachwuchs zu sorgen, dann weckt die Berufe wenigstens durch euer Gebet und euer gutes Beispiel.

Dazu sind wir umso mehr verpflichtet, weil unsere Lebensweise sich vom Gewöhnlichen unterscheidet. Was wir zu tun haben, deckt sich nicht ganz mit dem Tun der anderen. Wir wollen uns darum mit Leib und Seele unserer Art zu leben sowie der treuen Befolgung unserer Ordensregel widmen. Darin besteht ja unser Ordensleben. Lest nur nach beim hl. Thomas v. Aquin, wie er den Ordensstand charakterisiert. Die größte Gnade, die Gott den Menschen erweist, war seine Erlaubnis an seinen göttlichen Sohn die Menschennatur anzunehmen und sie mit seiner Gottheit zu vereinigen. An zweiter Stelle aber kommt die Berufung zum Ordensstand, weil sie uns inniger mit dem Erlöser verbindet und uns ihm gleichgestaltet. Dasselbe lehrt auch Bellarmin.

Seien wir also zutiefst davon durchdrungen, gute Ordensleute zu werden, und seien wir überzeugt, dass wir so auch anderen die Wohltat des Ordensstandes verdienen. Erbitten wir diese Gnade von der Guten Mutter. Denen, die treu unseren Weg gehen, wird diese Gnade zuteil. Soeben begegnete ich jemandem, der eigens aus England kam, um mir das zu bestätigen: „Ich komme, um eine Mission zu erfüllen“, gestand er mir. „In England gibt es bestimmt gute Priester und Ordensleute, und doch klafft in den Seelen eine große Leere. Die Engländer brauchen mehr als alle anderen ein innerliches Leben. Wir Engländer sind vielleicht große Denker, haben einen aktiven, arbeitsamen und unternehmungslustigen Geist. Umso dringlicher tut uns da der Geist der Innerlichkeit not. Glauben Sie mir das. Ich kenne den Pater Isenring und habe das Leben der Guten Mutter gelesen. Genau das bräuchten wir. Diese Art Wallfahrt habe ich extra gemacht, um sie zu bitten, uns Oblaten zu schicken. Unsere Priester leben gewiss erbaulich und ernst, vermögen aber nicht den Seelen das Notwendige zu geben. Eure Seelenführung und euer Geist, eure Art zu urteilen und zu handeln schafft da allein Abhilfe.“

Das gilt nicht nur für England, sondern für alle Länder. Hätten wir einen wohlorganisierten Dritten Orden, um die Frauen und Männer zu erfassen, dann könnten wir unendlich viel Gutes tun. Wir haben damit erst einen Anfang gemacht, und schon haben jene, die mittun, viel davon profitiert, viel mehr als bei jeder anderen Bruderschaft oder Vereinigung. Wir dürfen diese Gnaden nicht vergeuden, meine Freunde. Wir müssen immer fürchten, der liebe Gott könnte den Leuchter und das Licht von uns wegrücken und sie anderswo aufpflanzen. Behandeln wir diese Dinge nicht leichtfertig, sorglos und unüberlegt. Machen wir uns als ernste Männer diese Arbeit!

Seid ihr Maurer? Wenn ja, dann strengt euch an, guten Mörtel zu bereiten und eure Steine lotrecht aufeinander zu schichten. Seid ihr Oblaten, dann steht den Maurern nicht nach, versteht gut eure Pflichten, knüpft feste Bande der Liebe mit euren Mitbrüdern, dass ihr ein Herz und eine Seele bildet! Seid mannhaft und stark, und Gott wird diese ganze Kongregation segnen!

Diese Gabe Gottes und diese Gnade kann nur Gott schenken. Kraft unserer Treue und unserer Gebete erhalten wir sie aber, wenn wir ganze Oblaten sind. Fügt das zu euren täglichen Verpflichtungen, in euer Memento. Beobachtet das Vorgehen des hl. Bernhard, des hl. Franz v. Assisi, der hl. Theresia wie des hl. Franz v. Sales. Der hl. Bernhard war wahrlich kein Phantast und kein Schwachkopf. Er härmte sich ab, wenn er die erhofften Berufe nicht bekam. Gewiss haben wir seit unserer Gründung wacker gearbeitet. Aber offenbar haben wir nicht genug in den aufgezeichneten Sinn geschafft, um mehr Berufe zu bekommen. Und ohne Zweifel sind wir nur wegen unserer Erbärmlichkeit in diesem Punkt immer noch so gering an Zahl. Versuchen wir es doch einmal, liebe Freunde, und gehen wir entschlossen ans Werk.

Ich bin euer Gründer und kann feststellen, dass alles, was die Gute Mutter Maria Salesia gesagt und verheißen hat, sich verwirklicht. Rom hat diese Art zu urteilen und zu handeln gebilligt, da es die Schriften der Guten Mutter angenommen und approbiert hat. Das erste kanonische und öffentliche Dokument ihrer Seligsprechung ist damit am Portal des Vatikans angeschlagen. Wollt ihr euch also auf diesen Weg einlassen oder nicht? Wenn ja, dann verliert keinen Augenblick und beginnt heute noch. Wenn nein, dann macht anderen Platz, damit sie die Intentionen der Guten Mutter realisieren. Ich selbst bin völlig sicher, dass Gott euch alle zu diesem Werk ausersehen hat. Der Papst hat es mir feierlich bestätigt: Alle, die mit Ihnen arbeiten, erfüllen für ihre Person den Willen Gottes. Welche andere Kongregation hat bei ihrer Gründung solche formellen Garantien bekommen? Der Wagen, den ihr bestiegen habt, rollt mit voller Sicherheit dahin und bringt euch unfehlbar ans Ziel. Fasst eure Arbeit nur herzhaft an und betrachtet die Dinge von dieser ernsthaften Seite, die die einzig richtige ist. Ist es nicht etwas Gewaltiges, den Willen Gottes zu tun, sein Heil zu wirken, Seelen zu retten, jene Seelen, die Gott gerade uns zur Leitung übergeben hat? Wenn der Papst uns versichert, der liebe Gott wolle selber dieses Werk, gibt es keinen Zweifel mehr.

Der hl. Paulus warnt davor, schlafende Christen zu sein, Zauderer, die niemals wach und bereit sind. Die Bauen schärfen und feilen ihren Spaten, dass er den Ackerboden gut durchschneide und umdrehe. Mit gleicher Gründlichkeit sollen auch wir umpflügen, was wir nach Gottes Willen umpflügen sollen. Ich sprach oben von jener englischen Dame. Was sie mir so eindrucksvoll versicherte, das höre ich jeden Tag und in allen Briefen, die ich empfange. Jeder findet in der Lehre der Guten Mutter etwas, was man anderswo vergeblich sucht, und dieser Schatz wurde unseren Händen anvertraut, dass wir mit ihm wuchern. Dieses Kapital wurde uns zur Verfügung gestellt. Vergesst das nie. Beim Kontakt mit dem Herzen unseres Herrn, beim hl. Messopfer, empfangen eure guten Entschlüsse die Glut zur Ausführung. Das Blut unseres Herrn hat nichts von seiner Glut verloren und teilt sie dem mit, der es berührt. Auf dem Altar lodert es ebenso heiß wie ernst auf Golgota.

Mein Gott, ich möchte ganz Dein sein, aber ich möchte nicht allein bleiben, sondern meine Brüder mitbringen, alle, die Du mir anvertraut hast. Jeder von euch, liebe Freunde, sollte alle jene Seelen mitbringen, die er beichthört, die er geistig oder religiös leitet. Und euch selbst, stellt euch unter die Leitung der Guten Mutter. Zusammen mit dem Papst und mit dem hl. Franz v. Sales schaffen wir Großes. Lasst uns also nicht schlafen!

Helfen wir einander durch unser Gebet, denn all das kann nur Gott uns geben.

D.s.b.