Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 19.10.1892: Die Schriften der Guten Mutter wurden akzeptiert und angenommen.

Mit besonderer Dringlichkeit empfehle ich heute, für unsere Missionare zu beten, für jene, die bereits unterwegs sind, wie für jene, die demnächst abreisen werden. Zunächst für jene, die bereits abgereist sind: Seit einiger Zeit habe ich keine Nachrichten von ihnen, ich erwarte welche in diesen Tagen. In ihrem letzten Brief schrieben mir P. Riera und P. Portier, der erste Teil ihrer Reise sei glücklich verlaufen, das Meer sei ruhig wie ein Ölfleck gewesen, von der Abreise bis zur ersten Zwischenstation.

Beten wir auch für jene, die bald zum Kap der guten Hoffnung aufbrechen, dass der liebe Gott sie begleite und ihnen irdische und geistliche Hilfe angedeihen lasse. Welch selbstvergessene Hingabe, welche Heiligkeit und welcher tiefe Ordensgeist tut ihnen not. In Süd-Afrika tobt der gleiche Kampf wie hier zuhause bei uns in Frankreich. Die Freimaurerei herrscht auch dort unumschränkt. Sie belauert die Missionare, und ihre größte Gefahr liegt in ihren Schmeicheleien. Ihre Häupter sind sehr höflich und liebenswürdig, erweisen tausend kleine Dienste. Ihr größtes Glück sehen sie darin, einen hereinzulegen. Das ist die geschickteste und gefährlichste Taktik dieser Feinde. So schrieb mir auch P. Simon. Sie laden den Missionar zum Abendessen ein und machen ihm Geschenke, schenken ihm z.B. Statuen für seine Kirche unter der Bedingung, dass er ihre Einladung annimmt oder ein Gläschen mit ihnen leert. Damit wollen sie ihn fangen. Bestimmt werden diese Klippen vermieden, wenn der Missionar ein guter Ordensmann ist. Denn dann lässt er sich nicht nur fangen, sondern will sie bekehren. Denn die Hottentotten zu bekehren, gelingt nur aufgrund eines echten innerlichen Lebens. Sie studieren zuerst die Lebensweise des neuen Missionars und beurteilen danach den Wert seiner Lehre. Wir müssen beten, dass in dieser riesigen Diözese Gottes Saaten reifen. Großnamaqualand auf der anderen Seite des Oranjeflusses bereitet mir Sorgen. Das einzige Mittel, dort Fuß zu fassen, ist, Grund und Boden zu erwerben. Man bot unseren Patres einen gewaltigen Besitz an, 150.000 Hektar, glaub ich, zu ungefähr 25 Sous pro Hektar. Das ist fast geschenkt. Dennoch ist es der Kongregation unmöglich, eine derartige Ausgabe zu machen. Das Beste wäre es, eine kleine Parzelle Land zu kaufen. Es gäbe dort so viel Gutes zu tun. Hottentotten und Neger fühlen sich zu unseren Patres hingezogen, sobald sie sehen, dass sich diese um ihre Kinder kümmern. In Pella wirken unsere Patres wahre Wunder. Sie haben eine Kirche dort gebaut, eine sehr große Kirche mit Seitenschiffen in Form eines lateinischen Kreuzes. In Anbetracht des heißen Klimas und der großen Armut in diesem Land haben sie damit eine ungeheure Leistung vollbracht.

Unlängst erhielten wir den Wortlaut des Dekrets der Ritenkongregation, das bestätigt, dass in den Schriften und in der Lehre der Guten Mutter nichts zu beanstanden sei und dass die Kommission infolge dessen ihre Arbeiten fortsetzen kann. Das ist eine hochbedeutende Garantie für uns. Es verleiht uns in der Kirche eine Stellung, nicht nur als Ordensleute – wir verfügen ja bereits über unsere Approbation – sondern insofern wir eine eigene Doktrin besitzen. Damit gewinnen wir eine uns eigene Physiognomie.

Es geht also darum, dass wir Oblaten werden und sonst nichts und uns mit einem Lehrgut durchdringen, wie die Gute Mutter es verstanden und dargestellt hat. Dieses Lehrgut der Guten Mutter wurde jetzt von der Kirche gutgeheißen. Wir müssen also Oblaten werden. Ein Jesuit lernt unweigerlich im Noviziat, dass es auf der Welt für ihn nichts Besseres gibt als den Geist und die apostolischen Werke der Gesellschaft Jesu. Daran ist nicht zu zweifeln: sie sind nichts und leisten nichts als nur aufgrund dieser festen Überzeugung. Tun wir dasselbe. Wir wissen, dass die Mittel, über die wir verfügen, und die Kirche in unsere Hände legt, alle Kraft und Fähigkeit in sich tragen, um das Werk Gottes zu vollbringen. Den Beweis liefern uns sämtliche Seelen, die mit diesem Geist in Berührung kommen. Dieser Geist und diese Lehre schließen für uns alles Gute ein. Nur dadurch wirken wir etwas Bleibendes.

Diese Doktrin können wir zusammenfassen in dem einen Wort: Vereinigung unseres Willens mit dem Willen Gottes. Unser Dasein beruht nicht auf einer Spezialandacht: etwa zum heiligsten Herzen Jesu oder zum hl. Altarsakrament oder zur seligen Jungfrau. Wir bejahen zwar alle diese von der Kirche genehmigten Andachten, aber unsere große Andacht ist der Wille Gottes. Wenn der hl. Ignatius sagte: Alles zur größeren Ehre Gottes so lautet der Wahlspruch des hl. Franz v. Sales: Alles im Willen Gottes. Zwischen diesen beiden Kampflosungen besteht ein reeller Unterschied, desgleichen zwischen den beiden Geistesrichtungen, die daraus fließen.

Der Oblate stützt sich auf Mittel, die Franz v. Sales uns an die Hand gibt. Was er auch tun mag, ob unterrichten oder Handarbeit leisten, ob er ein Gelehrter ist oder nicht, sein Wert liegt in der Treue zum Willen Gottes. Hat man seinen Willen jeden Augenblick dem göttlichen angepasst, den Gedanken an die Gegenwart Gottes zu einer festen Gewohnheit gemacht, braucht man seine Zuflucht nicht so oft zu besonderen Mitteln zu nehmen. Da lebt z.B. ein Sünder in der nächsten Gelegenheit zur Sünde. Franz v. Sales wird ihn nicht zu außergewöhnlichen Übungen verpflichten, damit er sich daraus befreie. Er möge einfach aus dieser Gelegenheit ausbrechen, in jedem Augenblick kurz abschneiden und Gott beteuern, er wolle im Willen Gottes seinen eigenen Willen auf- und untergehen lassen, dann hat er es geschafft. Seid ihr für Profanliteratur ausersehen, würdet euch aber lieber mit mystischen Dingen beschäftigen, dann tut einfach eure Pflicht. So verweilt ihr im Willen Gottes: Darin liegt die ganze Heiligkeit. Man hat den Frieden des Gewissens und die Tatkraft eines ungebrochenen Willens. Wir stehen und ruhen ja im Willen des Allerhöchsten und marschieren und kämpfen nicht mehr auf uns allein gestellt. Statt uns zu erdrücken und zu zermalmen, wird er uns stützen. Das hat man mir in Rom bestätigt und sagt es mir so oft: „Herr Pater, Sie können den Einfluss gar nicht ermessen, den diese Lehre berufen ist, auf die Seelen auszuüben.“ Wie viele Wunder bezeugen uns das, liebe Freunde! Soeben erhalte ich einen Brief, der die Heilung eines jungen Geistlichen auf die Fürsprache der Guten Mutter verkündigt.

Seien wir also in allem und vor allem Oblaten! Anderenfalls wären wir nur Schatten, Schemen, Nullen. Unser ganzer Wert liegt einzig und allein in unserer Oblatenexistenz. Das gibt uns unsere geistige Physiognomie. Ein Pater, der Holz und Erde bearbeitet, ein Oblatenlehrer, der unterrichtet, ein Oblate, der predigt: Tun nicht viele andere das gleiche? Tun wir es aber als Oblaten, im Geist unseres Direktoriums, bemüht, unseren Willen in allem dem göttlichen anzugleichen, dann wird alles anders, dann arbeiten wir nicht wie alle anderen. Dann treten wir in den Besitz der „Gabe“ der Guten Mutter ein.

Ich will dieses Wort „Gabe“ erklären: Sie wiederholte mir oft, dass der liebe Gott auf Erden große Gnaden austeilen wolle und dass die Oblaten dazu berufen sind, sie auszuteilen. Ihre sämtlichen Briefe, die die Kirche jetzt approbiert hat, handeln davon. In Gott stehen Wohnungen bereit, die noch nie betreten worden sind und von jenen eingenommen werden, die auf diesem Wege voranschreiten. In der Tat, meine Freunde, alle Seelen, die ihn betreten haben, fanden auf ihm ihr Glück, wurden erleuchtet, ermutigt, und machtvoll unterstützt. Tun wir aber nichts, entsprechen wir nicht den Wünschen der Liebe des Herzens Gottes, dann wird Gott diese „Gabe“ einer anderen Kongregation übergeben. Und davor habe ich Angst. Die Missionare des hl. Franz v. Sales haben einen Oberen von ungewöhnlichem Format, der die Gute Mutter versteht, und überall über sie predigt. Ich bin nicht eifersüchtig, im Gegenteil. Wenn wir uns aber aus Unzulänglichkeit, Unfähigkeit oder mangelndem Mut nicht auf der Höhe unserer Sendung zeigen, warum sollte sich dann Gott nicht an andere wenden?

Bis jetzt, meine Freunde, hatten wir nur eine gewisse Sicherheit, die sich freilich auf Tatsachen stützte. Jetzt aber wurde die Lehre der Guten Mutter selbst in allen Einzelheiten gerechtfertigt und gebilligt, und niemand findet daran etwas auszusetzen. Man hat mir tausendmal versichert – und ich sehe mehr denn je ein, wie wahr es ist: „Was ihr da verwirklichen wollt, ist gut, denn es kommt von Gott…“ Wer sich auf diesen Weg einlässt, der hat Erfolg, d.h., er gelangt zur Gottvereinigung, zur Gotttreue. Was nichts kostet, ist nichts wert. Die Gaben Gottes werden uns zugemessen nach dem Maße unserer Treue. Wollt ihr außerordentliche Gnaden empfangen, dann seid heilig. Was Gott geben will, wirft er uns nicht vor die Füße. Auch in einer Bank leiht man nur aus nach dem Maße ernsthafter Garantien. Den Willen Gottes tun, seine Pflicht in Vereinigung mit ihm erfüllen, ist doch äußerst einfach. Zum Weihwasser, zum heiligsten Herzen Jesu, zu den Heiligen eine besondere Verehrung hegen, mag vortrefflich sein. Unsere Hauptandacht aber gilt dem Willen Gottes. Es heiligt uns tausendmal wirksamer, etwas in Vereinigung mit dem Willen Gottes zu tun als eine Betrachtung von drei Stunden zu halten, ohne uns darum zu kümmern, ob dies auch dem Willen Gottes entspricht. Wie oft hat mir die Gute Mutter das gesagt!

Bedenkt nur, wie vortrefflich dies mit dem Evangelium übereinstimmt und dass es von jedermann verwirklicht werden kann! Man braucht keine dicken Bücher über die christliche Vollkommenheit zu lesen. Habt ihr nichts Besseres zu tun und lest solche Bücher, dann tut ihr ein gutes Werk. Die Vollkommenheit lässt sich aber auch erlangen ohne das. Nach diesem Geist hat die Heimsuchung von Troyes gelebt. Vierzig Jahre lang sah ich darin Blumen der Heiligkeit blühen aufgrund dieses einzigen Mittels: den augenblicklichen Willen Gottes mit ganzer Seele erfüllen.

Unser Herr hat nicht gesagt, man müsse durch die Lüfte fliegen, wenn man in den Himmel will, sondern er spricht immer von einem Weg, den man mit seinen Füßen betritt, auf dem  man jeden Tag voranschreitet. Dieser Weg ist aber nichts anderes als der je augenblickliche Wille Gottes. Formen wir uns in diesem Geist, es ist ein echter, von allen anerkannter und geschätzter Geist. Alle werden uns verstehen, aller Herzen und Willen ziehen wir mit ihm an. Erbitten wir ihn von der Guten Mutter. Nie hat man ihr Vertrauen bewiesen, ohne dass man nicht eine entsprechende Wirkung erfahren hätte. Steht ihr vor einer Unternehmung, so hätte ich gern, wenn ihr sie anriefet und sie wird euch im Grund eures Herzens ihre Meinung erfahren lassen. Sie wird euch erleuchten und leiten.

Welch ein Glück und eine Freude für mich, dass dieses Dekret, in den Vatikanischen Druckereien entstanden, mit den Bildern des hl. Petrus und des hl. Paulus und dem Wappen des hl. Vaters versehen, am Portal zum Vatikan erscheint. Sooft ich ähnliche Dekrete dort hängen sah, fragte ich mich immer: Wann werden wir dasselbe mit der Guten Mutter erleben? Ginge man heute nach Rom, so könnte man dieses Dekret am Portal des Vatikans angeschlagen sehen.

Bis zu diesem Tag hegte ich ein großes Vertrauen zur Guten Mutter. Hatte ich doch Gründe genug, an ihr keinen Zweifel zu hegen. Vom heutigen Tag an hat mein Vertrauen noch zugenommen. Wie könnte man auch das geringste Misstrauen im Herzen tragen, nachdem Rom selbst gesprochen hat? Wir müssen mit unserer Guten Mutter vereint bleiben, und sie muss in unserer Mitte bleiben. Dann werden wir ihre Macht erfahren und können davon an andere weitergeben.
D.s.b.