Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 13.07.1892: Über das Direktorium (Teil 1)

Was will das Direktorium?

Oblaten werden wir allein durch das Direktorium. Ohne das Direktorium kein Oblate. Gewiss kann es nicht für alle als ausschließliche und absolute Bedingung angesehen werden. Es ist nur als ein Mittel, um zu Höherem zu gelangen, zur Liebe des Vertrauens, zur Hingabe. Auch räumt unser hl. Stifter selbst ein, eine allzu große Scheu, ihm unseren Geist zu unterwerfen, kann geduldet werden, „vorausgesetzt, dass nicht Eigensinn, Überheblichkeit, Verachtung oder Kritiksucht dieser Scheu zugrunde liegen – denn dann wir ein kluger Seelenführer sie einen anderen Weg führen, wenn auch die Erfahrung lehrt, dass der vorgezeichnete Weg für gewöhnlich nützlich und gangbar ist.“ Wir schreiten also durch aus auf den erprobten Wegen unseres hl. Gründers voran, wenn wir uns diesen zahlreichen Artikeln unterwerfen, bis eines Tages diese verschiedenartigen Akte in eine Seelenhaltung größter Einfachheit verschmelzen. Das ist unser Lebensinhalt. Das Direktorium führt uns zu einer ununterbrochenen Intimität mit Gott. Alles erbitten wir von ihm, alles sagen wir ihm, alles tun wir in Gemeinschaft mit ihm, und jeden Augenblick bitten wir um seine Gnade. Die übrige Zeit halten wir uns mit ihm verbunden durch eine einfache, herzliche und liebevolle Anhänglichkeit, soweit dies der liebe Gott erlaubt. Nur das macht uns zu Oblaten.

Es ist wahrlich keine Kleinigkeit, dahin zu gelangen. Aber sämtliche Heiligen haben sich darum bemüht. Der hl. Vinzenz v. Paul suchte inmitten all seiner vielen Arbeiten unablässig diese Vereinigung mit Gott. Die größten Mühsale, die ihm zustießen, wurden ihm nach einer Viertelstunde inneren Gebetes zu Tröstungen. Sein inneres Beten bestand darum auch nicht in einem eigentlichen Betrachten, sondern in der Vereinigung seines Herzens mit Gott. Und zu eben dieser Gottvereinigung und Heiligkeit müssen auch wir durch unser Direktorium gelangen, so wie die Trappisten dies durch ihre körperliche Abtötung, ihre Handarbeit, und ihr Fasten schaffen und die tätigen Orden durch ihre seelsorgerlichen Werke, ihren Einsatz und ihre Opfer. Das Ziel aller ist und bleibt die Vereinigung mit Gott, die Mittel sind verschieden. Unser großes Mittel ist das Direktorium. Wenn wir uns ihm unterwerfen, lebt es in uns in einem Zustand beständiger Praxis. Das Aufstehen am Morgen, die frommen Gedanken beim Ankleiden, all das geschieht ohne Anstrengung. Wir erfüllen damit den augenblicklichen Willen Gottes über uns. Wir vollbringen dabei das Beste und Kostbarste, den Gehorsam. Bereiten wir uns so auf die hl. Messe vor und feiern sie anschließend, dann vollziehen wir damit einen hervorragenden Akt. Tun wir das zusammen mit unserem Direktorium, dann bringen wir das Messopfer, wie die Gute Mutter zu sagen pflegte, zusammen mit dem Heiland dar. Wir sind seine Werkzeuge, handeln in seinem Namen, in Zusammenarbeit mit ihm. Feiern wir so das hl. Opfer, dann ist alles gut. Haben wir dabei aber einen Fehler begangen, durch eine Zerstreuung, eine Sorge, eine Erinnerung uns lenken lassen, dann macht der Herr dies wieder gut, wenn nur unser Wille ihm ganz gehört. Demütigen wir uns dann, und er wird alles ersetzen und sühnen. Und so in allem: in der Freizeit, beim Essen, in der Schule. Das bedeutet für uns keine Ermüdung, sondern im Gegenteil eine Entspannung des Geistes. Es muss nur in uns zu einer Gewohnheit werden. Darin besteht unsere Arbeit, das drückt uns den Stempel und das Gepräge auf.

Bereitet bei der Morgenbetrachtung euer Tagewerk gut vor und übergebt eure Seele unserem Herrn. Auch der Kaufmann stellt am Morgen keine langen Überlegungen an über dieses und jenes. Er beschränkt sich auf das Dringendste und legt seine Waren zum Verkauf bereit. Sobald er Zeit findet, denkt er über anderes nach. Tun wir desgleichen. Den ganzen Tag fahrt in der begonnen Weise fort, indem ihr Schritt für Schritt dem Direktorium und unserem Herrn folgt. Das wird euch entspannen und zu guten und echten Ordensleuten machen. Betrachtet dieses Büchlein nicht als ein unerträgliches Joch, als einen Zwang. Man muss es nur zu einer Gewohnheit werden lassen, und das geht nur Schritt für Schritt.

Seht in allem, was ihr tut, unseren Herrn. „Wir haben ja einen Erlöser“, pflegte die Gute Mutter zu sagen. Er rettet uns aus unseren Erbärmlichkeiten, Unfähigkeiten und Verfehlungen. Das prägt unserer Seele eine außerordentliche Einfachheit auf, in all unseren Übungen gehen wir geradewegs auf Gott los, bei jeder Bewegung, bei jeder Handlung. Nimmt uns das etwa unsere eigene Intelligenz, unseren Tatendrang und schöpferische Eigeninitiative? Nein. Der Vater wirkt bis zur Stunde und ich wirke gleichfalls. Die Gottvereinigung wird uns zu einer aktiven Hilfe und entwickelt unsere Fähigkeiten. Das Hilfsmittel des Direktoriums ist also wertvoll, und gibt unserer Seele Geradheit, Einfachheit und Vernünftigkeit, etwas, was allen Menschen gut ansteht und uns in jeder Art Heimsuchung wie in unseren Beziehungen zum Nächsten stützt. Um diesen Angelpunkt muss sich alles drehen, dann wird alles in der rechten christlichen Richtung verlaufen. Dahin ist unser inneres Leben ausgerichtet, und dieser Weg hat jede wünschenswerte Sicherheit für sich. Niemand kann uns da widerstehen. Kein Hindernis vermag uns da aufzuhalten, weder schwache Gesundheit noch Mangel an Kraft. Dieser Weg passt für die Vielbeschäftigten wie für solche, die mehr Muße haben. Aber es bedarf es Lichtes von oben und der Gnade Gottes, um es wohl zu begreifen.