Kapitel vom 29.06.1892: Über das Predigen
„Gut ist es, schon am Tag vorher seine Predigt vorzubereiten und morgens in der Betrachtung die Gedanken einzuflechten, die ihr vortragen wollt…“
Der sterbende Evangelist Johannes wusste nichts Besseres zu sagen als während einer Viertelstunde unablässig die gleichen Worte zu wiederholen: „Kindlein, liebet einander!“ Sicher ging der gute Heilige mit dieser ständigen Wiederholung seinen Jüngern ein bisschen auf die Nerven. Wir brauchen ihn hierin nicht nachzuahmen, solange wir nicht sein Alter und seine Heiligkeit haben. Besonders als Anfänger sollte man seine Predigten nach den Anweisungen und Methoden der Meister niederschreiben. Macht eure Einteilung, wie es Bourdaloue macht, um Ordnung und Klarheit in eure Gedanken zu bringen. Aber macht es nicht wie er, der unaufhörlich die einzelnen Punkte seiner Disposition seinen Zuhörern ins Gedächtnis rief. Sonst laufen die Zuhörer davon. Euren Predigtplan sollt ihr vielmehr nur für euch zurechtlegen als Grundlage, von der ihr ausgeht, anstatt eure Zuhörerschaft ständig durch Aufzeigen und Einhämmern der einzelnen Abschnitte zu langweilen. Bourdaloue hatte ein Publikum vor sich, das ihr nicht habt. Was gut war für die Hofleute des 17. Jahrhunderts, passt nicht für die Menschen unserer Zeit. Tragt in euren Predigten und Katechesen zusammenhängende Gedanken vor, in guter Ordnung und Logik, mit einem kräftigen Schuss solider Theologie durchsetzt. Habt ihr eure Stoffsammlung beendet, dann versetzt euch im Geist vor eure Zuhörerschaft. Wen nehmt ihr euch jetzt zum Vorbild? Auf keinen Fall Bourdaloue, sonst versteht euch niemand und hört keiner zu, außer einigen Pfarrern und Seminaristen. Oder etwa Lacordaire? Die großen Redner des Augenblicks? Manchmal können sie euch als Vorbild dienen. Vor einer intelligenten, ausgewählten Zuhörerschaft könnt ihr damit vielleicht Interesse wecken, dass man euch zuhört und mit Genuss zuhört.
Nehmt euch vor allen anderen den hl. Chrysostomos zum Vorbild, das ist mein Rat. Das war ein Kanzelredner, der wirklich seine Zuhörer ansprach. Er ließ sie nie in Ruhe, stellte ihnen Fragen, regte sie an, rief ihre Aufmerksamkeit wach, brachte sie auf Touren. Er predigt z.B. über die Handarbeit und den Segen, den sie uns bringt, über den Fluch des Müßiggangs und der Eitelkeit. Dann spricht er die Damen von Konstantinopel an, die es in der Pflege ihrer schönen Hände bis zur Torheit trieben: „Zeigt mir eure Hände her“, ruft er in die Menge. „Da sehe ich eine schwielige, raue, geschwärzte Hand. Wem gehört sie? Nun, einem fleißigen Familienvater. Wahrlich, eine heilige Hand, die man küssen und verehren möchte… Und nun zeigen Sie mir Ihre Hand, Madame. Sie ist weiß, schlank, parfümiert und geschmückt. Was leistet denn diese Hand? Sie dient der Eitelkeit, ist ein Werkzeug der Hölle… Eine schreckliche Hand, weg mit dir, du Hand Luzifers!“ Oder er spricht über das Gebetsleben: „Wer von euch ging heute Morgen zum Hafen? Was habt ihr da gesehen? Fischer, die ihre Boote herrichten, Matrosen, die ihre Waren auf Schiffe brachten. Zur frühen Stunde heißt es die Anker lichten, alles muss fertig zur Abfahrt sein. Habt nicht auch ihr eine Reise zu unternehmen? Seid ihr segelfertig? Habt ihr gut überlegt, was ihr einschiffen und was ihr auf dem Land zurücklassen müsst? …“ In diesem Ton unterhielt sich der „Goldmund“ mit den Leuten unter seiner Kanzel, ermunterte und unterstützte sie. Das sollten auch wir in unseren Ansprachen, Katechesen und Konferenzen tun. Und sprecht immer eure Zuhörer an, und nicht euch selbst! Ich machte einmal eine derartige Bemerkung gegenüber einem Prediger, der es mir seitdem ein bisschen nachträgt: „Sie können mit Ihrer Predigt zufrieden sein“, sagte ich. „Sie sprachen gut, und vor allem für Sie selbst muss es interessant gewesen sein.“
Studiert gründlich euer Thema, bevor ihr darüber sprecht. Bedenkt, dass das, was euch interessiert, nicht deswegen auch schon die anderen interessieren muss. Greift eure Zuhörer an! Aber wie? Nun, das lernt man nur durch die Praxis, mehr durch Erfahrung als durch Regeln und Vorschriften. Ich kann nur noch einmal den hl. Chrysostomos empfehlen. Nehmt das, was er gesagt hat und tragt es jedem beliebigen Publikum vor, man wird euch gern zuhören und wird davon entzückt sein, denn solch eine Sprache wirkt lebendig und wahr. Übersetzt es Wort für Wort. Das ist wahre Redekunst.
Euren Gegenstand müsst ihr gründlich beherrschen. Haltet euch die theologischen Grundsätze vor Augen und fasst gleichzeitig euer Publikum genau ins Auge. Man kann nicht zu Knaben sprechen wie zu Mädchen, nicht zu Männern wie zu Hausgehilfinnen. Jede Menschengattung verlangt ihren eigenen Redestil, und danach müsst ihr euer Predigtthema zuschneiden. Nicht Neues, sondern auf eine neue Weise! Man trägt jederzeit die gleiche Wahrheit vor, aber nicht auf dieselbe Weise. Sollt ihr vor einer ganzen Pfarrei predigen, vor Männern, Frauen, aber auch vor Kindern, dann tut ihr euch bedeutend schwerer als vor einer speziellen Gruppe. Dann müsst ihr eben Themen wählen, die für alle passen und allen etwas fürs Leben abgeben. Oder ihr habt eine Patroziniumspredigt zu halten. Da könnt ihr nicht allgemeine und unbestimmte Dinge vortragen, etwa ein Thema aus der Dogmatik oder Moral behandeln. Ihr müsst vielmehr den Pfarrpatron vorstellen, etwas aus seinem Leben herausgreifen, was für alle passt und in ihrem Leben verwirklicht werden kann.
Warum geben denn bei allen Wahlen brave Leute ihre Stimme immer wieder minderwertigen Leuten und Schurken? Weil sie es verstanden, sie durch packende, praktische und verführerische Worte zu fangen, weil man ihnen Versprechen machte, die ihnen ins Gemüt und in den Kopf gingen. Wenn ihr für Gott arbeitet, dann fasst die Seelen an einer Stelle, wo sie empfänglich sind, wo sie spüren, ihr bringt ihnen Interesse entgegen, womit ihr ihr Herz gewinnt. Predigt ihr vor kleinen Jungen, dann erzählt Züge aus der Hl. Schrift, interessante Beispiele aus dem Leben der Heiligen, viele Geschichten und ein wenig Nutzanwendungen. Predigt ihr zu Mädchen, so erzählt ihnen Geschichten aus dem Leben heiliger Frauen, besonders heiliger Mädchen. Fesselt so ihre Aufmerksamkeit und macht gut verständlich, worauf ihr hinauswollt. Nehmt euch stets ein Beispiel an unserem Herrn, wie er sich an seine Zuhörer wendet, sie fesselt und zu interessieren versteht. Wie viele Fragen er doch stellt! Beobachtet ihn am Jakobsbrunnen im Gespräch mit der Samariterin oder wenn er vom barmherzigen Samariter erzählt. Seine Nutzanwendung ist kurz, ein Wort am Schluss der Geschichte genügt ihm, aber dieses Wort sitzt. Die Geschichte vergisst man nie mehr und damit auch die kleine Lehre am Schluss nicht. Denkt nur an die Parabel vom Sämann und dem Wort Gottes.
Zur Vorbereitung der Predigt greifen wir auf Predigtbücher oder Bücher der Theologie zurück. So sammeln wir unseren Stoff, hüten uns dann aber, so vorzutragen wie es im Predigtbuch steht oder wie es Bourdaloue gesagt hat. Wir entlehnen ihm wohl seine Disposition, seine Gedankenführung, seine Ideen, übersetzen aber all das in eine Sprache, die unsere Zuhörer verstehen. Durchsetzen wir das Ganze mit Vergleichen, Begebenheiten aus dem Leben, mit aktuellen und ganz praktischen Dingen, die dem Lebenskreis unserer Zuhörer zugeordnet sind. Auch bei Bossuet finden wir wunderbare Gedanken und Einsichten. Wählen wir daraus aus und bringen wir sie in Verbindung mit dem Alltag unserer Zuhörer, machen wir sie ihnen mundgerecht, gemäß ihrer Art zu denken und zu sprechen. Ein gutes Mittel ist auch, selber Predigten anderer anzuhören und zu studieren.
Im Allgemeinen kann man immer etwas lernen, besonders, wenn es tüchtige Prediger sind. Der frühere Dompfarrer von Troyes, M. Boizard, ein sehr tüchtiger Mann, ging in alle Predigten, sogar in die der jungen Geistlichen und behauptete, er ziehe immer Nutzen daraus. Für seine eigene Predigt im Dom gebrauchte er einmal zwei, drei Gedanken aus einer Predigt, die ich über die heiligste Dreifaltigkeit gehalten und die ich einem Predigtbuch oder einem theologischen Werk entnommen hatte. „Sie sind gut“, sagte ich nachher zu ihm. „Diese Gedanken haben Sie mir stibitzt!“ Und dabei war ich doch alles andere als ein Kanzelredner.
Unter den Predigtbüchern empfehle ich euch besonders das von P. Lejeune. Es präsentiert die Glaubenslehre in einem interessanten Licht und auf originelle Weise. Daraus können wir viel lernen, obwohl es bereits ein wenig veraltet ist. Man kann ihn aber in allem nachahmen, er ist immer packend und praktisch. Vor allem lege ich euch den Artikel des Direktoriums übers Predigen ans Herz. Bedient euch der Gebete und Gedanken unseres hl. Stifters, die ihr darin findet. Bleibt stets in frommer Weise mit Gott verbunden. Was ich euch heute da sage, solltet ihr euch aufschreiben. Hebt diese Anleitung auf, so wie man den Seminarunterricht aufbewahrt, sodass die Lektionen uns bis ins höchste Alter im Gedächtnis haften.
