Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 22.06.1892: Über das Predigtamt: Christus, das Licht der Welt.

„Die Patres sollen niemals predigen, ohne ihres Herrn und Heilandes gedenken, den sie in der hl. Messe empfangen…“

Jedes Mal, wenn wir zu predigen haben, sollten wir uns der Gedanken des Direktoriums bedienen, genau wie bei allen anderen Handlungen. Dadurch wird eine an sich gleichgültige Handlung verdienstvoll. Das gilt in verstärkterem Maße für Predigt, Katechese und sonstigen Unterricht. Machen wir uns den Gedanken des hl. Chrysostomos zu Eigen, den der hl. Stifter hier zitiert: „Es ist unglaublich, wie schrecklich den bösen Geistern das Wort eines Predigers ist, der das hl. Sakrament empfangen hat.“ Unser Herr, der auf unsere Lippen und unsere Zungen gekommen ist, wird uns außerdem die Gabe schenken zu überzeugen und zu bekehren und wird unseren Worten Wirkung verleihen. Es ist also ganz wesentlich, dass wir uns in diesem Augenblick mit Gott verbinden. Wenn die Gute Mutter zu ihren Schwestern sprach, tat sie das ohne literarische und rednerische Vorbereitung. Sie tat es aber nie ohne eine ernste übernatürliche Einstimmung. Bevor und während sie sprach, bat sie den lieben Gott um Erleuchtung ihrer Zuhörerinnen. Das sollte auch unsere Art und unsere Doktrin sein: „Ich bin das Licht der Welt.“ Verbinden wir uns mit dem, der das Licht der Welt ist, dann wird unser Wort klar und lichtvoll und bringt Einsicht und Überzeugung in die Herzen. Der Anfang dieses Kapitels des Direktoriums legt das Fundament für unsere ganze Redekunst: Vereinigung mit unserem Herrn, zu ihm gehen in Gebet und Abtötung: „Ich züchtige meinen Leib und bringe ihn in Dienstbarkeit.“ Nach dem Pontifikale muss ein Bischof, der eine Kirche weihen will, am Vortag fasten, damit wir erkennen, dass selbst das Priestertum in seiner Fülle nur durch Gebet und Buße zu seiner vollen Auswirkung kommen kann. Sagt nicht unser Herr selbst: der Teufel der Unlauterkeit kann nur durch Gebet und Fasten ausgetrieben werden? Täuschen wir uns also nicht: die Gnade der Bekehrung wird nur durch diese zwei Mittel erlangt.

„…mögen sie beim Besteigen der Kanzel Gott dem Vater die Lehrtätigkeit seines Sohnes…aufopfern: Mein Gott, ich opfere Dir auf die großen und zahlreichen Mühen, die Dein göttlicher Sohn mit dem Predigtamt auf sich nahm…“

Dieses kleine Gebet sollten unsere Prediger vor jeder religiösen Unterweisung sprechen oder wenigstens von Zeit zu Zeit. Unsere ganze Stärke liegt allein beim Herrn. Was unser hl. Stifter uns da empfiehlt, ist darum voller Weisheit.

„Bei der Predigt spreche man liebevoll, andächtig, einfach, offen und vertrauensvoll…“

Hier habt ihr die Form und die Eigenschaften unserer Predigtweise gekennzeichnet. Unser Wort sollte ganz entflammt sein von Liebe, zumal es das Herz ist, das Beredsamkeit verleiht, das Herz macht den Redner. Nur wenn das Herz mit dabei ist beim Reden, findet unser Wort den Weg zum Herzen der Zuhörer. Wir dürfen uns aber nicht nur damit begnügen zu überzeugen, wir sollen begeistern und fortreißen. Darum gilt es, mit Liebe zu sprechen.

Beobachtet nur unseren Herrn, wenn er seine Gleichnisse vorträgt: Seine Rede atmet nur Liebe und Einfachheit. Er wendet sich an Fischer, die da am Ufer des Sees wohnen. Er geht auf ihre Arbeit ein, spricht von Netzen und Fischen. Dann wieder spricht er Landleute an, unterhält sie über ihre Äcker, über Aussaat und Ernte. Ein andermal predigt er den Kaufleuten von Kapernaum: Das Himmelreich gleicht einem Kaufmann. Er bedient sich also menschlicher Mittel, die in der Reichweite jener liegen, die ihm zuhören und die sie innerlich anrühren. Er selbst hegt Liebe zu ihnen und ringt ihnen so Liebe zu seinem Wort ab. Das sollte auch unsere Redeweise sein. Besonders in der Zeit, in der wir leben, können wir nicht mehr mit Autorität ankommen. Autorität gibt es nicht mehr. Die Liebe eurer Zuhörer gewinnt ihr nur, wenn ihr liebevoll, einfach, offen sprecht, wenn ihr nicht strenge Vorwürfe macht und immer höflich bleibt.

„…ganz durchdrungen sei jeder von der Lehre, die er vorträgt und von der er andere überzeugen will…“

In der Materie, die wir vortragen, müssen wir natürlich gut bewandert sein. Nun, wenn man liebt, dann überzeugt man auch, weil unsere Worte wie glühende Pfeile aus unserem Inneren hervorbrechen…

„Es ist gut, schon am Vorabend seine Predigt vorzubereiten und morgens in der Betrachtung die Gedanken einzuflechten, die man vorbringen will.“

Unser hl. Stifter meint hier die unmittelbare Vorbereitung. Sie setzt die entfernte voraus. Zunächst müssen wir uns in die rechte innere Verfassung bringen, die dieser hl. Dienst erfordert. Ohne das nötige Wissen und eine gründliche Vorbereitung darf man nicht predigen. Man würde nur höchst zweifelhafte, ja überhaupt keine Resultate erzielen. Wir müssen die Hl. Schrift, die Theologie und Kirchengeschichte studiert haben, ebenso das Leben der Heiligen. Außerdem müssen wir die Hauptereignisse, die Haupttendenzen des gegenwärtigen Augenblicks, unserer Epoche, und unseres Landes kennen. In diesen Quellen schöpfen wir, was wir vortragen wollen. Wie sollten wir sonst das Predigtamt richtig ausüben können? Die Lehre der Kirche gründet doch wesentlich auf ihrer Geschichte. Beobachtet bloß den Kampf, den die Gottlosen gegen die Geschichte führen, weil sie die Grundlage der Kirche bildet. Wie gern möchten sie die Bibel als orientalisches Märchen hinstellen. In der Schule wird Kirchengeschichte nicht mehr unterrichtet. Was ist die Folge davon? Keiner eurer Zuhörer kennt mehr die katholische Religion, weder Frauen noch Männer. Von hundert praktizierenden Christen wette ich, dass nicht mehr vier euch eine Gesamtschau ihres Glaubens geben können. Keine Ahnung haben sie von den Beweisen der Religion und von einem Großteil der Glaubenslehren. Sie haben den Glauben eines Köhlers, ja, aber einen, der in der Luft schwebt. In manchen Diözesen blieb noch ein bisschen Glaube zurück, wie z.B. in der Diözese Langres, wo man noch einen gründlichen Katechismusunterricht erteilt. So ein Unterricht ist dann eine gute Glaubensquelle. Von diesen wenigen privilegierten Bistümern abgesehen, findet man nur äußerst selten einen wohl unterrichteten Christen, der seine Glaubenslehre kennt. Und wie steht es mit euren Kollegschülern? Wie viele davon können Rechenschaft über ihren Glauben ablegen? Sie sind erschreckend unwissend. Wir müssen ihnen darum in der Predigt die Glaubenslehre vermitteln, sie mit den geschichtlichen Tatsachen bekannt machen. So tat es der hl. Paulus. In seinem Hebräerbrief ruft er die Juden Roms die großen geschichtlichen Zusammenhänge ihres Volkes ins Gedächtnis von Adam und Eva angefangen über die Patriarchen und die ägyptische Gefangenschaft bis auf Christus. Scheut euch nicht, so etwas wie eine Katechese zu halten, ohne dass ihr deshalb die äußeren Formen der Schulkatechese einhalten müsst. Aber die Grundelemente unseres Glaubens müssen wir immer wieder einschärfen, wir können darauf nicht verzichten. Das behält allezeit seine Aktualität und gewinnt uns die Aufmerksamkeit der Zuhörer. Weil man diese Dinge vollständig vergessen hat, wird man eure Predigt als außergewöhnlich empfinden.

Seid überzeugt, dass eure Zuhörer samt und sonders unwissend in religiösen Dingen geworden sind, von den Seminaristen abgesehen. Diese haben ihre Theologie studiert und sie allein werden euch noch verstehen. Alle anderen müsst ihr durch das solide Brot einer gesunden Lehre für den Glauben zurückgewinnen, sonst könnten sie gar keinen, von der Vernunft erhellten Gehorsam leisten. Eure Unterweisung muss sich auf die Kirchengeschichte stützen und in aller Einfachheit vorgetragen werden. Ruft immer wieder die großen Glaubensfakten ins Gedächtnis: Schöpfung, Sündenfall, die Patriarchen und Propheten, die das Kommen des Messias ankünden. Die Leiden der Kirche und ihr Triumph. Eure Zuhörer sollen erkennen, was sie sind, zu welcher Gemeinschaft sie gehören, woher ihr Glaube kommt und worin er besteht. Und dasselbe tragt ihr ihnen auch in euren Katechesen vor. Früher hielt man lieber Vorträge über diesen oder jenen Gegenstand. Das ist gut, aber für Kinder wie für das Volk nicht passend und zu wenig lehrreich. Sie brauchen eine einfachere Nahrung, die mehr auf sie zugeschnitten ist. Stützt die Lehre, die die Theologie und die Hl. Schrift liefert, auf Tatsachen, auf Vernunftbeweise und Vergleiche, die eure Hörer verstehen können. Gebraucht in reichem Maße geschichtliche Fakten und denkwürdige Ereignisse, und seid euch stets bewusst, dass niemand mehr die Kirchengeschichte kennt. Es genügt also nicht, sie bloß anzuführen. Man muss sie schon ausführlich behandeln. Früher beherrschte jeder Sechsjährige schon die Geschichte des ägyptischen Josef, heute kennt sie kaum einer unter Tausend.

Darum empfehle ich wieder einmal, einen Karton mit fliegenden Blättern in alphabetischer Ordnung anzulegen. Notiert euch und reiht es ein, wenn ihr beim Breviergebet, in der Schriftlesung oder bei der Lektüre eines Buches auf einen schönen Gedanken stoßt. Soeben sprach ich von Theologie. Es ist unerlässlich, dass wir unsere Theologie gründlich kennen. Ich möchte euch in diesem Zusammenhang etwas sagen, womit ich aber niemandem zu nahe treten will: die Theologie, die man in französischer Sprache betreibt, ist keine Theologie, sondern ein mehr oder weniger detaillierter Katechismusunterricht. Man kann keine ernsthafte Theologie betreiben, ohne dass man sich der theologischen Sprache bedient, die nun einmal das Lateinische ist. So wie man nicht Chemie studieren kann, ohne die Spezialterminologie dieser Wissenschaft zu gebrauchen. Die Gotteswissenschaft ist in lateinischer Sprache abgefasst, weil dies eine tote Sprache ist. Ihre Ausdrücke sind gleichsam unveränderlich und stereotyp. Ein bestimmtes Wort bedeutet in Latein eben das und nichts anderes. Sein Sinn lässt sich nicht beugen und ändern. Die Sprache ist festgelegt und damit unwandelbar. Dadurch ist das Latein in hervorragender Weise befähigt, die Definitionen der Theologie festzulegen. Vergleicht nun damit eine Theologie in Französisch: Welchen Sinn werden in 2-3 Jahrhunderten die gebrauchten Wörter haben? Als der hl. Stifter sagte: „Votre très pitoyable Majesté“ hatte „pitoyable“ kaum denselben Sinn wie heute (Anm.: „in der Zeit Brissons wurde dies mit ‚erbärmlich‘ wiedergegeben, in der Zeit des hl. Franz v. Sales mit ‚barmherzig‘“). Lernt darum gut Latein und lernt gründlich die lateinische Theologie.

Beachtet wohl, wie der Liebe Gott alles zum Ruhm seiner Kirche lenkt: Das Latein hat die ganze Fülle seines Reichtums bewahrt, und Gott hat zugelassen, dass diese Sprache, die früher überall gesprochen wurde, heute eine tote Sprache ist. Sie ist zum Typus der Sprache schlechthin geworden und hat den Auftrag, den Sinn und die Gedanken der Theologie zu bewahren. Wir sollten also unser theologisches Rüstzeug gut beherrschen und es in Latein beherrschen!

Welche Schätze bergen doch unsere theologischen Disziplinen! Nehmt einen Traktat der Theologie her, eine Definition, eine These, dann habt ihr einen vortrefflichen Plan für eine Predigt. Schöpft aus der Theologie, dann werden eure Katechesen interessant und wahr. Sie ist eine unerschöpfliche Quelle. Mit der Theologie in der Hand werdet ihr nichts verderben, ihr werdet mit ihr klar und lichtvoll sprechen.

Bei dieser Gelegenheit darf ich dringend an das theologische Studium erinnern, dem sich jeder zu unterziehen hat. Zurzeit betreiben wir die eigentliche Theologie. Später kommt Liturgik an die Reihe, dann die Hl. Schrift. Gebraucht zur Schriftlektüre gute Kommentare. Legt euch genau auf den Sinn fest, der einer Stelle zukommt und in welchem dieses Wort oder jene Wendung, dieses Faktum oder jene Weissagung auszulegen ist. Greift also stets auf die Theologie zurück, wenn ihr eine Predigt zu halten habt. Ich erinnere mich, als ich noch im Seminar war, führte man uns zur Predigt in die Kathedrale. Da hielt ein Kaplan, Abbé Quellard, Predigten, die immer solide Theologie boten. Das war gediegen abgefasst und gut vorgetragen, fesselte die Aufmerksamkeit und stützte sich auf die Väter. Wir Seminaristen waren begeistert und die würdigen Domherren entzückt. Fügt einige zeitmäßige Begebenheiten hinzu und aktuelle Dinge, was zurzeit gesagt und getan wird. Wählt freilich mit Umsicht und Diskretion aus. Wir müssen aber bis zu einem gewissen Grad auf dem Laufenden bleiben über die Zeitirrtümer, damit wir sie bekämpfen und ihnen die Wahrheit entgegenhalten können.

Wie soll eure Predigtvorbereitung erfolgen? Indem ihr die Predigt schriftlich ausarbeitet. So seid ihr gezwungen, in eure Gedanken Ordnung zu bringen. Lernt sie am Anfang auswendig. Mit zunehmender Erfahrung sollt ihr euch daran gewöhnen, sie nicht mehr Wort für Wort aufzusagen. Bedient euch dessen, was ihr da niedergeschrieben habt, als eines Entwurfes, einer Grundlage, eines Notbehelfs. Übt euch mehr und mehr in freier und flüssiger Rede. Geht auch dem Gedanken nach, der euch während der Predigt kommt, der eurem Inneren entspringt, der euch der Anblick eurer Zuhörer eingibt, der durch eure eigenen Worte angeregt wird. Das wird eure Predigt lebendig, spannend und praktisch machen. Haltet euch in eurer Ausarbeitung an die Regeln der Redekunst. Verfügt ihr so über eine solide theologische Grundlage, kennt ihr auswendig Lehr- und Kernsprüche, Beispiele aus der Hl. Schrift und der Geschichte, Vergleiche, neue, interessante Gedanken, dann bietet die Ausarbeitung einer Predigt keinerlei Schwierigkeiten. Ihr könnt mit Erfolg, Eleganz, und Leichtigkeit sprechen und der Kirche viel nützen. In unserer Zeit muss man das Wort mit Geschick handhaben. Welchen Missbrauch treiben doch die Bösen mit ihm. Mit dem Wort töten sie die Seelen. Durch unser Wort müssen wir sie retten. Unsere Predigt soll Unterricht und Erbauung zugleich bieten. Über den religiösen Unterricht haben wir soeben gesprochen. Erbauen könnt ihr durch eure entfernte Vorbereitung und indem ihr treu das befolgt, was das Direktorium uns nahelegt. Das trägt zur Erbauung der Zuhörer bei. Betrachtet erst selbst das durch, was ihr anderen vorsetzen wollt. Tut es zu Füßen des Tabernakels, wenn es möglich ist. Nichts ist so vorteilhaft. Dann fällt euer Wort in gutes Erdreich und bringt hundertfältige Frucht. Darin besteht die beste Vorbereitung. Ohne das bliebe eine bloß verstandesmäßige Vorbereitung unfruchtbar. Es würde bedeuten, Samenkörner unter Dornen und auf hartgetretenen Boden zu werfen.

Ich kann nicht oft genug empfehlen, dass jeder von euch seinen kleinen Schatz, seine Materialsammlung anlegt, wo ihr mit einem Griff findet, was ihr zusammengelesen habt. Legt diese losen Blätter alphabetisch in eine Schachtel. So wird alles Wertvolle registriert und unsere Predigt wird spannend und fruchtbar.

Man bittet euch um eine Predigt, eine Katechese, eine Aussprache. Ihr habt nichts vorbereitet, kein Spezialstudium darüber gemacht. Da greift ihr nach euren Notizen, findet darin schöne Gedanken, und diese rufen andere in euch wach.

D.s.b.